Volker Seitz / 20.04.2020 / 10:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Deutsche Entwicklunspolitik: Nicht praktisch bildbar

Seit einigen Wochen gibt es eine thematische Monokultur in der Berichterstattung, auch über Afrika. Beiträge über das Coronavirus in Afrika verdeutlicht, wo noch immer die Probleme der Berichterstattung vom afrikanischen Kontinent liegen. Die Einordnung kommt in der Regel von westlichen "Experten". Afrika mit seinen 55 Staaten wird dabei  wie ein Land behandelt. Da wird suggeriert, dass ohne weitere Milliardenhilfen der weißen Retter überall Staatsverfall droht. Wer wie der Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ein Unfehlbarkeitsdogma vor sich herträgt, hat schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem. Müller plädierte am Samstag, den 18. April 2020, im Deutschlandfunk dafür, die Weltgesundheitsorganisation WHO zu einer Art „Weltpandemiezentrum“ auszubauen und fordert hartnäckig mehr Milliarden für sein Ministerium. 

Wenn Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident und wirkliche Afrikakenner, schon vor zwei Jahren Müller wissen lies: „Mehr Geld ist kein Selbstzweck. Mehr Geld fördert manchmal vor allem den Status quo, wenn der berüchtigte Mittelabflussdruck und seine Schwester, die Absorptionsfähigkeit, ihre Kraken ausstrecken und dafür sorgen, dass nicht die beste, sondern die bequemste Idee finanziert wird.“ Solche Kritik interessiert den Minister nicht, der sich fast jede Woche medienwirksam inszeniert und ständig Erwartungshaltungen bei afrikanischen Autokraten fördert. Es hat auch unter Müller (seit 2013 Minister) nie eine umfassende, systematische und unabhängige Aufarbeitung der fast 60 Jahre währenden "Hilfe " gegeben, mit der die Wirksamkeit des eigenen Handelns überprüft worden wäre.

Bevor Müller die WHO zu einem "Weltpandemiezentrum" ausbauen will, sollte er den Fragen nachgehen: Ist was dran an der Kritik der USA an einer allzu chinahörigen WHO? Und: Hat China einen zu großen Einfluss in der multinationalen Organisation? Auf Druck Chinas sind z.B. Informationen von Taiwan nie in den täglichen Aktualisierungen der WHO aufgetaucht. Deshalb konnten andere Länder sich über die Lage und die erfolgreichen Maßnahmen auf Taiwan nicht informieren. Manche Regierungen, insbesondere Japan, Indien, Australien, beklagen einen zu starken Einfluss Chinas in der WHO.

Ziellos, Planlos, Wirkungslos, Sinnlos

Und sind die von außen festgestellten Notlagen auch wirklich die Probleme? Afrikanische Intellektuelle wie Felwine Sarr, Achille Mbembe und Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka weisen darauf hin, dass Afrika in der Corona-Krise weder als hilfloses Opfer gesehen werden soll, noch sich als solches gerieren darf. Da reiche Afrikaner laut Medienberichten – offenbar wieder in diesen Tagen – Millionen ins Ausland bringen, stellt sich die Frage, warum westliche Steuerzahler die Lücken schließen sollen. 

Wolfgang Meins schrieb am 15 4.2020 auf der Achse „Mein Name ist Müller und ich weiß von nichts“) über Müllers häufige großspurige Vorschläge und Prognosen, dass er sich wünscht, über Katastrophen in Afrika endlich einmal den dafür eigentlich zuständigen Landes- oder Regionalminister zu hören und zu sehen. Und nicht immer nur Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisation – oder eben Herrn Müller. 

Thorsten Jungholt schreibt in der Welt am Sonntag am 19.4.2020 zu dem Bundeswehr-Engagement im Sahel, dass nach Meinung der Truppe die deutsche Regierung die Strategie "ZPWS" habe. Ausgeschrieben bedeutet das: Ziellos, Planlos, Wirkungslos, Sinnlos. Ich finde, so könnte man auch die Entwicklungspolitik von Gerd Müller beschreiben.


