Günter Ederer / 14.03.2023 / 15:30 / Foto: Achgut.com / 71 / Seite ausdrucken

Das Manifest der Egoisten

Das „Manifest für den Frieden“ aber ist ein Manifest des „mir egal“, Hauptsache ich werde nicht allzu sehr belästigt.

Ein „Manifest für den Frieden“ unterschreibe ich sofort. Wer ist denn so unverantwortlich und will den Krieg? Ich habe auch einen Horror von der Vorstellung, dass Atomwaffen in die Hände ruchloser Verbrecher gelangen, um sich selbst an der Macht zu halten – Nordkorea und der Iran sind solch irre Regime, denen ich das zutraue. Leider droht auch Russlands Diktator Putin mit dieser tödlichen Waffe, sollte er seine schräge Weltsicht nicht durchsetzen können. Über 600.000 Deutsche haben ein „Manifest für den Frieden“ unterschrieben. Aber haben sie auch den Text gelesen und verstanden, was da zwei Frauen und ein ehemaliger Bundeswehrgeneral als Friedensmanifest ausgeben? Ja, ich sehne mich auch nach dem Frieden in der Welt und besonders für die vom täglichen Tod bedrohten Menschen in der Ukraine. Aber dieses „Manifest für den Frieden“ der sich selbst darstellenden Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht hätte ich nie unterschrieben, denn es ist kein Beitrag für den Frieden, sondern die schamlose Ausnutzung der Angst vor dem Krieg.

Unterwerfung aus Angst

Es mag sein, dass sowohl unter den weitgehend prominenten Erstunterzeichnern und noch mehr unter den über 600.000 MitunterschreibernMenschen sind, die lähmende Angst vor einem Krieg oder sogar Atomkrieg haben. Aber während in dem besagten Text noch festgestellt wird, „die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“, wird der Ukraine geraten, sich doch nicht zu wehren, wenn sie so langsam von der Landkarte durch Bomben getötet, von einer Soldateska vergewaltigt, ihre Kinder zur Zwangsumerziehung entführt werden. Was ist das für ein Frieden?

In dem ganzen Manifest findet sich kein Wort an Putin adressiert, mit dem Vernichtungsfeldzug aufzuhören. Dagegen wird der ukrainische Präsident Selenskyi angeklagt, er mache aus seinem Ziel kein Geheimnis, fordere er jetzt auch noch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe. Ja, sowas: Da wird ein Staat brutal überfallen und jetzt erhoffen die vom Tod bedrohten Menschen auch noch die Hilfe, die es ihnen ermöglicht, sich zu wehren! In dem Papier, das nicht dem Frieden, sondern der Unterwerfung unter eine Diktatur dient, wird festgestellt, dass, je erfolgreicher die Ukraine den Aggressor vertreiben würde, um so größer die Gefahr eines 3. Weltkrieges samt Atomschlag sei. Was für eine Logik: Die neue Weltordnung heißt also: Wer Atomwaffen hat, kann um des lieben Friedens willen die Grenzen und Einflusssphären seines Unrechtsstaates beliebig ausdehnen.

Das Recht der Atombombe

Diese Logik wird auch in dem Schrieb bemüht – es fällt mit schwer, ein solch oberflächliches Pamphlet als Manifest zu bezeichnen – wenn der amerikanische General Milley zitiert wird:

„Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen, aber gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg.“ Da wird das ganze Elend dieses Krieges, der in Russland noch nicht einmal so genannt werden darf, sichtbar. Von Anfang an war es für die wenigsten im Westen vorstellbar, dass die Ukraine nicht in wenigen Tagen besiegt sei, egal ob von Militärs, Politikern oder auch nur Stammtischstrategen. Mit Bewunderung und Erstaunen sehen wir aus sicherer Entfernung zu, wie die Ukrainer sich wehren, als motivierte Kämpfer bereit sind, für die Existenz und Freiheit ihres Landes unsägliches Leid zu ertragen oder sogar zu sterben.

Ein „Manifest für die Freiheit“ der Ukraine würde ich auch sofort unterschreiben. Darin müsste dann stehen, was die Beteuerungen der westlichen Staaten und ihrer Verantwortlichen auf den vielen bilateralen Treffen und multinationalen Konferenzen wert sind, in denen die Solidarität mit der Ukraine betont wird. Mittlerweile haben alle wichtigen und weniger wichtigen Staatschefs auch beteuert, sie werden die Ukraine unterstützen so lange das nötig ist und mit allem Material (Waffen) helfen, damit Putin den Krieg nicht gewinnt oder je nach semantischer Vorliebe, „damit die Ukraine den Krieg gewinnt“.

