Das „Manifest für den Frieden“ aber ist ein Manifest des „mir egal“, Hauptsache ich werde nicht allzu sehr belästigt.
Ein „Manifest für den Frieden“ unterschreibe ich sofort. Wer ist denn so unverantwortlich und will den Krieg? Ich habe auch einen Horror von der Vorstellung, dass Atomwaffen in die Hände ruchloser Verbrecher gelangen, um sich selbst an der Macht zu halten – Nordkorea und der Iran sind solch irre Regime, denen ich das zutraue. Leider droht auch Russlands Diktator Putin mit dieser tödlichen Waffe, sollte er seine schräge Weltsicht nicht durchsetzen können. Über 600.000 Deutsche haben ein „Manifest für den Frieden“ unterschrieben. Aber haben sie auch den Text gelesen und verstanden, was da zwei Frauen und ein ehemaliger Bundeswehrgeneral als Friedensmanifest ausgeben? Ja, ich sehne mich auch nach dem Frieden in der Welt und besonders für die vom täglichen Tod bedrohten Menschen in der Ukraine. Aber dieses „Manifest für den Frieden“ der sich selbst darstellenden Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht hätte ich nie unterschrieben, denn es ist kein Beitrag für den Frieden, sondern die schamlose Ausnutzung der Angst vor dem Krieg.
Unterwerfung aus Angst
Es mag sein, dass sowohl unter den weitgehend prominenten Erstunterzeichnern und noch mehr unter den über 600.000 MitunterschreibernMenschen sind, die lähmende Angst vor einem Krieg oder sogar Atomkrieg haben. Aber während in dem besagten Text noch festgestellt wird, „die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“, wird der Ukraine geraten, sich doch nicht zu wehren, wenn sie so langsam von der Landkarte durch Bomben getötet, von einer Soldateska vergewaltigt, ihre Kinder zur Zwangsumerziehung entführt werden. Was ist das für ein Frieden?
In dem ganzen Manifest findet sich kein Wort an Putin adressiert, mit dem Vernichtungsfeldzug aufzuhören. Dagegen wird der ukrainische Präsident Selenskyi angeklagt, er mache aus seinem Ziel kein Geheimnis, fordere er jetzt auch noch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe. Ja, sowas: Da wird ein Staat brutal überfallen und jetzt erhoffen die vom Tod bedrohten Menschen auch noch die Hilfe, die es ihnen ermöglicht, sich zu wehren! In dem Papier, das nicht dem Frieden, sondern der Unterwerfung unter eine Diktatur dient, wird festgestellt, dass, je erfolgreicher die Ukraine den Aggressor vertreiben würde, um so größer die Gefahr eines 3. Weltkrieges samt Atomschlag sei. Was für eine Logik: Die neue Weltordnung heißt also: Wer Atomwaffen hat, kann um des lieben Friedens willen die Grenzen und Einflusssphären seines Unrechtsstaates beliebig ausdehnen.
Das Recht der Atombombe
Diese Logik wird auch in dem Schrieb bemüht – es fällt mit schwer, ein solch oberflächliches Pamphlet als Manifest zu bezeichnen – wenn der amerikanische General Milley zitiert wird:
„Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen, aber gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg.“ Da wird das ganze Elend dieses Krieges, der in Russland noch nicht einmal so genannt werden darf, sichtbar. Von Anfang an war es für die wenigsten im Westen vorstellbar, dass die Ukraine nicht in wenigen Tagen besiegt sei, egal ob von Militärs, Politikern oder auch nur Stammtischstrategen. Mit Bewunderung und Erstaunen sehen wir aus sicherer Entfernung zu, wie die Ukrainer sich wehren, als motivierte Kämpfer bereit sind, für die Existenz und Freiheit ihres Landes unsägliches Leid zu ertragen oder sogar zu sterben.
Ein „Manifest für die Freiheit“ der Ukraine würde ich auch sofort unterschreiben. Darin müsste dann stehen, was die Beteuerungen der westlichen Staaten und ihrer Verantwortlichen auf den vielen bilateralen Treffen und multinationalen Konferenzen wert sind, in denen die Solidarität mit der Ukraine betont wird. Mittlerweile haben alle wichtigen und weniger wichtigen Staatschefs auch beteuert, sie werden die Ukraine unterstützen so lange das nötig ist und mit allem Material (Waffen) helfen, damit Putin den Krieg nicht gewinnt oder je nach semantischer Vorliebe, „damit die Ukraine den Krieg gewinnt“.
