Henryk.M Broder, Mit-Herausgeber und Fachmann für asiatische Fast-Food-Spezialitäten, wurde von BILD zu einem Interview eingeladen. Anlass war sein neues Buch „Wer wenn nicht ich“. Nach langem Nachdenken und mehreren Sitzungen bei seinem Hausrabbiner und Ernährungsberater nahm er die Einladung an und traf sich mit dem BILD-Reporter Ralf Schuler an einem konspirativen Ort in Caputh bei Potsdam
BILD: Ist die Wahl des FDP-Kandidaten in Thüringen eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte oder ein Stück aus dem deutschen Tollhaus?
Henryk M. Broder: „Ich bin mir ziemlich sicher, es ist eine Aufführung aus der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ein Stück von Falk Richter oder Elfriede Jelinek unter dem Titel ,Aus dem deutschen Tollhaus', wie das TV-,Millionenspiel' von Wolfgang Menge 1970, das viele Zuschauer für ,bare Münze' genommen haben. Ich verfolge es auch im Fernsehen und finde es wirklich gelungen, besser als jeder Tatort. Aber es kann nicht ,echt' sein. Unmöglich, dass die Kanzlerin fordert, ein Ereignis oder Ergebnis ,rückgängig' zu machen. Dann müsste sie ja mit der Grenzöffnung vom September 2015 anfangen.“
Gleich mehrfach beschäftigen Sie sich mit dem „Klimanotstand“ und dass die Deutschen damit wieder eine Mission zur Weltrettung haben. Haben Sie Angst vor dem Klima-Eifer der Deutschen?
Broder: „Angst habe ich nur vor den Geisterfahrern auf der A9, auf der ich öfter unterwegs bin. Wenn Städte und Gemeinden wie Konstanz, Ludwigslust und Radolfzell den „Klimanotstand“ ausrufen, dann finde ich das nur albern. Offenbar haben sie alle wirklichen Probleme schon gelöst. Dahinter steckt tatsächlich der urdeutsche Wunsch, mit gutem Beispiel voranzugehen, nicht nur gut, sondern auch besser als die anderen zu sein. Ein Prozent der Weltbevölkerung, das für etwa zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen zuständig ist, glaubt, die Welt retten zu können, wenn es sparsam heizt und Bananen aus regionalem Anbau kauft.“
Sie selbst sind wegen ihrer bissigen Texte immer wieder angefeindet worden. Heute erscheinen die öffentlichen Debatten unversöhnlicher, aggressiver. Wie nehmen Sie das Meinungsklima wahr?
Broder: „Ich hatte immer großen Spaß an Auseinandersetzungen, bis hin zum Krawall. Freunde und Feinde haben mich allzeit ermahnt, nicht zu provozieren. Das war in den 60er und 70er Jahren nicht anders als heute. Ich glaube nicht, dass die Debatten unversöhnlicher und aggressiver geworden sind, wir nehmen das so wahr, weil sich das Karussell, dem Internet sei Dank, schneller dreht.
Und weil immer mehr Menschen eine Meinung haben, die sie nicht für sich behalten wollen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als Manuskripte mit der Post verschickt wurden und kein Mensch wusste, was ein Shitstorm ist. „Political Correctness“ existierte nicht einmal als Fremdwort. Heute soll sich ein 500 Jahre altes Augsburger Hotel, das „Drei Mohren“ heißt, umbenennen, am besten in „People of Colour“. Das ist der neue Rassismus, der unter der Fahne des Anti-Rassismus daherkommt. Und die Nazis haben nicht sechs Millionen Juden ermordet, sondern ‚Jüdinnen und Juden‘. Das ist doch krank.“
Für Ihre Kritik an der Migrationspolitik der Bundesregierung werden Sie selbst inzwischen ebenfalls als „rechts“ angefeindet. Trifft Sie das?
Broder: „Nein. Als ich zu schreiben anfing, das ist jetzt über 50 Jahre her, war jeder ein „Bolschewik“, der DDR ohne Anführungszeichen schrieb oder Frantz Fanon las. Heute ist man „rechts“, wenn man nicht mit Teddybären nach Migranten wirft und der Meinung ist, dass Grenzen wichtig und Grenzkontrollen nötig sind. Und wenn das Eintreten für individuelle Freiheit, öffentliche Sicherheit und eine vernünftige Balance zwischen nationalen Interessen und internationalen Aufgaben „rechts“ ist, dann bin ich eben rechts. Geschenkt.“
Sie beobachten, kommentieren und analysieren seit mehr als 40 Jahren die deutsche Politik. In letzter Zeit mischen sich immer öfter resignierte bis depressive Töne in Ihre Texte. Ist Deutschland noch zu retten?
Broder: „Da ist was dran. Ich pendle zwischen Depression und Aggression. Das Schreiben bewahrt mich davor, irre zu werden. Aggression ist gesünder als Depression. Ich habe es mir nicht vorgenommen, Deutschland zu retten. Daran sind schon zu viele gescheitert. Eher würde ich eine Reise zum Mittelpunkt der Erde unternehmen. Was Sie als depressiv bzw. resignativ wahrnehmen, könnte auch ein Zeichen von ‚Integration‘ und ‚Reife‘ sein. Deutschland hadert mit sich selbst. Und ich hadere mit.“
Jüdisches Leben sei in Deutschland wieder mehr und mehr mit „Risiken und Nebenwirkungen“ verbunden, schreiben Sie. Wächst der Antisemitismus in Deutschland
Broder: „Ja und nein. Er hat eine Weile geschlummert und erwacht nun zu einem neuen Leben. Auch der Judenhass geht mit der Zeit. Der klassische Antisemitismus christlicher Prägung ist praktisch tot, der rassische Antisemitismus auch. Wer heute ein Antisemit ist, der sagt nicht ‚Die Juden sind unser Unglück‘, sondern ‚Israel ist unser Unglück‘. Wir haben einen Außenminister, der ‚wegen Auschwitz in die Politik‘ gegangen ist und nichts dabei findet, die iranischen Mullahs zu umwerben, die Israel vernichten wollen. Wir haben einen Bundespräsidenten, der sich am Grab von Jassir Arafat ebenso tief verbeugt wie in Yad Vashem. Und wir haben über ein Dutzend Antisemitismus-Beauftragte, die bestens untereinander vernetzt sind, sich nur nicht darauf einigen können, was Antisemitismus heute bedeutet.“
Es fällt auf, dass Sie sich meist hinter Satire, Ironie und bewusster Überzeichnung verbergen. Wie sieht Ihr Blick auf Land und Leute hinter dieser Fassade aus?
Broder: „Ich verberge mich nicht. Ich gehe sogar auf FfF-Demos. Satire, Ironie und bewusste Überzeichnung sind in Deutschland weit verbreitete Stilmittel. Schauen Sie sich nur die neuen SPD-Vorsitzenden an. Ich wünschte, ich könnte mit den beiden mithalten.“
Hier gehts zur Erstveröffentlichung in Bild.