Wahlprogramme mögen von den Wählern wenig gelesen werden. Im Wahlkampf entscheiden eher Persönlichkeiten und dramatisierte Einzelfragen. Dennoch sind sie wertvoll als Zeugnisse dessen, wes Geistes Kind die einzelnen Parteien sind. Viele Einzelpunkte können später zu legislatorischen Initiativen führen. Schriftstellerisch zeichnen sie sich selten durch erhabenen Schwung, hinreißende Prosa, geglückte Bilder aus. Eine vergnügliche Lektüre bieten sie kaum. Phrasen, abgenutzte Formeln, furchtbare Plattheiten langweilen, noch von der Widersprüchlichkeit vieler Punkte und überspannter Detaillierung abgesehen.
Für einen strengen Ordnungstheoretiker sind sie ein Greuel. Und dann erst noch der Umfang. Programme von mehr als zweihundert Seiten sind keine Seltenheit mehr – sie zeigen einerseits die wachsenden Finanzmittel unserer teilweise staatsfinanzierten Parteien, andererseits den Umfang des Regulierungsanspruchs. Ein Nanny-Staat kennt eben kaum noch Grenzen seiner Interventionslust, wogegen ein klassisch-liberaler Staat sich mit wenigen Grundsätzen begnügen kann, weil alles andere sich in Markt, Zivilgesellschaft, Konventionen und Bräuchen selber reguliert.
So denn auch die vorliegenden Prpgramme zur Bundestagswahl. Zwar wird der Ausdruck Sozialismus und Sozialisierung sogar bei der LINKEN vermieden, der Sache nach aber dominiert der Gedanke zumindest in den drei „roten“ Programmen: GRÜNE, LINKE und SPD, wobei es hier noch Abstufungen des Kollektivismus gibt; am eigentumsfeindlichsten bleibt die LINKE – sogar die sogenannte Klimakrise wird den „Reichen“ in Rechnung gesetzt. Die Steuerpolitik ist bei allen drei Parteien das wichtigste Mittel der Eigentumssozialisierung: „The power to tax is the power to destroy.“ Hinzu kommt ein ungebrochener Glaube an die Staatswirtschaft: Privatisierung, Deregulierung waren einmal, besonders deutlich bei Verkehr (Verherrlichung der staatlichen Bahn und des ÖPNV, Polemik gegen den motorisierten Individualverkehr, noch mehr gegen den Flugverkehr, Liebeserklärung an das Fahrrad, besonders bei den GRÜNEN) auch die Verklärung des Gemeindesozialismus („kommunale Daseinsvorsorge“).
Deutsche Eigeninteressen stören nur
Von einer Notwendigkeit größerer Eigenvorsorge statt staatlicher Fremdvorsorge liest man nichts – im Gegenteil: es geht um die Verallgemeinerung der staatlichen Zwangsvorsorge („Bürgerversicherung“ im Gesundheitswesen, alle Selbstständigen in die staatliche Rentenversicherung, umfassende „Arbeitsversicherung“ (GRÜNE). Die Familien sind Gegenstand zunehmender Enteignung, als „Förderung“ getarnt – sei es durch staatliche Finanzierung, sei es durch staatliche Übernahme der Betreuungsfunktionen (Kita, Ganztagschule etc.). Noch nicht erwähnt ist die Verstaatlichung beziehungsweise Auflösung der privaten Energiewirtschaft im Zeichen einer sogenannten Klimakrise (Atomindustrie, Kohlewirtschaft, Erdöl- und Gaswirtschaft) in der utopischen Hoffung auf immerwährenden Sonnenschein und immerwehenden Wind. Das größtmögliche Hazardspiel, denn eine zuverlässige und preiswerte Energieversorgung ist die Basis unseres Wohlstandes.
Noch nicht erwähnt ist der Radikalegalitarismus im privaten Bereich (Genderideologie, diskriminierende Antidiskriminierung, rassistischer Anti-Rassismus), der sozialauflösend wirkt. Alle drei Parteien sind zentralistisch – glauben an einen Superstaat EU, am besten wäre (GRÜNE) ein Weltwohlfahrtsstaat. Deutsche Eigeninteressen spielen keine Rolle, stören nur. Zum Beispiel in der Geld- und Schuldenpolitik. Eine europäische Schuldenunion wird nicht gefürchtet, sondern gewünscht. Der Wunsch auf Geldwertstabilität ist offenbar veraltet, im übrigen ist Geld scheinbar unbegrenzt verfügbar. Der Klimautopismus mit der Steuerungsillusion eines so komplexen Systems wie des Klimas auf 1,5 Grad maximal zulässige Erwärmung einer fiktiven Weltdurchschnittstemperatur zeichnet fast alle Parteien aus, besonders aber wieder die GRÜNEN.
Die drei „rechten“ Parteien (das Laschet-Programm liegt freilich noch nicht vor, aber das von 2017 gibt einige Auskunft über den aktuellen Geist dieser Partei) zeigen – wenigstens in Teilbereichen ihrer Programme – kein konsequentes Gegenbild, aber doch Elemente eines anderen Ordnungsdenkens, besonders in der Steuerpolitik oder in Fragen der Privatisierung von Staatswirtschaft (namentlich bei der FDP, die aber eurozentralistisch ist). Sozialpolitisch findet man bei keiner dieser Parteien ein liberales Ordnungskonzept, allenfalls eine Verteidigung des Status quo. Die AfD zeigt als einzige Partei milde patriotische Akzente, was nicht mit „rechtsextrem“ zu verwechseln ist. Sie verwirft das eurozentralistische Modell zugunsten eines Staatenbundes – und zieht äußerstenfalls sogar einen „DEXIT“ in Betracht. Sie ist wie die FDP eigentumsfreundlich.
Gesellschaftspolitisch ist die FDP eher nach links hin orientiert. Auffällig ist die Fetischisierung des Digitalen in allen Parteien – als ob es sich hier nicht um eine wundervolle Hervorbringung des Kapitalismus, also der Märkte handelt, sondern zuvörderst der Staat hier tätig werden müsste. Dabei wird außerdem ignoriert, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist und eine Ablösung persönlicher Dienste durch anonyme Automatismen nicht immer ein Fortschritt ist.