Mit dem Begriff des Antisemitismus sollte man nicht leichtfertig umgehen. Aus diesem Grund werde ich den folgenden Vorfall auch nicht als antisemitisch bezeichnen, sondern als das Hervortreten eines tiefsitzenden Israelhasses, wie er vor allem in linken Kreisen stark ausgebildet ist, und bei dem dann alle – auch die dem politischen Gegner gegenüber aufgespannten – Sicherungsseile regelmäßig reißen. Dass es hier keinen Dummen trifft, sei vorangestellt. Der Vorfall ereignete sich sogar mit jemandem, der ab und an für deutsche Tages- und Wochenzeitungen schreibt.
Am gestrigen Kippa-Tag versammelten sich einige hundert Menschen vor dem jüdischen Gemeindezentrum an der Fasanenstraße zu Berlin. Zeitgleich fand eine privat angemeldete Demonstration am Berliner Hermannplatz statt, bei der sich, wie es in Medienberichten hieß, drei Menschen mit Kippa, Israel-Fahne und Megaphon versammelten.
Diese Demonstration/Versammlung/Kundgebung wurde nach 15 Minuten wegen einer Bedrohungslage abgebrochen, da bereits wenige Minuten nach Beginn die Teilnehmer als Terroristen beschimpft worden sein sollen, ein „südländischer" Mitbürger die Israel-Fahne entwendete und ein weiterer, eher biodeutscher Antifa-Vertreter der Marke „Feine Sahne Fischfilet" den Teilnehmern seine Hochachtung vor dem Jüdischen mit einem beherzten Ausrotzen signalisiert hatte (hier gibt es ein Video zu dem Vorfall, der das alles zeigt). Der Hermannplatz im Berliner Bezirk Neukölln ist bekannt für seine vollendete Buntheit.
Der Kollegah von der Zeit
Auf meiner Facebook-Timeline postete ich einen Focus-Artikel mit der Überschrift „Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin nach 15 Minuten abgebrochen". Kurz darauf kam es zu wüsten Beschimpfungen gegen mich, gegen den Artikel und gegen die Veranstalter der Demonstration am Hermannplatz. Sie gingen vor allem von einem sich selbst mit gewissem Stolz als „links" bezeichnenden Journalisten aus, der sich damit brüstet, bereits in der Berliner Hausbesetzerszene aktiv gewesen zu sein, und der jetzt gerne für DIE ZEIT schreibt.
Erst mal wurde der Kundgebung die Bezeichnung „Demonstration" abgesprochen, da sich nur drei Personen versammelt hätten. Es sei nur um „billigen Agitprop" gegangen, zudem noch ausgeführt von Nicht-Juden, man wisse doch, wie die Zustände seien, wolle nur eine skandalträchtige Überschrift, und das sei alles „schändlich".
Auf meinen Hinweis hin, dass hier eine klassische Täter/Opfer-Umkehr stattfinde und er den Fehler Jakob Augsteins, der das Tragen der Kippa von Nicht-Juden als Provokation einstufte, wiederhole, wurde mir „Philosemitismus" vorgeworfen, der ihm genauso unheimlich sei „wie das Nazigesindel".
Dass andere Flachpfeifen sich dann ebenfalls auf meiner Timeline zu äußern bemüßigt fühlten und bereits die Focus-Überschrift als „arg hetzend" empfanden – und den Vorfall doch als nicht erwähnenswert, weil „wenn 3 Schalker auf dem Borsigplatz mit eigener Fahne stehen, wird den dreien sicher mehr geschehen", ist insofern erwähnenswert, als dass in derartigen Facebook-Diskussionen dann deutlich wird, wie es in vielen Menschen denkt.
Der Jude ist und bleibt eine Provokation
Nochmals: Dieser kleine Vorfall ist noch kein Beispiel für Antisemitismus. Aber er ist ein Beispiel dafür, dass das Denken, wenn es um Juden und Israel geht, regelmäßig aussetzt und zu einer aggressiven Form der Dummheit führt, die nicht nur den selbst gesetzten und als „links" empfundenen Standards Hohn spricht, sondern vor allem: deren Herauskitzeln und Hervortreten dann als Provokation durch andere erlebt wird. Und wer trägt dann die Verantwortung für die hervorgetretene eigene Dummheit? Genau, die Juden. Die sind schuld.
Und genau das ist der Resonanzboden in der Mitte der Gesellschaft, von dem ich in meinem letzten Achse-Beitrag schrieb und auf dem der islamische Judenhass sich so wohlfühlen kann. Der gemeine Israelhass der Linken und der antizionistische Israelhass der Moslems tanzen auf ein und demselben Parkett: Was bildet sich der Jude eigentlich ein, uns hier zu provozieren!
Eine Versammlung mit den Großkopferten aus der Politik an der Fasanenstraße, mit Blitzlichtgewitter und vor laufenden Kameras, akzeptieren Linke wie Moslems mit bestem Gewissen, unterstützen sie vielleicht sogar. Denn diese Rituale tun nicht weh, sie gehören zur Simulation der Demokratie dazu. Aber auf „unserem" Hermannplatz, dem buntesten Kiez Berlins, ist und bleibt der Jude die Provokation.