So lernen wir alle, dass Leopard, Puma, Gepard etc. nicht nur Großkatzen sind, sondern Panzer, und wir diskutieren, was davon geliefert werden kann oder soll. Nicht diskutiert wird, wie viele ukrainische Soldaten und Zivilisten sterben, weil die Staaten erst herausfinden müssen, wer zuerst zuckt, und wieder eine Waffengattung bewilligt. Ist das nicht ein zynisches Verhalten? Wir, also der Westen, lässt sich viel Zeit, unter anderem auch, um nicht als Kriegsteilnehmer wahrgenommen zu werden, bis wir jene Waffen liefern, die es der Ukraine ermöglichen, entweder besetztes Land zurückzuerobern oder neue Angriffe abzuwehren. Wenn dazu Langstreckenraketen, Flugzeuge und Schiffe nötig sind, dann sollte das auch gemacht werden und nicht erst zu einem Zeitpunkt, wenn die ganze Ukraine so aussieht wie Mariupol und weitere zehn Millionen Ukrainer das Land verlassen mussten.
Der Preis der Freiheit
Die Furcht, aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine könne sich sogar ein 3. Weltkrieg entwickeln, ist nicht unbegründet. Natürlich ist die NATO an dem Krieg beteiligt. Denn längst ist deutlich, dass es nicht darum geht, ob die Krim von Moskau oder Kiew regiert wird und ob vier Provinzen (Oblast) Russland überlassen werden. In Moskau hat der KGB-Agent Wladimir Putin eine Diktatur etabliert, es geht längst darum, ob „der Westen“ bereit ist, knapp 50 Millionen Menschen dieser Diktatur auszuliefern. Und es geht darum, wie viele Machthaber in dieser Welt zuschauen, ob der Westen bereit ist, für Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen oder ob wir ein Jahrhundert der autoritären Regime beginnen. Und es ist keineswegs so, dass die Zahl der Staaten und der Menschen, die in einer freiheitlichen Demokratie leben, zunimmt.
So hat der „Westen“ zugeschaut, als unter dem Bruch bestehender Verträge die Volksrepublik China die Demokratie in Hongkong beseitigte. 7 Millionen Menschen haben ihre Freiheit verloren, ohne das Peking dafür einen Preis zahlen musste.
Auf dem Egotrip
Das „Manifest für den Frieden“ ist deshalb so peinlich, weil es keinen Unterschied macht, ob wir – und damit meine ich zuerst die Deutschen, dann die Europäer und schließlich die ganze demokratische Welt, einen Staat unterstützen, der genau darum kämpft, dass seine Bürger in einer Demokratie mit Presse- und Meinungsfreiheit leben können und in Gefahr ist, von einer brutalen Diktatur unterjocht zu werden. Ich unterstelle den beiden Initiatorinnen keine hehren Motive oder Naivität. Sie sind beide intelligent genug, um zu wissen, dass ihr Papier nicht dem Frieden und schon gar nicht der Freiheit hilft. Für Sahra Wagenknecht ist das die Chance, ihrem politischen Traum ein Stück näher zu kommen, eine eigene Partei als Plattform für ihren wirtschaftliche Erfolg zu schaffen. Das Manifest sichert Talkshowauftritte und die helfen, ihre Bücher zu verkaufen und Vorträge zu generieren.
Auch Alice Schwarzer ist mir bisher nicht als Expertin für die Sowjetunion, Russland oder China aufgefallen. Wohl aber hat sie es geschafft, immer im Gespräch zu sein. Selbst eine Steuerhinterziehung hat sie ohne großen Imageverlust überstanden, schließlich kämpft sie für die Gleichberechtigung. Bei der Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor war dann auch ein überdimensionales Plakat zu sehen: „Emma für den Frieden“. Werbung muss halt auch sein. Und davon versteht Alice eine ganze Menge.
