Claude Cueni, Gastautor / 21.10.2022 / 14:00 / Foto: NARA / 22 / Seite ausdrucken

Als Reagan eine russische Gaspipeline zerstörte

Anfang der 80er Jahre belieferte die CIA unter Ronald Reagan Sowjet-Spione mit manipulierter Software für die russische Pipeline-Steuerung, um die größte Einnahmequelle der „Achse des Bösen“ zu zerstören.

Ende der 1970er Jahre erlebte der Kalte Krieg eine neue Eiszeit, als die damalige Sowjetunion begann, ihre auf Westeuropa gerichteten SS20-Raketen zu modernisieren. Um das „Gleichgewicht des Schreckens“ wiederherzustellen, stationierten die USA Cruise Missiles in Westeuropa und investierten Milliarden in neue Rüstungsprogramme.

Mit dem geplanten Raketenabwehrsystem SDI im All wollte US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) das Wettrüsten gewinnen und das „Evil Empire“ (Reich des Bösen) in den Ruin treiben. Mehrere hundert Sowjet-Spione waren im Westen unterwegs, um moderne Technologie zu stehlen. Die CIA belieferte einige mit manipulierter Software für die Pipeline-Steuerung, um die größte Einnahmequelle der „Achse des Bösen“ zu zerstören.

Damit kein Verdacht aufkam, funktionierte die Software anfangs reibungslos. Erst nach einiger Zeit wachte der im Sourcecode versteckte Trojaner auf und veränderte die Einstellungen für Pumpen, Turbinen und Ventile. Eine der größten Gaspipelines der UdSSR flog 1982 in die Luft. Der KGB sprach von einem technischen Defekt, andere von Sabotage.

„Wem zum Vorteil?“

Der Mathematiker David Grimes analysierte bereits in den 1960er Jahren die populärsten Verschwörungstheorien und errechnete eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent, dass ein Geheimnis nach durchschnittlich vier Jahren gelüftet wird. Weil es schlicht zu viele Mitwisser gibt. Die einen beginnen zu plaudern, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, andere wollen auf dem Sterbebett noch reinen Tisch machen.

Bei der transsibirischen Pipeline war es schließlich Thomas C. Reed, Sonderberater des Nationalen Sicherheitsrats unter Reagan, der nach einem Vierteljahrhundert das Geheimnis lüftete.

Heute fragen wir uns, wer für die Sabotage von Nordstream 1 und 2 verantwortlich ist. TV-Kommissar Columbo würde nach dem Prinzip „Cui bono?“ vorgehen – „Wem zum Vorteil?“ – und die USA aufgrund erdrückender Indizien vorladen, zumal diese nie einen Hehl daraus gemacht haben, dass sie Nordstream verhindern werden.

Trotzdem macht es wenig Sinn, wenn sich die „Experten“ jetzt gegenseitig anfeinden, denn sicher ist (im Augenblick) nur eins: Keiner weiß mehr. Gemäß David Grimes werden wir es eines Tages wissen.

 

Claude Cueni (66) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK, wo dieser Beitrag zuerst erschien. Sein neuester Roman heißt „Dirty Talking“, davor erschienen bei Nagel & Kimche die Romane „Genesis – Pandemie aus dem Eis“ und „Hotel California“.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

S.Niemeyer / 21.10.2022

Die Fähigkeit zur Selbstironie hat keinen Platz in einer dichotomischen Politiksicht, die auf “Das Gute” versus “Das Böse” verengt ist. Was auf der Achse dazu geführt hat, ist ein Geheimnis, das eines Tages gelüftet sein wird.

