Bei der geplanten Bühnenadaption von „Das Leben des Brian“ regten Schauspieler an, die berühmte Szene um Stan alias „Loretta“, der von seinen Kameraden als Frau angesprochen werden will, zu streichen. Doch Monty Python fügt sich nicht.
1979 nannte sich ein kleiner Markus noch nicht Tessa, aber Stan wollte bereits Loretta heißen. Denn Monty Pythons Das Leben des Brian war seiner Zeit voraus, schrieb ich Ihnen erst vor wenigen Wochen. Diese Auffassung teilt der älteste lebende Python, John Cleese. Der Film sei „auf eine seltsame Art prophetisch hinsichtlich dessen, was später tatsächlich eintreten würde“, gewesen, zitierte jüngst die Daily Mail den Komik-Guru. Genau das holt das Werk nun ein. Cleese hat nämlich mit seinem Kollegen Eric Idle eine Bühnenfassung von Das Leben des Brian erstellt.
Bei einem Probedurchgang in New York kam, was kommen musste: Die amerikanischen Schauspieler waren der Meinung, die Szene mit Stan alias Loretta gehe heutzutage nicht mehr. Ein Recht des Mannes, als Frau angesprochen zu werden und Kinder zu gebären, möchte der woke Zeitgeist so nicht behandelt sehen. Deshalb wurde berichtet, dass die fragliche Szene – die zudem die Gendersprache vorwegnimmt – nun aus dem Skript entfernt werden solle. Dies war offensichtlich eine Falschmeldung, wie Cleese gestern bei Twitter klarstellte. Er schrieb:
„Ein aktuelles Beispiel für Falschberichterstattung! Vor ein paar Tagen sprach ich vor einem Publikum außerhalb Londons. Ich erzählte ihm, dass ich „Das Leben des Brian“ so adaptiere, dass wir es als Bühnenshow (NICHT als Musical) aufführen können. Ich sagte,
dass wir vor einem Jahr eine Drehbuchlesung des letzten Entwurfs in NYC hatten und dass mir alle Schauspieler – darunter mehrere Tony-Award-Preisträger – dringend geraten hatten, die Loretta-Szene zu streichen. Ich habe natürlich nicht die Absicht, das zu tun. Jemand aus dem Publikum hatte also einen Journalisten angerufen und falsch über mich berichtet. Erstaunlicherweise rief keines der britischen Medien an, um das zu überprüfen.“
Ein Kommentator des Independent hat den 83-jährigen John Cleese erst vor wenigen Monaten als einen Dinosaurier politisch unkorrekter Unterhaltung hingestellt, der sich zudem erdreistete, „sich inmitten einer globalen Pandemie über Cancel Culture zu beschweren“. Diesem Kommentator zufolge stünde Cleese mittlerweile für das, was er früher bekämpft habe. Im Gegenteil: Nicht Cleese oder sein Python-Kollege Terry Gilliam („Ich bin jetzt eine schwarze Lesbe“), haben sich verändert, sondern die Situation, in der sie leben müssen. Gilliam: „Wenn es so einfach ist, Leute zu beleidigen, macht Beleidigen keinen Spaß mehr!“
Falsch ver-Linked
Wie schon vorletzte Woche und oft zuvor hat der kritische Journalist Boris Reitschuster wieder mit Zensur in den Social Media zu kämpfen. Diesmal nicht bei Facebook, sondern bei LinkedIn. Erst im März war Reitschusters Profil dort nach langer Zeit wieder freigeschaltet worden. Nun aber wurde sein Konto eingeschränkt, weil er zwei Beiträge seines Mediums reitschuster.de (hier und hier) geteilt hatte, die angeblich „irreführende oder falsche Informationen enthalten“. Wenig verwunderlich: In beiden geht es um die sogenannte Corona-Impfung. Die Mitteilung erhielt Reitschuster von einem „Mitgliedersicherheits-Berater“ des zu Microsoft gehörenden Businessnetzwerks. Da fühlt man sich doch gleich viel sicherer.
