Dirk Maxeiner / 10.09.2023 / 06:15 / Foto: Pixabay / 52 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Die Angst vorm Bierzelt

Seit sich Menschen wieder physisch treffen und von Angesicht zu Angesicht politisch austauschen können, neigen sie in auffälliger Weise dazu, in Bierzelten und auf Festplätzen gegen die Obrigkeit zu fraternisieren. Bei der letzten Bundestagswahl wurde das noch mit Abstandsregeln, Masken und Versammlungsverboten unterbunden. Bald wieder?

Die dunkleren Räume des Berliner Clubs Berghain galten lange als das neue Sodom und Gomorra, sind aber als Austragungsort befremdlicher Praktiken ein bisschen ins Hintertreffen geraten. Wer wirklich gegen Sitte und Anstand verstoßen will, sollte sich aufs Land begeben und ein Bierzelt aufsuchen. Dort findet sich zwischen klirrenden Bierkrügen, Schweinshaxen und Brathendl der sogenannte bürgerliche Mittelstand ein, um in lauter Eintracht mit Vertretern der Unterschicht  fröhliche Orgien mit Blasmusik zu feiern und mit verbotenen politischen Ideen zu kopulieren. Der heiße Scheiß wird mittlerweile sogar auf Wikipedia empfohlen. Ich zitiere wörtlich: „Das Bierzelt ist in der politischen Diskussion ein Synonym für eine Gruppe ungebildeter Menschen. Vermittels einer populistischen ,Bierzeltrede' lässt sich diese meist für rechte Themen erwärmen. Daher ist der Vorwurf, eine Bierzeltrede zu halten, auch ein üblicher verbaler Angriff auf einen Redner einer anderen politischen Partei“. Das klingt nach einer guten Party.

Als Nachfolger des Stammtisches taucht das Bierzelt in politisch aufgeregten Zeiten in der Beschuldigungs-Rhetorik auf wie das Ungeheuer von Loch Ness. Denn im Bierdunst der kleinen Leute lauert nach dieser einfachen Denkungsart die hässliche Fratze des Vorurteils. So vermuten es jedenfalls die distinguierten Kreise. Sie vermuten allerdings falsch, genauso wie sie es beim Stammtisch taten. Zudem gibt es zumindest rudimentäre empirische Daten. Anfang des Jahrtausends ließ Achgut.com-Autor Ulli Kulke im Auftrag von Die Welt eine Infratest-dimap-Umfrage zur Befindlichkeit des Stammtisches durchführen. Das erstaunliche Ergebnis: Der Stammtisch entpuppte sich eher als ein Hort der Political Correctness als des dumpfen Populismus. Und er zeigte sich auch nicht als Versammlung älterer, weißer Männer mit Wut im Bauch und sexuellen Defiziten. 40 Prozent der Stammtisch-Besucher waren Frauen, das Durchschnittsalter entsprach ziemlich genau dem Bevölkerungsdurchschnitt.

Besonders erstaunlich war bei der Untersuchung, dass die Politikverdrossenheit an den Stammtischen nur etwa halb so groß war wie außerhalb ihrer Reichweite. „Der Stammtisch hat in der politischen Debatte vor allem eine Funktion“, so sagte Ulli Kulke, „an ihm sitzt der ideelle Pappkamerad“. Die Parole von den „Stammtischparolen“ sei – absurd aber wahr – „selbst eine Stammtischparole“. Ich vermute mit dem Bierzelt verhält es sich sehr ähnlich. Das Bierzelt ist wohl wie der Stammtisch eine eher differenzierte Institution auch der politischen Meinungsbildung, die in ihrer Vielfalt nur schwer zu fassen ist. Es handelt sich auf jeden Fall (wie Kulke seinerzeit formulierte) „nicht um einen Thingplatz ewig gestrigen Deutschtums“.

Während Corona sicher vor Nachstellungen des Souveräns

In den Hallräumen der politischen Anstandstanten und Haltungspolizisten, also etwa in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung oder der Unterhose von Jan Böhmermann, herrscht deshalb das große Fracksausen. Denn das Bierzelt ist eine virale Angelegenheit. Das ging schon los, als Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und die bayerische grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze im Chiemgau, wo der angegrünte Geldadel aus vielen deutschen Großstädten Wohnsitz genommen hat, plötzlich und unerwartet ausgepfiffen wurden. Zuvor war schon Claudia Roth auf einem jüdischen Songfestival von jungen Leuten ausgebuht worden. Sie erwartete ein Heimspiel und verließ den Ort des Geschehens geschlagen wie Napoleons Armeen bei Leipzig. Die wiedererlangte Versammlungsfreiheit lässt zunehmend die Luft aus der politischen Blase, die sich während der Coronazeit so sicher vor Nachstellungen des Souveräns fühlte.

