Interview / 13.02.2020 / 10:00 / Foto: Achgut.com / 74 / Seite ausdrucken

Das Thüringen-Chaos ist besser als jeder Tatort

Henryk.M Broder, Mit-Herausgeber und Fachmann für asiatische Fast-Food-Spezialitäten, wurde von BILD zu einem Interview eingeladen. Anlass war sein neues Buch „Wer wenn nicht ich“. Nach langem Nachdenken und mehreren Sitzungen bei seinem Hausrabbiner und Ernährungsberater nahm er die Einladung an und traf sich mit dem BILD-Reporter Ralf Schuler an einem konspirativen Ort in Caputh bei Potsdam

BILD: Ist die Wahl des FDP-Kandidaten in Thüringen eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte oder ein Stück aus dem deutschen Tollhaus?

Henryk M. Broder: „Ich bin mir ziemlich sicher, es ist eine Aufführung aus der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ein Stück von Falk Richter oder Elfriede Jelinek unter dem Titel ,Aus dem deutschen Tollhaus', wie das TV-,Millionenspiel' von Wolfgang Menge 1970, das viele Zuschauer für ,bare Münze' genommen haben. Ich verfolge es auch im Fernsehen und finde es wirklich gelungen, besser als jeder Tatort. Aber es kann nicht ,echt' sein. Unmöglich, dass die Kanzlerin fordert, ein Ereignis oder Ergebnis ,rückgängig' zu machen. Dann müsste sie ja mit der Grenzöffnung vom September 2015 anfangen.“

Gleich mehrfach beschäftigen Sie sich mit dem „Klimanotstand“ und dass die Deutschen damit wieder eine Mission zur Weltrettung haben. Haben Sie Angst vor dem Klima-Eifer der Deutschen?

Broder: „Angst habe ich nur vor den Geisterfahrern auf der A9, auf der ich öfter unterwegs bin. Wenn Städte und Gemeinden wie Konstanz, Ludwigslust und Radolfzell den „Klimanotstand“ ausrufen, dann finde ich das nur albern. Offenbar haben sie alle wirklichen Probleme schon gelöst. Dahinter steckt tatsächlich der urdeutsche Wunsch, mit gutem Beispiel voranzugehen, nicht nur gut, sondern auch besser als die anderen zu sein. Ein Prozent der Weltbevölkerung, das für etwa zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen zuständig ist, glaubt, die Welt retten zu können, wenn es sparsam heizt und Bananen aus regionalem Anbau kauft.“

Sie selbst sind wegen ihrer bissigen Texte immer wieder angefeindet worden. Heute erscheinen die öffentlichen Debatten unversöhnlicher, aggressiver. Wie nehmen Sie das Meinungsklima wahr?

Broder: „Ich hatte immer großen Spaß an Auseinandersetzungen, bis hin zum Krawall. Freunde und Feinde haben mich allzeit ermahnt, nicht zu provozieren. Das war in den 60er und 70er Jahren nicht anders als heute. Ich glaube nicht, dass die Debatten unversöhnlicher und aggressiver geworden sind, wir nehmen das so wahr, weil sich das Karussell, dem Internet sei Dank, schneller dreht. 

Und weil immer mehr Menschen eine Meinung haben, die sie nicht für sich behalten wollen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als Manuskripte mit der Post verschickt wurden und kein Mensch wusste, was ein Shitstorm ist. „Political Correctness“ existierte nicht einmal als Fremdwort. Heute soll sich ein 500 Jahre altes Augsburger Hotel, das „Drei Mohren“ heißt, umbenennen, am besten in „People of Colour“. Das ist der neue Rassismus, der unter der Fahne des Anti-Rassismus daherkommt. Und die Nazis haben nicht sechs Millionen Juden ermordet, sondern ‚Jüdinnen und Juden‘. Das ist doch krank.“

Für Ihre Kritik an der Migrationspolitik der Bundesregierung werden Sie selbst inzwischen ebenfalls als „rechts“ angefeindet. Trifft Sie das?

Broder: „Nein. Als ich zu schreiben anfing, das ist jetzt über 50 Jahre her, war jeder ein „Bolschewik“, der DDR ohne Anführungszeichen schrieb oder Frantz Fanon las. Heute ist man „rechts“, wenn man nicht mit Teddybären nach Migranten wirft und der Meinung ist, dass Grenzen wichtig und Grenzkontrollen nötig sind. Und wenn das Eintreten für individuelle Freiheit, öffentliche Sicherheit und eine vernünftige Balance zwischen nationalen Interessen und internationalen Aufgaben „rechts“ ist, dann bin ich eben rechts. Geschenkt.“

Sie beobachten, kommentieren und analysieren seit mehr als 40 Jahren die deutsche Politik. In letzter Zeit mischen sich immer öfter resignierte bis depressive Töne in Ihre Texte. Ist Deutschland noch zu retten?

