Die Streikwoche der Bauern hat begonnen. Landwirte machen die A2 dicht, blockieren auch Bundesstraßen und Innenstädte. Verzweifelt versucht die Regierung, das unbotmäßige Landvolk als Gefahr für die Demokratie zu diffamieren.
Diese Form des Protests ist neu im sonst eher innovationsarmen Deutschland: Sah man massive Bauernproteste bisher eher in Frankreich oder den Niederlanden, so verließen gestern viele zehntausend Landwirte ihre Höfe, um ihrem Unmut über die Politik der Ampel – und nicht nur die Agrarpolitik – Luft zu machen. Aufgerufen hatten Verbände vom Deutschen Bauernverband über die „Freien Bauern“ bis zu „Land schafft Verbindung“. Die Landwirte demonstrierten vor Staatskanzleien und hielten Kundgebungen an zentralen Plätzen ab. Sie legten ganze Innenstädte lahm, waren mit zehntausenden von Traktoren im ganzen Land unterwegs, blockierten sogar zahlreiche Autobahnauffahrten, ohne dass dies wiederum Autofahrer gegen sie aufbrachte – was könnte deutlicher demonstrieren, dass sich hierzulande gerade einiges ändert?
Und sie waren nicht allein: Auch Spediteure, LKW-Fahrer und Handwerker beteiligten sich an den Protesten. In Hamburg rollten 2.200 (Angabe der Polizei) oder 4.000 (Angabe der Veranstalter) landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge in die Innenstadt. In Mecklenburg-Vorpommern wurde zeitweise die Rügenbrücke von der Initiative „Unternehmeraufstand MV“ blockiert, ein 20 Kilometer langer Konvoi mit rund 1.000 Fahrzeugen rollte durch Stralsund. In Brandenburg kam es unter anderem zu zwei Blockaden des Güterverkehrszentrums Großbeeren, in Berlin reihten sich auf der Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor 680 Fahrzeuge aneinander.
Nicht nur der Verkehr kam vielerorts zum Erliegen: Im ostfriesischen Emden war auch das Produktionswerk von Volkswagen von den Straßenblockaden betroffen, die Produktion stand still. Im stark landwirtschaftlich geprägten Niedersachsen ging es überhaupt besonders hoch her: In Oldenburg waren rund 2.800 Fahrzeuge an den Blockade-Aktionen und rund 2.400 Fahrzeuge an den Konvois beteiligt, in Göttingen 2.500. Auch andernorts fuhren Trecker en masse auf: In München waren es rund 5.500 Traktoren aus der umliegenden Region, in Trier 3.000, Bremen 2.000, in Saarbrücken 1.200. in Thüringen behinderten 4.000 Traktoren, Schlepper und Lkw den Verkehr, in Baden-Württemberg waren laut Innenministerium insgesamt 25.000 Fahrzeuge beteiligt. In Sachsen wurden zahlreiche Autobahnauffahrten blockiert. 5.000 Fahrzeuge legten Chemnitz lahm, über 3.000 Leipzig. Teilblockaden beeinträchtigten den Verkehr an der deutsch-tschechischen Grenze im Erzgebirgskreis.
Auch wenn die Medien den Eindruck zu erwecken versuchen, es habe sich um regionale Aktionen gehandelt: Der Protest war flächendeckend, betraf hunderte Orte und alle Bundesländer. Einen besonderen Rochus haben die Bauern offenbar auf die einst so naturverbundenen Grünen: In Viersen und Kempen (NRW) luden Unbekannte vor den Eingängen der Parteibüros der Ampelparteien Gülle ab. Und auch in Naumburg (Sachsen-Anhalt) wurde vor dem Büro der Grünen ein Haufen Mist abgekippt. Auf einem darin befindlichen Schild war demnach zu lesen: „Liebe Grünen. Hier DAS Ergebnis eurer Arbeit! Mit freundlichen Grüßen, eure Bauern“.
