Gerd Buurmann / 17.08.2022 / 06:15 / Foto: Pixabay / 85 / Seite ausdrucken

Der Meldemob

Es gibt ein grundlegendes Problem bei den sogenannten „sozialen“ Medien. Dort werden Einträge gelöscht, wenn sie von vielen Menschen gemeldet werden. Diese Methode hat einen großen Fehler: Sie stärkt den Mob und schwächt das Individuum. 

Zurzeit werden auf Twitter wieder massenhaft Menschen gemeldet und teilweise für Tage blockiert, weil sie es wagen, der Biologin Marie-Luise Vollbrecht in ihrer Analyse zuzustimmen, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Der Meldemob holt die digitalen Mistgabeln heraus. 

Mit Menschen, die sich einer kollektiven Ideologie unterwerfen, sodass das Individuum in einem Mob verschmilzt und sich in einer Legion der Vielen auflöst, kann man nicht reden. Ein Mob hört nämlich nicht zu. Ein Mob schreit, lärmt und wütet. Wenn der Mob dann auch noch in der Gewissheit der moralischen Überlegenheit marschiert, wird es besonders gefährlich. Dabei ist es irrelevant, was das Ziel des heiligen Zorns ist. Die Methode des Mobs ist stets die Gewalt der aufgebrachten Masse. Es ist ein Rausch.

Schreckensherrschaft der Tugend

Wenn sich Menschen, die sonst wenig gemeinsam haben, in der Herabwürdigung eines anderen Menschen vereinen, wenn der Hass identitätsstiftend wird, marodiert der Mob. Dabei kann es dann auch Menschen treffen, die so unfassbar kontroverse Dinge behaupten, wie etwa, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Diese Behauptung wird heute von einigen Zeitgenossen als so unfassbar ketzerisch empfunden wie einst die Behauptung, die Erde sei keine Scheibe und drehe sich zudem um das Zentrum des Sonnensystems, in dem sich die Sonne befindet. So wie die Schriften der Wissenschaft einst von blinden Fanatikern verbrannt wurden, so werden sie heute von woken Fanatiker*innen gelöscht. 

Der Mob lässt andere Perspektiven nicht zu und erklärt stattdessen, Worte seien Gewalt, nur um so dann selbst physische Gewalt gegen die Redner rechtfertigen zu können. Ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zum Beispiel musste abgesagt werden, da nicht mehr für ihre Sicherheit garantiert werden konnte.

Der Mob erklärt jeden Abweichler und jeden Kritiker zu einer Gefahr, gegen die auch Gewalt angewendet werden darf. Es ist schließlich Notwehr.

„Wehret den Anfängen“ brüllen diese selbstgerechten Putztruppen und meinen damit doch nur die Anfänge einer Zukunft, die sie aus ihrer eigenen Angst heraus konstruieren. Aus dieser selbstgeborenen und selbstgefütterten Angst nimmt der Mob andere Menschen als Geisel einer Vermutung. Diese Angst ist die Wurzel des totalitären Denkens, die Gewalt über Gedanken als Präventivschlag ermöglicht.

Das Mittel des Mobs: Bilder des Bösen

Um einen Mob gegen einen Menschen aufzustacheln, muss dieser Mensch zum Bösewicht erklärt werden. Im Mittelalter wurden Menschen zu Hexen, Schwarzmagiern, Kinderfressern, Brunnenvergiftern und Teufelsanbetern erklärt, um Gewalt gegen sie zu rechtfertigen. Diese Menschen wurden dann verbrannt, weil sie angeblich für das gute Leben, die reine Lehre und die ganze Menschheit gefährlich waren. Heute sind es weniger religiöse oder mythische Verunglimpfungen, die Menschen der Masse ausliefern, sondern politische Unterstellungen. Heute ist der zu löschende Gegner ein Nazi oder Faschist. Ihm wird vorgeworfen, rechtspopulistisch oder gar rechtsradikal zu sein. 

Auch heute noch gilt der Kritiker als Ketzer, der mit dem Teufel und seinen Jüngern in Verbindung steht. Wer der Teufel ist, hängt davon ab, welches Bild des Bösen gerade Konjunktur in der Gesellschaft hat. Lange Zeit waren es die CSU und die FDP, heute ist es recht zuverlässig immer die AfD.

