Markus Vahlefeld / 26.04.2018 / 13:29 / 9 / Seite ausdrucken

Der Morbus Augstein

Mit dem Begriff des Antisemitismus sollte man nicht leichtfertig umgehen. Aus diesem Grund werde ich den folgenden Vorfall auch nicht als antisemitisch bezeichnen, sondern als das Hervortreten eines tiefsitzenden Israelhasses, wie er vor allem in linken Kreisen stark ausgebildet ist, und bei dem dann alle – auch die dem politischen Gegner gegenüber aufgespannten – Sicherungsseile regelmäßig reißen. Dass es hier keinen Dummen trifft, sei vorangestellt. Der Vorfall ereignete sich sogar mit jemandem, der ab und an für deutsche Tages- und Wochenzeitungen schreibt.

Am gestrigen Kippa-Tag versammelten sich einige hundert Menschen vor dem jüdischen Gemeindezentrum an der Fasanenstraße zu Berlin. Zeitgleich fand eine privat angemeldete Demonstration am Berliner Hermannplatz statt, bei der sich, wie es in Medienberichten hieß, drei Menschen mit Kippa, Israel-Fahne und Megaphon versammelten.

Diese Demonstration/Versammlung/Kundgebung wurde nach 15 Minuten wegen einer Bedrohungslage abgebrochen, da bereits wenige Minuten nach Beginn die Teilnehmer als Terroristen beschimpft worden sein sollen, ein „südländischer" Mitbürger die Israel-Fahne entwendete und ein weiterer, eher biodeutscher Antifa-Vertreter der Marke „Feine Sahne Fischfilet" den Teilnehmern seine Hochachtung vor dem Jüdischen mit einem beherzten Ausrotzen signalisiert hatte (hier gibt es ein Video zu dem Vorfall, der das alles zeigt). Der Hermannplatz im Berliner Bezirk Neukölln ist bekannt für seine vollendete Buntheit.

Der Kollegah von der Zeit

Auf meiner Facebook-Timeline postete ich einen Focus-Artikel mit der Überschrift „Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin nach 15 Minuten abgebrochen". Kurz darauf kam es zu wüsten Beschimpfungen gegen mich, gegen den Artikel und gegen die Veranstalter der Demonstration am Hermannplatz. Sie gingen vor allem von einem sich selbst mit gewissem Stolz als „links" bezeichnenden Journalisten aus, der sich damit brüstet, bereits in der Berliner Hausbesetzerszene aktiv gewesen zu sein, und der jetzt gerne für DIE ZEIT schreibt.

Erst mal wurde der Kundgebung die Bezeichnung „Demonstration" abgesprochen, da sich nur drei Personen versammelt hätten. Es sei nur um „billigen Agitprop" gegangen, zudem noch ausgeführt von Nicht-Juden, man wisse doch, wie die Zustände seien, wolle nur eine skandalträchtige Überschrift, und das sei alles „schändlich".

Auf meinen Hinweis hin, dass hier eine klassische Täter/Opfer-Umkehr stattfinde und er den Fehler Jakob Augsteins, der das Tragen der Kippa von Nicht-Juden als Provokation einstufte, wiederhole, wurde mir „Philosemitismus" vorgeworfen, der ihm genauso unheimlich sei „wie das Nazigesindel".

Dass andere Flachpfeifen sich dann ebenfalls auf meiner Timeline zu äußern bemüßigt fühlten und bereits die Focus-Überschrift als „arg hetzend" empfanden – und den Vorfall doch als nicht erwähnenswert, weil „wenn 3 Schalker auf dem Borsigplatz mit eigener Fahne stehen, wird den dreien sicher mehr geschehen", ist insofern erwähnenswert, als dass in derartigen Facebook-Diskussionen dann deutlich wird, wie es in vielen Menschen denkt.

Der Jude ist und bleibt eine Provokation

Nochmals: Dieser kleine Vorfall ist noch kein Beispiel für Antisemitismus. Aber er ist ein Beispiel dafür, dass das Denken, wenn es um Juden und Israel geht, regelmäßig aussetzt und zu einer aggressiven Form der Dummheit führt, die nicht nur den selbst gesetzten und als „links" empfundenen Standards Hohn spricht, sondern vor allem: deren Herauskitzeln und Hervortreten dann als Provokation durch andere erlebt wird. Und wer trägt dann die Verantwortung für die hervorgetretene eigene Dummheit? Genau, die Juden. Die sind schuld.

Und genau das ist der Resonanzboden in der Mitte der Gesellschaft, von dem ich in meinem letzten Achse-Beitrag schrieb und auf dem der islamische Judenhass sich so wohlfühlen kann. Der gemeine Israelhass der Linken und der antizionistische Israelhass der Moslems tanzen auf ein und demselben Parkett: Was bildet sich der Jude eigentlich ein, uns hier zu provozieren!

Eine Versammlung mit den Großkopferten aus der Politik an der Fasanenstraße, mit Blitzlichtgewitter und vor laufenden Kameras, akzeptieren Linke wie Moslems mit bestem Gewissen, unterstützen sie vielleicht sogar. Denn diese Rituale tun nicht weh, sie gehören zur Simulation der Demokratie dazu. Aber auf „unserem" Hermannplatz, dem buntesten Kiez Berlins, ist und bleibt der Jude die Provokation.

