Thomas Rietzschel / 20.06.2016 / 18:00 / Foto: Stiopa / 15 / Seite ausdrucken

Der deutsche Außenminister fällt aus der Rolle

Wenn einer ständig durch die Welt düsen muss, von einem Krisenherd zum anderen, um überall seinen Senf dazuzugeben, kann es schon mal geschehen, dass er vergisst, wo er denn eigentlich stationiert ist. Im Jet lag verliert so mancher nicht nur die zeitliche Orientierung, zumal wenn er sich zu den Spitzen des politischen Jetset zählen darf. Das ist menschlich verständlich, also kein Grund, dem deutschen Außenminister einen Vorwurf zu machen, nur weil er bei seinen Zwischenlandungen in Berlin bisweilen dummes Zeug von sich gibt. Daran haben wir uns gewöhnt, Schwamm drüber.

Schließlich hat der Vielflieger über mehr nachzudenken als darüber, in wessen Auftrag er den globalen Krisenmanager gibt. Auch über die Spesen seiner Selbstverwirklichung auf internationalem Parkett muss er sich keinen Kopf machen. Gute Schauspieler haben nun einmal ihren Preis; und als Mime ist Frank-Walter Steinmeier das Geld, das er reisend verbrät, durchaus wert. Wo immer er bisher auftrat, in Kiew, in Moskau, in Minsk, in Wien, im nahen Osten, in Afrika oder in Asien, bisweilen sogar in Amerika, eine attraktive Bildstrecke für die News-Show ließ sich mit dem Silberfuchs allemal produzieren.

Stets folgenlose Darbietungen

Professionelles Entertainment, das man umso entspannter genießen konnte, als man vornherein wusste, dass die Darbietungen stets folgenlos bleiben würden. Die Serie, zu der sich die Episoden fügten, hieß „Der Chefdiplomat im Einsatz“. Nicht gerade ein Straßenfeger, aber doch Fernsehunterhaltung auf dem Niveau von ARD und ZDF.

Allein der bescheidene Erfolg scheint dem Mimen inzwischen zu Kopf gestiegen zu sein. Er fällt aus der Rolle. Der „Bild am Sonntag“ (erschienen am 19. 06. 2016) gab er  jetzt ein Interview, das die Vermutung nahelegt, der deutsche Außenminister könne sich mit der Absicht tragen, das Ensemble oder, politisch korrekter, die Seite zu wechseln.

Als säße er schon im Kreml zur Linken Putins, unterstellte er der NATO, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“. Bezogen war das auf die Manöver des Atlantischen Bündnisses in Osteuropa. Dass die NATO damit auf die massive Aufrüstung der Russen reagierte, unter anderem auf Manöver die sie mit 90.000 Mann nahe der baltischen Grenze durchführten, muss Frank-Walter Steinmeier ebenso entgangen sein wie die Tatsache, dass das Land, das er außenpolitisch vertritt, selbst Mitglied der NATO ist.

Ein mitfühlender Diplomat als Elefant im Porzelanladen

Noch nie hatte die Bundesrepublik Deutschland einen Außenminister, der sich so „radikal vom Kurs der NATO“ abgrenzte wie der amtierende, schrieb SpiegelOnline kurz nach der Veröffentlichung des Interviews. Auch die von den baltischen Staaten und von Polen gewünschte Verlegung von 1.000 NATO-Soldaten auf ihr Territorium empfindet der mitfühlende Diplomat als eine Bedrohung Russlands, wiederum ohne einen Gedanken an die forcierte Truppenverstärkung Russlands an seinen Ostgrenzen zu verlieren. Die daraus folgenden Ängste der Polen und der Balten ins Kalkül zum ziehen fällt Frank-Walter Steinmeier so wenig ein wie anderen deutschen Diplomaten Jahrzehnte vor seiner Amtszeit.