So lernen wir alle, dass Leopard, Puma, Gepard etc. nicht nur Großkatzen sind, sondern Panzer, und wir diskutieren, was davon geliefert werden kann oder soll. Nicht diskutiert wird, wie viele ukrainische Soldaten und Zivilisten sterben, weil die Staaten erst herausfinden müssen, wer zuerst zuckt, und wieder eine Waffengattung bewilligt. Ist das nicht ein zynisches Verhalten? Wir, also der Westen, lässt sich viel Zeit, unter anderem auch, um nicht als Kriegsteilnehmer wahrgenommen zu werden, bis wir jene Waffen liefern, die es der Ukraine ermöglichen, entweder besetztes Land zurückzuerobern oder neue Angriffe abzuwehren. Wenn dazu Langstreckenraketen, Flugzeuge und Schiffe nötig sind, dann sollte das auch gemacht werden und nicht erst zu einem Zeitpunkt, wenn die ganze Ukraine so aussieht wie Mariupol und weitere zehn Millionen Ukrainer das Land verlassen mussten.

Der Preis der Freiheit

Die Furcht, aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine könne sich sogar ein 3. Weltkrieg entwickeln, ist nicht unbegründet. Natürlich ist die NATO an dem Krieg beteiligt. Denn längst ist deutlich, dass es nicht darum geht, ob die Krim von Moskau oder Kiew regiert wird und ob vier Provinzen (Oblast) Russland überlassen werden. In Moskau hat der KGB-Agent Wladimir Putin eine Diktatur etabliert, es geht längst darum, ob „der Westen“ bereit ist, knapp 50 Millionen Menschen dieser Diktatur auszuliefern. Und es geht darum, wie viele Machthaber in dieser Welt zuschauen, ob der Westen bereit ist, für Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen oder ob wir ein Jahrhundert der autoritären Regime beginnen. Und es ist keineswegs so, dass die Zahl der Staaten und der Menschen, die in einer freiheitlichen Demokratie leben, zunimmt.

So hat der „Westen“ zugeschaut, als unter dem Bruch bestehender Verträge die Volksrepublik China die Demokratie in Hongkong beseitigte. 7 Millionen Menschen haben ihre Freiheit verloren, ohne das Peking dafür einen Preis zahlen musste.

Auf dem Egotrip

Das „Manifest für den Frieden“ ist deshalb so peinlich, weil es keinen Unterschied macht, ob wir – und damit meine ich zuerst die Deutschen, dann die Europäer und schließlich die ganze demokratische Welt, einen Staat unterstützen, der genau darum kämpft, dass seine Bürger in einer Demokratie mit Presse- und Meinungsfreiheit leben können und in Gefahr ist, von einer brutalen Diktatur unterjocht zu werden. Ich unterstelle den beiden Initiatorinnen keine hehren Motive oder Naivität. Sie sind beide intelligent genug, um zu wissen, dass ihr Papier nicht dem Frieden und schon gar nicht der Freiheit hilft. Für Sahra Wagenknecht ist das die Chance, ihrem politischen Traum ein Stück näher zu kommen, eine eigene Partei als Plattform für ihren wirtschaftliche Erfolg zu schaffen. Das Manifest sichert Talkshowauftritte und die helfen, ihre Bücher zu verkaufen und Vorträge zu generieren. 

Auch Alice Schwarzer ist mir bisher nicht als Expertin für die Sowjetunion, Russland oder China aufgefallen. Wohl aber hat sie es geschafft, immer im Gespräch zu sein. Selbst eine Steuerhinterziehung hat sie ohne großen Imageverlust überstanden, schließlich kämpft sie für die Gleichberechtigung. Bei der Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor war dann auch ein überdimensionales Plakat zu sehen: „Emma für den Frieden“. Werbung muss halt auch sein. Und davon versteht Alice eine ganze Menge.