Broder: „Da ist was dran. Ich pendle zwischen Depression und Aggression. Das Schreiben bewahrt mich davor, irre zu werden. Aggression ist gesünder als Depression. Ich habe es mir nicht vorgenommen, Deutschland zu retten. Daran sind schon zu viele gescheitert. Eher würde ich eine Reise zum Mittelpunkt der Erde unternehmen. Was Sie als depressiv bzw. resignativ wahrnehmen, könnte auch ein Zeichen von ‚Integration‘ und ‚Reife‘ sein. Deutschland hadert mit sich selbst. Und ich hadere mit.“ 

Jüdisches Leben sei in Deutschland wieder mehr und mehr mit „Risiken und Nebenwirkungen“ verbunden, schreiben Sie. Wächst der Antisemitismus in Deutschland

Broder: „Ja und nein. Er hat eine Weile geschlummert und erwacht nun zu einem neuen Leben. Auch der Judenhass geht mit der Zeit. Der klassische Antisemitismus christlicher Prägung ist praktisch tot, der rassische Antisemitismus auch. Wer heute ein Antisemit ist, der sagt nicht ‚Die Juden sind unser Unglück‘, sondern ‚Israel ist unser Unglück‘. Wir haben einen Außenminister, der ‚wegen Auschwitz in die Politik‘ gegangen ist und nichts dabei findet, die iranischen Mullahs zu umwerben, die Israel vernichten wollen. Wir haben einen Bundespräsidenten, der sich am Grab von Jassir Arafat ebenso tief verbeugt wie in Yad Vashem. Und wir haben über ein Dutzend Antisemitismus-Beauftragte, die bestens untereinander vernetzt sind, sich nur nicht darauf einigen können, was Antisemitismus heute bedeutet.“

Es fällt auf, dass Sie sich meist hinter Satire, Ironie und bewusster Überzeichnung verbergen. Wie sieht Ihr Blick auf Land und Leute hinter dieser Fassade aus?

Broder: „Ich verberge mich nicht. Ich gehe sogar auf FfF-Demos. Satire, Ironie und bewusste Überzeichnung sind in Deutschland weit verbreitete Stilmittel. Schauen Sie sich nur die neuen SPD-Vorsitzenden an. Ich wünschte, ich könnte mit den beiden mithalten.“

Hier gehts zur Erstveröffentlichung in Bild.

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Jürgen Keil / 13.02.2020

Neues Deutschland fiktiv“ auf Seite 2 In der vorigen Woche tagte das Politbüro in Berlin. Einziger Tagesordnungspunkt: Kaderfragen. Die Beschlussvorlage „PB/Kader/RdBE/2020, personelle Zusammensetzung des Rates des Bezirkes Erfurt“, welche die Abteilung Kader des Zentralkomitees einbrachte, wurde einschließlich eines Änderungsvorschlages, den Generalsekretär Genosse Erich Honecker einbrachte und begründete, einstimmig und ohne Diskussion beschlossen. Der Änderungsvorschlag des Generalsekretärs betraf die Absetzung des, ohne Zustimmung des Politbüros gewählten Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt, Genossen Herbert Renitenter, dem parteischädigenden Verhalten vorgeworfen werden konnte. Den Abgeordneten des Rates des Bezirkes Erfurt wurde aufgetragen, als neuen Ratsvorsitzenden den Genossen Werner Seltsam zu wählen. Gegen die Vorsitzende der Kaderkommision der Bezirksleitung Erfurt wurde ein Parteiverfahren wegen „fehlender Wachsamkeit gegenüber dem Klassenfeind“ eingeleitet. Wie die Pressestelle des Zentralkomitees dem ND fiktiv gestern mitteilte, haben die Werktätigen des Bezirkes Erfurt in vielen Schreiben an den Generalsekretär ihre Zustimmung zu dem gefassten Beschluss bekundet und ihn als außerordentlich wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der sozialistischen Demokratie begrüßt. NDf

Uta Buhr / 13.02.2020

Na, wenn das nichts ist. Diesmal kam der Tatort aus Afrika. Die Öffis werden immer bunter und internationaler. Im nächsten wird unsere allseits geliebte Kanzlerette wohl höchstselbst als Kommissarin mit der einzig richtigen Haltung in einer als Krimi getarnten Lehrstunde für echte Demokratie auftreten. Wer, wenn nicht sie, versteht es besser, das Volk zu indoktrinieren. Und das gelingt zur besten Sendezeit am Sonntag um 20.15 Uhr nach der stets aggressiv gegen rääääääächts gerichteten Tagesschau doch ganz vorzüglich. Mir erzählte gerade ein Freund, der in allen Kreisen unserer Gesellschaft herumkommt, dass für die meisten seiner Kunden ARD und ZDF Evangelium sind und diese sich gar nicht bemühen, alternative Medien,  wie beispielsweise die Achse, Tichy et al, zu konsumieren. Also - alles gut in Doofland. Worüber regen wir uns hier eigentlich auf? Die Erkenntnis, wie das Volk von unseren Politikdarstellern verarscht wird, kommt erst, wenn der Strom ausfällt und alle im Dunklen sitzen. Wetten, dass dem einen oder anderen dann doch ein Lichtlein aufgeht? Lieber Herr Broder, auch für mich sind Ihre Artikel stets eine Labsal. Ihre Satire lässt mich nicht total an den Verhältnissen in dieser Bananenrepublik verzweifeln. Dafür sei Ihnen Dank! Apropos Bananen, die werden wir doch bald dank des Klimawandels in unseren Vor- und Schrebergärten anbauen können. Ich habe mir zu diesem Behufe schon einmal mehrere Stauden gesichert…