Die Russen ihrerseits nahmen diese Blauäugigkeit, um das Mindeste zu sagen, nur allzu dankbar zur Kenntnis. Umgehend lobten sie Steinmeier als „eine einzelne Stimme der Vernunft“, als einen der bereitwillig auf den Leim ihrer Propaganda gekrochen ist. Behaupten sie doch selbst, sich vom Westen, insbesondere von Polen bedroht zu fühlen. Angesichts des tatsächlichen Kräfteverhältnisses ist das etwa so zutreffend wie die Mär von der polnischen Bedrohung, auf die sich Hitler berief, als er am 1. September 1939 im Berliner Reichstag verkündete: „Seit 5.45 wird jetzt zurückgeschossen!“

Was immer Frank Walter Steinmeier bewogen haben mag, sich im Konflikt der NATO mit Russland auf die Seite Moskaus zu schlagen - ein Realitätsverlust infolge seines Jetset-Lebens über den Wolken oder politischer Idealismus, der alte Wunsch der SPD, sich aus der NATO zu schleichen - damit, dass er das eigene Bündnis des „Säbelrasselns“ und des „Kriegsgeheuls“ bezichtigt, hat er seine Dienstpflichten in einer Weise verletzte, die in jedem ordentlich geführten Unternehmen den sofortigen Rausschmiss nach sich zögen.

Aber der Außenminister genießt ja ganz offensichtlich und mit großem Vergnügen die Narrenfreiheit eines Staatsschauspielers, eines Showmasters, den wir schon wieder einmal viel zu ernst genommen haben.

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Leserpost

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Fritz Gardes / 21.06.2016

Hier muss ich Herrn Rietzschel energisch widersprechen. Die NATO ist von einem geplanten Verteidigungsbündnis zu einem aggressiven Kriegstreiber im Interesse der (führenden Kreise der) USA verkommen. Oder war das von vornherein geplant? Mit Milliarden in Euro und Dollar wird bei jedem Einsatz der NATO nur die Hegemonialpolitik der USA vertreten. Frieden oder ausgleichende Gespräche sind prinzipiell nicht vorgesehen, nur militärische Einsätze oder aggressive Drohungen. Krieg war und ist immer das Mittel der Wahl dieser NATO. NATO-Staaten, die einzelne Kriege nicht mitmachen wollten, wurden permanent mit Lügen und Hetze überzogen. Beispiel dafür ist das Deutschland unter Kanzler Schröder, das den Krieg gegen den Irak nicht mitgemacht macht (aber natürlich trotzdem seinen finanziellen Obolus dazugeben musste). Zum allgemeinen Erstaunen, für viele auch Entsetzen kroch dann die damalige Oppositionsführerin im Bundestag, Angela Merkel, dem damals amtierenden Bush hinten rein mit der Erklärung, dass, wenn sie Bundeskanzlerin wäre, Deutschland selbstverständlich sich an diesem Krieg an der Seite der USA beteiligt hätte. Und siehe da, nachdem Frau Merkel Bundeskanzlerin ist, beteiligt sich Deutschland wieder mit seinen zum Glück beschränkten Möglichkeiten an den Aggressionen der NATO, wie jetzt beim als Kampf gegen den IS getarnten Krieg gegen Syrien (7 Kriege in 5 Jahren). Nun ist erstaunlicherweise einem SPD-Minister aufgefallen, dass die (heutige ?) NATO ein Kriegstreiber par excellance ist und hat dies auch öffentlich geäussert. Wie schrecklich: einem Vasallen steht doch eine freie Meinungsäusserung überhaupt nicht zu.