1979, ein paar Tage nachdem Khomeini in Teheran angekommen ist, war ich für das ZDF im Iran. Eines morgens saß dann Alice Schwarzer in der Hotellobby. Sie wolle zu Khomeini, um dort gegen den Kopftuchzwang zu protestieren. Meine Dolmetscherin versuchte ihr das auszureden, weil zwecklos und möglicherweise gefährlich. Nach ein paar Tagen flog sie unverrichteter Dinge zurück nach Deutschland. Aber mehrfach hörte und las ich dann von ihrer Reise gegen das Kopftuch. Marketing ist alles. Auch auf dem Podium der Protestveranstaltung am 24. Februar in Berlin agierte sie – strahlend, wie ein Conférencier – als ob es sich um ein lustiges Volksfest handele. In ihrer Rede wiederholte sie die stereotype Behauptung, es handele sich in der Ukraine um einen Stellvertreter-Kampf zwischen den USA und Russland. Ein Schuss Antiamerikanismus gehört halt auch dazu, um seine jahrelang gehegte Fehleinschätzung von Putins Russland zu übertünchen.
Auf einer Wellenlänge: AfD, Selbstdarsteller und Linksaußen
Diese Mischung aus Putin schonender Grundhaltung, aus antiamerikanischer Kapitalismusschelte und notorischer Selbstdarstellung beschert den Egodamen unwillkommene Verbündete, die auf derselben Welle Zustimmung erhoffen. Wurde doch sehr schnell bekannt, dass auch Tino Chrupalla, AfD-Co-Bundesvorsitzender, das Pamphlet mitunterzeichnet hat. „Alle, die ehrlichen Herzens sind, sind herzlich willkommen“, hatten Sahra Wagenknecht und ihr gleich gelagerter Ehemann Oskar Lafontaine verkündet. Aber nun stehen sie vor dem Dilemma, dass sie feststellen müssen, wer ehrlichen Herzens, antiamerikanisch und Russland schonend zwar die gleiche Gesinnung hat, aber unehrlich ist – unehrlich gegenüber wem? Und reicht eine AfD-Mitgliedschaft, als unehrlich abgewiesen zu werden? Am Erstunterzeichner Prof. Dr. Johannes Varwick wird diese Krux deutlich. Nachdem bekannt wurde, das Chrupalla unterschrieben hat, zog er seine Unterschrift zurück. Mit solchen Schmuddelkindern will er nichts zu tun haben. Das ändert aber nichts an der Übereinstimmung in der Beurteilung des Überfalls Russlands in die Ukraine. Er ist zwar Professor an der Universität Halle-Wittenberg, kommt aber trotz all seiner akademischen internationalen Studien zu derselben Einschätzung Russlands und des Krieges wie der Moskaus Propaganda hörige Handwerksmeister Chrupalla.
Kein Wunder, wenn Professoren der politischen Wissenschaften sich auf ihre Politikberatung mehr konzentrieren, als die brutale militärische Wirklichkeit zu realisieren. Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Putin eine brutale Diktatur geschaffen hat, die das eigene Land zu einem Paria der freien Welt macht. Varwick war von 2019 bis 2021 Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Dann trat er freiwillig ab. Ein Lehrstuhl, der das Verhalten von politischen Massenmördern untersucht, wäre dringend nötig, damit das, was heute in der Ukraine geschieht, nicht von akademischen Träumern in Talkshows ohne Widerspruch zerredet werden kann.
Immer dabei und daneben: Merkels General
Stolz verweist das Duo Schwarzer-Wagenknecht auf den Brigadegeneral in Ihren Reihen. Dr. Erich Vad wird immer auch als Berater der Kanzlerin Angela Merkel vorgestellt. Doch was da als Kompetenzhintergrund vermittelt werden soll, ist in Realität ein Grund festzustellen, dass dieser General Vad offensichtlich mitverantwortlich ist für den Schlamassel, den Merkel in den Beziehungen zu Russland hinterlassen hat. Er bietet sich als Zeuge an, dass die Kanzlerin 2008 in Bukarest dem amerikanischen Wunsch, die Ukraine und Georgien in die NATO aufzunehmen nicht gefolgt ist und sich auch danach einer militärischen Hilfe für die Ukraine versagt hat.
Der US-republikanische Senator und Trump-Gegner John McCain hat damals Merkel vorgeworfen, sie habe wohl vergessen, was die USA auch militärisch für die Bundesrepublik Deutschland geleistet hat. Er wurde deshalb als Kriegstreiber beschimpft. Leider ist er zu früh gestorben, um die zweifelhafte Politik eines Trump weiter bekämpfen zu können. Merkel-Berater Vad ist heute noch stolz, dass er damals in Bukarest dabei sein konnte und hält die Merkel-Haltung immer noch für richtig.
