Chaim Noll / 27.01.2024 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 128 / Seite ausdrucken

Der Faschismus von Links

Der stupide Aufruf eines Spiegel-Kolumnisten zur „gesellschaftlichen Ächtung“ von AfD-Wählern ist faschistoid, weil er auf die Ausgrenzung und Vernichtung Andersdenkender zielt. 

Manchmal, wenn ich deutsche Medien lese, glaube ich zu träumen. Immer wieder verblüffend: die geistige Enge und Unbeweglichkeit. Die Unfähigkeit, aus früheren Desastern zu lernen. Die Denkmuster als solche bleiben unverändert wie in der Kaiserzeit, in der NS-Zeit, in der DDR. Aber Vorsicht: Keine sinnlose Ossiphobie. War die alte Bundesrepublik wirklich besser? Oder war ihre hoffnungsvolle Weltoffenheit bloß bunte Fassade, dünne Tünche? Und darunter überlebte die alte Spießigkeit, die holzköpfige Sturheit, die bornierte Intoleranz, der Hass auf alles Neue und Abweichende?

Da ist zum Beispiel Christian Stöcker, geboren 1973 in Würzburg, wo er an der Julius-Maximilians-Universität Psychologie studierte und graduierte, sogar „mit einer Arbeit zum Thema Der Einfluss von Handlungseffekten auf den Erwerb und die Ausführung von Bewegungssequenzen zum Dr. phil. promoviert“ wurde. Worauf er noch an der Bayerischen Theaterakademie „Kulturkritik“ studierte. Was immer sie dort darunter verstehen. Dann viele Jahre bei Süddeutscher Zeitung, Zeit und Spiegel als Journalist. Fürs kreative Denkvermögen scheinen diese Anstalten nicht förderlich zu sein, aber man lernt, ein Meinungsmacher zu werden, also suggestiv, manipulativ, verdeckt befehlend zu schreiben. Das Kommando zum Linkssein muss in scheindemokratische Formeln gehüllt sein.

2016 dann die höheren Weihen dieser westdeutschen Vorzeige-Biographie: die Professur an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, an der es außer ihm noch weitere 418 Professoren gibt (sowie 457 Lehrbeauftragte und ebenso viele „Wissenschaftliche Mitarbeiter“). Alle von ähnlichem Zuschnitt? Jedenfalls alle gut besoldet, vom Staat, genauer vom Bundesstaat Hamburg, von der „Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke“, die der grünen Senatorin Katharina Fegebank untersteht. Man kann behaglich unterkommen in Nähe der staatlichen Fördertöpfe. Der ganze Mann ein exemplarisches Gewächs der bunten Bundesrepublik. Geradezu vorbildlich.

10 bis 20 Millionen Bürger „gesellschaftlich ächten“?

Deshalb ist er auch Kolumnist beim Spiegel, einer führenden Einrichtung zur Meinungsvorgabe. Einstmals ein Blatt mit intellektuellem Anspruch und gelegentlich kritischer Grundhaltung („Sturmgeschütz der Demokratie“), inzwischen zum Propaganda-Instrument der Bundesregierung verkommen. Dort werden Maßgaben ausgegeben wie diese: „Deutschland wird doch gut regiert. Die Kritik an der Ampel ist überzogen, die Forderung nach Neuwahlen gefährlich. Die schlechte Stimmung im Land hat weniger mit Fakten zu tun als mit einer getrübten Wahrnehmung.“

Einen Tag danach dann Christian Stöcker, der Hamburger Professor. In einem längeren Kommentar ergeht er sich zum derzeit dringendsten deutschen Thema: „Wie man die AfD kleinkriegt.“ Er offeriert, als vom Staat bezahlter Professor, wissenschaftliche Lösungen des Problems. Es gäbe, erklärt er, „klare Hinweise aus der Forschung, was zu tun ist.“ Und diese Hinweise sehen etwa so aus: „Es muss bei jeder Gelegenheit klargemacht werden, dass Zustimmung zu den Positionen der AfD und anderer Rechtsextremer zu gesellschaftlicher Ächtung führt.“