1979, ein paar Tage nachdem Khomeini in Teheran angekommen ist, war ich für das ZDF im Iran. Eines morgens saß dann Alice Schwarzer in der Hotellobby. Sie wolle zu Khomeini, um dort gegen den Kopftuchzwang zu protestieren. Meine Dolmetscherin versuchte ihr das auszureden, weil zwecklos und möglicherweise gefährlich. Nach ein paar Tagen flog sie unverrichteter Dinge zurück nach Deutschland. Aber mehrfach hörte und las ich dann von ihrer Reise gegen das Kopftuch. Marketing ist alles. Auch auf dem Podium der Protestveranstaltung am 24. Februar in Berlin agierte sie – strahlend, wie ein Conférencier – als ob es sich um ein lustiges Volksfest handele. In ihrer Rede wiederholte sie die stereotype Behauptung, es handele sich in der Ukraine um einen Stellvertreter-Kampf zwischen den USA und Russland. Ein Schuss Antiamerikanismus gehört halt auch dazu, um seine jahrelang gehegte Fehleinschätzung von Putins Russland zu übertünchen.

Auf einer Wellenlänge: AfD, Selbstdarsteller und Linksaußen

Diese Mischung aus Putin schonender Grundhaltung, aus antiamerikanischer Kapitalismusschelte und notorischer Selbstdarstellung beschert den Egodamen unwillkommene Verbündete, die auf derselben Welle Zustimmung erhoffen. Wurde doch sehr schnell bekannt, dass auch Tino Chrupalla, AfD-Co-Bundesvorsitzender, das Pamphlet mitunterzeichnet hat. „Alle, die ehrlichen Herzens sind, sind herzlich willkommen“, hatten Sahra Wagenknecht und ihr gleich gelagerter Ehemann Oskar Lafontaine verkündet. Aber nun stehen sie vor dem Dilemma, dass sie feststellen müssen, wer ehrlichen Herzens, antiamerikanisch und Russland schonend zwar die gleiche Gesinnung hat, aber unehrlich ist – unehrlich gegenüber wem? Und reicht eine AfD-Mitgliedschaft, als unehrlich abgewiesen zu werden? Am Erstunterzeichner Prof. Dr. Johannes Varwick wird diese Krux deutlich. Nachdem bekannt wurde, das Chrupalla unterschrieben hat, zog er seine Unterschrift zurück. Mit solchen Schmuddelkindern will er nichts zu tun haben. Das ändert aber nichts an der Übereinstimmung in der Beurteilung des Überfalls Russlands in die Ukraine. Er ist zwar Professor an der Universität Halle-Wittenberg, kommt aber trotz all seiner akademischen internationalen Studien zu derselben Einschätzung Russlands und des Krieges wie der Moskaus Propaganda hörige Handwerksmeister Chrupalla.

Kein Wunder, wenn Professoren der politischen Wissenschaften sich auf ihre Politikberatung mehr konzentrieren, als die brutale militärische Wirklichkeit zu realisieren. Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Putin eine brutale Diktatur geschaffen hat, die das eigene Land zu einem Paria der freien Welt macht. Varwick war von 2019 bis 2021 Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Dann trat er freiwillig ab. Ein Lehrstuhl, der das Verhalten von politischen Massenmördern untersucht, wäre dringend nötig, damit das, was heute in der Ukraine geschieht, nicht von akademischen Träumern in Talkshows ohne Widerspruch zerredet werden kann. 

Immer dabei und daneben: Merkels General

Stolz verweist das Duo Schwarzer-Wagenknecht auf den Brigadegeneral in Ihren Reihen. Dr. Erich Vad wird immer auch als Berater der Kanzlerin Angela Merkel vorgestellt. Doch was da als Kompetenzhintergrund vermittelt werden soll, ist in Realität ein Grund festzustellen, dass dieser General Vad offensichtlich mitverantwortlich ist für den Schlamassel, den Merkel in den Beziehungen zu Russland hinterlassen hat. Er bietet sich als Zeuge an, dass die Kanzlerin 2008 in Bukarest dem amerikanischen Wunsch, die Ukraine und Georgien in die NATO aufzunehmen nicht gefolgt ist und sich auch danach einer militärischen Hilfe für die Ukraine versagt hat.

Der US-republikanische Senator und Trump-Gegner John McCain hat damals Merkel vorgeworfen, sie habe wohl vergessen, was die USA auch militärisch für die Bundesrepublik Deutschland geleistet hat. Er wurde deshalb als Kriegstreiber beschimpft. Leider ist er zu früh gestorben, um die zweifelhafte Politik eines Trump weiter bekämpfen zu können. Merkel-Berater Vad ist heute noch stolz, dass er damals in Bukarest dabei sein konnte und hält die Merkel-Haltung immer noch für richtig.