Vad hat noch vor einem Jahr, kurz vor der russischen Invasion, behauptet, die Ukraine wäre in wenigen Tagen besiegt. Varwick als Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Vad als Kanzlerin-Berater und die AfD als politischer Kreml-Arm, kein Wunder, dass Putin glauben konnte, er werde seine imperialen Gelüste wieder um einen weiteren Landgewinn ohne viel Gegenwind stillen können. Wenn das für ihn schiefgegangen ist, dann nur, weil die USA und Großbritannien nach der Okkupation der Krim und dem Überfall im Donbass die ukrainische Armee ausgebildet und mit Waffen unterstützt haben. Hätten sich die deutschen Appeasement-Strategen durchsetzen können, müssten wir in der Tat nicht mehr von einem Krieg in der Ukraine sprechen. Längst würden wir über die Aggression Russlands debattieren, ob und wie die Sanktionen aussehen dürfen, wenn die russischen Truppen, die in Transnistrien schon stationiert sind, auch den Rest von Moldau besetzen. Als Nächstes müssten wir dann das Baltikum opfern, um einen 3. Weltkrieg zu verhindern. Dafür würde dann der Satz aus der Merkel-Ära herhalten: „Diese Völker müssen sich halt ihrer geographischen Realität stellen.“
Talkshow-Marketing
Jetzt, nachdem sich der erste Hype nach dem Manifest gelegt hat, lässt sich feststellen, für die beiden Damen hat sich die Initiative gelohnt. Für Sahra Wagenknecht mehr als für Alice Schwarzer. Keine Talkshow mehr, in der Sahra nicht entweder selbst auftrat oder wenigstens Gegenstand hitziger Wortgefechte war. Für Schwarzer blieben meist sarkastische Bemerkungen, weil sie sich strahlend tänzelnd auf der Bühne präsentierte, als ob gleich nach dem gemeinsamen Schunkeln ein Volksfest beginnen würde. Sahra Wagenknecht nutzte die Gunst der Aufmerksamkeit, um bekanntzugeben, dass sie nicht mehr für die Partei „Die Linke“ antreten werde. Alles deutet darauf hin, dass das „Manifest für den Frieden“ vor allem dazu diente, das eigene Profil zu stärken, entweder für eine weitere Partei oder als Publizistin.
Aber nicht nur sie missbraucht den Ukrainekrieg als Selbstdarstellungsbühne. Unter den 69 Erstunterzeichnern finden sich mehrere Namen, die immer dabei sind, wenn es gilt, sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Um einige zu nennen: Peter Gauweiler, CSU, Wolfgang Grupp, der Unternehmer mit dem Affen, Margot Käßmann, die Theologin, für die Frieden ohne Freiheit akzeptabel ist, Oscar Lafontaine, der schon in vielen Parteiämtern Unfrieden gestiftet hat, Martin Sonneborn und Jürgen Todenhöfer, die ihr Ego befriedigen, indem sie Miniparteien für sich gegründet haben – und Franz Alt, der die Welt schon mal mit Schilfgras retten wollte.
Es ist so einfach, sich für den Frieden einzusetzen. Da fühlt man sich doch gleich als besserer Mensch. Wer sich dagegen für die Waffenlieferungen einsetzt, ist ein Kriegstreiber, zumindest ein naiver Mitmensch, der noch nicht verstanden hat, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg der Amerikaner stattfindet. Da treffen sich dann die Anhänger der AfD mit den Manifestfriedensanhängern aller Schattierungen. In dem Schwarzer-Wagenknecht Papier kommt das Wort „Freiheit“ nicht vor. Deshalb beantworten sie auch weder bei ihren Kundgebungen noch in den Talkshows die Frage: „Wieviel Millionen Ukrainern sie dem blutigen Unterdrückungsregime Putins ausliefern wollen. Wie viele Frauen als Kriegsbeute vergewaltigt, wie viele Kinder entführt, wie viele Zivilisten erschossen werden dürfen, damit Putin aufhört, Städte zu zerstören.
Die Kraft, die die Ukrainer aufbringen, um sich die Freiheit zu erkämpfen und zu erhalten, wird weder von den Manifestunterstützern noch von der AfD zur Kenntnis genommen. Da werden alle möglichen zweifelhaften Motive unterstellt. Über die amerikanischen Machtgelüste habe ich schon geschrieben, aber auch über ukrainische Nazis, Lobbyisten der Waffenindustrie etc. wird spekuliert. Die sogenannten Intellektuellen haben schon während des Maidan-Aufstandes und der orangen Revolution in Kiew nicht wahrhaben wollen, dass es im Kern den Ukrainern darum ging und geht, nicht von einem stalinistischen System unterjocht zu werden.