Zunächst ist es dumm und im Sinne des Autors kontraproduktiv, die Wähler der AfD auf diese Weise zu stigmatisieren und damit zu heroisieren. AfD-Wähler sind ganz normale Deutsche, lässig geschätzt zehn bis zwanzig Millionen – angesichts solcher Zahlen ist Stöckers Einfall, sie „gesellschaftlich zu ächten“, ohnehin unsinnig. Zugleich bekennt, wer solches schreibt, seinerseits faschistische Gelüste. Denn der in einem führenden Medium mit hunderttausenden Lesern veröffentlichte Aufruf zur „gesellschaftlichen Ächtung“ Andersdenkender ist eindeutig faschistoid, er zielt darauf ab, die Betreffenden zu isolieren und zu ruinieren, das heißt: ihnen die Lebensgrundlagen zu entziehen. Das ist noch nicht der offene Aufruf, sie massenhaft umzubringen, aber doch klar auf dem Weg dorthin. Und warum? Weil sie von ihrem demokratischen Recht auf freie Wahl Gebrauch machen. (Oder, wenn sie die AfD nicht mal wählen, nur mit einigen ihrer Standpunkte sympathisieren, von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung.)

Leute wie Stöcker meinen, gegen faschistische Regungen gefeit zu sein, weil sie „links“ sind. Dabei ist Stöcker nur ein gewiefter Karrierist und diese Art Linkssein nichts als ein schöneres Wort für Konformismus, Anpassung und Untertanengesinnung. Eher etwas Schäbiges, zugleich Skrupelloses: bereit, alle, die sie stören und die ihnen im Weg sind, existenziell zu vernichten. Genau das ist, wie aus der Geschichte bekannt, der Nährboden des Faschismus. Stöckers stupider Aufruf zur „gesellschaftlichen Ächtung“ Andersdenkender führt es eindrucksvoll vor Augen.

 

Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.

Foto: Achgut.com

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Zdenek Wagner / 27.01.2024

20 Millionen Bürger ächten? Nun, das hat dieser meschuggene Staat schon mal mit 6 Millionen fertig gebracht - aber offenbar hat man nichts daraus gelernt. Ein paar Worte zu meiner Person: ein Teil meiner Familie ist jüdisch und mein Großonkel mütterlicherseits ist in Theresienstadt von den Nazis zu Tode gequält worden. Soll heißen, ich bin alles andere, nur kein Nazi, wähle aber seit Jahren die AfD und werde dies auch weiterhin tun. Ich wähle nicht die Paar Holzköpfe mit ihren feuchten Träumen vom Vierten Reich, die sich am Rande der Partei tummeln, sondern die mutigen Stimmen mit dem gesunden Menschenverstand, die sich als einzige trauen die Wahrheit zu sagen, nämlich dass dieses gebeutelte Land nicht jeden aufnehmen und nicht die Probleme der restlichen Welt lösen kann.

Emil.Meins / 27.01.2024

@ Ilona Grimm / wg. @Ulrich Drübbisch: ich war auch versucht, eine ähnliche Antwort zu schreiben. Es gibt aber leider noch Heerscharen von Deutschen, die der Mär aufsitzen, die Herr Drübbisch für die Realität hält. Dazu gehören Rosinenbomber, Care-Pakete und der geschenkte Chewing gum, alles andere wird ausgeblendet. Das Motiv der USA war sicher ein anderes, und kein einziger G.I. ist für “uns” gestorben, sondern weil er den Befehl bekam, für sein Land oder “gegen die Nazis” zu kämpfen. Aber die Menschen neigen eben zur Sentimentalität und lieben die schönen Märchen. Und nicht wenigen scheint eigenständiges Denken irgendwie Schmerzen zu bereiten, weswegen sie es lieber unterlassen.

Didi Hieronymus Hellbeck / 27.01.2024

Der Fachhochschulbubi jault schon auf und postet auf “X” dieses Geschreibsel: “Auf ‘Achgut’ schreibt jemand, ich sei ‘faschistoid’, und meine letzte Kolumne sei zwar ‘noch nicht der offene Aufruf, sie [Leute, die AfD- oder andere rechtsextreme Positionen vertreten] massenhaft umzubringen, aber doch klar auf dem Weg dorthin’. Klagen, @Anwalt_Jun?” Dann klag’ mal los, Stöcky - bist stets für einen Lacher gut.

sybille eden / 27.01.2024

Birgit HOFMANN, - ” vernüftige Politik ohne Ideologie” - in der Bonner Republik ? Wo haben sie denn gelebt ? Wo waren sie denn als Branntwein - Willy an die Regierung kam und den Staat und insbesondere das Bildungswesen auf Links gebürstet hat ? Die Ernte und Früchtchen dieser linksideologischen Politik fahren wir JETZT ein ! Haben sie geschlafen oder waren sie zu oft in der Disco ?

sybille eden / 27.01.2024

Schon makaber, dass der Stöcker heisst. Wie einer der Vordenker des Nationalsozialismus : Adolf STÖCKER ! - Zufall ?

