Cora Stephan / 29.04.2021 / 10:00 / Foto: Archi W. Bechlenberg / 28 / Seite ausdrucken

Cora Stephan – Die Stimme der Provinz: Das Glas in der Hand zum Umsturz 

Was haben die Römer je für uns getan? Genau! Womöglich haben sie uns auch noch die Landgasthöfe beschert. Denn wer Fernstraßen baut, muss zugleich dafür sorgen, dass Reisende unterwegs absteigen, essen, schlafen und die Pferde wechseln können. Ziemlich oft, aber nicht überall, trafen sie an solchen Orten auf Wegelagerer, die sich Wirte nannten, auf finstere Kaschemmen, Mordbuben, mieses Essen, schlechtes Bier und nasses Stroh. Wer „Game of Thrones“ gesehen hat, weiß, wie gruselig das sein kann.

Doch derartiges konnten sich nur Raststätten leisten, für die es kilometerweit keine Konkurrenz gab. Die anderen mussten um ihre Kundschaft buhlen, um die vielen Pilger oder Händler, und so wurden die beliebtesten Gasthäuser, den Märkten vergleichbar, zu Brennpunkten der Völkerverständigung. 

Aufgehorcht also: Lockdown für Gasthöfe ist nichts anderes als eine Versündigung am weltumspannenden Gedanken von Frieden und Völkerverständigung. Na? Klingelt’s? 

Genau dafür sind sie da, die Landgasthöfe, mit ihrer ehrwürdigen, jahrhundertealten Tradition. Sie dienten niemals nur der Beherbergung und Verpflegung, sondern auch dem Feiern, dem rechten Glauben, der Verschwörung und der Demokratie – als Versammlungsort oder Wahllokal und als Höhepunkt des sonntäglichen Kirchgangs.

Kleinodien der Wirtlichkeit

Man denke an England oder Schottland, wo Gasthöfe die Brutstätten der Künste waren, des Theaters, der Musik. Shakespeare begann seine Karriere im Cross Keys Inn. Waren das Zeiten. 

In seiner heutigen Form ist der Landgasthof eine Erfindung der Neuzeit. Viele dieser Stätten völkerverbindender Gastlichkeit drohten zu versinken, doch einige an den weniger fetten Landstraßen haben sich hinübergerettet und sind in alter Würde wiederauferstanden. Die Raststätten an den Autobahnen sind nur ihr müder und wenig einladender Abklatsch. Die Kleinodien der Wirtlichkeit überlebten als Ausflugslokale, seit die Menschen den Ausflug aufs Land als Freizeitvergnügen für sich entdeckt haben – und das ist noch gar nicht so lange her. 

Landgasthöfe haben seit dem 19. Jahrhundert eine Renaissance erlebt – genauer gesagt: seit Menschen den grauen Stätten der frühen Industrialisierung in die angeblich noch unberührte Natur entfliehen wollten. Und seit auch die etwas größere Masse sich zeitlich und materiell etwas leisten konnten, was sonst nur dem adligen Müßiggänger genehm war: den Ausflug in die Landschaft – diesem Phänomen, das mit Natur weniger zu tun hat als mit des Menschen Sehnsucht nach ihrer Schönheit. 

Die Naturzerstörung durch die Industrialisierung erzeugte den Wunsch, eine unzerstörte Idylle in immer ferneren Gegenden aufzustöbern, um sie damit ebenfalls zu profanisieren, meint Rolf Peter Sieferle. „Naturverherrlichung setzt immer die Trennung von der Natur voraus.“ 

Den Nachbarn mit einem frisch gezapften Bier zuprosten 

Gewiss. Egal.

Mag der Landgasthof in möglichst idyllischer Lage auf der Illusion beruhen, der kapitalistische Menschheitsfortschritt lasse noch ein paar winzige Oasen der Schönheit übrig – es macht es nicht weniger schlimm, dass man ihn derzeit nicht ansteuern kann. Schließlich lautet das Gesetz: Nach jeder (vom Arzt empfohlenen) Wanderung sollst du einkehren und dich an einem langen Tisch unter alten Kastanienbäumen oder Glyzinienkaskaden niederlassen und den Nachbarn mit einem frisch gezapften Bier zuprosten. 

Etwa im „Weißen Schwan“ unweit von Berlin, idyllisch an einer der vielen Wasserstraßen gelegen, mit verlässlich freundlichen Wirtsleuten und hausgemachtem Kuchen. Oder in der Boucharade, am Ufer der Beaume in der Nähe einer Brücke gelegen, der höchst willkommene Endpunkt einer Wanderung durch die wilde Botanik. Und was wären die deutschen Weinbaugebiete ohne die vielen Straußwirtschaften, in denen es zur schlichten Brotzeit den besten Wein gibt? 

Das sind die Orte, an denen es passieren könnte, dass sich einer erhebt, das Glas in der Hand, zum Umtrunk oder Umsturz aufruft: „Wir machen auf!“ Die Augen, die Flaschen, die Herzen, die Gasthäuser, alle Stätten der Geselligkeit und der Begegnung. Es wird nicht mehr lange dauern, und wir werden sie stürmen: die Gasthäuser, nicht nur auf dem Land.

Um es im Sound des 19. Jahrhunderts zu sagen: Das genau ist es, was die Herrschenden fürchten. 