Dresdner Denunziantin
Kay Ray war vor Jahren schon als Ausgestoßener in dieser Kolumne prominent vertreten. Damals hatte sich das Schmidt Theater im Hamburger Stadtteil St. Pauli von dem schrillen Entertainer und Kabarettisten getrennt, unter anderem weil er in einem Programm türkischstämmige Personen thematisiert hatte, die zum Ausruf „Ich ficke Deine Mutter!“ neigen. Inzwischen lassen ihn einige Veranstaltungsstätten nicht mehr auftreten, unter anderem wegen angeblicher „Transfeindlichkeit“.
Jetzt verlor der norddeutsche Bisexuelle sein Engagement auf einem AIDA-Kreuzfahrtschiff, das für nächsten Monat terminiert war. Hintergrund: Eine Dame hatte ihn den Veranstaltern seiner Auftritte gegenüber bezichtigt, „rassistische, sexistische, homophobe, menschenverachtende und demokratiefeindliche Aussagen“ in seiner Show in Dresden getätigt zu haben. Noch dazu, beklagt sie in ihrem Schreiben, habe Kay Ray „gegen amtierende […] Politiker gehetzt, Behinderte lächerlich gemacht“ und sogar Wörter wie „Neger“ sowie „Zigeuner“ in den Mund genommen.
Mit letzterem war er hier und da bereits angeeckt, als der Begriff der Cancel Culture noch seiner Verbreitung harrte. Vor zehn Jahren schon empörte sich eine Münchner Lokalzeitung: „Er […] bezeichnete die aus einer Sinti-Familie stammende Marianne Rosenberg als ‚Zigeunerin‘ und formte mit seinem Gemächt Tierfiguren.“ Solche Nacktheit und anderen etwas exzentrischen Humor des Bühnenkünstlers haben ihm Auftraggeber in der Vergangenheit aber durchgehen lassen. Denn dieser Stil macht die Attraktion Kay Ray aus, in den letzten Jahren auch auf AIDA-Schiffen.
Doch die Dresdner Denunziantin degoutiert das. Sogar den Hitlergruß habe sie während der Show zu sehen bekommen. Wie eine derartige Geste in sein Programm gelangt, nämlich im Rahmen einer Nummer zu „kultursensibler“ Karnevalsverkleidung, erzählt Kay Ray in der jüngsten Ausgabe des Achgut-Podcasts Indubio. „Mein Freund ist kurz dafür [sic!], den Künstler anzuzeigen“, so die wenig amüsierte Dame aus Dresden. (Hat er sich inzwischen dazu durchgerungen? Frage für einen Freund.) Die Frau nutzt den Namen Dagmar Peterhänsel, es handelt sich also mutmaßlich um eine Mitarbeiterin des Sächsischen Landesamts für Schule und Bildung, der zufolge „gerade in herausfordernden Zeiten die standhafte Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Erscheinungen geboten ist“. Dazu müsste es allerdings gehören – wie sie sogar selbst in ihrem Cancel-Begehr schreibt, „dass alle Meinungsspektren und Perspektiven, besonders auch künstlerische Haltungen Gehör finden und auftreten“.
Keine Kooperation mit „falschen“ Medien
Wie Achgut-Autor Ralf Schuler in der Schweizer Weltwoche berichtet, will news aktuell, ein Tochterunternehmen der Nachrichtenagentur dpa, keine Mitteilungen des Internetradios Kontrafunk verbreiten. Man lehne eine Zusammenarbeit mit dem oppositionellen Sender ab. Anlass war eine Umfrage zum Thema Kirchenaustritte, die das Medium beim Meinungsforschungsinstitut INSA in Auftrag gegeben hatte. Dieser zufolge sehen große Teile der Bevölkerung das Kirchensteuersystem sowie die Haltung der Kirchen in Sachen Klimakleber und Coronaspritze kritisch. Schuler weiß auch von eigenen Erfahrungen zu erzählen: „Nachdem ich Bild verlassen hatte und in das Medien-Start-up von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt gewechselt war, lud mich ein großer deutscher Privatsender aus, für den ich noch im Vorjahr in etlichen Sendungen zu Gast gewesen war.“
Dieses Buch ist konfisziert
This Book Is Gay („Dieses Buch ist homosexuell“) lautet der Titel eines Werkes von Autor James Dawson, der sich nach Erscheinen zu Juno Dawson transformierte. Das bebilderte Sachbuch soll ältere Kinder beziehungsweise Jugendliche in „queere“ Themen einführen. Eine Lehrerin an einer Junior High School im US-Bundesstaat Illinois, Sarah Bonner, schlug dieses Buch neben anderen ihren Schülern zur Lektüre vor. Daran entzündete sich der Protest einiger Eltern. Sogar die Polizei wurde wegen befürchteter Kindesgefährdung eingeschaltet, über 50 Bücher für Ermittlungen konfisziert. Lehrerin Bonner wurde wegen der laufenden Untersuchung suspendiert, worauf sie mit ihrer Kündigung reagierte, die das zuständige Gremium inzwischen angenommen hat.