Johannes Reh / 21.06.2016

Zuletzt immer häufiger liest man von irgendwelchen Nato-Manövern an der Grenze Russlands. Dann reagiert Russland und mobilisiert auch Armeeteile und verlegt sie an die Grenze. Dann stellt sich wieder ein NATO-Mann dahin und sagt dass das Bedrohungsszenario weiter gewachsen ist, und dass man deshalb noch mehr Nato-Manöver und ein noch höheres Budget für Militärausgaben braucht. Dann wiederholt sich der schöne Kreislauf. Das erinnert mich so ein bisschen an den kalten Krieg, dieses gegenseitige Hochschaukeln. Folgende Fragen habe ich daher an den Autor: Wer bezahlt das Gehalt der NATO-Bürokraten? Was macht z.B. ein Generalsekretär wenn mangels symmetrischen Bedrohungsszenarios (z.B. theoretischer Konflikt mit Russland oder China) kein Geld mehr da wäre für die NATO? Man sollte immer auch annehmen können, dass die Gegenseite der eigenen Argumentation vielleicht auch oder sogar mehr Recht hat.

Gernot Radtke / 20.06.2016

Herrn Steinmeier nimmt doch keiner mehr wirklich ernst. Alles leerer Aktionismus im Modus nebulös bleibenden Bedeutsamkeitsgetues. Deutsche Außenpolitik wird doch de facto längst von Merkel und ihren Deutschland-Verschenkern gemacht. Ohne Plan, ohne Ziel, ohne Festigkeit; alles im Fluß. Deutschland braucht kein Außenministerium mehr, denn das Außen kommt ins Innen, wie es will. Deutschland ist längst der Neubesiedlung durch den Orient freigegeben. Ob Steinmeier irgendwohin fliegt ist da völlig unerheblich.

Martina Fouqué / 20.06.2016

Ich rechne es Herrn Steinmeier hoch an, dass er den Mut hatte, die Realität beim Namen zu nennen. Wer hier gerade nicht mit dem Säbel rasselt ist Herr Putin. Dieses ganze Bedrohungsszenario seitens Russland, das ich den Baltischen Staaten aufgrund der jünderen Geschichte noch nachsehen kann, wurde eigens von unseren transatlantischen “Freunden” geschaffen, um einen Keil zwischen die bis dahin guten - für die USA zu guten - Beziehungen zwischen Europa und Russland zu treiben. (Siehe Wolfowitz-Doktrin, sehr lesenwert.) Und das ist, auch dank der Medien, gut gelungen und bei der Bevölkerung angekommen, wie man zahlreichen Kommentaren zu einschlägigen Artikeln entnehmen kann. Ich glaube, die meisten derer denken, wir haben es immernoch mit der Sowjetunion zu tun.

Hartmut Topf / 20.06.2016

Russland verstärkt die eigenen Truppen doch nicht an seiner Ostgrenze, sondern an der Westgrenze…. Wenn von Ostgrenze die Rede ist (und schon öfter war), dann ist das mit Blick aus der westlichen Perspektive.

Marianne Jädick / 20.06.2016

Ich bin manchmal etwas konfus bei einigen Ihrer Beiträge, habe schon öfter welche gesehen und dachte, ich bin im falschen Film. Es sind glücklicherweise nicht viele Beiträge, ansonsten könnte man ins Grübeln geraten. Hier spricht endlich einmal ein hohes Regierungsmitglied aus, was viele, noch nicht total indoktrinierte und als Zombies rumlaufende Deutsche denken, und schon kommt ein Schreiberling und kanzelt ihn ab, um seine (des Schreiberlings!) politisch-korrekte Linie zu beweisen. Ich frage die achgut Redaktion, ob das unter dem Motto “wir geben auch der Seite, die nicht unsere Meinung darstellt, ein Forum”. Allerdings könnte das sehr missverstanden werden und Leute dazu animieren, diese Seite nicht mehr anzusehen. Da könnte man ja dann gleich bei Tagesschau, Heute Journal und vielen anderen Mainstreammedien bleiben.

Hermann Neuburg / 20.06.2016

Im Grunde einer von einigen überflüssigen Ministern in der Regierung Merkel. Was für eine schlechte Regierung, man muss sich schämen.

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