Foto: Archi W. Bechlenberg

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Leserpost

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Thomas Taterka / 29.04.2021

Man sollte nicht überschnappen und von einer” historischen Wiederholbarkeit der Straße”  träumen . Das ist oppositionelle Ostalgie und sie fängt mit dem Schwachsinn des ” demütigen Lauschens ” an , der hier gestern eingefordert wurde . Wir befinden uns in einer neuen , durch vordergründige Analogien nicht zu bewältigenden Situation , für die wir noch nicht die richtige Bezeichnung gefunden haben . Sonst wären zehnmal soviele Leute bei jeder Demonstration auf der Straße , weil ihnen klar wäre , daß es sie betreffen wird und sie sich das nicht mehr werden aussuchen können , wenn sie noch länger ” träumen “. Klar ist aber auch , daß, wer noch dazukommen mag, sich nicht vorbehaltlos anschließen oder mischen will . Und genau das ist das Problem , das die Vergrössung des Protests vorerst verhindert . Hält es länger an , könnte der Strassenprotest am Ende des Sommers zu einem Nichts zusammenschrumpfen und das war’s dann mit der Opposition, vorläufig . Ich weiß, ist Ketzerei was ich sage , aber was raus muß, muß raus . Wenn man wirklich eine bessere Politik will , muß man aufhören , in der Vergangenheit zu schwelgen . Jetzt ist jetzt . - Nobody wants to be in school forever.

Reinhard Weber / 29.04.2021

@ Klaus Matschke. Da habe ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt. Soll heißen, dass alle Dinge, die eine Kommunikation, auch Netzwerkentwicklungen ermöglichen oder fördern unterbunden werden sollen. Ich hatte fast schon ein Jahr keinen Stammtisch mit alten weißen Männern mehr… Es ist auch ohne Essen z. K…...

J.G.R. Benthien / 29.04.2021

Lockdown für Gasthöfe ist nichts anderes Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Wo kann man — wenn man unterwegs ist — mal für »kleine Jungs« und »kleine Mädchen«? Und dazu noch die Hände waschen, einen frischen Kaffee oder Erfrischungsgetränke, eine Kleinigkeit für den Magen und ein paar Auskünfte über die Region bekommen, wenn nicht in den (Land-) Gasthöfen? Sind sie geschlossen, ist der Aktionsradius brutal eingeschränkt, mehr als eine Stunde Autofahrt in eine Richtung ist nicht drin. Für mich ist das gleichbedeutend mit einem Berufsverbot, weil ich sehr häufig in entlegene Regionen fahren muss.

S.Müller-Marek / 29.04.2021

“Wir machen auf” wird es nicht geben. Weder die Verbände von jeglichen Gewerbetreibenden noch die Bürger unseres Landes haben den A…. in der Hose, das zu tun! Nicht in DIESEM Land. Und das Regime kennt die Mentalität ihrer “Unterworfenen” ganz genau.

Thorsten Beyer / 29.04.2021

Die Gasthäuser stürmen? So wie beim dilletantisch inszenierten “Sturm auf den Reichstag” Anno 2020?! haha…. In Zeiten, wo jede kritische Anwandlung schon als demokratiefeindlich und damit staatsfeindlich eingestuft wird - da wird sich kaum noch jemand in DE aus seiner Couch erheben wollen… und auf die wenigen, die es dennoch wagen warten schon knüppelschwingend die sogenannten Freunde und Helfer… denn gegen Deutsche geht die Polizei ja bekanntlich besonders gerne besonders hart vor… und zur Not hilft ja auch die SA, äh “Antifa”...

Klaus Matschke / 29.04.2021

Reinhard Weber@ “Diese Form der Kommunikation soll unterbunden werden.” Soso, und warum sponsern Sie das Ganze denn?

Walter Weimar / 29.04.2021

Die Biertischgespräche, als Brut der Revolution, sie wird nicht kommen, weil heutzutage die Welt sich geändert hat. Aber der (Land)-Gasthof, es ist ein Stück Kultur, den Letzten ihrer Art wird gerade der Dolchstoß verpaßt. Scheinbar sind aber Politiker aller coleur davon begeistert das Land zu roden. Einen D u j a r d i n darauf, daß sie im Herbst von neuen gewählt werden.

Stefan Reinbott / 29.04.2021

Die Furchtlosigkeit der Beherrschten, das ist, was die Herrschenden fürchten. In so einer Schankwirtschaft werden in aller Regel, insofern nicht bereits durch konsekrierte Cranberry- und mit Körnern angereicherten Karottensäfte und Gurkenwasser ersetzt, stark angstlösende Getränke serviert. Das mag der Grund sein, dass auch die Stadt Köln für den Karneval eine Prohibition verhängte, und ich meine auch der oberste deutsche Tierarzt, der immer so alles vom Blatt ablesen darf, hat sich schon gegen den Genuss dieser Substanz ausgesprochen. Hinzu kommen noch die stärkende Geselligkeit und Ausblicke auf dekolletierte Hügellandschaften, welche für den notwendigen Testosteronspiegel sorgen. Aber diese Drops sind wohl gelutscht. Der Sommer wird anders als der letzte Winter. Ein Herz für Tiere war einmal, jetzt heisst es ein Herz für Künstler.

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