„Feuchte Träume vom Umstürzen“
Unerhört! Was erlaube Bauer?! Die Empörung in der Politik und den ihr angeschlossenen Funkhäusern ist groß. Renate Künast, die sonst sehr viel Verständnis für Straßen blockierende Klimaapokalyptiker aufbringt, findet die Proteste der Landwirte „überzogen“. Kinder hätten Probleme gehabt, überhaupt zur Schule zu kommen (auch zu diesem Thema war in der Corona-Zeit nichts Kritisches von der Grünen zu hören) und „Angst gehabt“. Wovor? Vor Traktoren? Das sieht der Enkel des Autors dieser Zeilen aber ganz anders. Die Wirklichkeit, von der sich Künasts Parteikollege Robert Habeck umzingelt sieht, spielt jedoch in ihrem Denken ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Nicht die realen Probleme der Menschen – hier speziell: der Bauern – interessieren die ehemalige Landwirtschaftsministerin, sondern die eher theoretischen: Sie würde viel lieber mit den Bauern „gemeinsam konstruktiv überlegen, wie man die Betriebe eigentlich auf Klimakrisen einstellt“.
Die Unbotmäßigkeit der Bauern zählte Martin Luther schon vor 500 Jahren zu den „gräulichen Sünden wider Gott und Menschen“:
„… dass sie ihrer Obrigkeit Treu und Huld geschworen haben, untertänig und gehorsam zu sein… Weil sie aber diesen Gehorsam brechen mutwilliglich und mit Frevel und dazu sich wider ihre Herren setzen, haben sie damit verwirkt Leib und Seel, als die treulosen, meineidigen, lügenhaften, ungehorsamen Buben und Bösewichte pflegen zu tun.“
Ein Werner Eckert drückte es im SWR-Aktuell-Kommentar eben etwas anders aus. Die Bauern täten sich keinen Gefallen damit, wenn sie „Wut, Hass und die leider sehr populäre Staatsfeindlichkeit vor sich hertragen“. Der Staatsfunker teilt die Auffassung der Regierung, der Staat sei sie, und Kritik an der Politik könne nur von Staatsfeinden geübt werden. Cem Özdemir, Minister für Landwirtschaft und Ernährung, meint, die Bauern hätten „feuchte Träume vom Umstürzen“; Robert Habeck spricht von „Verfassungsfeinden“ und „Rechtsradikalen“, die sich den „Umsturz“ vorgenommen haben. Womit der ironische Spruch „Wird der Bauer unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“ ein ums andere Mal bestätigt wird.
Das Essen kommt aus dem Bio-Laden wie der Strom aus der Steckdose
Die Haltungsmedien stoßen ins gleiche Horn: Der Spiegel geißelte den „motorisierten Mistgabelmob“. Der langjährige ARD-Chefredakteur Rainald Becker schrieb bei X (Twitter): „Traktorfahren macht offenbar dumm“, löschte den Post dann aber wieder. Nikolaus Blome (RTL) ließ sich nach dem wenig herzlichen Empfang für Habeck in Schlüttsiel über den „Kartoffel-Mob an der Fähre“ aus. Dreist wird stets Gewaltbereitschaft insinuiert, obwohl nichts dergleichen geschehen ist. Eine Ampel am Galgen wird da schon zum Menetekel für den drohenden Staatsstreich.
Allein: Die Hysterie des politmedialen Komplexes spiegelt nichts als die nackte Angst davor, dass die Bürger langsam die Nase voll haben. Es geht ja nicht bloß um Agrardiesel oder um die Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge. Hier etwas zurückzunehmen oder zu strecken, ist die durchschaubare Taktik der Regierenden, um die Proteste zu ersticken. Die Bauern werden nämlich schon lange mit immer neuen Auflagen und Verordnungen gepiesackt. Mal sind es Umweltauflagen und Flächenstilllegungen, mal ist es das „Tierwohl“, mal die als „Pestizide“ verunglimpften Pflanzenschutzmittel, mal die Düngeverbote oder bürokratische Auswüchse, die ihnen das Leben schwermachen und die Höfe sterben lassen.
