Am vergangenen Wochenende fand das Jahrestreffen der Achse-Autoren auf der „MS Brasil“ statt. Je nach Befindlichkeit, taugt das Schiff als revolutionäres Zentrum, wie einst der Panzerkreuzer Potemkin, als Standort für einen Piratensender oder auch als seelisches Lazarettschiff.
Berlin erinnert mich bisweilen an ein großes Kaufhaus, in dem die Rolltreppen rückwärts laufen. Jedenfalls ist Nutzung von Schiene und Straße häufig mit Stillstand verbunden, die des neuen Flughafens ebenfalls, egal wie sehr man sich abstrampelt. Ein kleines Refugium des fließenden Verkehrs hat sich allerdings erhalten, solange die Schleusen nicht abgestellt werden: die Spree und die mit ihr verbundenen Kanäle und Seen. Angenehm ist dort auch das Fehlen von durchsetzungsfähigen Radfahrern und verrückt gewordenen E-Rollertretern.
Dies brachte uns auf die Idee, die Achse-Autoren einmal auf dem Wasser zu versammeln. Das jährliche Treffen der großen Achse-Besatzung findet stets an einem symbolischen Ort statt. Im letzten Jahr war es ein verfallenes Schloss in Brandenburg, in dessen Hof des Nachts die Fledermäuse umherflatterten. Den Putten am Rande des Brunnens waren im Krieg die Köpfe abgeschlagen worden, den Rest erledigte jahrzehntelange Misswirtschaft. Der Ort erzählte etwas vom gründlichen Verfall einstigen Wohllebens und war insofern durchaus repräsentativ für den möglicherweise wiederkommenden Zustand der Republik.
In diesem Jahr fiel unsere Wahl auf die „MS Brasil“, den größten Ausflugsdampfer, den das traditionsreiche Schifffahrtunternehmen „Stern und Kreisschiffahrt“ zu bieten hat. Es wurde 1888 unter dem Namen Spree-Havel-Dampfschiffahrt-Gesellschaft „Stern“ gegründet, heute wird unter Deck aber keine Kohle mehr geschippt. Stattdessen dieseln dort zwei MAN-Schiffsmotoren mit zusammen 516 Pferdestärken so beruhigend wie ein Stromaggregat auf einer Farm im australischen Outback. Die Motoren sorgen für Vortrieb, Wärme, Licht und das Funktionieren der Bordküche. Die MS Brasil ist ein autonomes Zentrum nach unserem Geschmack und inspiriert die Fantasie. Je nach Befindlichkeit taugt das Schiff als revolutionäres Zentrum, wie einst der Panzerkreuzer Potemkin, als Standort für einen Piratensender oder auch als seelisches Lazarettschiff.
Torpedoboote, U-Boot-Jäger und Landungsschiffe
Gebaut wurde die „Brasil" von der Peene-Werft in Wolgast, wo vor der Wende vornehmlich leichte Torpedoboote, U-Boot-Jäger und Landungsschiffe auf Kiel gelegt wurden. Leider stehen diese jedoch nicht mehr für Ausflugsfahrten zur Verfügung. Und so gingen am vergangenen Wochenende 110 Achse-Autoren in Alt-Treptow an Bord der Brasil. Je nach politischem Standpunkt wurde der Vergnügungsdampfer damit zum Herzen der Finsternis oder zur Arche Noah des medialen Restverstandes. Sicherheitshalber war ein Personenschützer dabei, der auf den Namen Bonnie Propeller hört. Propeller und Schiff, da konnte nichts mehr schief gehen.
Auf der Fahrt vom Osthafen zum Müggelsee und zurück wurde über die Zukunft des Journalismus diskutiert und gemeinsam ein Buffet vernichtet. Die Kombination von Journalismus und Selbstbedienung setzt sich ja immer mehr durch, bei uns allerdings nur einmal im Jahr, und dies nicht gebührenfinanziert.
Außerdem wurden auf dem Sonnendeck von einigen Anwesenden zwei spontane Gedenkminuten absolviert. Gelegenheit zu einem kleinen Blackout-Erinnern ergab sich beim Passieren der Salvador-Allende-Brücke in Köpenick. Dort durchschnitten 2019 Bauarbeiter gleich beide Stromversorgungskabel, was den größten und längsten Stromausfall in Berlin seit Jahrzehnten zur Folge hatte. Köpenick war so dunkel wie der Teutoburger Wald zur Zeit der Varusschlacht und so tot wie die deutsche Stahlindustrie nach Robert Habeck. Es handelte sich gewissermaßen um eine Vorübung für den Winter 2022, damals waren es zwei Kabel und Köpenick, heute sind es zwei Pipelines und das ganze Land.
Im Angesicht des Rathauses von Köpenick wurden dann noch still die Verdienste von Friedrich Wilhelm Voigt alias Hauptmann von Köpenick gewürdigt, der am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten eindrang, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse raubte. Der Kaiser soll angeblich gesagt haben: „Da kann man sehen, was Disziplin heißt. Kein Volk der Erde macht uns das nach!“ Und in der Berliner Volkszeitung hieß es: „Der Sieg des militärischen Kadavergehorsams über die gesunde Vernunft, über die Staatsordnung, über die Persönlichkeit des einzelnen, das ist es, was sich gestern in der Köpenicker Komödie in grotesk-entsetzlicher Art offenbart hat.“ Ich bin deshalb der Meinung, wir sollten unsere kleine Schifffahrt als politisches Bildungsseminar mit Ortsbesichtigungen von der Steuer absetzen.
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