Georg Etscheit / 29.08.2021 / 12:00 / Foto: Kürschner / 20 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Nix Schöneres als wie Currywurst

Leider muss ich meinen Artikel über die Königsberger Klopse noch einmal verschieben, denn wieder drängt sich die Aktualität in den Vordergrund, diesmal in Form der aus der VW-Kantine gestrichenen Currywurst. Namentlich Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der idealtypisch für einen der letzten alten weißen Machos in der bundesdeutschen Politik steht, äußerte Unverständnis über die Entscheidung, die wohl in Wahrheit eher ein Werbegag war und dem immer noch unter dem Abgasskandal leidenden Unternehmen ein wokes Image verleihen soll, mit dem man Tesla und seiner Berliner „Gigafactory“ Paroli bieten kann.

„Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben“, wurde Schröder nach der epochemachenden Entscheidung in der Fachpresse zitiert, ein wundervoller Satz, über den ein ganzes Team von PR-Spezialisten seines Büros stundenlang gebrütet haben muss. Schröder zelebrierte stets formvollendet seine Herkunft aus dem „Volk“ (heute wahlweise „Bevölkerung“ oder „Pack“) und huldigte offensiv der Currywurst, die mit Pommes accompagniert in den Rang einer „Kanzlerplatte“ erhoben wurde. Dabei stammte Schröder weder aus Berlin, der Urheimat dieser Spezialität, oder dem Ruhrpott, wo ein anderer Edelprollo namens Horst Schimanski seine Currywurst mampfte und Herbert Grönemeyer dichtete: „Gehste inne Stadt / Wat macht dich da satt? 'Ne Currywurst / Kommste vonne Schicht / Wat schönret gibt et nich' / Als wie Currywurst“.

„Mit oder ohne Darm“

Für die Currywurst ist nun jedenfalls Schicht im Schacht, zumindest in der Kantine des  „Markenhochhauses“ von VW, was immer man sich darunter vorstellen mag. Denn natürlich wollten die VW-Oberen keinen ArbeiterInnenaufstand provozieren, weshalb das Gericht in einer anderen Kantine in der Nähe weiter erhältlich ist. Wie auf Wikipedia zu lesen, ist die VW-Currywurst seit 1973 „über die Werksgrenzen“ hinaus bekannt und beliebt, wird von der VW-eigenen Fleischerei in Millionenstückzahlen produziert, und zwar in Form einer Currybockwurst, einer Brühwurst, bei der das Gewürz schon dem Brät beigemischt ist, was sie besonders pikant machen soll.

Für die Originalversion, wie sie im September 1949 die Berliner Gastronomin Herta Heuwer in ihrer Imbissbude Ecke Kant-/Kaiser-Friedrich-Straße im Berliner Bezirk Charlottenburg erstmals ihren Gästen serviert haben soll, wird dagegen eine weder geräucherte noch gepökelte Bratwurst verwendet – mit oder ohne Darm. Dabei wird, zumindest in Berlin, der armen Bratwurst nicht das Fell über die Ohren beziehungsweise der Darm vom Brät gezogen. Es handelt sich um zwei verschiedene Produkte, wobei die Variante „ohne Darm“ den bayerischen Wollwürsten ähnelt, die auch ohne die tierische Hülle ihre Form behalten. Als Tourist in Berlin sollte man auf die Frage „mit oder ohne Darm“ vorbereitet sein und sich von der anzüglich klingenden Ansage nicht den Appetit verderben lassen.

Süchtig machende Mischung aus süß, salzig und fettig

Vom rein gastronomischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Currywurst schwerlich mit den Maßstäben verfeinerter Küche zu messen. Die Mischung aus gebratenem Schweinefett und süß-scharfer Tomatensauce verklebt zuverlässig jede Geschmackspapille und lässt als begleitendes Getränk eigentlich nur Dosenbier oder ein Stamperl Magenbitter zu. Trotzdem muss das Gericht seine Qualitäten haben, führte es doch fast dreißig Jahre lang die Hitliste der beliebtesten Kantinengerichte an, bis sie 2020 von Spaghetti Bolognese auf Rang zwei verwiesen wurde. Es ist wohl, wie so oft, die Mischung aus süß, salzig und fettig, die unwiderstehlich ist und allen Speisen zugrunde liegt, die suchtartige Reaktionen auslösen. Und der kurze Durchhänger der Currywurst könnte eine Folge von Corona sein. Vielleicht wollten die Menschen nur ihren unbefriedigten Reisehunger stillen und griffen deshalb noch häufiger als sonst zu Nudeln mit Tomatensoße.

Fast- oder Streetfood nach Art der Currywurst kann einen hohen Spaß- und Genussfaktor haben, vor allem dann, wenn man versteht, daraus ein kleines, kultiges Ereignis zu machen. Wobei ich persönlich eine Currywurst niemals als Tellergericht in einem Restaurant oder einer Kantine sitzend zu mir nehmen würde. Das Transitorische ist unabdingbarer Bestandteil der Currywurst-Kultur, wie die hölzerne Pieke, das weiße Pappschiffchen, das Dosenbier, der von den scharfen Krusten der zeitgleich verschlungenen Pommes aufgeraute Gaumen und das sich der hektischen Mahlzeit anschließende Völlegefühl. 

