Volker Seitz / 17.06.2020 / 06:14 / Foto: LSIS/Helen Frank / 29 / Seite ausdrucken

Corona-Aufarbeitung: Falsche Prioritäten für Afrika

„Corona besiegen wir nur gemeinsam in der Welt – oder nicht. Ich möchte die Gefahr nicht an die Wand malen, aber Chaos bis hin zum Bürgerkrieg und Flüchtlingswellen, auch nach Europa, wären die Folge“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller im Spiegel am 4. April 2020 und fordert in seinen regelmäßigen Interviews mehr Milliarden für sein Ministerium.

Warum Müller das behauptet, darüber kann man nur spekulieren, denn nachgefragt wurde nicht. Es scheint unter deutschen Journalistinnen und Journalisten kaum mehr üblich zu sein, erhaltene Antworten auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen oder gar zu hinterfragen. In einer Art kollektiven Vorausgehorsams werden die Wortspenden des Ministers dankend in Empfang genommen und abgedruckt. Und tatsächlich sind im „Wumms-Paket“ der Bundesregierung drei Milliarden Euro für sein Ministerium enthalten. Bisher stehen für die Entwicklungspolitik im laufenden Haushaltsjahr 10,88 Milliarden Euro bereit – 630 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.

Müller nutzt die Corona-Krise, um sich weiter zu profilieren. Olaf in der Beek, Entwicklungsexperte der Bundestagsfraktion der FDP, kritisiert die ständigen Forderungen von Müller. „Anstatt einfach immer nur mehr Geld zu fordern, muss der Minister glasklar darlegen, welche Mittel in seinem Etat umgeschichtet werden können und wo er kürzen will“, und pauschal neue Organe wie einen „Weltkrisenrat“ zu fordern, sei verfrüht angesichts der Debatte über den Einfluss Chinas auf internationale Organisationen, die uns noch beschäftigen wird.

Über das Ausmaß der Covid-19-Pandemie lassen sich in Afrika immer noch keine zuverlässigen Aussagen machen. Wie bei uns sind Ursachen, Wirkungen und Abhilfemöglichkeiten noch unzureichend erforscht. Dennoch werden, wie so oft, aus dem vordergründigen Motiv, das eigene Budget aufzustocken, Horrorszenarien ausgemalt. Der Kontinent brauche mehr Hilfe, mehr Finanzmittel müssten fließen, damit der Kontinent die Corona-Krise in den Griff bekomme. „Wir“ sollten mehr Verantwortung und Solidarität zeigen, denn der Kontinent sei nicht in der Lage, von sich aus der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. Dabei weiß jeder, der Afrika kennt, dass die Zahl der an Malaria erkrankten Menschen und der daraus resultierenden Todesfälle bei weitem höher ist als bei Covid-19. Malaria ist nach wie vor die größte medizinische und gesundheitliche Herausforderung für den Kontinent.

Gefühltes weit wichtiger als Fakten

Hauptursache für die weite Verbreitung sind schlechte hygienische Bedingungen, vor allem in ländlichen Regionen. Die Anophelesmücke („anophelos“ ist das griechische Wort für „schädlich“) sticht meist in der Dämmerung zu. Die Überträger der Malariaparasiten sind tagsüber weniger aktiv. Aus medizinischen und epidemiologischen Gründen lohnt es sich, immer wieder moskitofreundliche Pfützen und andere Stellen mit stehendem Wasser trockenzulegen. In Seen, Pfützen und Sümpfen legen die Anophelesmücken ihre Eier ab, die sich innerhalb von wenigen Tagen zu neuen Mücken entwickeln. Brackwasser, mit Müll vermischt, bildet den besten Nährboden auch für Aedesmücken, die Gelbfieber, Dengue oder Zika übertragen. Deshalb hat auch die Wasserver- und Abwasserentsorgung in den KfW-Hilfen immer eine große Rolle gespielt. Warum diese Hilfe in dem Reformkonzept „BMZ 2030“ nicht mehr im Fokus stehen wird (F.A.Z. 26. Mai 2020), ist für mich unverständlich.