Vad hat noch vor einem Jahr, kurz vor der russischen Invasion, behauptet, die Ukraine wäre in wenigen Tagen besiegt. Varwick als Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Vad als Kanzlerin-Berater und die AfD als politischer Kreml-Arm, kein Wunder, dass Putin glauben konnte, er werde seine imperialen Gelüste wieder um einen weiteren Landgewinn ohne viel Gegenwind stillen können. Wenn das für ihn schiefgegangen ist, dann nur, weil die USA und Großbritannien nach der Okkupation der Krim und dem Überfall im Donbass die ukrainische Armee ausgebildet und mit Waffen unterstützt haben. Hätten sich die deutschen Appeasement-Strategen durchsetzen können, müssten wir in der Tat nicht mehr von einem Krieg in der Ukraine sprechen. Längst würden wir über die Aggression Russlands debattieren, ob und wie die Sanktionen aussehen dürfen, wenn die russischen Truppen, die in Transnistrien schon stationiert sind, auch den Rest von Moldau besetzen. Als Nächstes müssten wir dann das Baltikum opfern, um einen 3. Weltkrieg zu verhindern. Dafür würde dann der Satz aus der Merkel-Ära herhalten: „Diese Völker müssen sich halt ihrer geographischen Realität stellen.“

Talkshow-Marketing

Jetzt, nachdem sich der erste Hype nach dem Manifest gelegt hat, lässt sich feststellen, für die beiden Damen hat sich die Initiative gelohnt. Für Sahra Wagenknecht mehr als für Alice Schwarzer. Keine Talkshow mehr, in der Sahra nicht entweder selbst auftrat oder wenigstens Gegenstand hitziger Wortgefechte war. Für Schwarzer blieben meist sarkastische Bemerkungen, weil sie sich strahlend tänzelnd auf der Bühne präsentierte, als ob gleich nach dem gemeinsamen Schunkeln ein Volksfest beginnen würde. Sahra Wagenknecht nutzte die Gunst der Aufmerksamkeit, um bekanntzugeben, dass sie nicht mehr für die Partei „Die Linke“ antreten werde. Alles deutet darauf hin, dass das „Manifest für den Frieden“ vor allem dazu diente, das eigene Profil zu stärken, entweder für eine weitere Partei oder als Publizistin. 

Aber nicht nur sie missbraucht den Ukrainekrieg als Selbstdarstellungsbühne. Unter den 69 Erstunterzeichnern finden sich mehrere Namen, die immer dabei sind, wenn es gilt, sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Um einige zu nennen: Peter Gauweiler, CSU, Wolfgang Grupp, der Unternehmer mit dem Affen, Margot Käßmann, die Theologin, für die Frieden ohne Freiheit akzeptabel ist, Oscar Lafontaine, der schon in vielen Parteiämtern Unfrieden gestiftet hat, Martin Sonneborn und Jürgen Todenhöfer, die ihr Ego befriedigen, indem sie Miniparteien für sich gegründet haben – und Franz Alt, der die Welt schon mal mit Schilfgras retten wollte. 

Es ist so einfach, sich für den Frieden einzusetzen. Da fühlt man sich doch gleich als besserer Mensch. Wer sich dagegen für die Waffenlieferungen einsetzt, ist ein Kriegstreiber, zumindest ein naiver Mitmensch, der noch nicht verstanden hat, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg der Amerikaner stattfindet. Da treffen sich dann die Anhänger der AfD mit den Manifestfriedensanhängern aller Schattierungen. In dem Schwarzer-Wagenknecht Papier kommt das Wort „Freiheit“ nicht vor. Deshalb beantworten sie auch weder bei ihren Kundgebungen noch in den Talkshows die Frage: „Wieviel Millionen Ukrainern sie dem blutigen Unterdrückungsregime Putins ausliefern wollen. Wie viele Frauen als Kriegsbeute vergewaltigt, wie viele Kinder entführt, wie viele Zivilisten erschossen werden dürfen, damit Putin aufhört, Städte zu zerstören. 

