Eugen Sorg, Gastautor / 12.12.2020 / 06:20 / Foto: Thomas Edwards / 93 / Seite ausdrucken

Das Böse und die Deradikalisierer

Vor wenigen Wochen richtete der 20-jährige Kujtim Fejzulai in Wien ein Blutbad an. Ausgerüstet mit einem Sturmgewehr, einer Handfeuerwaffe, einer Machete und einer Sprengstoffattrappe zog er durch die Innenstadt, tötete vier ihm zufällig über den Weg laufende Menschen und verletzte dreiundzwanzig zum Teil schwer. Das eiskalt durchgeführte Morden dauerte neun Minuten, bis der wie ein Todesengel weiß gewandete Fejzulai von Sicherheitskräften erschossen wurde. Der junge Österreicher mit albanischen Wurzeln war ein Anhänger des Islamischen Staates (IS) und hatte noch am Morgen der Tat ein Treuegelöbnis zum Kalifen des IS auf Instagram gepostet. 

Fejzulai war den Behörden bekannt. Er war im April 2019 von einem Wiener Gericht zu 22 Monaten Gefängnis wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation verurteilt worden. Er hatte sich dem IS anschließen wollen, war aber auf dem Weg nach Syrien in der Türkei verhaftet und nach Österreich zurückgeschafft worden. 

Nach knapp acht Monaten kam er bereits wieder frei. Er hatte sich vor Gericht reuig gezeigt. Er sei leider schon früh in die „falsche Moschee“ geraten. Und er gab an, dass er sich beim IS lediglich „ein besseres Leben“ erwartet habe. „Eine eigene Wohnung, ein eigenes Einkommen.“ Ein typischer „Jugendlicher“ eben, fasste sein Anwalt zusammen, „der seinen Platz in der Gesellschaft gesucht hat.“ Wer könnte ihm deswegen einen Vorwurf machen? 

Keine Hinweise auf die bevorstehende Bluttat

Als auch noch ein psychologischer Gutachter eine günstige Sozialprognose stellte, stand der vorzeitigen Entlassung nichts mehr im Wege. Auflage war, dass Fejzulai weiterhin an einem Deradikalisierungs-Programm teilnimmt, das er bereits im Gefängnis begonnen hatte, veranstaltet von einer NGO mit dem imponierenden Namen „DERAD – Netzwerk sozialer Zusammenhalt für Extremismusprävention, Dialog und Demokratie.“ 

Der Zwanzigjährige erschien pünktlich zu den Sitzungen und Workshops. Er „veränderte sich“, stellte sein DERAD-Betreuer fest, und entwickelte „starke Zweifel am eigenen rechten Glauben.“ Der letzte Zwischenbericht von DERAD an die Justiz, abgefasst einen Monat vor dem Terroranschlag, gab weitere Entwarnung. Fejzulai sei „gemäßigter“ als andere „Klienten“ im Deradikalisierungs-Programm. Er lehne gemäss eigener Aussage Demokratie und Rechtsstaat nicht grundsätzlich ab. Und der Gründer von DERAD, der Extremismusexperte und Fachmann für „interreligiöses Lernen“, Moussa Al-Hassan Diaw, bilanzierte, es habe „keine Hinweise auf die bevorstehende Bluttat gegeben“.

Fejzulai hatte sie alle getäuscht – die Richter, Psychologen, Sozialpädagogen, die Gewaltexperten, die Terrorsachverständigen. Er kooperierte scheinbar ernsthaft an den vierzehntäglichen Deradikalisierungs-Treffen mit seinem Betreuer, „nie emotional und aufbrausend“, während er gleichzeitig Kontakte zu anderen Radikalmuslimen in halb Europa pflegte. Er versuchte, in der Slowakei Munition für seine Kalaschnikow zu beschaffen, pumpte seinen Körper mit Gewichtstraining zur Kampfmaschine auf, posierte schwer bewaffnet und entschlossen vor der Kamera und stellte die Bilder ins Netz. Er hatte gegenüber den Autoritäten den einsichtigen, suchenden Jugendlichen gegeben und war in Wirklichkeit ein todesbereiter Krieger des Kalifats.

Wie ist es möglich, dass ein halbwüchsiger Schulabbrecher mit einem archaischen Weltbild aus dem siebten Jahrhundert eine ganze Phalanx akademischer Spezialisten und Stützen der Gesellschaft hinters Licht führen konnte? War er besonders raffiniert oder schlau? 

