Die neue Partei DAVA soll Deutschtürken ansprechen und mit Erdogan sympathisieren. Aus meiner Sicht kein Erfolgskonzept.
Fast wäre Erdogan aus deutscher Sicht in Vergessenheit geraten, wenn nicht eine neue Gruppierung namens DAVA von türkischstämmigen Deutschen ins Leben gerufen worden wäre. Die Gruppierung kündigte im Januar an, bei der Europa-Wahl im Juni mitmachen zu wollen und auch die Bundestagswahl 2025 soll im Visier der noch zu gründenden Partei sein.
Schon der Name Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch, kurz DAVA, zeigt, dass man auf eine türkisch geprägte Wählerschaft abzielt. „Dava“ ist ein arabisches, aber auch ein türkisches Wort – und zwar ein sehr vieldeutiges. Zuerst muss man festhalten, dass das Wort im Türkischen seit jeher von den Rechten bis Ultrarechten benutzt wird. „Dava“ kann „die Klage“, „der Prozess“, „die Rechtssache“, „der Rechtsstreit“, „das Rechtsverfahren“, „die Sache“, „der Satz“ bedeuten, wobei natürlich wegen der vielen Verfahren im türkischen Rechtssystem „der Rechtsstreit“ die häufigste Bedeutung ausmacht. Aber ansonsten wird das Wort im Sinne von „unsere Sache“ (Davamız), was auf den Glauben und die Ideologie bezogen sein kann, am häufigsten gebraucht.
Definitiv ist die neue Gruppierung als nationalistisch-konservativ einzuordnen, denn sonst würde man auf solch einen Namen wie DAVA nicht kommen. Fast bin ich mir sicher, dass zuerst das Wort „Dava“ im Raum stand und sich dann anschließend die deutsche Aufschlüsselung der Buchstabenfolge ausgedacht wurde. Rechtsanwalt Fatih Zingal aus Frankfurt ist der Spitzenkandidat der Gruppierung und der neu zu gründenden Partei. Ob sie den Einzug ins Europäische Parlament schafft, ist eher fraglich.
Keine klaren Leitplanken für eine Türkei-Politik
Das Buhlen um die Multimillionen Menschen ausländischer Herkunft ist nichts Neues. Das hat vormals schon die 2016 ins Leben gerufene ADD – Allianz Deutscher Demokraten –, versucht. Die ADD, die sich ebenfalls an türkische und muslimische Einwanderer richtete, wollte, wie auch DAVA, viele politische Ämter in Europa und Deutschland bekleiden. Derzeit sind sie nirgends, auch hört man nichts mehr von ihnen. Seinerzeit warben sie sogar mit dem Konterfei von Erdogan auf den Plakaten, um Stimmen in Deutschland zu sammeln. Es half leider nichts. Auch hier war der Name beziehungsweise die Abkürzung „ADD“ treffend gewählt, ist doch dieses Kürzel in der Türkei eher bekannt für eine Gruppierung, die da heißt: „Verein zur Förderung der Ideen Atatürks“ (Atatürk Düsünce Dernegi), also genau das Gegenteil von der deutschen ADD, was Gedankengut und Ideologie angeht.
Die DAVA-Spitzenkandidaten Fatih Zingal, Ali Ihsan Ünlü und Mustafa Yoldaş sind ehemalige Funktionäre des AKP-Lobbyvereins UID („Union Internationaler Demokraten“) sowie der umstrittenen Moscheevereine DITIB und IGMG.
Da Deutschland schon immer keine klaren Leitplanken für eine Türkei-Politik hatte und hat, lässt sich das Land immer wieder überraschen und versucht, sich der neuen Lage jeweils anzupassen. Die DAVA-Gruppierung kam ebenfalls überraschend, obwohl immer wieder mal davon gesprochen wurde, dass sowas passieren könnte, dass ethnische Gruppen ihre eigenen Parteien gründen.
Die Ängste sind unbegründet
Die meisten Menschen ausländischen Ursprungs sind, sofern sie Moslems sind, oft nicht mit der deutschen Wertegemeinschaft kompatibel. Natürlich gibt es immer Ausnahmen, die sich davon abheben. So sind die Parteien Die Linke, sowie die Grünen, voll mit Menschen mit Migrationshintergrund. Sie sitzen unlängst in Scharen im Bundestag, Landtagen und so weiter.
Laut Spitzenkandidat Fatih Zingal wollten auch Mandatsträger der neuen politischen Vereinigung beitreten. „Unsere politische Vereinigung DAVA erhält gerade sehr viele Anfragen von Personen, die in etablierten Parteien engagiert sind, darunter Mandatsträger. Sie wollen zu uns und das zeigt uns: Wir sind auf dem richtigen Weg“, schreibt Zingal auf X.