Proll-Charakter, der immer auch an Ejakulat denken lässt

Natürlich gibt es Versuche, die Currywurst zum Edelgericht zu erklären, gar emporzuheben in die Sphären der Hochküche. Fernseh-Sternekoch Johann Lafer, der einmal vorschlug, die Snack-Spezialität zum Weltkulturerbe zu erklären, lässt für seine selbst hergestellte Currywurstsauce Zwiebeln mit Currypulver gut anrösten, gibt dann Tomatenmark und passierte Tomaten dazu. Lafer bevorzugt Madras-Curry. „Dann muss man das ganz lange und langsam kochen ähnlich wie eine Bolognese-Soße. Die Soße wird durch ein feines Sieb passiert und dann hat man in der Regel eine wirklich schöne, cremige, nicht gebundene Soße.“

Abschmecken kann man den Sugo ganz nach eigenem Gusto mit Zucker, Ingwer, Vanille oder gar einem Schuss Coca-Cola. Man kann sie auch gleich ganz auf der Basis der Brause herstellen und mit Apfelmus, Ketchup, Worcestersauce und Tabasco anreichern. Natürlich ist die Güte der Bratwürste nicht ohne Belang, wobei die scharfe Sauce den feinen Fleischgeschmack meist überdeckt. Zu scharf gewürzt oder geräuchert sollten sie indes nicht sein, das wäre eindeutig zu viel des Guten. Wer will, kann die Pommes dazu selbst schnippeln und frittieren oder Ofenkartoffeln zur hausgemachten Currywurst reichen.

Doch, wie gesagt, der machohafte Proll-Charakter, der immer auch an Pimmel und Ejakulat denken lässt, gehört zur Currywurst wie Thanner zu Schimanski. Sie ist eines der letzten Zeugnisse einer schon fast untergegangenen Arbeiterkultur. Und wenn der Imbiss um die Ecke schon auf modisches Pulled Pork oder veganen Wurstersatz umgestellt hat, tut es zu Hause allemal das Curry-Ketchup aus der Plastikbuddel, nebst Fertig-Pommes aus dem Gefrierbeutel. Danach darf man laut aufstoßen und sich mit Sixpack vor die Glotze knallen. Nochmal Grönemeyer: „Bisse dann richtig blau / Wird dir ganz schön flau / Von Currywurst / Rutscht dat Ding dir aus / Gehse dann nach Haus / Voll Currywurst / Auf'm Hemd auffer Jacke / Ker wat ist dat 'ne ka, alles voll Currywurst.“

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Regina Becker / 29.08.2021

Darüber stand hier vor längerer Zeit schon mal was. Es handelt sich um eine Kantine von vielen bei VW. Wer Currywurst will, der bekommt sie problemlos - nur eben in der Hochhauskantine nicht mehr. Es ist nicht das Aus für die VW-Currywurst und auch nicht der Untergang des Abendlandes. Wie viele VW-Leute aus der Produktion sind denn immer im Büro-Tower essen gegangen? Dort gibt es nun vegetarisch/vegan - diese Ernährungsweise wird eh hochgejubelt. Vllt gibt es dort ja dann vegetarische Currywurst: sieht aus wie Currywurst, schmeckt wie Currywurst, hat 0% Fleisch. Falls die Menschheit noch ein paar zigtausende Jahre überlebt, wird sie sich in Alles - und Pflanzenverzehrer teilen - mit völlig unterschiedlichem Gebiss, Verdauungstrakt und Aussehen. Das gibt bereits in der Entwicklungsphase jede Menge Ausgrenzung und Rassismus ... fängt ja jetzt schon an.

U. Unger / 29.08.2021

Currywurst, Energieriegel der Vernünftigen!

Ulla Schneider / 29.08.2021

....und wer’s trotzdem schnell haben oder machen will, nimmt den Tomatenketchup mit curry von Zwergenwiese. Noch nicht lange auf dem Markt, aber schmeckt hervorragend. Auch für Kinder ohne scharfen Curry zu haben. Wo? Leider nur in Bioläden. -  Muskelbenutzer und Gelenkebeweger brauchen was ” reddiges” ! Die anderen mögen es auch. Ein Lob auf die Unsterblichkeit der Currywurst. Wo Schröder recht hat hat er recht. - Danke für die Rezepte.

A. Ostrovsky / 29.08.2021

Lieber Herr Etscheit, zuerst eine persönliche Bemerkung: Ja, ich kenne Cürrywurst, und das ist gut so. Im Weiteren aber hinterlässt der Artikel die Frage, ob es denn eine Erklärung sein doll, speziell für Cürrywurst-Nichtkenner, was ein Currywurst eigentlich ist. Mehr noch hätte es mich persönlich interessiert, aus welchem Grund, oder wenigstens mit welcher Begründung, denn die Currywurst verbannt wird in der Burg des Wolfes, äh der Wölf*In. Da hatte ich meine Hoffnung auf den Lonk ganz am Anfang des Textes gesetzt, aber dort waren die Verständnisschwierigkeiten noch größer. Ich scheitere schon an der Frage, was genau ein Markenhochhaus ist. Bitte beachten Sie, wenn schon die Begriffe unklar bleiben, wie soll dann ihre kunstvolle Anordnung in einem Satz die gegenseitige Beziehung zwischen den Begriffen, mit all ihren Wechselwirkungen und möglichen Rückkopplungen, genauer beschreiben? Ich bin also so klug, als wie zuvor. Ich kannte ja die Currywurst schon und war sogar fähig, sie vom Näg..-Kuss zu unterscheiden. Aber alle Zusammenhänge mit Möhren, CO2, Covid-19 oder der Gefährdung des Fortbestandes sind nach wie vor im Dunkel. Es scheint auch nichts mit Reichbahn zu tun zu haben, zumal das ja in der Burg der NS-Wölf*In auch völlig gaga wäre. Wenn das der Führer wüsste!

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