Die Aussicht auf strafloses Töten entfesselt die Triebe

Dies war nicht nötig. Die mit ihm befassten Instanzen machten ihm die Maskerade leicht. Gemäss Extremismus-Experte und DERAD-Gründer Diaw reisen junge Männer zum IS, weil sie „Identitätsprobleme“ haben, um zu „helfen“, aus „Neugierde“, um „etwas Sinnvolles“ zu tun und weil sie sich „als muslimische Menschen abgelehnt fühlen.“ Sie sind Opfer der Umstände, orientierungslos wie ausgesetzte Hundewelpen. Fejzulai erzählte den Richtern und Betreuern lediglich, was sie hören wollten. Und um dies herauszufinden, musste man kein Genie sein.                                        

Der flache Psychologismus der Deradikalisierer kennt keine Kategorie des Bösen, der Verworfenheit, der Sünde. Er ist blind für die Motive der Grausamkeit, des Blutdurstes, für das Geheimnis von Fejzulai. Die aus der halben Welt ins Kalifat geeilten Gotteskrieger waren keine Identitätstouristen. Sie beflügelte die Aussicht auf strafloses Töten, auf moralische Entgrenzung, auf Entfesselung der Triebe. Die Köpfungsvideos, die Nachrichten von der Frauenversklavung, das Theater eines sakralen Todeskultes hatten sie erregt. Und sie waren schuldig geworden, indem sie aus eigenem Entscheid den Kräften des Chaos und der Antizivilisation nachgegeben hatten, die in den Herzen aller Zivilisierten lauern. 

Die Idee der „Deradikalisierung“ verhilft vielen Sozialberuflern und Vereinen wie DERAD in ganz Europa zu lukrativen Staatsaufträgen. Die Gesellschaft muss nüchtern untersuchen, ob deren Arbeit etwas nützt oder ob eine gefährliche Illusion finanziert wird. Der Fall Fejzulai ist nicht der einzige, bei dem Menschen tragisch starben, weil sogenannte Experten eine tödliche Gefahr systematisch verkannt hatten. Und es geht auch um die grundsätzliche Frage, wie sich eine freie Gesellschaft gegen deren Feinde wehrt. Es gibt unzählige weitere Fejzulais.        

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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Anne Adamczyk / 12.12.2020

Die Deradikalisierungsgläubigen würden auch noch versuchen, Hitler zu deradikalisieren, wenn der noch leben würde. Um dem Grauen des Naziregimes und seinen schrecklichen Methoden zu entkommen, sind Deutschland (und andere europäische Länder) in den Fehler verfallen, das Heil im Gegenteil dessen zu suchen, was sie den Nazis vorwerfen. Aber der Weg von einem Extrem ins andere funktioniert nicht, weil Extreme und Extremismus generell nicht dazu taugen, mit der komplexen Wirklichkeit vernünftig umzugehen. Um ja nicht “böse” und “Nazi” zu sein, blendet der Deutsche heute alles aus seiner Selbstwahrnehmung aus, was zu tun hat mit Aggression, Wehrhaftigkeit, Überlebenswillen, Selbstbehauptung und Stärke, und ist daher auch nicht mehr in der Lage, diese Bestandteile des menschlichen Seins bei anderen zu erkennen. Dabei wird vergessen, dass diese heute verpönten Antriebe des Menschen eine Einrichtung der Evolution sind, ohne welche die Spezies Mensch gar nicht mehr existieren würde! Aus diesem Grund lassen wir uns eine Einwanderung gefallen, die in normalen Zeiten als Invasion bezeichnet würde. Aus diesem Grund sind wir als Volk auch nicht mehr fähig, Hass und Ablehnung uns und unserer Lebensweise gegenüber als solche zu erkennen und in unsere Überlegungen einzubeziehen. Deutsche und Europäer sind aufgrund ihrer Friede-Freude-Eierkuchen-Sozialisation in weiten Kreisen nicht fähig zu verstehen, wie gläubige Moslems ticken. Da alles “Böse” ausschließlich auf “Rechte” bzw. “Nazis” projiziert wird, ist man auf allen anderen Augen so blind geworden, dass man Feindseligkeit und Hass dort nicht erkennt und sich nicht vorstellen kann, überhaupt Feinde (außer “Rechte”) zu haben. Das wird bei der weiten Verbreitung dieser Verblendung wohl der Untergang Europas sein, sollte sich nicht in allerhöchster Not noch die Rückgewinnung von unverstellter Realitätswahrnehmung einstellen. Und die Realität ist - allen regenbogenbunten Illusionen zum Trotz - so hässlich wie eh und je.

