Der Wohlfahrtsstaat ist die Kunst, die Bürger mit ihrem eigenen Geld vom Staat abhängig zu machen, denn der Staat ist keine Kuh, die im Himmel gefüttert, auf Erden aber nur gemolken zu werden braucht. Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Bürgers, wusste schon Ludwig Erhard!
Wohlfahrtsstaat heißt ein politisches Gebilde, in welchem der Staat zentrale private Lebensgüter als öffentliche Güter bereitstellt: materielle Grundversorgung (am besten ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ für jeden, zumindest ein üppiges „Bürgergeld“), Bildung zum Nulltarif, staatliche Absicherung von privaten Lebensrisiken wie die Folgen von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall, Alter, Invalidität; tendenziell auch von Arbeitsplätzen, Wohnung, Betreuung von Kindern und Alten, Familienfinanzierung mit „Kindergrundsicherung“. Er beansprucht auch eine zentrale Zuständigkeit für die sogenannte Daseinsvorsorge, die Regulierung des Verkehrswesens (Verkehrssozialismus mit Sozialtarifen der Bahn für jedermann), der Telekommunkation, der Energie- und Wasserwirtschaft, der Entsorgung.
Er hat sogar das Geldmonopol inne, das er chronisch missbraucht (siehe Inflation). Polemisch gesprochen: Wohlfahrtsstaat ist die Kunst, die Bürger mit ihrem eigenen Geld vom Staat abhängig zu machen, denn der Staat ist keine Kuh, die im Himmel gefüttert, auf Erden aber nur gemolken zu werden braucht. Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Bürgers (Ludwig Erhard)! Sein Gegenbild ist der liberale Rechtsstaat, in welchem in diesen Dingen Privatautonomie, Selbsthilfe und Eigenverantwortung, kurz: Marktwirtschaft, Wettbewerb und Freiheit herrschen.
Vom reinen Staatssozialismus unterscheidet ihn, dass es bisher nur zur Teilsozialisierung des privaten Lebens kommt: es gibt keinen ökonomischen Zentralplan und noch stark reduziertes und reguliertes privates Eigentum an Unternehmen und Haushalten. Mit dem Sozialismus verbindet ihn die Ethik der „sozialen Gerechtigkeit“, das heißt möglichst gleiche ökonomisch-soziale Lebensverhältnisse und sogar (der Kulturmarximus) egalitäre Wertschätzung und sozial gleiche Anerkennung aller Gruppen, besonders von „benachteiligten“ Minderheiten („Antidiskriminierung“, politische Korrektheit, Inklusion, Wokismus und so weiter).
Die bisher weitgehend „freien Güter“ (Luft und vor allem Klima) sucht er ebenfalls zentraler Planwirtschaft zu unterwerfen und damit das konsumtive und produzierende Leben seiner Kontrolle zu unterstellen: der Ökosozialismus, wie er sich namentlich in Deutschland ausbreitet, besonders in der Energiewirtschaft. Seine Mittel sind umverteilender Zwang (Steuern), Beitrittszwänge (Sozialversicherung, Schulzwang), Einschränkung von Vertrags-, Meinungs- und Konsumfreiheit, „Nudging“ und „wohlwollender“ Paternalismus (das Reich der „meritorischen“ und „demeritorischen“ Güter).
Freiheit ist jetzt Versorgung durch die Behörden
Sein ethisches Ideal ist eine große „Gemeinschaft des Teilens“ („Solidarität“) – die eine umfassende Allmende, auf der alle auf Kosten aller leben, das „Leben aus einem Topf“, in dem jedem der Status nach politisch eingeschätztem „Verdienst“ von oben zugeteilt wird. Der Wohlfahrtsstaat ist unvermeidlich immer eine politische Zwangsveranstaltung. Dazu gehört das Ziel einer „Freiheit von Not“ und einer angestrebten sogenannten „Chancengleichheit“ in jeder Hinsicht. Eine große Utopie, da die Gesellschaft – hinsichtlich Begabung, Aussehen, Vitalität, Charakter, körperlicher Ausstattung und so weiter – aus ungleichen Individuen besteht. Freiheit ist jetzt Versorgung durch die Behörden, auf die ein Rechtsanspruch besteht, nicht „Freiheit vom willkürlichen Kommandiertwerden“ durch andere (das Freiheitsverständnis der Liberalen wie von Hayek oder Isaiah Berlin).
Ein wohlgenährter und gesunder Sklave ist in diesem Sinne „frei“. Ein wilder Fuchs, der sich selber um seinen Lebensunterhalt kümmern muss, ist danach unfrei, der an der Kette liegende, wohlversorgte Hofhund dagegen „frei“. Aus der liberalen Gleichheit vor dem Gesetz wird eine erzwungene Gleichstellung und Gleichschätzung aller, das Ideal eines Termitenstaates oder einer Schafherde: Schaf gleich Schaf. Der große Neoliberale Wilhelm Röpke sprach einmal von „komfortabler Stallfütterung“ im Wohlfahrtsstaat, Konrad Lorenz gar von einer „Verhausschweinung“ des Menschen.
