Gastautor / 19.12.2019 / 16:00 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Datenschutz: Wenn die Bahn Gretas Fahrstrecke mitteilt

Von Christian Sitter.

Von Landesdatenschutzbeauftragten sind wir ja schon einiges gewohnt, seit die DSGVO gilt. Einige vertraten anfangs die Auffassung, es gebe derzeit keine Rechtsgrundlage für das Veröffentlichen von Fotografien, auf dem Menschen abgebildet sind. Einer wollte im vergangenen Jahr sogar die Klingelschilder an Wohnhäusern entfernen

Eines ist allen Bundes- wie Landesdatenschützern gemein: Lob für ihre Arbeit bekommen sie eher selten. So ist es nicht verwunderlich, wenn in der Berliner Behörde sämtliche roten Lämpchen angehen, wenn DIE Lichtgestalt aller billig und gerecht Denkenden im Lande, die Klimaikone Greta Thunberg, in der Bahn durch Deutschland fährt und sich mit dem Social-Media-Team der Deutsche Bahn AG einen munteren Twitterchat liefert.

Greta reiste also in einem überfüllten Zug durch Deutschland und twitterte hierzu ein Foto, wie sie mit einem größeren Kofferkonvolut auf dem Boden sitzt. Die Antwort aus der Presseabteilung der Bahner kam prompt: 

„Wir haben uns gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst.... Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist.“

Wasser auf die Mühlen der Kritiker lieferten befragte Bahn-Servicemitarbeiter, die kundtaten, die Mitarbeiter hätten sich „ein Bein für sie ausgerissen und Greta verwöhnt".

Exit Klatschpresse, Auftritt Landesdatenschutzbehörde des Landes Berlin: die wolle "mit dem Konzern ein ernstes Wort reden", meldete der "Tagesspiegel", der ohne datenschutzrechtliche Grundlage personenbezogene Daten wie Reiseroute oder Sitzplatzreservierung, auch noch in der 1. Klasse, öffentlich gemacht habe.

In der Tat: so detailliert hatte es der prominente Fahrgast nicht mitgeteilt. Und so gab die Aufsichtsbehörde sich in ihrer Pressemitteilung erfreulich auskunftsfreudig: dies sei Datenverarbeitung, die einer Rechtsgrundlage bedürfe.  

Und so übertraf sich die deutsche Qualitätspresse wieder einmal bei der Suche nach der Superschlagzeile: "Twitter-Zoff um Greta Thunberg: Jetzt drohen der Deutschen Bahn Konsequenzen", titelte etwa der Münchnener Merkur. "Die Greta-Tweets der Deutschen Bahn haben nun ein Nachspiel", bellte der "Focus". "Für die Berliner Datenschutzbeauftragte ist das keine Bagatelle", meinte der "Spiegel".

Zwei Rechtsgrundlagen kommen hier in Betracht:

  1. Eine Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) DSGVO) hatte die junge Schwedin nicht erteilt. 
  2. Ein berechtigtes Interesse (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO) für die Veröffentlichung ist denkbar, steht aber nach dem Gesetzestext unter dem Vorbehalt einer Interessenabwägung, "insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt". 

Schauen wir uns hingegen die Rechtsgrundlage "berechtigtes Interesse" einmal näher an: das Bild der inmitten ihrer vielen Koffer und Reisetaschen auf dem Boden sitzenden Greta, Sie haben es sicherlich schon gesehen, erweckt Mitleid und evoziert unweigerlich die Frage: Konnten denn die grausamen Bahner, wenn eine "weltberühmte Klimaaktivistin" sich schon nach langer, zehrender Reise im Namen des Guten erbarmt, ihr kümmerliches Reisemittel also aufzuwerten, nicht wenigstens einen einzigen Sitzplatz freihalten?

Darf dann das angesprochene und ohnehin an positiven Schlagzeilen alles andere als verwöhnte Unternehmen, das durchaus einen, auch mehrere Plätze freigehalten und dem prominenten Fahrgast alle Wünsche von den Augen abgelesen hatte, zumindest mitteilen: "Wir haben uns ja bemüht, liebe Greta, hau bitte nicht so fest drauf?" 

Im Äußerungsrecht nennt man das wohl "Recht zum Gegenschlag". Im Presserecht kommt hinzu: Wer selber persönliche Details von sich offenbart, muss sich nicht wundern, wenn diese dann auch Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung werden (sog. "Selbstöffnung"). 

Hierbei scheint es sich um ein allgemeines Rechtsprinzip zu handeln, das auch von sehr strikten datenschutzrechtlichen Regelungen nicht völlig unberührt bleiben kann, oder?