Ilona Grimm / 13.02.2020

@Fritz Kolb: Gut zu wissen, dass man wegen der Patenschaften erinnert wird. Ich habe 2019 drei übernommen und werde sie jeweils erneuern, wenn es soweit ist und ich erinnert werde. Sehr schön.

Ilona Grimm / 13.02.2020

Wäre ich nicht schon seit der Deutschland-Safari ein Broder-Fan, würde ich spätestens jetzt einer werden. Broder, Broder über alle(s)... Gerne bin ich mit Ihnen „rechts“, weil ich auch nicht mit Teddybären nach Migranten werfe—- und die Einhaltung von Gesetzen incl. GG und der Thüringer Verfassung auch von der Ewigen Kanzlerin erwarte und verlange, nichts gegen unsere Landesflagge habe, beim Deutschlandlied nicht ins Zittern gerate, mir nach außen gesicherte und überwachte Landesgrenzen, eine zuverlässige Energieversorgung, eine prosperierende Wirtschaft, ein Ende der ‘Immigration für jeden’ wünsche—- und, und, und.  Die Realität mit Satire übertreffen zu wollen, ist heutzutage unmöglich. Das SPD-Führungsduo ist der ultimative Beweis dafür.  Danke, werter Herr Broder,  ich habe sehr gelacht. Auch über die Bananen aus regionalem Anbau, nach denen ich demnächst mal in meinem AfD-Hirse-befreiten Bioladen fragen werde.  P.S.: Was macht eigentlich Hamed Abdel-Samad? Ich habe schon länger nichts mehr von ihm gehört oder gelesen.

J. Schad / 13.02.2020

“... der urdeutsche Wunsch, ..., nicht nur gut, sondern auch besser als die anderen zu sein.” - - - Ja, das könnte stimmen, Herr Broder! Mir fällt ein geschichtliches Beispiel zu den möglichen preußischen Wurzeln dieser Ambition ein: Die hochbetagte Queen Viktoria gab ein Bankett mit allen wichtigen Botschaftern und Gesandten anderer Länder. Kaum fing man an, zu dinieren, als ein deutlich vernehmbarer Furz von der ansonsten ungerührt weiterspeisenden Queen erschallte. Mitten in die pikiert-peinliche Situation sprang, ganz Kavalier, der französische Botschafter auf, fasste sich in die Magengegend und sagte: “Ich bitte Sie alle um Entschuldigung für mein Missgeschick. Schon lange plagen mich solche Probleme. Bitte üben Sie Nachsicht.” Kaum dass sich die Zufriedenheit über die gerettete Situation breit machte, da erschallte schon der nächste, laut vernehmliche Furz von der wiederum ungerührten Queen. Jetzt war es der russische Botschafter, der aufsprang und um Entschuldigung für “sein” Missgeschick bat. Der ebenfalls anwesende preußische Botschafter war dabei ganz unruhig geworden. Zweimal hatte er die Gelegenheit verpasst, zu zeigen, dass auch den Preußen in puncto “selbstloser Kavalier” niemand etwas vormachen könne. Unruhig darüber und voller Ungeduld sprang er unvermittelt auf und sagte forsch in die Runde: “Die nächsten beiden Fürze gehen auf mich!” (Ich habe vergessen, wo ich die Geschichte her habe und ob sie stimmt. Falls sie sich nicht tatsächlich so zugetragen hat, ist sie perfekt erfunden.)

Rudhart M. H. / 13.02.2020

Nun, um besser als ein Tatort zu sein, braucht es wirklich nicht sehr viel ! Da ist jede Sesamstraße in sich konkludenter und auch halb so idiotisch vom Drehbuch her gesehen. Es ist auch an sich kein Krimi , denn es ist bloß eine Farce.

Hans Kloss / 13.02.2020

Wie immer in guter Form. Es macht Hoffnung wenn Leute wie Herr Broder sich Zeit nehmen und die Realität mit Worten fassen um sie manchmal ein Bisschen in der Richtung der Vernunft zu schieben. Das mit Antisemitismus-Beauftragten hat mich schon lange gewundert - sind sie da um Antisemitismus zu bekämpfen, darüber sich unterhalten zu können oder sie sehen zu dass er wächst und gedeiht? Werden wir wohl nie so genau wissen.

Martin Stumpp / 13.02.2020

Lieber Herr Broder, wieder etwas zum Lachen. Sie sind und bleiben ein Genie.

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