Mit dem Virus liegt eine unberechenbare Gefahr über dem Kontinent. Aber niemand weiß wirklich, warum die in der westlichen Welt ausgemalten düsteren Szenarien bisher nicht eingetreten sind. Von der vergleichsweise geringen Anbindung an den internationalen Reiseverkehr und von der schlechten Infrastruktur ist die Rede – Nachteile, die sich in einer Pandemie zum Vorteil umkehren können. Aber auch die junge Bevölkerung könnte eine Rolle spielen. Offensichtlich ist hingegen, dass viele afrikanische Staaten – bei weitgehender Ungewissheit – früh Vorkehrungen gegen Corona ergriffen haben – zu einem Zeitpunkt, als die Krankheit noch nicht weit verbreitet war.

Angélique Kidjo hat den Welthit von Miriam Makeba neu aufgenommen, um über die Verbreitung des Covid-19-Virus zu informieren und auf die Hygiene- und Abstandsregeln hinzuweisen. Da in Afrika ein Teil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann, werden wichtige Botschaften oft mit Musik vermittelt. Pata Pata aus der Xhosa-Sprache Südafrikas bedeutet „Berühren Berühren“. Die Botschaft Kidjos lautet: „Wir müssen unsere Hände sauber halten – deshalb kein 'Pata Pata' und berührt Euer Gesicht nicht. Das Lied wurde Ende April 2020 über 15 Radiostationen in Afrika ausgestrahlt und ist bei Youtube unter „No Pata Pata“ zu finden.

Jedenfalls waren die meisten Staaten – soweit bekannt – offenbar rasch in der Lage, Verantwortung für ihre Bürger zu übernehmen. Die Kommentare bei uns haben mir lebhaft vor Augen geführt, dass Gefühltes in der öffentlichen Wahrnehmung weit wichtiger werden kann als Fakten.

Lesen Sie zum gleichen Thema auf Achgut.com: 

Corona-Aufarbeitung: Eine Analyse mit unangenehmen Fragen

Corona-Aufarbeitung: Warum alle falsch lagen

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: LSIS/Helen Frank via Wikimedia Commons

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Andreas Rochow / 17.06.2020

@ Tobias Kramer - Zu den China-Schwärmern gehören all die satten Salonkommunisten, die linken Revolutionstheoretiker und beispielsweise der SED-Genosse Egon “das Gebiss” Krenz! Sollte der US-Oberbefehlshaber Trump tatsächlich dem starken NATO-/EU-Mann Stoltenberg die Stirn bieten und die US-Truppen in Deutschland abziehen, wäre aus Sicherheitsgründen künftig am ehesten an eine militärische “Kooperation” (lach!) mit den Chinesen zu denken. Die CEOs der deutschen Automobilkonzerne würden das begrüßen und könnten in Peking sogar ein gutes Wort für AKK und den Superminister Heiko Maas einlegen…

Frances Johnson / 17.06.2020

Wichtig finde ich, Herr Seitz, dass im Falle von CoViD19 bislang die Zahlen nichts taugten, doch das wird langsam besser. So stellt sich heraus, dass in NYC mit durch Rachenabstrich nachgewiesenen 210.591 CV-Positiven 20% Antikörper haben, das heißt, von der Bevölkerung von New York City von ca. 8,2 Mio waren ca. 1,6 Mio Personen mit dem SARS-CoV2 infiziert. Bedeutung: NYC hat 22.145 Tote. Bislang war das eine Letalität von ca. 10%. Inzwischen ist es eine Letalität von etwas über 1%. Ein Prozent, die meisten sehr alt. Jedes Jahr sterben ein Prozent im Schnitte eines jeden Landes an Altersschwäche und Krankheiten, einige allerdings auch an Unfallfolgen. Das weiß man, weil man endlich Antikörper testet. Mein Sohn hat diese auch und war zwischen Januar und März zweimal in NYC, das zweite Mal nur auf der Weiterreise. Einziges Symptom: Schnupfen. Zweite Bedeutung: Die Krankheit könnte auch schon länger unterwegs sein. Sollte dies der Fall sein, war sie auch in Afrika, wo man sie aufgrund multipler schwerwiegenderer Erkrankungen und des guten Abschneidens jüngerer Bevölkerung gar nicht wahrgenommen hätte. Somit sollte man, bevor man erneut afrikanische Potentaten mit Milliarden beglückt, in Afrika flächendeckend stichprobenartige Antikörpertests durchführen und sich das Geld für die vielen überflüssigen Rachenabstriche sparen (Momentaufnahme) und diese nur bei Personen mit Symptomen anwenden. Es ist durchaus möglich, dass viele Afrikaner Antikörper haben. Erstens pata-pata, zweitens reichlich wirtschaftliche Kontakte nach China. Wie Sie ja ausführen, dürften die meisten afrikanischen Länder mehr von Wasserprojekten haben. In diesem Punkt (guinea-worm) war Jimmy Carter wenigstens gut. CoViD19 scheint mir für jüngere längst nicht so schlimm und schmerzhaft wie ein guinea-worm.