Renate Weiß / 12.12.2020

@ Anke Müller: Eine kleine Ergänzung zu Ihren an sich richtigen Ausführungen. Sie schreiben “... auf Salman Rushdie lastet die Todesfatwa des Ajatollahs ... wegen seiner Verse.” Meine Ergänzung lautet: Die “satanischen Verse” sind die der (frühmekkanischen) Sure 53, 19-25. Hier erlaubt Mohammed die Anrufung der drei (vorislamischen) Göttinnen al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt. Diese Verse sind für die religionsverbrämte Ideologie des Islams, die allergrößten Wert darauf legt, es gebe als Gottheit NUR Allah ein Riesenproblem. Da der Koran als Allahs Wort gilt, können die Verse nicht einfach gelöscht werden, deshalb versucht man, das Problem bzw. die Verse einfach zu ignorieren. Salman Rushdie hat jedoch mit seinem Roman den Scheinwerfer weltweit auf das eigentlich zu vertuschende Problem gerichtet, DESHALB gab es die Todes-Fatwa. Leider, leider ist der Westen zu blöd, diese simplen Zusammenhänge zu erkennen, sonst hätte ganz anders reagiert werden müssen und uns wäre sehr viel erspart geblieben. Manchen rechtschaffenen Muslimen im Übrigen auch.

Klaus-Dieter Zeidler / 12.12.2020

Ich kenne einen Syrer, der doch tatsächlich jeden Tag zur Arbeit geht, aus eigenem Antrieb ohne Vergütung Reparaturen und Verschönerungen im Mietshaus vornimmt, freundlich grüßt und versucht unsere Sprache zu sprechen. Nach eigenen Angaben hat er noch nie einen Christen ermordet. Der sitzt sicher bald beim Damen-Blabla in ARD und ZDF und muß die Regierung loben.

Alexander Schilling / 12.12.2020

Es ist wie mit dem “Lockdown”—man wiederholt das Experiment so lange, wie man den Leuten einreden kann, dass es klappt…

sybille eden / 12.12.2020

Die “Soziale” Betreuungsindustrie ist eine riesige,aufgebähte und auf Lügen und Ideologie aufgebaute Geldmaschine. Die Fälle des Versagens sind doch kaum noch zählbar. Das wird auch nie anders sein,dort wo die Staatsknete die wichtigste Motivation ist.

RMPetersen / 12.12.2020

Unsere Gesellschaft geht nicht an der Überlegenheit der Gegner zu Grunde, sonder an der eigenen Dummheit.

CZECH ALEX / 12.12.2020

Köstlich. Bitte mehr! 87% sollen doch in den Genuss ihrer guten Wahl kommen und sich 24/7 um ihre Lieblinge kümmern. Das schaffen die 87iger Guten schon! Ich hole mir derweil noch 10 Eimer Popcorn und warte auf den entscheidenden Genuss-Orgasmus. Danke Deutschelande Viele Danke

Ulla Schneider / 12.12.2020

Jeder Therapeut, der mit den Füßen auf dem Boden steht ( ich betone das), weiß, daß mit 12 Jahren die Sozialisation abgeschlossen ist. Die breiten ” Straßenbahnen” sind gelegt. Es eröffnen sich nur noch Nebenbahnen zur weiteren Ausgestaltung und Jahre später eventuelle Ändererungen, eventuelle. Eine religiöse Fixierung und die damit zusammenhängende Erziehung ist schwerlich zu verändern, wenn sie mit dem “Löffel” eingenommen ist So einfach in die “Luft” hoffen und kein Gespür dafür entwickeln ist bodenloser Leichtsinn und gefährlich obendrein. Nun denn, nicht jeder kann diesen Beruf gut ausüben. Die Qittung sehen wir. Apropo, liebe Foristen, auch eine Bundeskanzlerin hat diesen Löffel gekostet. Den der Sozialisten. Und? Hat sie sich verändert? Nein. Nur die Kostüme sind besserer Qualität.

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