Die Diffamierung der renitenten Bauern fällt allerdings bei den Leuten nicht auf fruchtbaren Boden. Selbst den Dümmsten ist klar, dass hier die Lebensmittelversorgung auf dem Spiel steht. Der grüne Städter mag glauben, dass das Essen aus dem Bio-Laden kommt wie der Strom aus der Steckdose, aber es ist immer noch die Landwirtschaft, die für die Produktion von Nahrungsmitteln sorgt. Und die Aussicht auf Mangel kann auch Menschen auf die Barrikaden bringen, die bisher mit der Faust in der Tasche erduldet haben, wie auf ihre Interessen gepfiffen wird und sie bis aufs Hemd ausgezogen werden, während die Regierung Milliarden für die „Minderung der Folgen des Klimawandels“ im Mekong-Delta, „Grüne Kühlschränke für Haushalte“ in Kolumbien, „Innovative Stadtplanung für Resilienz mit naturbasierten Lösungen und Klimarisikomodellen“ in Thailand oder „Klimafreundliche urbane Mobilität“ in Indien rausschießt (noch mehr schöne Projekte hier).
Zwischen Larmoyanz und Drohgebärden
Es mag sein, dass das woke Bewusstsein auf dem Land noch etwas unterentwickelt ist und man dort mit hippen Anliegen wie wasserlosen Unisex-Toiletten und „Female-Genital-Mutilation-Cutting“-Präventionsprojekten wenig anfangen kann; gleichwohl taugt der Bauer als Feindbild für die Grünen eigentlich nicht. Jedenfalls weist Alexander Wallasch darauf hin, dass die Bauern in den 80er Jahren die Proteste gegen Atommüll-Endlager und „Startbahn West“ unterstützten, die Grünen gewissermaßen „ihre DNA zu keinem geringen Anteil aus diesen Bürgerinitiativen und bäuerlichen Notgemeinschaften generiert“ haben. Er zitiert Kai Nielsen, der für die Grünen im Kreistag von Schleswig-Flensburg sitzt und bei X schrieb: „Wir Grüne sind übrigens sehr gut beraten, uns bei der Kritik an den Bauernprotesten zurückzuhalten.“ Und: „Ich persönlich kenne keinen einzigen gewaltbereiten Landwirt. Keinen!“ Die protestierenden Bauern hätten seine „vollste Solidarität und Unterstützung.“
Auf einem Spruchband der Demonstranten war zu lesen: „Beim Schach macht der Bauer den ersten Zug und am Ende fällt der König.“ Die Analogie scheint gar nicht weit hergeholt, schließlich ist der Protest der Bauern nur der erste deutlich sichtbare seit den Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen, die auch schon als „Aufmärsche“ vermeintlich rechtsextremer Staatsfeinde gelabelt wurden. Weitere Branchen könnten in den Streik treten, schließlich sind sie alle von der ideologiegetriebenen Berliner Politik betroffen. Der Mittelstand beginnt zu begreifen, was ihn die unbeirrbare Weltrettungsattitüde seiner Regierenden alles kosten könnte. Auch den Bauern geht es nicht nur um den Agrardiesel; es sind die grundsätzlichen Fehlentwicklungen im Land, die sie auf die Straße treiben. Die grundrechtsfeindlichen Corona-Maßnahmen, die ungeregelte Massenmigration und die verantwortungslose Energiewende samt Deindustrialisierung setzen alles aufs Spiel, was dieses Land lange lebenswert gemacht hat: unsere Freiheit, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit.
Dass die Ampel-Regierung in dieser Situation zwischen Larmoyanz und Drohgebärden schwankt, lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Die Demokratie ist, anders, als Scholz, Habeck und Steinmeier es darstellen, nicht von Menschen bedroht, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit wahrnehmen, sondern eher von denen, die den Popanz eines Umsturzes von rechts aufbauen, um die Bevölkerung noch weiter zu spalten und der Renitenz des Bürgers mit der Repression durch die staatlichen Organe zu begegnen. Nicht die gebeutelten Bauern sind es, die sich „verrannt“ haben und zur „Umkehr“ aufgerufen werden müssten, wie Finanzminister Christian Lindner auf dem Dreikönigstreffen der FDP keck behauptete, sondern die realitätsferne und arrogante rotgrüngelbe Blase in Berlin ist es. Wenn sie den Schuss weiterhin nicht hört, wird es noch erheblich ungemütlicher im „besten Deutschland aller Zeiten“.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.