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Mike Loewe / 26.04.2018

Wie prima sich Kippa und Kopftuch spiegelbildlich miteinander vergleichen lassen, müsste ja eigentlich auch dem ideologisiertesten Journalisten auffallen. Die Kippa wird einerseits als Provokation bezeichnet, und wer sie trägt, braucht sich angeblich nicht zu wundern, wenn er zusammengeschlagen wird. Wer dagegen das Kopftuch nur kritisiert oder gar als Provokation bezeichnet, muss heutzutage ebenfalls damit rechnen, zusammengeschlagen zu werden. Willkommen im Land der Ideologen und Schläger!

Marcel Seiler / 26.04.2018

Deutschland hat eine Bevölkerung, der die Grundbegriffe der Demokratie abhanden gekommen ist. Wer sich fragt, “Wie konnte DAS [nämlich der Kulturbruch des Nationalsozialismus] passieren?!”, dem muss man antworten: “Keine Ahnung, aber es passiert schon wieder.” Es ist furchtbar.

Dirk Jäckel / 26.04.2018

Da Feine Sahne Fischfilet erwähnt wird: Soweit ich sehe, gehören sie eher zu “antideutschen” Kreisen. ich möchte hier keine Psychopathologie der “Antideutschen” betreiben, aber zumindest festellen, dass sie gegenüber anderen regressiven Linken zumindest folgendes sind: antiklerikal und israelfreundlich. Von daher ist der Vergleich mit denen m.E. unpassend. Was ZEIT betrifft: Wenn man denkt, tiefer kann das nicht mehr sinken… Was nunmehr meine letzte Äußerung zu jenem pseudoliberalen Witzblatt ist.

Bettina Diehl / 26.04.2018

Wenn jemand einer Muslima am Kopftuch zieht, schaltest sich gleich der Staatsschutz ein. So geschehen in 2015/2016 und die Presse schreibt sich die Finger wund. Wenn ein Mensch mit Kippa angegriffen wird, fängt die linke Gesinnungsclique zum Relativieren an. Dann ist eben der Jude selbst schuld, warum muss der auch Kippa tragen.. Nie war es in Deutschland so verlogen wie heute (den letzen 3 Jahren)

Viola Heyer / 26.04.2018

Vielen Dank für “Morbus Augstein”. Wenn ich in meinem Bekanntenkreis von der “Augstein-Krankheit spreche”, weiß jeder was gemeint ist. Immerhin lassen die Auswüchse des “Augsteinismus” einige Verantwortliche und Befürworter der Grenzöffnung über die gefährlichen Folgen ihres Tuns nachdenken.

Hein Tiede / 26.04.2018

Der Deutschlandfunk berichtete gestern entsprechend. Eine M(ohammedanerin)uslima trug eine Kippa auf ihrem Kopftuch. Dann ist doch alles gut! Dass das linke Anti-Judentum mit dem muslimischen sehr gut harmoniert, bestätigt Radio Ramallah immer wieder.

Gudrun Meyer / 26.04.2018

Wenn es nahezu gleichzeitig zu muslimisch-antisemitischen Ausschreitungen in Berlin kommt und diverse seriöse Musiker ihre Echos abgeben, weil sie nicht zur selben Preisträger-Gruppe wie die ebenfalls muslimisch-antisemitischen Ghetto-“Gangsta”-Rappa Farid Bang und Kollegah gehören wollen, kommt es in einer immer-noch-freiheits- und-rechtsgewohnten Öffentlichkeit eben zu Reaktionen, die sich gegen den Antisemitismus wehren und dabei zu Recht nicht als erstes oder zweites feinsinnige Unterschiede zwischen Antijudaismus und Antisemitismus auseinanderklamüsern. Leider hält selbst Herr Schuster vom Zentralrat der Juden Proteste gegen Judenhass nur dann für moralisch vertretbar, wenn im selben Atemzug eine Verurteilung der “Islamfeindschaft” folgt, zu der dann auch jede noch so gut begründete Islamkritik eines Hamed Abdel-Samad, Bassam Tibi, einer Necla Kelek oder Ayaan Hirsi Ali gehören soll. Die Veranstaltung “Köln trägt Kippa” war ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein SPD-Politiker bog und log sie in ein Event gegen die “braune Flut” um (“Wir dürfen nicht zulassen, dass die braune Flut wieder ...”). Von islamischem Antisemitismus, der Tag für Tag durch islamisch sozialisierte Zuwanderer verstärkt wird, war ebensowenig die Rede wie von der Tatsache, dass Polizei und Staatsanwaltschaft das braune Rinnsal in D weitgehend im Griff haben.  Es ist potentiell gefährlich, wird aber nicht ständig durch Immigranten vergrößert. Die einzige sinnvolle Kippa-Aktion müsste übrigens so aussehen, dass etliche Millionen Männer in D monatelang mit Kippa und etliche Millionen Frauen mit silbernen Davidssternen herumlaufen. Bis jetzt gab es ja nur heiße Luft - und schon die ging Jakob Augstein zu weit, also lieferte er einen Protest gegen die textile “Provokation”, die dann auch noch Erfolg hatte. “Deprimierend!”

Herbert Frankel / 26.04.2018

“Simulation der Demokratie”, aber sich aufführen wie die SA, das ist Deutschland 2018, auf allen Ebenen, auf allen Politikfeldern!

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