So wie die Menschen im Mittelalter überall Hexen sahen, so sehen sie heute überall Nazis. Es ist ein Wahn, geboren aus der Überzeugung, selbst dem einzig wahren, guten Glauben anzugehören.

Wer Worte verbieten möchte, weil daraus Gewalt erwachsen kann, muss auch für ein Verbot der Bibel oder des Korans plädieren. Unzählige Terroristen haben schließlich mit den Parolen des Korans auf den Lippen gemordet. Nicht mal Jesus konnte verhindern, dass seine Worte missverstanden werden. Hätte Jesus daher die Bergpredigt besser nicht halten sollen? Für ihn selbst wäre es vermutlich besser gewesen, denn Jesus wäre höchstwahrscheinlich nicht gekreuzigt worden, hätte es die Zensur verhindert, dass seine Worte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden.

Gedanken verschwinden nicht, nur weil sie nicht gesprochen werden. Nur wer die Gedanken hört, kann sich wehren. Das Verbieten von Worten bringt rein gar nichts. Worte und Meinungen sind weit weniger gefährlich als eine Legion, die sich so im Recht fühlt, dass sie glaubt, Feuer legen zu dürfen, um die Gefahr der Gedanken auszumerzen.

Wer alles verbannt und verbrennt, was ihm nicht gefällt, wird blind für das, was in der Gesellschaft vor sich geht. Andere Meinungen auszuklammern, ist so effektiv wie das kleine Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und glaubt, so sei die Gefahr verschwunden.

Die Löschung von Internetseiten ist die Bücherverbrennung von heute

Heute werden nicht mehr so viele Bücher verbrannt, dafür umso mehr Internetseiten gelöscht. Die erfolgreichen Sperrungen der Texte feiern die Fundamentalisten von heute jedoch immer noch so ab, wie einst jene, die die Worte dem Feuer übergaben. Die Putztruppen des Meldemobs führen wahre Zermürbungskriege gegen Menschen, die selbst oft nichts anderes haben als die Waffe des freien Worts. Sie wehren sich mit Worten gegen Gewalt, während die Gewalttätigen Worte zur Gewalt erklären. 

Diese Gewalt wird von den sozialen Medien unterstützt, indem sie die Menschen blocken, die von dem Mob gemeldet werden. Die Gewalt wird aber auch von jenen unterstützt, die sich von den vermeintlichen Hexen distanzieren, aus Angst davor, selbst in die Schusslinie des Meldemobs zu geraten. Manchmal erklären sie sogar öffentlich, jegliche Beziehung mit den Hexen zu unterbinden, um ja nicht durch Kontakt schuldig zu werden. Die neue Hexenjagd unterscheidet sich in dieser Angelegenheit kaum von der alten Hexenjagd. 

Ein Mob beherrscht die Netzwerke. Es ist ein Sieg des Gefühls der Masse über die Vernunft des Individuums.

Foto: Pixabay

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Gisela Tiedt / 17.08.2022

Es ist wohl eine zutiefst dem Menschen innewohnende Grausamkeit, als Mob einen Einzelnen zu jagen. Schon Kinder tun das. Man erinnere sich an “Der Herr der Fliegen” oder an ein Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz, “Erste Grausamkeit”, das die Not eines von anderen Kindern verfolgten Kindes beschreibt. Es endet mit folgenden Versen: “Sie spotten und schelten und höhnen / Und werfen mit Steinen und Kot, / Sie kommen immer näher - / Mutter, sie schlagen mich tot…” Christen beten im Vaterunser “und erlöse von dem Bösen”. Eine sinnvolle, berechtigte Bitte. Dass bei uns die Gruppierung, die man früher “Elite” nannte, sich zum Aufwiegler und Anführer des Mobs macht, ist in der BRD neu.

Michael Kliefs / 17.08.2022

Ist es überhaupt ein Mob? Es gibt z.B eine “Netzfeuerwehr” der Grünen, was nichts anderes als eine organisierte Mobsimulation ist. Alle Menschen die das Regime kritisieren werden von Regime auch als organisierte Minderheit bezeichnet (Putin Trolle), warum sollte man also überhaupt annehmen, das es sich um Mehrheiten handelt? Wer das glaubt hst ja schon vor der Diskussion verloren, die Woken Spinner sind kein Mob, sie sind einfach nur organisiert.