Bonner, Koautorin eines offenbar woke gefärbten Buches über Schulunterricht, würde sich nämlich nach den Vorwürfen nicht mehr „sicher“ an der Schule fühlen. Auch im mittleren Alter, nach Jahrzehnten Berufserfahrung, kann man also zum sensiblen Schneeflöckchen werden, das der Safe Spaces bedarf. Das Webportal Chalkboard Review zitiert aus dem genannten Buch einen interessanten Aspekt: Statt Gleichheit der Schüler sollte Gleichstellung „verletzlicher“ Schüler in der Schulpädagogik maßgeblich sein. Die Gleichstellung gehört zum dreifaltigen Gott Diversity-Equity-Inclusion (DEI). Während Bonner sich als Opfer eines „verstärkten Kulturkriegs“ sieht und die Empörung über das Buch als Herabwürdigung der sexuell „Andersartigen“, sind manche froh, sie los zu sein. Die Bürgerrechtsorganisation FIRE wiederum betrachtet den Vorgang als „Hexenjagd“, die Polizei hätte sich heraushalten müssen.
Universitäre Säuberung
Schließen wir mit einem Nachtrag ab, der sich auf einen Fall aus dem vergangenen Jahr bezieht. Der AStA der Freien Universität (FU) Berlin wollte die Habilitation des Biologen Michael Grünstäudl stoppen. Dem österreichischen Wissenschaftlern wurde vorgeworfen, Videos von zum Beispiel Martin Sellner (Identitäre Bewegung) im Internet geteilt und sich erdreistet zu haben, wie „beispielsweise Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder“ die Gemeinsame Erklärung 2018 zu unterzeichnen. Außerdem wurde eine nicht nähere spezifizierte Sexismus-Beschuldigung erhoben. Unter dem Kampagnentitel „Rechte Ideologien exmatrikulieren!“ wollten die beteiligten Organisationen, darunter auch die Landeskonferenz der Berliner ASten, eine weitere Lehrtätigkeit Grünstäudls an der FU sowie seine zusätzliche wissenschaftliche Qualifizierung verhindern.
Denn dieses Vorgehen sei „im Sinne einer möglichst freien Wissenschaft, von der alle profitieren“, wie der AStA – der selbst übrigens von der „sogenannten Freien Universität“ spricht – mitteilt. Ein solches Freiheitsverständnis wäre dem Großen Bruder eine Freude. In seiner Stellungnahme hatte Grünstäudl erklärt, „unpolitisch“ statt „rechts“ zu sein. Nach seiner eigenen Aussage konnte die zuständige Habilitationskommission kein Fehlverhalten des Wissenschaftlers finden, er soll lediglich als „auf korrekte Einhaltung der Formalitäten bedachte Person“ zuweilen Prüfungskandidaten genervt haben. Ende vom Lied: Der AStA hat die Habilitation des weltanschaulich Unzuverlässigen nicht zu unterbinden vermocht, Grünstäudl verfügt inzwischen über seine Akademische Lehrerlaubnis in Botanik (passend zu seinem Namen) und Bioinformatik. Er arbeitet jetzt fern von Berlin an einer Uni in den USA.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.