Der Buchhändler als moralische Instanz

In knapp zwei Wochen, am 31. August 2020, erscheint das neue Werk von Auflagen-Millionär Thilo Sarrazin. Titel: „Der Staat an seinen Grenzen.“ Vorhersehbar ein Verkaufshit. Jeder Sarrazin-Titel seit „Deutschland schafft sich ab“ erreichte Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste. Der Buchhandel freut sich auf ein Bombengeschäft in kargen Corona-Zeiten. 

Dazu folgende Richtigstellung:

Der deutsche Buchhandel hofft zwar inständig auf staatliche Unterstützung, freut sich aber weitenteils wenig auf den neuen Sarrazin. Denn der Buchhändler als solcher versteht sich üblicherweise nicht als Dienstleister, wie etwa der Bäcker, sondern als moralische Instanz. 

Als solche hat man Vorbehalte gegen Sarrazin, die man zwar schwer begründen kann, die man aber hat. Der ganze Typ und dessen luzide Erkenntnisse passen manchen Buchhändlern nicht ins Sortiment.

Ein persönliches Erlebnis: Vor Weihnachten 2017 suchte ich als Geschenk eine Biografie. Beratungsgespräch mit Buchhändlerin. Sie: „Sehr zu empfehlen ist die neue Gysi-Biografie.“ – Ich: „Gott bewahre. Igitt! Gibt es eine neue Putin-Biografie?“ – Sie: „Glaube ich nicht. Putin ist zur Zeit ja auch sehr umstritten.“ – Ich: „Aha. Was ist mit Trump?“ – Ihre Antwort: „Sowas würden wir ja nicht führen.“

Ich schaute die Dame an: „Schön, dass es Amazon gibt. Da muss ich mir einen solchen Quatsch nicht anhören, die liefern mir auch nach Hause, absolut gesinnungsfrei.“ 

Seither sage ich „Ja“ zu Amazon. Jeff Bezos hat an mir viel verdient.  

Übrigens: Der oben beschriebene Buchladen war ein paar Monate nach meinem Besuch pleite. Der deutsche Buchhandel schafft sich ab – aus tiefster Überzeugung.

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Leserpost

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Geert Aufderhaydn / 16.08.2020

@ Thomas Koch:  Ich erinnere mich - was Buchbewertungen angeht - an ein Interview mit dem früheren Intendanten Novotny. Gefragt, wie er Sachbücher beurteile, entgegnete er:  “Das ist ganz einfach. Ich schaue hinten im Quellenverzeichnis nach:  Novotny erwähnt - sehr gutes Buch. Novotny nicht erwähnt - mittelmässiges Buch.”

Klaus Jürgens / 16.08.2020

Hab’ mir doch tatsächlich mal gewagt, in einem Antiquariat nach dem Werk eines Autors der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts aus Braunau am Inn zu fragen. Oh je - beinahe hätte es zwei Tote gegeben: die Händlerin wegen Schnappatmung und ich durch Blicke…

ernesto variaggio / 16.08.2020

dasselbe ist mir auch passiert - mit dem 2. Sarrazin-Buch.  Wie sagte Beckett so schön? Worstward Ho!

R. Fetthauer / 16.08.2020

Kurz und knapp beschrieben, dazu treffend - wie immer Herr Tiedje! Nebenbei bemerkt: Ich hatte mal einen Lehrer, der war immer sehr verwundert, wenn die damals sehr links stehenden Abiturienten(innen) lauthals ihre(n) bevorzugten Lesestoff (egal ob Magazine, Zeitungen oder Bücher) als das Nonplusultra proklamierten. Er bemerkte nur trocken, das er selbst auch diese Magazine etc. studiere, um die Argumente des politischen Gegners zu kennen - für die kategorische Ablehnung der Mitschüler der seinerseits empfohlenen Informationsquellen, hatte der Herr überhaupt kein Verständnis. Das waren noch Zeiten! Aber ehrlicherweise gönne ich dem jetzt alten Herrn seinen Ruhestand, so er noch unter uns weilt. Nicht auszudenken, wohin er mit seiner Einstellung in alternativlosen Zeiten gekommen wäre. Dabei bin auch ich noch immer seiner Überzeugung!

