Dirk Maxeiner / 14.05.2011 / 00:12 / 0 / Seite ausdrucken

Des Kaisers nachhaltige Kleider

Scharlatane haben sich zu allen Zeiten hinter Wort-Ungetümen versteckt. Das soll den normalen Menschenverstand auf Distanz halten. Ein aktuelles Beispiel liefert der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) mit seinem Bericht „Welt im Wandel“ in dem es nur so wimmelt von „partizipativer Forschung“ und „transformativer Wissenschaft“. Es handelt sich laut Autoren um einen „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“, die wir uns als Ende des „fossilen industriellen Metabolismus“ und als „Übergang zur Nachhaltigkeit“ vorzustellen haben. Die neue „Weltgesellschaft“ soll mit deutschem Know-How verwirklicht werden und zwar durch „tiefgreifende Änderungen von Infrastrukturen, Produktionsprozessen, Regulierungssystemen und Lebensstilen.“ Bedauerlicherweise verhindern „politische, institutionelle und ökonomische Pfadabhängigkeiten, Interessenstrukturen sowie Vetospieler“ den Übergang zur „nachhaltigen Gesellschaft“.

Der Gremium-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber hat deshalb ein paar zünftige Ideen, wie diese beseitigt werden können, beispielsweise durch „Volksentscheide mit Teilnahmepflicht“ oder von „Ombudsleuten für die Rechte künftiger Generationen – vielleicht sogar mit Parlamentssitz“. Schellnhuber freut sich auf die nachhaltige Zukunft jenseits unserer gegenwärtigen „Mitläuferdemokratie“ und beruft sich dabei auf Umweltminister Norbert Röttgen, der den Weg in die Nachhaltigkeit für eine „zivilisatorische Höchstleistung“ hält. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet Nachhaltigkeit als „Leitprinzip der Bundesregierung“ und möchte sie zu einem „Markenzeichen des 21. Jahrhunderts“ machen. Deshalb fordert sie den deutschen Volkskörper auf, „über alle Lebensbereiche hinweg, den Nachhaltigkeitsgedanken zu verinnerlichen“.

Nun würden wir das ja gerne tun, wenn uns endlich jemand sagen könnte, was Nachhaltigkeit eigentlich ist. Der WBGU hilft mit seiner Definition nicht wirklich weiter: „Nachhaltigkeit ist nicht zuletzt Phantasie.“ Mit den verschiedenen Erläuterungen des Begriffs könnte man eine ganze Dussmann-Filiale füllen, was aber auch nicht schlauer machen würde, denn es handelt sich unisono um schwere Kopfgeburten, in denen eine gefühlte Elite dem dummen Volk das Denken abnimmt. „Nachhaltigkeit klingt so natürlich, so biologisch so ökologisch“, schrieb einmal Hubert Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, „da unklar genug ist, was es eigentlich bedeuten soll, können sich von Wirtschaft und Wissenschaft bis zu Politik und Kirchentagen alle darauf einigen“.

Die bekannteste Definition stammt von der „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ („Brundtland-Kommission“) der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1987. Danach ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie „die Bedürfnisse der gegenwärtig lebenden Menschen befriedigt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen in Frage zu stellen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Nachhaltigkeit ist demnach eine Art Welterlösungsformel. Problematisch wird es erst, wenn der Kellner die Rechnung bringt: Welche Bedürfnisse dürfen es denn noch konkret sein? Eine vollwertige Mahlzeit pro Tag? Oder drei? Darf’s auch eine Wohnung sein, Altbau oder Platte? Steht uns ein Urlaub zu, womöglich gar mit dem Flugzeug? Und wer entscheidet das? Vielleicht der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltfragen?

