In Ermangelung einer militärischen Bedrohung hat die Bundeswehr mit ihr übergestülpten Wokeness- und Öko-Regelungen zu kämpfen – und längst kapituliert. Neuer heißer Scheiß: ein Nachhaltigkeitsfragebogen für das Beschaffungswesen.
Wenn der Amtsschimmel vom Öko-Wahn befallen wird, kommen Ausgeburten wie der Leitfaden der Bundesregierung für eine nachhaltige Textilbeschaffung der Bundesverwaltung dabei heraus. Auf einschüchternden 124 Seiten ist von Nachweisen durch Gütezeichen und ökologische Ausschlusskriterien die Rede, vom Einkauf von nachhaltigen Matratzen und ökologischen Anforderungen an die Gewinnung der eingesetzten Rohfasern (Faseranbau, Keratinfasergewinnung oder Synthetikfaserherstellung), von der Angabe des Gewichtsanteils der Baumwollfasern aus kontrolliert biologischem Anbau über den Ausschluss von Chlor bei der Zellstoff-Produktion und Grenzwerte für N2O-Emissionen bis zu den Arbeitsbedingungen bei der Herstellung. Was Letztere betrifft, taucht sogar das Wort „Schuldknechtschaft“ auf. Dies alles durchgelesen und trotzdem den Verstand nicht verloren zu haben, das ist ein niemals zu schreibendes Ruhmesblatt.
Im Umweltbundesamt verrichten Sadisten ihr Tagwerk, die in ihren Leitfäden für öffentliche Beschaffungsstellen alles bis ins kleinste Detail vorschreiben. Nehmen wir als Beispiel den Leitfaden basierend auf den Kriterien des Umweltzeichens Blauer Engel für Windeln, Damenhygiene- und Inkontinenzprodukte (Absorbierende Hygieneprodukte) (DE-UZ 208, Ausgabe Januar 2021). „Der Leitfaden gilt für Einweg-Hygieneprodukte mit absorbierender Funktion für Körperausscheidungen, die eine gewisse Zeit am oder im Körper verbleiben. In den Geltungsbereich fallen dabei Babywindeln, Inkontinenzprodukte, Damenhygieneprodukte, Achsel Pads.“ 39 Seiten.
Oder sehen wir uns an, was bei der Herstellung einer blauen Strickjacke für Bundespolizisten („Nachhaltigkeitsaspekte: ökologisch, ökonomisch“) zu beachten ist. Sie dachten, Material, Farbe und die Anbringung des Polizei-Schriftzugs reichen? Dann sollten Sie sich einmal die 12 Seiten zu Gemüte führen, die jedes Fitzelchen regeln. Da haben die Angestellten im Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums wirklich nichts dem Zufall überlassen!
Gewissenhaft füllt der deutsche Soldat den gelben Sack
Auch die Streitkräfte werden auf Nachhaltigkeit getrimmt. Bereits seit 1990 gilt: „In der Bundeswehr sind grundsätzlich Produkte zu verwenden, die den unerlässlichen technischen und funktionalen Bedingungen entsprechen und darüber hinaus möglichst umweltverträglich sind“. Und: „Bei der Beschaffung ist die Umweltverträglichkeit als ein Qualitätsmerkmal zu bewerten, auch wenn daraufhin ein teureres Produkt ausgewählt werden muss.“ Geld spielt keine Rolle, wenn dem Öko-Fimmel Genüge getan werden muss. Die Bundeswehr und der Umweltschutz – das ist „gelebte Partnerschaft“.
