Georg Etscheit / 02.04.2023 / 12:00 / Foto: Imago / 26 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Königskäse mit Charles

Beim Besuch von König Charles machte Deutschland auf Nachhaltigkeitsgedöns, lotste ihn zum größten Demeter-Ökobauernhof des Landes. Auch das Menü zum Staatsbankett wirkte ökologisch bemüht.

In guten Käse gehören für mich im Prinzip nur zwei Dinge: Milch und Bakterien. Wenn es sein muss, darf Käse auch mal in etwas Alkohol gebadet werden wie ein mit Calvados behandelter Camembert oder mit Marc de Bourgogne angereicherter Époisses. Von mir aus kann ein Ziegen- oder Schafskäse auch mit Kräutern der Provence bestreut sein – die kann man vor dem Genuss ja abschaben, weil es keinen Spaß macht, sie mitzuessen. 

Doch die vor allem in der Ökokäsebranche zwecks „Verfeinerung“ beliebten Zutaten wie Bockshornklee, Bärlauch, allerlei Wild- und Wiesenkräuter oder diverse Kerne und Nüsse stellen in meinen Augen keine echte Bereicherung dar. Sie drängen sich meist präpotent in den Vordergrund und überdecken, so vorhanden, den eigentlichen Käsegeschmack. Und Walnusskerne oder die gerade so beliebte gerösteten Kürbiskerne nehmen inmitten der Käsemasse meist eine gummiartige Konsistenz an, die ich für unappetitlich halte.

Insofern ist es bedauerlich, dass König Charles III. bei seinem gerade zu Ende gegangenen ersten Deutschlandbesuch zur Herstellung eines mit Demeter-Möhrensaft aromatisierten „Brodowiner Königskäses“ genötigt wurde. Und zwar anlässlich seiner Visite in Deutschlands größtem Demeter-Ökobauernhof im brandenburgischen Brodowin am Rande der Schorfheide, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Berlin, wo er Medienberichten zufolge „Käsemasse in eine Form füllte und glatt strich“. Das Gut ging 1991 aus einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) hervor und beherbergt heute neben 150 Mitarbeitern noch 160 Milchkühe, 250 Milchziegen und 2.400 Hennen. Außerdem werden fünfzehn Gemüsesorten kultiviert sowie Futter für die Tiere. 

„Käse aus Monarchenhand“

Mobile Hauptstädter vorzugsweise aus den Hochburgen der Öko-Bourgeoisie wie Mitte oder Prenzlauer Berg pilgern am Wochenende zum Hofladen des „Ökodorfes“ am Parsteiner See oder lassen sich eine Brodowiner Ökokiste an die Haustüre liefern – dem Vernehmen nach „teilweise schon emissionsfrei mit E-Lastenrädern“. Im Angebot sind auch streng nachhaltige Convenience-Produkte wie ein schickes Weckglas mit 80 Gramm (!) verzehrfertigem Blattsalat, „gewaschen und gezupft“, nebst Toppings wie „Thousand Islands Dressing“ oder „Orangen-Vinaigrette“.

Der „Käse aus Monarchenhand“ aus der hofeigenen Molkerei habe eine schöne orange Farbe und erinnere damit „vielleicht ein wenig an den Cheddar von der Insel“, wurde vorab eine Sprecherin des Ökogutes zitiert. 150 Laibe sollten gemeinsam hergestellt werden, versehen mit einem Krönchen-Emblem, und nach einer – leider sehr kurzen – Reifezeit von acht Wochen in Berliner Alnatura-Filialen und beim Brodowiner Lieferservice exklusiv in den Verkauf kommen.

Von Cheddar, dem neben dem Stilton bekanntesten britischen Käse, war in dieser Kolumne schon die Rede. Es gibt durchaus recht ordentliche Cheddars, zumal wenn sie handwerklich produziert werden. Über die geschmackliche Finesse eines „Brodowiner Bauernkäses Möhre-Kürbiskern“ dürfte ein solcher Cheddar locker hinauswachsen. Vergleiche mit der französischen Käsevielfalt sollte man indes nicht anstellen – insofern war es ein Menetekel, dass King Charles seine Frankreich-Visite wegen der angespannten politischen Lage im Land ausfallen ließ und direkt ins deutsche Nachhaltigkeitsparadies gelotst wurde.

Erinnerungen an 1995

Mit dem kulinarisch immer noch unter den Nachwirkungen der genussfernen DDR-Planwirtschaft leidenden Osten Deutschlands hatte Charles schon einmal im Jahre 1995 Bekanntschaft machen müssen. Damals noch als Prince of Wales, ewiger Thronfolger und umweltbewegter Patron eines allseits bekannten Ökogutes rund um seinen Landbesitz Highgrove House in der Grafschaft Glouchestershire.

Zunächst schaute Charles in Berlin-Hellersdorf bei „Moni’s Friseursalon“ vorbei, um anschließend im Plattenbau-Wohnzimmer einer Familie mit Rotkäppchensekt bewirtet zu werden. Die „Berliner Zeitung“ schrieb damals, es habe ein Gekreische wie bei einem Take-That-Konzert gegeben. Und ein Ostberliner Verwaltungsangestellter wurde mit dem Satz zitiert: „Früher wurden die Leute herbestellt, jetzt sind sie freiwillig begeistert.“

Obwohl nunmehr ein leibhaftiger König zur Stippvisite erschien, hielt sich die Begeisterung in Grenzen, zumindest in Brodowin. „Einige interessiert der Besuch von Charles, sie freuen sich darauf ihn kennenzulernen. Andere wiederum sind jetzt nicht so neugierig“, hatte die Hofsprecherin im Vorfeld der Visite ausgeplaudert, reichlich undiplomatisch. Jeder habe sich für den Besuch anmelden können, am Ende waren es nur „etwas mehr als 30 Mitarbeiter“, die den König bei seinem Hofrundgang begleiten wollten, um über „ökologische Landwirtschaft“ und den „Schutz von Feuchtgebieten“ zu parlieren.