Sabine Heinrich / 27.01.2024

Fortsetzung: Aber es ist mit den Leuten in den Redaktionsstuben leider so, dass sie nicht wahrhaben wollen, warum ihnen die Leser in Scharen davonlaufen. Viele von ihnen wollen nicht auf eigene Kosten indoktriniert werden! Der dramatische Rückgang hat nicht nur etwas mit Digitalisierung zu tun! - Noch einmal zum “folker”: Dieses Magazin kämpft seit ca.2 Jahren ums Überleben; vielleicht hat die Redaktion den Denkfehler gemacht, dass alle Liebhaber der Folk-und Weltmusik automatisch links sind - und mit der AfD Sympathisierende oder gar Wähler nur deutsche Lieder von anno dunnemals hören. - Nun - die Redaktion würde mich nicht mögen - und ich mag sie schon längst nicht mehr. Vor 20 Jahren, als ich diese damals hochwertige Musikzeitschrift abonniert habe, haben sich die “Macher” noch nicht so heftig mit ihrer linken Agitation aufgedrängt. - Schade um dieses Magazin. Ich werde einige Beiträge vermissen! Aber die Leitartikel haben bei mir schon in den letzten Jahren oft erheblichen Widerwillen ausgelöst - und das muss ich mir nicht weiter antun! - Liebe Leser - wenn Sie bis hierher durchgehalten haben - DANKE! Ansonsten bitte ich um Verständnis dafür, dass ich hier so ausführlich geworden bin. Es ist mit einer Zeitung, von der man sich nach vielen Jahren trennt (Bei mir gehörten u.A. DIE ZEIT und im Laufe der Zeit3 Regionalzeitungen dazu), weil man sie nicht mehr erträgt - wie mit dem Friseur, dem Zahnarzt, dem man erst dann “Adieu” sagt, wenn er nicht mehr die gewohnte Leistung erbringt.

Klara Altmann / 27.01.2024

Ein sehr guter Text. Faschismus ist keine politische “Richtung”, sondern ein bösartiges Unterdrückungssystem, das es einer kleineren Gruppe ermöglicht, die große Mehrheit zu beherrschen. Zuletzt in Deutschland in der DDR durch die Totalüberwachung jedes Einzelnen durch die Stasi und deren inoffizielle Mitarbeiter, die dafür sorgten, dass niemand im Land dem anderen wirklich trauen konnte. Und durch bewusst geschürte Angst wie durch den Bautzener Folterknast und vielfältige repressive Maßnahmen, die verhindern sollten, dass sich die Bürger gegen den Unrechtsstaat zusammenschließen. Aktuell gibt es einige offen faschistoide Systeme in der Welt, angefangen bei China und Nordkorea. In Deutschland verschleiert man das dagegen gerne und nennt es “Demokratie”, auch wenn es höchstwahrscheinlich keine mehr ist. Eine Demokratie beinhaltet echte Wahlmöglichkeiten und auch die, eine Politikrichtung abzuwählen, die man nicht will. Die immer offener werdenden Versuche der aktuellen Regierung, die Opposition zu diskreditieren und von der demokratischen Teilhabe auszuschließen, zeigen uns, dass hier das Prinzip der Demokratie untergraben wird. Wenn Menschen das Land führen, die man von der Qualifikation her offensichtlich niemals an dieser Position einstellen würde, dann ist etwas faul im Staate Deutschland. Wenn die Menschen der einen Politikrichtung auf Geheiß von Staatsdienern gegen Andersdenkende protestieren, dann ist das nicht jene Demokratie, in der verschiedene Meinungen akzeptiert werden und ein lebendiger Diskurs herrscht, wie wir es kannten. Wer die Geschichte kennt, der weiß, wie schon die Weimarer Republik zu Grabe getragen wurde.

Matthias Popp / 27.01.2024

@Ilona Grimm: “Sind sie ganz sicher, dass jene bedauernswerten US-Soldaten, die am „Omaha Beach“ ihr Leben lassen mussten, für UNSERE Demokratie gestorben sind?” Sosehr ich praktisch alle Ihre Kommentare auf der achse schätze, hier haben Sie sich vergaloppiert: Dass der amerikanische Sieg im WW2 für die Freiheit Europas, auch UNSERE, die der Deutschen, ein Segen war im Vergleich zur Terrorherrschaft Nazi-Deutschlands, werden Sie doch bei aller berechtigten Kritik an der Interessenpolitik der USA schwerlich bestreiten können.

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