Dass da alle möglichen Typen – von ukrainischen Nationalisten bis hin zu Kriminellen, wie dem russischen Bandenchef Jewgeni Prigoschin – mitmischen, ist unvermeidbar, darf aber nicht dazu führen, dass es der überwiegenden Mehrheit, nicht nur den Ukrainern, darum geht, in Freiheit zu leben. Und die musste und muss weltweit erst erkämpft werden. Es macht nachdenklich, wie viele Deutsche bereit sind, für einen Scheinfrieden die Freiheit zu opfern.
Die Biedermeier-Intellektuellen
Über 30 der Erstunterzeichner arbeiten in Medienberufen. Sie alle haben in dem Manifest nicht vermisst, dass von dem Kampf für die Freiheit nicht die Rede ist. Vielleicht wäre es an der Zeit, Max Frischs Drama: „Biedermann und die Brandstifter“ öfter zu spielen. Nicht nur damit das Publikum über die schleichende Gefahr ahnungsloser Bequemlichkeit nachdenkt, sondern mancher gutbezahlter Schauspieler beim Einstudieren der Rolle nachdenkt, bevor er ein Manifest der Unterwerfung unterschreibt. Der eingekuschelte Biedermeier war schon immer eine deutsche Spezialität.
Es blieb der Satire-Sendung „heute show“ vorbehalten, Interviews mit Teilnehmern der Demonstration für das Manifest der Egodamen auszustrahlen. Es waren hauptsächlich ältere Mitbürger, viele aus dem Osten der Republik, die Angst haben, dass sich der Krieg bis hin zu einem Atomkrieg ausweitet. Diese Angst ist nicht unbegründet. Auch ich traue Putin zu, jede Steigerung der Kriegshandlungen zu befehlen, sollte eine Niederlage drohen oder gar sein Regime gefährdet sein. Aber das darf nicht dazu führen, ihm Millionen Menschen auszuliefern, nur weil er Nuklearwaffen besitzt.
Die Fehler im Umgang mit dem russischen Diktator haben über ein Jahrzehnt des Wunschdenkens vom netten Nachbarn Putin zu diesem Krieg geführt. Jetzt hat er den Überfall zu einem Stellvertreterkonflikt aufgeschaukelt, in dem Ukrainer und Russen den Preis mit ihrem Leben bezahlen müssen. Es ist aber nicht der Stellvertreterkrieg zwischen der Ukraine und Russland, sondern es geht um den jahrhundertealten Konflikt zwischen Freiheit und Diktatur, zwischen freien Staaten und autoritären Regimen.
Was ist ein Frieden ohne Freiheit wert?
„Nie wieder“, lautet eine Lehre der deutschen Überlebenden des 2. Weltkriegs. „Nie wieder“ auf einen Gewaltherrscher reinfallen? „Nie wieder“ politischen Rattenfängern folgen? „Nie wieder“ zuzulassen, wenn Völker oder auch nur Minderheiten verfolgt und getötet werden? Zurzeit erleben wir, wie die ukrainischen Soldaten an der Front und die Zivilbevölkerung im Bomben- und Raketenhagel „nie wieder“ in einer Diktatur leben wollen.
Das „Manifest für den Frieden“ aber ist ein Manifest des „mir egal“, Hauptsache ich werde nicht allzu sehr belästigt. Den verängstigten Demonstranten vor dem Brandenburger Tor kann man es nicht verübeln, wenn sie aus Angst vor dem Krieg verwirrt, Opfer und Täter durcheinanderbringen. Die wenigsten dürften Timothy Snyders erschütterndes Buch: „Bloodlands Europa zwischen Hitler und Stalin“ gelesen haben, das den Leidensweg der Ukraine unter den Massenmördern der Geschichte eindrucksvoll belegt. Die sogenannten Intellektuellen aber, viele davon mit dem Titel Professor, darf man vorwerfen, dass sie bei der Unterzeichnung dieses Pamphlets, vor allem an sich selbst und ihren Bekanntheitsgrad gedacht haben, ohne sich intensiv mit der Geschichte der Ukraine und deren Drang nach Freiheit informiert zu haben. Es ist deshalb ein Manifest der Egoisten, nicht wichtig genug, um in allen Talkshows gewürdigt zu werden.