Die Kraft, die die Ukrainer aufbringen, um sich die Freiheit zu erkämpfen und zu erhalten, wird weder von den Manifestunterstützern noch von der AfD zur Kenntnis genommen. Da werden alle möglichen zweifelhaften Motive unterstellt. Über die amerikanischen Machtgelüste habe ich schon geschrieben, aber auch über ukrainische Nazis, Lobbyisten der Waffenindustrie etc. wird spekuliert. Die sogenannten Intellektuellen haben schon während des Maidan-Aufstandes und der orangen Revolution in Kiew nicht wahrhaben wollen, dass es im Kern den Ukrainern darum ging und geht, nicht von einem stalinistischen System unterjocht zu werden.

Dass da alle möglichen Typen – von ukrainischen Nationalisten bis hin zu Kriminellen, wie dem russischen Bandenchef Jewgeni Prigoschin – mitmischen, ist unvermeidbar, darf aber nicht dazu führen, dass es der überwiegenden Mehrheit, nicht nur den Ukrainern, darum geht, in Freiheit zu leben. Und die musste und muss weltweit erst erkämpft werden. Es macht nachdenklich, wie viele Deutsche bereit sind, für einen Scheinfrieden die Freiheit zu opfern.

Die Biedermeier-Intellektuellen

Über 30 der Erstunterzeichner arbeiten in Medienberufen. Sie alle haben in dem Manifest nicht vermisst, dass von dem Kampf für die Freiheit nicht die Rede ist. Vielleicht wäre es an der Zeit, Max Frischs Drama: „Biedermann und die Brandstifter“ öfter zu spielen. Nicht nur damit das Publikum über die schleichende Gefahr ahnungsloser Bequemlichkeit nachdenkt, sondern mancher gutbezahlter Schauspieler beim Einstudieren der Rolle nachdenkt, bevor er ein Manifest der Unterwerfung unterschreibt. Der eingekuschelte Biedermeier war schon immer eine deutsche Spezialität.

Es blieb der Satire-Sendung „heute show“ vorbehalten, Interviews mit Teilnehmern der Demonstration für das Manifest der Egodamen auszustrahlen. Es waren hauptsächlich ältere Mitbürger, viele aus dem Osten der Republik, die Angst haben, dass sich der Krieg bis hin zu einem Atomkrieg ausweitet. Diese Angst ist nicht unbegründet. Auch ich traue Putin zu, jede Steigerung der Kriegshandlungen zu befehlen, sollte eine Niederlage drohen oder gar sein Regime gefährdet sein. Aber das darf nicht dazu führen, ihm Millionen Menschen auszuliefern, nur weil er Nuklearwaffen besitzt.

Die Fehler im Umgang mit dem russischen Diktator haben über ein Jahrzehnt des Wunschdenkens vom netten Nachbarn Putin zu diesem Krieg geführt. Jetzt hat er den Überfall zu einem Stellvertreterkonflikt aufgeschaukelt, in dem Ukrainer und Russen den Preis mit ihrem Leben bezahlen müssen. Es ist aber nicht der Stellvertreterkrieg zwischen der Ukraine und Russland, sondern es geht um den jahrhundertealten Konflikt zwischen Freiheit und Diktatur, zwischen freien Staaten und autoritären Regimen.

Was ist ein Frieden ohne Freiheit wert?

„Nie wieder“, lautet eine Lehre der deutschen Überlebenden des 2. Weltkriegs. „Nie wieder“ auf einen Gewaltherrscher reinfallen? „Nie wieder“ politischen Rattenfängern folgen? „Nie wieder“ zuzulassen, wenn Völker oder auch nur Minderheiten verfolgt und getötet werden? Zurzeit erleben wir, wie die ukrainischen Soldaten an der Front und die Zivilbevölkerung im Bomben- und Raketenhagel „nie wieder“ in einer Diktatur leben wollen.

Das „Manifest für den Frieden“ aber ist ein Manifest des „mir egal“, Hauptsache ich werde nicht allzu sehr belästigt. Den verängstigten Demonstranten vor dem Brandenburger Tor kann man es nicht verübeln, wenn sie aus Angst vor dem Krieg verwirrt, Opfer und Täter durcheinanderbringen. Die wenigsten dürften Timothy Snyders erschütterndes Buch: „Bloodlands Europa zwischen Hitler und Stalin“ gelesen haben, das den Leidensweg der Ukraine unter den Massenmördern der Geschichte eindrucksvoll belegt. Die sogenannten Intellektuellen aber, viele davon mit dem Titel Professor, darf man vorwerfen, dass sie bei der Unterzeichnung dieses Pamphlets, vor allem an sich selbst und ihren Bekanntheitsgrad gedacht haben, ohne sich intensiv mit der Geschichte der Ukraine und deren Drang nach Freiheit informiert zu haben. Es ist deshalb ein Manifest der Egoisten, nicht wichtig genug, um in allen Talkshows gewürdigt zu werden.