Wer es glaubt, wird selig. Wer sich in den etablierten Parteien als einer mit Migrationshintergrund eingeparkt fühlt und keine Chance auf ein Vorankommen sieht, kann selbstverständlich bei der DAVA anfangen, aber mehr bewegen wird man da auch nicht. Fakt ist, das Wort „Vertrauen“ wird unter den Türken klein geschrieben. Kaum ein Türke traut dem anderen, was zur Folge haben wird, dass kaum eine türkisch geprägte Partei jemals eine tragende Rolle in der deutschen Politik spielen kann. Das ist ein Dilemma des Islam, dass man sich untereinander nicht vertraut.
Die türkische Prawda „Yeni Safak“ interviewte Zingal und schreibt, dass die neue Partei ein Wählerpotential von 5 Millionen Personen haben würde. Wahrscheinlich meint er alle Muslime in Deutschland, wenn sie denn alle wahlberechtigt wären und das Vertrauen aufbringen würden, eine von Türkischstämmigen geführte Partei zu wählen. Dabei muss man wissen, dass die nicht-türkischen Muslime den Türken ebenfalls nicht über den Weg trauen würden, wie umgekehrt auch. Türkischstämmige und übrige Muslime halten nur zusammen und reden von „Gemeinsamer Sache“ also „Dava“, wenn es gegen die Juden und Israel geht. Ein Zusammenhalt in anderer „Dava“ (Sache) wäre der Islam, wenn sich die Muslime von anderen falsch verstanden fühlen.
„Allianz für Vielfalt?“
Eine andere Lachnummer ist im Namen der neuen Gruppierung enthalten. Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch. Würde man die neue Gruppierung auf diese Vielfalt hin befragen, würde wahrscheinlich ein Erklärungsnotstand ausbrechen, ist man doch so ziemlich gegen alles, was der eigenen Ideologie, Meinung und der Auslegung des politischen Islams widerspricht. Sie wollen zum Beispiel ins EU-Parlament, wo über 23.000 Akten mit Menschenrechtsverletzungen auf Bearbeitung warten. Die Türkei ist in diesem Zusammenhang absolute Spitze und das sicher nicht, weil man auf Vielfalt und Demokratie setzt.
Vorwürfe, die DAVA sei der verlängerte Arm der islamisch-konservativen türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, werden wohl zurückgewiesen, aber was soll man auch sonst tun? „Der Versuch, eine Partei für eine ethnische Gruppe zu etablieren, ist sehr, sehr gefährlich“, sagte Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, dem Tagesspiegel.
Beruhigend kann ich erwähnen, dass die AKP-Partei, in der Präsident Erdogan in Personalunion auch der Parteivorsitzende ist, nur durch seine Person zusammengehalten wird und nach seinem Abdanken, aus welchem Grund auch immer, wohl so kaum weiter existieren wird. Soll nicht heißen, dass die Türkei sich aus den Fängen des politischen Islams retten wird, nein, andere werden in dieser Richtung weitermachen, aber den Türkischstämmigen, die solche Gruppierungen wie DAVA und ADD in Deutschland bilden, wird die Luft ausgehen. Und es wird sich „ausgeerdogant“ haben.
Dabei fällt mir noch ein …
Das Wort „Dava“ wird im türkischen „Dawa“ ausgesprochen und schon sind wir bei einer anderen Baustelle gelandet. Bei dieser Schreibweise und Aussprache haben wir das arabische Wort „Dawa“. Da'wa ist einer der zentralen Begriffe im Islam. Im religiösen Sinn bezeichnete er ursprünglich die Einladung, den Ruf zum Islam. Im Zusammenhang mit dem Dschihad beschreibt „Dawa“ als rechtliche Institution die Aufforderung, den Islam anzunehmen, sich zu unterwerfen oder zu kämpfen. Im religiös-politischen Sinn drückt „Dawa“ den Anspruch auf religiöse und politische Führung der islamischen Gemeinschaft aus.
Auch wenn ich mit meiner Einschätzung davon ausgehe, dass die Gruppierung beziehungsweise die Partei DAVA in der politischen Landschaft Deutschlands kaum eine tragende Rolle spielen wird, so zeigt die Namenswahl und die Gedanken, die man im Vorfeld zur Namensgebung anstellte, vor welchen Schwierigkeiten Deutschland zukünftig stehen wird.
Ahmet Refii Dener, geb. 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und seinem Blog.