Richard Kaufmann / 17.06.2020

Das niederrheiniache Kaff Willich - so stand es im Käseblatt - will Bukina Faso 200.000 Mundschutzmasken spenden. Da bleibt einem die Spucke weg bei soviel Ignoranz. Sonst haben die dort alles!

Volker Seitz / 17.06.2020

@Hajo Wolf Lieber Herr Wolf, die Frage habe ich mir am 21.6.19 in meinen Artikel für die Achse auch schon gestellt. Ich rege an, Sie fragen immer wieder Ihren Abgeordneten. Allerdings wird diese Hilfe für die Weltmacht China in der Regierungskoalition nicht in kritisiert.  Dennoch sollten wir die Frage immer wieder stellen.

Tobias Kramer / 17.06.2020

@HaJo Wolf: Das mit der Entwicklungshilfe haben Sie falsch verstanden. Wir bezahlen die Chinesen, damit sie unsere rückständige Gesellschaftsform entwickeln. Es ist quasi die Entlohnung dafür, dass die Chinesen und sagen und zeigen, wie richtige Demokratie funktioniert und wie man es umsetzt. Und schon der grüne Habeck schwärmte doch seinerzeit öffentlich vom chinesischen Demokratiemodell. Also die Entwicklunshilfe kommt uns allen zugute. *juhu zwinker*

J. Braun / 17.06.2020

Der Begriff „Brackwasser“ ist im Beitrag falsch gesetzt. Brackwasser ist ein Fachbegriff, der—anders als oft verwendet—kein schmutziges Wasser bedeutet. Es ist Salzwasser mit einem niedrigeren Salzgehalt als die 32 ‰ des Meeres, entstanden durch die Durchmischung von Meer- und Süßwasser. Das Heimtückische an den Fiebermücken ist außerdem, daß sie für ihre Brut eben keine größeren Gewässer brauchen. Es reicht eine weggeworfene Getränkedose, in der sich beim nächsten Regen etwas Wasser sammelt, in das die Mücke ihr Eipaket legt. Da sich in diesem Miniaturbiotop keine Feinde der Mückenlarven befinden (können), entwickeln sie sich hier—im Gegensatz zu größeren Gewässern mit den zahlreichen Freßfeinden—ungestört.

Sonja Bauch / 17.06.2020

Milliarden Euro für Marokko, die will Gerd Müller für die Wasserstoffstrategie unserer Regierung dort versenken. Denn das Herzstück des deutschenWasserstoff-Neuaufbruchs soll eine Elektrolyse-Anlage in Nordafrika sein. Aus seiner jahrelanger Erfahrung als Entwicklungsminister müsste er aber wissen, dass mit Afrikas korrupten Regierungen und den teilweise agierenden Rebellengruppen dort vieles auf Sand gebaut ist.

Steffen Schwarz / 17.06.2020

Warum greifen die Schwarzen nicht mal zur Schaufel und legen ihre Pfützen und Gräben trocken? Immer nur sieht man junge kräftige Kerle dort neben dem Dreckgräben hocken und in ndie Gegend gucken, Müller kann Schippen kaufen   nat. vor Ort , dann werden Kolonnen gebildet, die ausreichend und ortsüblich aus Müllers _Mitteln bezahlt werden, und dann geht das los. Wo ist das Problem?—Arbeistlose—Menschen sind genug, dort

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