Ihr Gefühl trügt nicht, lieber Leser. So kompliziert und weltfremd ist das neue Datenschutzrecht gar nicht. In Erwägungsgrund 47 zur DSGVO lesen wir:

Ein berechtigtes Interesse könnte beispielsweise vorliegen, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehungzwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen besteht, z. B. wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist oder in seinen Diensten steht. 3Auf jeden Fall wäre das Bestehen eines berechtigten Interesses besonders sorgfältig abzuwägen, wobei auch zu prüfen ist, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird. (Hervorhebung durch den Autor)

Und wenn Sie mich fragen: Natürlich durfte und mußte Greta davon ausgehen, dass die Deutsche Bahn AG die Gelegenheit zum Gegenschlag nutzen würde. Ein schutzwürdiges, gar überwiegendes Interesse, die Öffentlichmachung der Fahrt in der 1. Klasse zu verhindern, vermag ich nicht zu erkennen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die Berliner Datenschützer diese Erwägungen durchaus kennen. Deshalb wollen sie ja auch nur "sprechen". Von Bußgeld ist nicht die Rede. Aber schöne Schlagzeilen hatten sie in jedem Fall. Die Öffentlichkeit wird wohl von diesem "Datenskandal" nie wieder hören. 

Christian Sitter ist Rechtsanwalt in Gotha, Datenschutzbeauftragter und Autor des Buches "Fit für die DSGVO". 

Foto: Pixabay

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Leserpost

netiquette:

Lars Schweitzer / 19.12.2019

Was Gretas Team da gemacht hat, ist doch üble Nachrede. Die können froh sein, dass die Bahn nur einen nachsichtigen Tweet abgesetzt hat.

Klaus U. Mayerhanns / 19.12.2019

Der höchst fragwürdige Datenschutz moderner Prägung (engagiert mitinszeniert durch Bevormundungs-Gestalten wie Ska Keller und Sven Giegold)  treibt häufig - wie unter anderem im vorliegenden Zusammenhang - hanebüchene Blüten, indem hier augenscheinlich berechtigte Kritik kurzerhand erstickt werden soll ! !

Klaus Biskaborn / 19.12.2019

Unglaublich was in diesem Land abgeht wenn es um Greta geht, haben diese Datenschutzbeauftragten, Journalisten und User aller möglichen Foren den lieben lang Tag nichts Besseres zu tun, als sich um diese Nebensächlichkeit ersten Ranges zu kümmern. In welch erbarmungswürdig geistigem Niveau befindet sich dieses Land?

Hans Styx / 19.12.2019

Nach der mutmaßlichen öffentlichen Falschbehauptung Gretas, sie habe im ICE auf dem Boden sitzen müssen, bezieht sich die Klarstellung des Unternehmens auf einen von der Schülerin selbst bekanntgegebenen Umstand (Fahrt mit dem ICE) und dürfte im Ergebnis eine Wahrnehmung berechtigter Interessen darstellen.

U. Unger / 19.12.2019

Hui! Glaube gerade beim betrachten der welt verlinkung erkannt zu haben, das Sie einen klappbaren Zusatzsitz im Eingangsbereich als Rückenlehne zu nutzen scheint. Echt clever!  Nebenan im Hintergrund ein Mülleimer! Dürfte wohl im Eingangsbereich typischerweise so aussehen. Die Photoforensik könnte genaueres beweisen. Für Eisenbahnkenner sicher leicht möglich den Aufenthaltsort im Wagen ziemlich genau zu ermitteln. Eine geübte Kommissarin unter Ihnen? Ich gehe mal in Eisenbahnforen nach Innenraumfotos leerer Züge zu suchen. Melde mich, sobald sich meine Vermutung irgendwie genauer ausschließen oder erhärten läßt. Übrigens, wer sieht auf dem Foto / Video Passanten / Mitreisende? Toll, die Achse mit Greta Bilderrätseln werde ich 2020 weiter paten. (Oder gibts dafür ein anderes Verb?)

Eleonore Weider / 19.12.2019

Den Spiegel wird sowieso noch einen Falschmeldung aus 1993 einholen, der soll mal ganz still halten: Dieses Mal geht es um die Titelgeschichte „Der Todesschuss. Versagen der Terrorfahnder“ (Ausgabe 27/1993) aus der Feder von Starreporter Hans Leyendecker. die den damaligen Innenminister Rudolf Seiters zum Rücktritt zwang und für den Generalbundesanwalt Alexander von Stahl mit dem einstweiligen Ruhestand endete. Dieser wehrt sich jetzt an den “Spiegel” gewandt hat und schonungslose Aufklärung verlangt. Wer schützt uns eigentlich vor dem Datenschutz?

Mark Schimmer / 19.12.2019

Es mag sein, dass der beschworene Datenskandal nie verfolgt wird, aber darum ging es den Medien doch nach mE auch nicht.  Der Erstschlag muss sitzen - da bleibt immer etwas haften.  Was danach kommt, interessiert keinen mehr.  Die Schraube muss immer ein Stück vorwärts gedreht werden.

Sebastian Weber / 19.12.2019

Skandalös ist keinesfalls die Vorgehensweise der Bahn, sondern das der mutmaßlichen (ich glaube, hier ist dieses Wort mal angebracht) Datenschutzbeauftragten. Jede(r) macht sich so gut wichtig, wie er/sie kann ...

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