Nachdem die Arbeiterschaft und die Dritte Welt sich selbstständig gemacht haben und als Mündel ausfallen, verschafft die „Nachhaltigkeit“ Weltbeglückern die Chance, sich zum Sprecher des „Klimas“ zu machen oder noch besser „künftiger Generationen“. „Es findet gleichzeitig eine Entmündigung und Anmaßung statt“, schreibt der Ökonom Oliver Marc Hartwich. Entmündigt wird die heutige Generation, denn ihr wird eine eigene Entscheidung, ihr Leben selbstverantwortlich zu führen, abgenommen. Außerdem maßt sich derjenige, der im angeblichen Interesse künftiger Generationen Forderungen erhebt, an, für eben jene Generationen sprechen zu können.

Doch welche Generationen sind überhaupt gemeint? Die in 50 Jahren, in 100 Jahren, in 1000 Jahren oder in 100 Millionen Jahren? Wird es dann überhaupt noch Menschen geben? Und was wird gut für sie sein? Was hätte ein Wissenschaftler Ende des 19.Jahrhunderts zu unserem heutigen Wohle empfohlen? Nachhaltige Pferdekutschen? Petroleumlampen? Raddampfer?
Und was ist vorzuziehen: zehn Millionen Familien für die nächsten 100 Jahre gut zu versorgen oder 100 Familien für die nächsten zehn Millionen Jahre? Sollen die Armen von heute etwa zugunsten der Reichen von Morgen verzichten? Könnte es nicht auch sein, dass die Menschen in 100 Jahren reicher sind als wir heute, genau wie wir reicher sind als unsere Großeltern? Es mag die Wohlmeinenden schmerzen und verstören: Unseren heutigen Wohlstand und Fortschritt verdanken wir weniger der Sorge früherer Generationen um uns, als vielmehr ihrem Wunsch selbst besser zu leben.

Anstatt die Zukunft als ergebnisoffenes Entdeckungsverfahren zu sehen, wird die Idee einer besseren Welt nach Plan wieder salonfähig. An die Stelle des tastenden Fortschritts durch Irrtum und Versuch, soll eine global gesteuerte Ressourcenbewirtschaftung treten. Sie soll im Hinblick auf einen hypothetischen paradiesischen Endzustand erfolgen. Eine solche Idee ist utopisch und Im Kern totalitär.

Auch die populäre Ansicht, dass Nachhaltigkeit gleichsam um ein ehernes Gesetz der Natur sei, ist ein Irrtum. Der Begriff stammt aus dem Waldbau und meint dort, dass man nicht mehr Holz einschlagen solle als nachwächst oder aufgeforstet wird. Dies ist kein natürliches, sondern ein ökonomisches Prinzip. Es geht um Bestandswahrung, wie sie beispielsweise auch bei Wildtier- oder Fischbeständen sinnvoll ist. Deutsche Forstmeister verhalfen dem Prinzip im 18. Jahrhundert erstmals zur Geltung, hatten dabei aber garantiert keine gesellschaftliche Leitidee im Sinn.

Es mag eine kosmische Kränkung sein, aber das Leben ist nicht nachhaltig. Natur ist Anarchie, Revolution, Chaos, Katastrophe. Natur ist ständige Veränderung und Anpassung an neue Umstände, ihr Erfolgsprinzip heißt Evolution, also permanente Veränderung. 98 Prozent aller jemals auf der Erde existenten Arten sind ausgestorben, bevor der Mensch überhaupt auf der Bildfläche erschien. Hätte sich die Natur vor ein paar Millionen Jahren entschieden nachhaltig zu sein, dann dominierten heute noch die Dinosaurier den Planeten. Die Krisen, in denen die Menschen an die Grenzen des Wachstums stießen, konnten bislang immer nur durch Veränderung, menschlichen Erfindungsgeist und neuartigen Einsatz von Technik gelöst werden.

Dass dabei Mäßigung und Vernunft nicht schaden können, ist eine Selbstverständlichkeit und schon gar nicht neu. „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“, wusste schon im 19. Jahrhundert der deutsche Technik-Pionier und Unternehmer Werner von Siemens, ohne dafür eine Ethik-Komission oder partizipative Wissenschaft zu benötigen.

Erschienen in DIE WELT vom 14.5.2011

 

 

 

 

 

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