Man achtet auf den „Schutz von Natur und Umwelt auch in den Auslandseinsätzen auf Grundlage des deutschen Umweltrechts“. Schon 2008 berichtete die Welt vom Bürokratiewahn beim Einsatz in Afghanistan. Über die gelebte Praxis im Feldlager in Masar-i-Scharif etwa hieß es: „Die Bundeswehrsoldaten müssen ihren Müll entsprechend deutschen Umweltvorschriften trennen, obwohl die Kübel draußen, vor dem Kasernentor, wieder zusammengekippt werden.“ Denn in Kabul entsorgt der deutsche Soldat den ausgespülten Joghurtbecher gewissenhaft im gelben Sack, während der Afghane nebenan fröhlich Autoreifen verbrennt. In solchen Ländern funktioniert die Mülltrennung nämlich so, wie es Dieter Nuhr sagt: „Der Plastikmüll kommt in die Landschaft – und der Restmüll auch.“
Kürzlich ist an alle Dienststellen der Bundesverwaltung ein Fragenkatalog „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit“ verschickt worden, den diese beantworten sollen. Dieser Katalog, der der Redaktion vorliegt, befasst sich mit der Frage der Nachhaltigkeit im Beschaffungswesen des Bundes. Noch handelt es sich um einen Versuchsballon; die Teilnahme ist freiwillig und dürfte nur besonders dienstbeflissene Gemüter (im Bundeswehr-Jargon: „Heißdüsen“) zur Aktion bewegen – oder eben ausgemachte Masochisten. Wenn allerdings alle Bundesbehörden in allen Beschaffungsbereichen mit ähnlichen „Leitlinien“ konfrontiert werden und ab 2024 den Fragebogen verbindlich ausfüllen und beantworten müssen, wird es richtig lustig.
„Recyclingpapier mit dem Blauen Engel mit Weißegrad ≤80“
Ein kleiner Streifzug durch den Fragenkatalog fördert unter anderem solche Perlen zutage:
Frage II.2 „Bestehen hausinterne Regelungen zur verstärkten Ausrichtung der Beschaffung am Leitprinzip der Nachhaltigkeit und zur verpflichtenden Berücksichtigung der Vorgaben des Maßnahmenprogramms zusammen mit allen gesetzlichen Regelungen und weiteren Vorgaben aus Fachprogrammen (u.a. §13 Bundes-Klimaschutzgesetz, § 45 15 Kreislaufwirtschaftsgesetz, Sorgfaltspflichtengesetz, AWV-EnEff (seit 1.1.2022 AWV Klima), Holzerlass)? (IV.2.b)“
Frage IV.4 „Wie viel vom beschafften Papier ist Recyclingpapier mit dem Blauen Engel mit Weißegrad ≤80 (ISO 80)? DIN A4 Blatt“
Frage IV.5.1 „Ihre Institution hat die Maßgabe von 100 % Recyclingpapier mit dem Blauen Engel in 60er bis 80er Weißegrad noch nicht erreicht. Wird diese Vorgabe ab 2023 umgesetzt?“
Frage IV.6.3.1 „Papierdruckerzeugnisse werden prioritär auf Papier mit dem Blauen Engel gedruckt, zugelassene Alternative ist eine Zertifizierung nach FSC-Recycled, nur ausnahmsweise kann Papier mit dem EU-Ecolabel verwendet werden. Auf Frischfaserpapier soll verzichtet werden.
Ihre Institution hat diese Maßgabe noch nicht erreicht. Mit welchen Maßnahmen werden Sie das Ziel erreichen, welche Gründe sprechen gegen die Zielerreichung?
Frage IV.8. und IV.8.1 betreffen Auftragswert für Hygienepapiere und Toilettenpapier ohne Blauen Engel, Frage VI.1 und Unterpunkte beschäftigen sich mit nachhaltiger Textilienbeschaffung (siehe oben). Außerdem geht es um die Begrenzung der Luftemissionen in den Prozessschritten der Textilveredelung, um den Auftragswert für Produkte, die den Nachhaltigkeitsanforderungen (d.h. den im Leitfaden empfohlenen Ausschlusskriterien) entlang der gesamten Textillieferkette entsprechen, um die Verwendung von Baumwollfasern aus rezyklierter Baumwolle und von Zellstofffasern aus nachhaltiger Forstwirtschaft nach den Prinzipien des FSC oder PEFC. Und und und. Von überragender Bedeutung auch: Werden bei Druckern wiederverwendete Kartuschen eingesetzt und werden leere Tonerkartuschen der Wiederverwendung zugeführt?
Erst wenn alle diese drängenden Fragen geklärt sind und das Eiserne Kreuz als Erkennungszeichen für Gefechts- und Luftfahrzeuge der Bundeswehr durch den Blauen Engel ersetzt worden ist, wird man sich um solche Nebensächlichkeiten wie Ausrüstung, Ausbildungsstand der Soldaten und ähnlich aus der Mode geratenes Zeug kümmern können.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.