Frank Baumann / 16.08.2020

Ich hatte vor über 10 Jahren ein ähnliches Erlebnis, als ich in einer Kölner Buchhandlung die Empfehlung eines ehemaligen Kommilitonen und (damals) CDU-Mitglieds bestellt habe. Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf, man könne mir das Buch leider nicht liefern, da der Verlag als “rechts” gilt. Ich war damals ziemlich überrascht, denn ich war sehr naiv und dachte wirklich, ich könnte ein völlig normales, nicht auf dem Index stehendes Buch einfach so erwerben und habe diese Buchhandlung danach nie wieder betreten. Da Amazon aber auch zensiert, kaufe ich aus Verärgerung darüber seit einigen Jahren nur noch bei dem oben genannten “rechten” Verlag und bin sehr zufrieden.

Karla Kuhn / 16.08.2020

Gunter Schaumburg, stimmt aber WARUM ?? Weil nicht nur viele POLITWESSIS übergesiedelt sind,  sondern auch viele “Normalos”. Bei den Politwessis frage ich mich, wurde die “abgeschoben” weil im Westen nicht mehr zu gebrauchen ??  Viele haben sich auch die äußerst günstigen Bodenpreise, zu Nutze gemacht. Vor allem, wenn man vorher wußte, daß die als Bauland ausgeschrieben werden sollten. Urossis , wie ich, noch dazu aus Sachsen, lassen sich auch nach 45 Jahren “goldener Westen” nichts vormachen. Dazu sind meine Instinkte noch zu geschärft. Bücher kaufe ich teilweise im KOPP Verlag. Wenn ich dran denke, daß AMAZON (wie ist das jetzt mit der “geduldeten Steuermoral”?) das HERVORRAGENDE Buch von Professor BHAKTI nicht verkaufen wollte/will ?? dann frage ich mich, hängt das damit zusammen, daß der Inhabertyp zigfacher Milliardär ist und es nicht mehr nötig hat ?? Wer auf einem zu hohem Roß sitzt, fällt ganz leicht runter.  Mir egal, in unser Nähe gibt es Sozialläden, WO JEDES BUCH 0,50 Euro kostet. Auch auf Flohmärkten wird man fündig, vor allem bei seltenen Büchern, die nicht mehr verlegt werden. Die meisten sind sehr gut erhalten. Gerald Weinbehr, “Der deutsche Buchhandel schafft sich ab” - mit aufrechter Haltung.  Einfach Herrlich. Na mal sehen wie viele noch an der “aufrechten Haltung ” zugrunde gehen. Ich gönne es ihnen von Herzen.  Im Sozialismus gibt es allerdings keine Stütze mehr.

Paul Siemons / 16.08.2020

Ich warte darauf, dass mir der Metzger Soja-Gehacktes empfiehlt. Deutschland schafft sich ab, täglich mehr. Allen Buchhändlern, die die Regel Nummer 1 des Handels nicht respektieren, wünsche ich einen nachhaltigen Untergang. Sie waren ihres Metiers nicht würdig. Ach ja, die Regel lautet “Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.”

Regina Lange / 16.08.2020

Da kann ich nur zustimmen, ein HOCH auf Amazon. Ich bestelle mir meine Bücher schon seit geraumer Zeit nur noch bei Amazon. Die wollen mich nicht belehren und nicht bekehren. Der penetrante Korrektaktivismus, der in Deutschland das Ruder übernommen hat, geht mir nur noch auf den Senkel. Bis vor einiger Zeit konnte ich noch drüber lachen, aber das ist mir gründlich vergangen.

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