Arne Ausländer / 21.10.2022

@Didi H. H.: Das fixe “Umdrehen” eines hochrangigen Sowjetfunktionärs, insbesondere eines durchaus intelligenten wie Gorbatschow, bei einem Staatsbesuch. ist so offensichtlich ein Märchen, daß ich jetzt mal davon ausgehe, daß auch Sie es hier als “Story Telling” eingeworfen haben und nicht etwa historische Faktizität behaupten. Das 1985 verkündete Konzept von “Glasnost und Perestroika” war zweifellos bereits seit einigen Jahren vorbereitet worden. Ähnlich wie bei Stalin seinerzeit folgte auf Brechnews Tod 1982 zunächst eine Phase von inneren Macht- und Richtungskämpfen, aus denen dann 1985 Gorbatschow als Sieger hervorging. Aber eben mit der da gewonnenen Zustimmung der Mehrheit des sonstigen Führungsapparats. Ernstere Widerstände sind erst seit 1990/91 erkennbar geworden. Und das obwohl das theoretische Konzept der Offenheit schon bei Tschernobyl im Frühjahr 1986 versagte. Nein, Gorbatschow war kein Alleingänger, er war die Antwort auf die Sackgasse, in die die SU v.a. mit dem Afghanistankrieg geraten war. - Bei Reagan ist alles weniger klar. Ich gehe davon aus, daß das Attentat auf ihn schon damals Bush Senior zum Präsidenten machen sollte (eine Wahl hätte der damals kaum gewinnen können). Aber manchmal klappt so etwas eben nicht, da mußte man sich dann mit Reagan arrangieren (was nun auch nicht gar zu schwerfiel). Bush Senior blieb dann als Trost die Präsidentschaft 1989-Jan.1993, gefolgt von der Scheinwende zu Bill Clinton, dem alten Freund und Partner in Crime der Familie Bush (s. Mena Arkansas, z.B.). - Im Wesentlichen folgte die Weltpolitik seit 1980 den Vorstellungen der Regisseure. In Einzelheiten ist man flexibel. Das nach 1990 verkündete “Ende der Geschichte” wußte man schon mit der Zustimmung der US-Botschafterin zu Saddams Einmarsch nach Kuweit zu verhindern. The Show must go on… (Wenn’s nach denen geht.)

rolf schwarz / 21.10.2022

Ein großer Dank an Herr Cueni für diese sauber ausgeführte Reparatur an der seit Ende Februar angebrochenen Achse. Mal gespannt wie lange das hält. Und: Der Kommentar von E. Precht ist auch ein Muss.

Fred Burig / 21.10.2022

@Berthold Erdinger:”... Die Stärken der Russen scheint ja in der Propaganda und Geheimdienstlerei und der Erweckung falscher Eindrücke zu liegen - sonst hätten sie sich nicht dermaßen blamiert, als sie jetzt mal ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen mussten…” Ach gucke, sollten die Russen vielleicht nach der gleichen Taktik wie die Amis in Afghanistan vorgehen?! Naja, als “Pipi Langstrumpf- Geschichte” geht ihr Kommentar gerade mal noch durch!

Marc Oliver / 21.10.2022

Es waren nicht die Amerikaner, hier die spieltheoretische Erklärung: Wenn die Amis eine russische Pipeline sabotieren, würde die Russen darauf antworten müssen. Das wäre einfach möglich da die unterseeische Infrastruktur nur eingeschränkt geschützt werden kann. Das Risiko wäre also für die Amerikaner viel zu hoch. Damit fallen auch alle anderen westlichen Staaten raus. Es bleiben einzig die Russen, die für die Zerstörung einer deutsch-russischen Pipeline keine Reaktionen fürchten müssen. NS2 wurde auch nicht beschädigt. Nachteile entstehen den Russen durch die Sabotage von NS1 nicht, im Gegenteil werden alle Europäer an ihre Verwundbarkeit erinnert. Der obenstehende Artikel trägt in keiner Weise zur Aufklärung bei, die anti-amerikanische Sonnenbrille kann schon mal den Blick trüben.

Arne Ausländer / 21.10.2022

Ein Mathematiker wie David Grimes mag ja exzellent in seinem Fach sein. Aber eine allgemeingültige Formel für die Bewahrung von Geheimnissen enthielte notwendigerweise eine Vielzahl von Unbekannten, die wenig oder nichts mit Mathematik zu tun haben. Seine 95%-nach-4-Jahren-Regel hat daher kaum Aussagekraft (was ihm als Mathematiker gewiß klar gewesen sein muß). Schon eine Kategorie “Verschwörungstheorie” hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Objektiv könnte nur von Umständen die Rede sein, die einer beschränkten Zahl von Menschen bekannt, der Allgemeinheit aber unbekannt sind. Ob man sich nun mit Geschichte, aktueller Politik oder nicht veröffentlichten Patenten u.a. Geschäftsgeheimnissen befaßt, ohne Schwierigkeiten werden einem mehr Beispiele nie gelüfteter Geheimnisse einfallen, als man hier aufzählen könnte. Ich will nur als Beispiel den Komplex inoffizieller DDR-BRD-Geschäfte in den 1980er Jahren anführen. Das fiel seinerzeit durchaus auf, wir konnten aber nur spekulieren. 1990 erfuhr man, daß dies in den Bereich “KoKo” von Schalck-Golodkowski fiel. Der wiederum wurde ausführlich vom BND vernommen, bevor er seinen weitgehend ungestörten Lebensabend am Starnberger See verbringen durfte. Die Öffentlichkeit aber erfuhr seitdem so gut wie nichts, sogar das Thema als solches gerät in Vergessenheit. - Wie lange lassen wir uns von Propaganda im Kontext des Verschwörungstheorie-Labels in die Irre führen?