Christian Feider / 17.08.2022

ich halte die Analyse für falsch,denn dieser “Mob” besteht im Grunde aus einer sehr kleinen,dafür umso lauteren Gruppe von linksextremisten,die von den USA bis zu uns aus Gründen der paternalistischen Unterstützung der 68er geduldet und in der Ausübung dieser Gewalt von eben diesen genutzt wird zur Umsetzung der eigentlichen Absichten… ergo,es sind nur die nützlichen Idioten der Taktgeber in Politik und Entscheider-Ebene. ohne deren “Unterstützung” auch durch die “asozialen Medien” waeren Sie weiter eine Randgruppe,die auf “Indymedia” vor sich hin köcheln würde..stattdessen geben Sie heute als Queerbeauftragte,FFFler,Extinction etc den Takt vor

D. Wehleit / 17.08.2022

Vielen Dank, Herr Buurmann, ein treffender Beitrag!  Ich bin ein Fan von Ihnen und höre regelmäßig Indubio. So oft höre ich dort von Ihnen kluge Sätze, denen ich nur zustimmen kann.

Sascha Hill / 17.08.2022

Das was uns als Weiterentwicklung, Offenheit, Diversität verkauft wird, ist längst eine Rückentwicklung geworden. Vor ein paar Jahren noch, war man auf einen guten Weg. Ua die Hautfarbe, spielte keine große Rolle. Mittlerweile, ist Hautfarbe wieder wichtig und grenzt aus. Auch Rassismus, spielt wieder eine große Rolle. Die Menscheit hat sich schlussendlich, nicht weiterentwickelt! Schon gar nicht der arrogante Westen mit seiner “Übermoral”. Die Ideologen wähnen sich wie immer im Recht und werden erst einsichtig, wenn diese menschenverachtene Ideologie besiegt wurde.

Theodor Breit / 17.08.2022

@Martin Landvoigt: „Im mittelater gab es Ketzerprozesse, oft gegen wahre Christen, die eben nur das Evangelium korrekt interpretierten.“ ;-) Das ist jetzt unlogisch und ein Eigentor. So etwas wie >korrekte Interpretation< gibt es überhaupt nicht. Das ist ein Widerspruch in sich. Denn eine Interpretation ist eine subjektive Deutung. Trotz meines eher bescheidenen Wissens über das christliche Dogma weiß ich durchaus, dass das Christentum intellektuelle Interpretationen über Gott untersagt, es sogar verboten ist, sich ein Bild von Gott zu machen. Vielmehr geht es im Christlichen im Wesentlichen um eine Aufforderung, sich auf die Suche nach Gott zu begeben. Diese Sicherheitssperre, dass sich irgendwelche Menschen erdreisten dürften, sie hätten Gott verstanden, gibt es übrigens im Islam nicht. Dort stehen die Leute quasi Schlange, die von sich behaupten, sie hätten den Koran verstanden; und ihr Tun damit rechtfertigen, dass sie nur Gottes Willen erfüllen würden. Das Christentum verbietet so eine Deutungshoheit. Insofern stellen Sie sich auf die gleiche Stufe wie diejenigen, die Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Weil die haben genauso wie Sie für sich beansprucht, sie hätten die Bibel korrekt interpretiert. Es ist ja gerade das Wesen des Christentums, das EGO nicht mehr zur oberen Instanz zu machen, und eine höhere Realität einzuräumen// Es ist einzig Ihr EGO, dass interpretiert, dass die Bibel komplett zum Gewaltverzicht auffordert. Aufgrund des hyperpräsenten Narzissmus vor 2000 Jahren geht es im NT eher darum, dass Menschen keine Gewalt anwenden sollten, um ihre narzisstischen Ziele durchzusetzen!! Übergeordnete Gerechtigkeitsprinzipien in einen Nicht-narzisstischen Staat lassen sich aber nur mit Gewalt verwirklichen (Demokratie, Rechtsstaat etc.). Es wäre irre zu glauben, Jesus wäre gegen die Gewalt der Alliierten gegen Hitler gewesen, und hätte damit organisierten Völkermord, Versklavung und Anti-Religiosität gutgeheißen. Ich deute da Jesus vollkommen anders

Thorsten Gutmann / 17.08.2022

Hat der Mob ein Geschlecht?

Chris Anders / 17.08.2022

Bei Twitter zeigt sich, was die demokratische Meinungsfreiheit der westlichen Welt wert ist. Es tobt der LinksgrünMob ungesperrt in primitivster Fäkaliensprache. Ekelhaft.

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