Seit sich Menschen wieder physisch treffen und politisch austauschen können, was bei der letzten Bundestagswahl dank Abstandsregeln, Masken und Veranstaltungsverboten nachhaltig unterbunden wurde, neigen Sie in auffälliger Weise dazu, in Bierzelten und auf Festplätzen gegen die Obrigkeit zu fraternalisieren. So hatte man sich in den Chefetagen „viral“ nicht vorgestellt. Im Netz kann man ja das Virale schön kontrollieren, da reicht ein Treffen mit den grauen Anzügen von YouTube, Twitter oder Facebook, und es herrscht Ruhe. Doch im Bierzelt und auf dem Volksfestplatz funktioniert das nicht. Der Mensch spürt dort zwangsläufig, dass er nicht alleine ist, woraus sich eine gewisse Gruppendynamik ergibt, die dann am nächsten Tag womöglich auf den Arbeitsplatz übergreift. Die Linienpolizisten sind darob furchtbar beleidigt und beklagen „Gruppenzwang und Konformismus". So was mögen sie nur, wenn sie selbst die Spielregeln vorgeben. 

Initialzündung der Bierzelt-Revolution

Als wahre Initialzündung der Bierzelt-Revolution könnte Monika Grubers Demo zum Heizungsgesetz auf dem Volksfestplatz in Erding gelten, auf dem die Causa Aiwanger ihren Anfang nahm. Der Aiwanger Hubert schlug sich deutlich besser als sein Chef Markus Söder und begriff instinktiv, dass er in den Bierzelten zwischen Erding und Passau viral gehen würde, inzwischen hat das Virus sogar die gesamte Republik angesteckt. Machtverschiebungen, die bislang allenfalls in dunkeldeutschen Gauen wie Sachsen manifest wurden, scheinen plötzlich auch im Westen im Bereich des denkbaren. 

Die orchestrierte und von den großen Staatsmedien angeheizte Impfkampagne gegen das Bierzelt-Virus ging allerdings voll nach hinten los. Das Ergebnis heißt derzeit: Eine Durchseuchungsrate von 16 Prozent für die Freien Wähler in Bayern, Tendenz steigend, die politische Lebenserwartung von bisherigen Würdenträgern insbesondere der SPD und der Grünen geht dramatisch zurück. In einem Video werden Teilnehmer befragt, sichtbar Menschen aus dem steuerzahlenden Milieu, die mehrheitlich bekennen: „Das ist die erste Demo in meinem Leben“.

Das kann ja heiter werden: Die Oktoberfest-Saison steht ja erst bevor und wurde geradezu diabolisch vor die bayerische Landtagswahl gelegt. In so einem Bierzelt versammeln sich bis zu 10.000 Bürger und sind für einen Abend komplett außer der Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Funktionsträger und von der Tagesschau so weit entfernt wie der Mars. Eine vollkommene Herdenimmunität gegen die ansonsten tonbestimmende talkende Klasse ist daher absehbar.

Das Bierzelt wird zur schmerzlich vermissten politischen Agora, wer die Kennzeichen auf den Parkplätzen liest, sieht, dass mittlerweile die Menschen oft weit zu entsprechenden Anlässen anreisen, um die frohe Botschaft in die umliegenden Provinzen weiterzutragen. Das politische Bierzelt ist der dampfende Safespace der Restvernunft in diesem Lande, man fährt da voller Vorfreude hin, wie zu einem Rockkonzert oder einem Fußball-Endspiel. 

Kein Wunder, dass Lauterbach & Friends schon wieder Quarantäne-Versuchsballons in den öffentlichen Orkus schicken, Masken, Abstandsregeln und Versammlungsverbote sind vermutlich das einzige Mittel gegen diese gefährliche Ansteckungswelle. Spätestens zur nächsten Bundestagswahl empfiehlt es sich, die neuen Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes zu nutzen und bei drohenden Erfolgen der politischen Konkurrenz den Pandemiefall auszurufen.