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Leserpost

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Gerd Heinzelmann / 20.04.2020

Das ist zwar nicht Ihre Aufgabe als Diplomat, aber ich bin mir sicher, viele Afrikaner haben Sie in guter Erinnerung und lesen mit. MfG

R. Nicolaisen / 20.04.2020

Tja, die Kolonialzeit in Afrika ist halt viel zu kurz gewesen!

Roland Stolla-Besta / 20.04.2020

Dieser Herr Müll-Eimer ist nur eine der vielen Spitzen unserer Dilettanten-Polit-Mischpoke. Würden wir den Empfehlungen des Herrn Lenin folgen, könnte das jede Putzfrau besser!

Horst Jungsbluth / 20.04.2020

Wenn seit 60 Jahren Entwicklungshilfen an diverse afrikanische Staaten überwiesen wird und zusätzlich noch teure Entwicklungshelfer in diese Länder entsandt werden, dann sollten die hiesigen Steuerzahler darüber informiert werden, wofür diese Gelder verwandt werden, was diese Entwicklungshelfer dort zustande bringen und auch darüber, ob es Missbrauch im großen Stil gibt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass sich gerade in bitterarmen Ländern eine Schicht von Politikern ein schier unglaubliches Luxusleben leistet. Unser Entwicklungsminister ist dem deutschen Volke rechenschaftspflichtig und nicht etwa diesen Potentaten, das sollte man ihm einmal unter die Nase reiben. Es wäre doch einmal interessant zu erfahren, wieviel die einzelnen Staaten in den ganzen Jahren erhalten haben und wo damit tatsächlich Fortschritte erzielt worden sind. Ich werde auch den Verdacht nicht los, dass nicht wenige Entwicklungshelfer Tipps geben oder gar “verkaufen”, wie man es am besten anstellt, um als Asylant oder zumindest “Geduldeter” in Old Germany in das dortige Sozialsystem einzuwandern.

Wolfgang Kaufmann / 20.04.2020

Conte, di Maio und Salvini sind ja nur alte weiße Männer, denen darf man ungestraft die Förderung der italienischen Mafia unterstellen. Würde man das Gleiche bei afrikanischen Potentaten tun, wäre es der schlimmste Rassismus. Merke: Die NGOs sind Mündelhalter und die Afrikaner lediglich entmündigte Bauernopfer auf dem Schachbrett des organisierten Gutmenschentums in Deutschland. Aber zum Glück haben wir ja keine Mafia.

Detlef Dechant / 20.04.2020

Ich habe mich häufiger mit Hans-Jürgen Beerfeltz, dem früheren Staatssekretär im BMZ unter Niebel, u.a. über entwicklungspolitische Themen unterhalten. Dabei hatte er mir stolz erzählt, dass nunmehr die Projekte auch evaluiert werden. Anscheinend, jedenfalls weisen alle Kommentare darauf hin, hat man das nach dem Regierungswechsel und dem neuen Minister Müller ganz schnell wieder eingestellt. Man hat also die Art der Verteilung und Nichtüberwachung der Geldströme aus Zeiten der roten Heidi wieder aufgenommen. Wir haben es ja! Wir sind nicht nur der Nettozahler der Eu, sondern auch der Sponsor afrikanischer Potentaten und überflüssiger NGOs aufkosten der vielen kleinen Steuerzahler in Deutschland.

J.P. Neumann / 20.04.2020

Ein großer Teil der deutschen Entwicklungshilfe geht nach China. Von dort kaufen die afrikanischen Regime mittlerweile den grössten Teil ihrer Infrastruktur, wie Bahn, Strassenbau, Maschinen, Hafenanlagen etc. Die afrikanische Bevölkerung kauft aus China alle Konsumgüter.  Die Motorräder die man in Afrika sieht, sehen zwar alle aus wie Honda, sind aber keine, nur Klone Made-in-China.  Den Afrikanern ist es egal.  Sie nehmen das Geld und geben es aus oder bringen es auf Schweizer Konten.  Ich habe nie einen Afrikaner getroffen, der sich für wirtschaftliche Planung interessiert hätte.

Thomas Holzer, Österreich / 20.04.2020

ZWPS sollte sich aber nicht nur auf die deutsche Politik in Sahel, sondern auch auf die Politik innerhalb Deutschlands beziehen ;)

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