Didi Hieronymus Hellbeck / 21.10.2022

Ronald Reagan wurde erst im November 1980 zum US-Präsidenten gewählt (unzweifelhaft). Die fragliche Software-Nummer zur Pipeline-Sabotage war ein Gemeinschaftsprojekt von CIA und den “Inselaffen” - die sog. Eiserne Lady war etwas früher dran. Besagte Lady hatte es übrigens geschafft, den naiven Gorbatschow 1984 bei seinem Besuch in London “umzudrehen”. Sie war ein grauenhaftes Weib, allerdings prinzipientreu, das muss man ihr lassen. Ihr Beitrag zum Niedergang der Sowjetunion war tatsächlich hoch.

Dr. Wolfgang Monninger / 21.10.2022

Es macht sehr wohl Sinn, die USA zu verdächtigen (und diese Verdächtigung zu begründen), auch wenn der letzte Beweis noch aussteht, und nicht noch vier Jahre zu warten. Denn die Frage „cui bono?“ stellt sich erneut und mit Nachdruck, wenn es demnächst darum geht, die Pipeline zu reparieren. Wie wird die Reaktion der USA dann sein, auch schon während der Diskussion darüber ?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Claude Cueni, Gastautor / 09.08.2023 / 16:00 / 11

Als die Schweiz Söldner exportierte

Vor rund 600 Jahren exportierte die Schweiz weder Flugabwehrsysteme nach Katar noch gepanzerte Fahrzeuge nach Botswana, sondern Zeitsoldaten aus Fleisch und Blut. Man nannte sie…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 13.07.2023 / 16:00 / 14

Es gab schon einmal eine „Letzte Generation“

Die kolossalen Steinskulpturen der polynesischen Osterinsel im Pazifischen Ozean kennt jeder. Aber nur wenige erkennen in ihrem Niedergang eine Metapher für den ökologischen Suizid einer…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 05.04.2023 / 14:00 / 29

Die WHO probt den Great Reset

Die Aushebelung des Rechtsstaates durch Ausrufung des Notrechts wird populär. Besonders in demokratisch nicht legitimierten Organisationen wie der WHO. Bisher rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fünfmal…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 03.02.2023 / 11:00 / 45

Kurzkommentar: Umweltschutz-Prinzessinnen

Erfolg als Umweltaktivist hat, wer jung, attraktiv und eine Frau ist. Kolumnist Claude Cueni über weiblichen Klimaschutz. Greta Thunberg, das Original, Dramaqueen Luisa Neubauer, die deutsche Kopie, und…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 28.11.2022 / 11:00 / 16

Jeder will Star sein, keiner Publikum

Heute ringt jeder um Aufmerksamkeit, will ein Star sein wie damals im Hotel Mama, als Quengeleien vor den Schokoriegeln an der Ladenkasse zum Erfolg führten.…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 26.11.2022 / 13:00 / 23

Beruf: Asphaltkleber

Den politischen Weg lehnen Klimaextremisten ab. Ob aus Faulheit, Ungeduld oder fehlenden Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, sei dahingestellt. Da sie mit ihren Aktionen nicht das Klima…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 19.11.2022 / 16:00 / 27

Prosecco-Moralismus

Für Einfachgestrickte ist Putin Russland und Russland ist Putin. Folgerichtig nötigen sie Bäckereien, ihren Russenzopf umzubenennen. Was für ein undifferenzierter, opportunistischer Prosecco-Moralismus zur täglichen Imagepflege.…/ mehr

Claude Cueni, Gastautor / 23.10.2022 / 16:00 / 21

Blackout: Die Nacht der Verbrecher

Was passiert, wenn tatsächlich der Strom ausfällt? New York hat die Erfahrung gemacht – sie war nicht gut. Nicht einmal Superman konnte die Bürger vor…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com