Ich ahne, warum sich kein Klimakleber auf diese Fahrbahn traut

Um die Gefechtslage vor Ort besser beurteilen zu können, habe ich gestern den Augsburger-Herbstplärrer aufgesucht und bin sogleich ins Binswanger-Zelt gestolpert. Die Geräuschkulisse erinnerte mich an einen startenden Jumbo-Jet, der zwei Meter über meinem Kopf nach Mallorca abdreht. Rechts und links treffen sich die etwas gesetzteren Herrschaften in etwas ruhigeren Bereichen, die nach verschiedenen Stadtteilen benannt sind. Dort können sie zumindest eine rudimentäre Unterhaltung führen, mit denen die Berliner Politik in kurzen Sätzen auf den Punkt gebracht wird. Ansonsten genügt auch die gängige Zeichensprache. In der Mitte stehen ein paar tausend demonstrativ binäre Personen unter 25 Jahren auf den Bierbänken, die anhand von Dirndl und Lederhose einwandfrei den Geschlechtern weiblich und männlich zuzuordnen sind. Sie singen gemeinsam sublime Protestsongs, wobei mir dieser am besten gefallen hat: „Allee, Allee, eine Straße viele Bäume, ja das ist eine Allee“.

Anlass zur Zuversicht liefert auf solchen Volksfesten eigentlich weniger, was man sagt, als das, was man tut. So werden selbst Schießbuden bestens frequentiert, auch aufgetürmte Dosen werden unter dem Beifall der Menge mit einem Ball scheppernd abgeräumt, der Hang zum Wettbewerb ist also noch nicht abgestorben. Nach wie vor ein Renner sind die Autoscooter. Die niedrigen und vergnüglichen Instinkte des Menschen werden also allesamt vorzüglich bedient. Ich ahne, warum sich kein Klimakleber auf diese Fahrbahn traut. Deutschland ist noch nicht verloren.

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten.Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

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Geert Aufderhaydn / 11.09.2023

Herr Maxeiner, hab mir den Song “Allee” gründlich angehört, war in froher Erwartung, irgendwo, irgendwann auf subtile Systemkritik zu stossen. Fehlanzeige -  reiner Ballermann, nur doof und was für total zugesoffene 27Jährige.

Sam Lowry / 10.09.2023

Es geht den Politikern nur um Geld und Macht. Um nichts anderes. Vielleicht am Ende noch um die Befriedigung ihrer narzisstischen Persönlichkeitsstörung…

Karl Napp / 10.09.2023

Wo, um alles in der Welt, gibt es denn überhaupt noch Stammtische. Mit ihnen ist ein Teil Kontur geschwunden. Maischberger, Lanz, Illner, Will & Co vermitteln heute korrektes Denken, erweisen sich als blasser Ersatz.

Patrick Meiser / 10.09.2023

@ M. Buchholz : seien Sie versichert, daß ich den Artikel vollumfänglich verstanden habe. Weitere Ausführungen sind nicht angezeigt.

M.Müller / 10.09.2023

Herr Brause II: Auflösung: Hinter “schon wieder” verbirgt sich ein Artikel vom April 2022.

Karl Dreher / 10.09.2023

“Bierzelt” und vergleichbare Veranstaltungen sind einfach klasse! Ich erinnere bspw. an den politischen Aschermittwoch in Passau - legendär mit Franz Josef Strauß! Da reisten die Teilnehmer mit einer Vielzahl von Reisebussen aus der gesamten Republik an, wie schon die Fahrzeugkennzeichen und Buswerbeaufschriften zeigten. Und seine Reden ... er fehlt einfach! Ich erinnere mich auch daran, daß in den 80er Jahren einmal ein paar Hochschul-Jusos im Veranstaltungsort, der seinerzeitigen Stadthalle (“Nibelungenhalle”), demonstrieren wollen. Das wurde aber nix.

M. Buchholz / 10.09.2023

@Patrick Meiser “Warum der „Sonntagsfahrer“ hier trefflich das Klischee bedient, Deutschland sei Bayern und alle liefen in Lederhosen und Dirndl umher und die Massen strömten in Bierzelte, all das erschließt sich mir nicht”. Tja Herr Meiser, entweder haben Sie es nicht verstanden oder wollen es nicht verstehen. Es geht um das freie und von Maßregelungen sattem Volk. Leben und leben lassen. Traditionen sind in den unterschiedlichen deutschen Regionen halt unterschiedlich und werden unterschiedlich gepflegt. Aber es geht immer um das Miteinander.

M.Müller / 10.09.2023

Herr Brause: “Man denkt immer, dass die mediale Dummheit, mit der man den Bürger versorgt, nicht mehr steigerungsfähig ist. ” Ja, ich werde auch immer wieder überrascht. Haben Sie sich mal den Artikel angeschaut, zu dem Herr Maxeiner bei “...Kein Wunder, dass Lauterbach & Friends schon wieder Quarantäne-Versuchsballons in den öffentlichen Orkus schicken, ...” verlinkt hat?

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