Foto: Achgut.com

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Sabine Schönfelder / 14.03.2023

Ihre Eingangs-Friedenstaube wird für Kriegspropaganda utilisiert, lieber Herr Ederer. Ein kleiner „Osthold“ nur umfangreicher formuliert…..aber Sie schreiben ja auch nicht jeden Montag. Gibt das jetzt eine transatlantische Achse-Autoren-Reihe ? Altmeister Broder und Mitherausgeber Nicolay folgen Löwenstern und Ederer…..ACHSEBEKENNTNISSE der besonderen Art. Einen potentiellen, dritten Atom-Weltkrieg zu riskieren, weil in einem angeblich „demokratischen“ Land „unsere“ Demokratie verteidigt würde, ist so ein bemühter Quatsch und eine Beleidigung für jeden intelligenten Menschen. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Krieg. Punkt. Da hilft auch keine Wiederholung. Ein Treppenwitz der Geschichte. Wir sollen „frieren“ und Waffen sammeln für einen Konflikt außerhalb unserer politischen Verantwortung für korrupte Machenschaften ANDERER, während v o r unseren Augen die eigene Demokratie z e r l e g t wird. Seid Ihr alle blind ? Lest Ihr EURE EIGENEN Artikel nicht ? Drei Jahre Corona haben bei UNS die Demokratie schwer beschädigt !

T. Schneegaß / 14.03.2023

@Sabine Heinrich: “Ich habe viel zu wenig Ahnung von dem, was dem Überfall Russlands auf die Ukraine vorausgegangen ist.” Liebe Frau Heinrich, bitte verstehen Sie meine Antwort als konstruktive Kritik. Genau das ist der Punkt, der es den Lügnern, Geschichtsklitterern und Kriegstreibern immer wieder ermöglicht, die Masse zu manipulieren. Diese Fälscher “verwechseln” bewusst, ihrer Ideologie folgend, die Begriffe Beginn und Ausbruch von kalten und heißen Kriegen. Der Beginn des kalten Russland/USA-Krieges auf ukrainischem Gebiet ist die NATO-Osterweiterung, später ergänzt durch den Hinhalte-Pakt Minsk I und II. Putins Einmarsch in die Ukraine im Februar 22 markiert dessen heißen Ausbruch. Beispiel 2. WK: der kalte Beginn ist das Versailler Diktat, Hitlers Einmarsch in Polen am 1. September 39 dessen heißer Ausbruch. Noch etwas zu dem Argument des Werte-Westens und seiner Schreiberlinge zu den “Entscheidungen souveräner Nachbarstaaten” Russlands, NATO-Raketen in ihren Ländern zu stationieren. Stellen Sie sich kurz mal vor, in Mittelamerika entstehen morgen ein oder mehrere neuen “Kuba”, dessen antiamerikanischen Regierungen sich souverän entscheiden, Russland-Raketen zu stationieren. Wie lange, glauben Sie, gestehen die USA (und ihre Schreiberlinge) diesen Staaten solche souveränen Entscheidungen zu?

Michaela Rock / 14.03.2023

Lieber Herr Ederer, Sie sind der einzige, der mit Scholl Latour in einer Liga spielt. Die beiden Damen suchen schon länger das Rampenlicht. Dabei nutzen sie zuvor beide auch die Hetze gegen ein winzige, in vielen Ländern der Welt verfolgte Minderheit: Transfrauen. Ich bin deshalb besonders stolz, dass die amerikanische Transfrau Sarah Ashton - Cirello im 209. Infantrieregiment der Ukraine „gegen Putin kämpft“. Als ehemalige Sanitäterin der US Army wird sie an vorderster Front eingesetzt.

armin wacker / 14.03.2023

Ich möchte nur eine These setzen. Die Ukraine hätte sich nicht so erfolgreich wehren können, wenn die nötigen Waffen nicht schon vor dem Angriff im Land gewesen wären.