Backpflaume, ostfriesischer Schwarztee und Sandgebäck

So sind sie, die Deutschen, immer schön nüchtern, natürlich streng antiroyalistisch, grün und treudoof wie Annalena. Die Franzosen hätten es krachen lassen mit Kranzniederlegung am Arc de Triomphe und Gang zum Élysée-Palast, begleitet von der Republikanischen Garde, Besuch der Luxusmode-Galerie 19M von Chanel, Staatsbankett in Schloss Versailles, später Fahrt mit dem außerhalb von Streikzeiten superpünktlichen TGV nach Bordeaux und Besuch eines nach Ökostandards bewirtschafteten Grand Cru-Weingutes im exquisiten Anbaugebiet Pessac-Léognan.

Deutschland macht wie immer auf Militär, Selbstzerknirschung und Nachhaltigkeitsgedöns, wobei man mit letzterem beim „grünen König“ Charles offene Türen einrannte. Auch das Menü zum Staatsbankett wirkte ökologisch bemüht und ziemlich rustikal mit gebeiztem Karpfen und Erfurter (!) Brunnenkresse, Kraftbrühe vom Heckrind, einer 1920 entstandenen, dem Auerochsen ähnliche Hausrinderrasse, sowie Weidehuhn und „Baumpilz“, bei dem es sich um einen Austernseitling gehandelt haben könnte. Zum Abschluss Backpflaume, ostfriesischer Schwarztee und Sandgebäck. Die Briten fressen schließlich alles.

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Imago

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Leserpost

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Esther Braun / 02.04.2023

Die Ureinwohner haben Tamponcharlie also nicht ausgiebig gefeiert? Wo ist Ihr Problem? Sind Ihnen die Deutschen nicht schon obrigkeitshörig genug? Müssen sie auch noch vor dieser parasitären Daseinsform namens König einen Hofknicks machen?

Wilhelm Rommel / 02.04.2023

Kulinarisch ziemlich öde, das Menü des royalen Staatsbanketts - aber eben ganz und gar passend zu den Gastgebern! Beinahe noch eine glückliche Fügung des Himmels, dass Charles III. nicht noch zu ‘Feiner-Sahne- Fischfilet’ oder einem extra-breiten, dafür aber ökologischen ‘Doppel-Whopper à la Ricarda’ bzw. ‘Trampolin-Huhn mit Fußpilz’ genötigt wurde. Und einigermaßen wohlerzogen, wird der Brite sich nicht getraut haben, angesichts des Elends unüberhörbar nach einem frisch gezapften Schwarzbier der Sorte ‘Störtebeker’ oder einer ‘Wismarer Mumme’ zu fragen, wie es sein zu solchen Späßen allemal aufgelegter Vater wohl getan hätte…

Michael Hoffmann / 02.04.2023

Bei Prinz Philip hätte man sich das nicht erlaubt: “Ich kriege nie mal Hausmannskost zu sehen - alles, was ich bekomme, ist Schnickschnack.”

Burghard Gust / 02.04.2023

Der Schlangenölverkäufer(Zitat Prof.Edzard Ernst-Spiegel Intervieuw) beim Schlangenölhersteller…

Peter Holschke / 02.04.2023

Kann ich nichts mit anfangen, mir dieser Sorte von Herrn König. Gehören die Privilegien des Adels nicht abgeschafft? Die Funktion als Staatsoberhaupt, erlangt durch Erbschaft, ist doch wohl ein Witz. Wasser und Brot wären in meinen Augen die richtige Kost für solche Leute.

Thomas Kache / 02.04.2023

Na ja. Käse hin oder her. Deutschlands Lieblings- Klabauter, der Pumuckl hatte da auch ein bißchen Recht. Käse ist verdorbene Milch. Es gibt ihn in den Varietäten: optisch, so la- la, olfaktorisch ehr zweifelhaft, dafür geschmacklich herausragen. Oder eben andersherum. Ob der Käse aus Brandenburg das Gütesiegel: By Appointment of HRH aufgedrückt bekommt, und sich dieses verkaufsfördernd auswirken würde, steht wohl im royalen Sternenglanz, welchen Charles III. zu verbreiten sich herabgelassen hat. Solange es sich bei dem Produkt nicht um die sardische Spezialität handelt, käme es zumindest auf einen Geschmackstest an. Noch anzumerken wäre, das in früheren Zeiten Bäuerinnen in durchaus betrügerischer Absicht Karottenbrei unter die Butter gemischt haben. Was ich hiermit ausdrücklich den Ökobewegten nicht unterstellen möchte.

Uta Buhr / 02.04.2023

Wie wenig stilvoll der Besuch des Königs begangen wurde, sah man an Merkels unterirdischen Tretern und ihrem zerknitterten Seidenblüschen. Auch unsere “Erste Dame” erschien in einem total unpassenden Outfit mit Sommerhütchen. Aber das hässliche lilafarbene Abendkleid setzte der Geschmacksverirrung noch die Krone auf. Lebte mein Vater noch hätte er schlicht resümiert: “Typisch Sozi.”

Dr. Joachim Lucas / 02.04.2023

Da fällt mir nur ein Witz ein: Die drei kürzesten Bücher der Welt? Amerikanische Geschichte, italienische Heldentaten, britische Köstlichkeiten. Auf jeden Fall passt der britische Charles auf so einen miefig-freudlosen deutschen Öggohof.

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