Helmut Driesel / 14.03.2023

  Wenn ich nicht so einen großen Respekt vor dem Herrn Ederer mit seiner Lebenserfahrung hätte, würden mir vielleicht eher Gegenargumente einfallen. Wenn also in der Ukraine die Freiheit verteidigt wird, kann ja sein, meinetwegen, ich meine jetzt nicht hintenrum ironisch wie am Hindukusch. Sondern eine Freiheit, bei der man fragen darf, wessen Freiheit ist das? Ist es eventuell bei näherer Betrachtung eine von Leuten, die wir gemeinhin gar nicht leiden können und sie uns auch nicht? Wem das nicht wichtig ist, der möge das ignorieren. Ich will keine unappetitlichen Details jetzt, aber es könnte doch zumindest hypothetisch sein, dass viele Ukrainer außer ihrer Freiheit noch viel wollen, was wir hier in der Mehrheit nicht wollen. Wieviel Risiko dürfen wir denn für so jemanden eingehen? Würden wir das hier im zivilrechtlichen Milieu unter Deutschen auch so generalisierend handhaben? Ohne da fahrlässig zu verallgemeinern, möchte ich aus meinem Erleben behaupten, eine gröbere Gangart und radikalere Sichtweisen gewohnt zu sein. Die Frage, ob ich frei von etwas oder frei zu etwas sein möchte, hat mir im Übrigen im ganzen Leben noch niemand gestellt. Es hat sich auch niemand Sorgen darum gemacht. Warum auch! Weil das meine Angelegenheit ist. Und die Freiheit der Ukrainer ist deren Angelegenheit. Vielleicht gibt es ja mal eine russische Nation, in der auch Ukrainer ihre Freiheit geltend machen können. Vielleicht stecken sich die Russen dort ja jetzt mit dem ultimativen Freiheitsvirus an. Darf man das nicht mehr hoffen oder sogar wünschen? Oder sind wir schon wieder voll auf Sieg festgezurrt? Die Geschichte ist eine Geschichte der Sieger. Wenn wir uns künftig auf die Einheit etwas einbilden wollen, dürfen wir jetzt nicht tun, als hätten wir den nächsten Krieg dafür eingepreist. Ich denke jetzt an Richard Wagner, den Achse-Autor, der verstorben ist. Und dem ich mich als literarischer Versager immer verbunden fühlte. Er möge nicht umsonst gelebt und gelitten haben!

Peter Krämer / 14.03.2023

Wenn Sie schon mehrfach in diesem Artikel die AfD und ihre Nähe zu Putin ansprechen, dann sollten Sie die SPD nicht unerwähnt lassen. Um Schröder herum hat sich an ganzes Netzwerk aufgebaut, das keinerlei Skrupel hatte, mit Putin Geschäfte zu machen und sich privat die Taschen vollstopfen zu lassen. Die Vorgänge um Nord-Stream 2 liegen noch weitgehend im Dunkeln.

H.Reichmuth / 14.03.2023

Leider habe ich bis heute noch nie eine schlüssige Antwort auf folgende Frage bekommen: Wenn der “Achse” die Rettung Griechenlands mit deutschem Geld zu viel war - wie kann es sein, dass man einen europäischen Krieg (wenn die Dinge aus dem Ruder laufen) für einen weit korrupteren Staat akzeptiert? Verstehe ich nicht. Oder als Schweizer vielleicht doch: Bei der Rettung Griechenlands ging es um Geld. Falls der Krieg in der Ukraine ausartet, sterben nur die eigenen Kinder und Enkel. Und Geld ist zweifellos wichtiger als die eigene Brut. Macht Sinn. Verstehe ich doch. Aber trotzdem “Danke”, falls da mal eine Erklärung kommt, wieso die Ukraine wichtiger als Griechenland ist - oder wieso einem die Kohle wichtiger als die Zukunft der eigenen Nachkommen ist. Die Logik erschliesst sich mir nicht ganz.

Brandy, Vera / 14.03.2023

Man kann zu dem Manifest und zu den beiden Damen geteilter Meinung sein. ABE.R nicht zu Herrn Ederers Artikel.Ich habe denselben gelesen und kam zu dem Schluss Propaganda für 8Klassenschüler. Fehlte nur noch Frau vdL, die sich zur Europahymne die Hände wäscht. Nicht aufregen @Schneegass,gibt nur Magenschmerzen. Wir werden sehen, wer so wie bei covid Recht hat und Recht behält. Im übrigen ...Meinungsfreiheit.

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