Ein Wohlfahrtsstaat muss, wenn er gewisse Grenzen überschreitet, die Tragödie der Allmende im Sinne des Ökonomen Bert Hardins herbeiführen. Die Zurechnung von individuellem Nutzen und Kosten ist aufgehoben: Raubbau an Kapital („Fiskalsozialismus“), Übernutzung des staatlichen Bildungswesens durch Nulltarife, selbst der Straßen (Stauungen). Besonders schwerwiegend ist die demoralisierende Erlahmung und das Verkümmern der privaten Solidarität und Nächstenliebe. „Liebe“ lässt sich eben nicht erzwingen, ohne ihre Substanz zu verlieren: „Soziale Kälte“ ist die Folge dieser Kollektivierung.
Im privaten Leben muss täglich „diskriminiert“ werden
Überdies werden Sparen und persönliches Vorsorgen überflüssig, auch die Familie als Lebensversicherung verliert ihre Substanz mit entsprechenden Folge für die demographische Entwicklung. Der „Generationenvertrag“ auf nationaler Ebene ist eine Phrase. Subventioniert werden durch die staatliche Rentenversicherung die Kinderlosen, da die Höhe des Rentenanspruchs unabhängig davon ist, ob man durch eigene Kinder zur Erhaltung dieses „Umlagesystems“ beigetragen hat. Die staatliche Rentenversicherung behindert außerdem private Kapitalbildung und verhindert für viele die Chance zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit (über 40 Prozent des Einkommens gehen an die Sozialversicherung). Tatsächlich werden wir mehr und mehr eine Rentnerrepublik, wobei der Zuschuss zur Rente aus allgemeinen Steuermitteln ständig steigt. So wird die Staatsabhängigkeit der meisten ständig größer.
Besonders kritische Aufmerksamkeit vedienen die sogenannten Gleichstellungsgesetze (zwecks „Antidiskriminierung“). Sie vergiften das soziale Klima. Jede Gesellschaft bildet eine Hierarchie von sozialen Wertschätzungen: Wer diese nivellieren will, zerstört das gesellschaftliche Band. Gewiß ist es das Urrecht jedes einzelnen, seine Wertschätzungen in täglichen Handlungen nach persönlichem Gutdünken auszudrücken. Niemand darf vor dem Gesetz (durch Regierung und Beamte) ungleich behandelt, also „diskriminert“ werden. Aber im privaten Leben muss täglich „unterschieden“, also diskriminiert werden: mit wem der Bürger Verträge abschließt, wen er heiratet, welche Automarke er wählt, welcher Religion er anhängt – dies und anderes unterliegt seinem persönlichen Belieben.
Es ist der schwer entschuldbare Irrtum, selbst sich bürgerlich vestehender Parteien, zu verkennen, dass „Diskriminierung“ nur im öffentlichen Recht verboten sein muss, im Privatrecht jedoch mit jeder Handlung unvermeidlich ist. Diskriminiere ich einen Schachspieler, wenn er nicht Mitglied eines Kaninchenzüchtervereins werden kann, dessen Zweck Kaninchenzucht, nicht das Schachspielen ist? Warum dürfen Bürger nicht zusamenarbeiten, mit wem sie wollen, gleich ob Katholik, Protestant, Moslem oder Atheist, Mann oder Frau, Alt oder Jung und so weiter? Jeder Vertragsabschluss enthält eine Exklusion derjenigen, die nicht im Vertragsverhältnis stehen. Inklusion und Exklusion sind für alle Gemeinschaften konstitutiv.
Ohne Kapitalismus kein Wohlfahrtsstaat
Die geschilderte Allmende ist zwar national, als nationales Kollektiveigentum, organisiert, hat aber eine universalistische Ethik („soziale Menschenrechte“). Wird diese nationale Allmende jedoch der ganzen Welt geöffnet, sind die Grenzen dieses Gebildes wie derzeit in Deutschland nach jeder Seite offen, gibt es keine Regulierung der Zutrittsrechte, ist ihr Schicksal durch Übernutzung besiegelt. Der Kapitalismus ist der Baum, der Wohlfahrtsstaat der Efeu. Überwuchert der Efeu den Baum, müssen beide fallen. Der Wohlfahrtsstaat lebt und stirbt mit dem Kapitalismus, der ihm die Resourcen bereitstellt. Daraus ergibt sich ein liberales Reformprogramm, das die lahmgelegte oder fehlgeleitete individuelle Dynamik wieder entfesselt.
Ein aktuelles Buch über „Gleichheit – das falsche Versprechen“ schließt mit den Worten:
„Gleichheit – zumindest im Sinne von Platon, Nabis, Caligula, Rousseau, Lenin, Stalin, Hitler, Mao Tsetung, Pol Pot und nicht wenigen Vertretern von political correctness und Diversität – ist nichts als ein Traum. Wenn wir uns klarmachen, wie teuer uns dieser Traum zu stehen kommt, zu welchen Widersprüchen er unausweichlich führt und welche entsetzlichen Mengen von Blut in seinem Namen schon vergossen wurden, dann sollten wir unbedingt dafür sorgen, dass das Streben nach seiner Verwirklichung nicht zum Alptraum wird.“ (Martin van Creveld)
Ich selbst schrieb in meinem Buch „Der Wohlfahrtsstaat. Das Ende einer Illusion“: „Diejenigen, welche vom Staat alles, was sie wünschen und verlangen, erwarten, gleichen Gästen, die zu einem Freimahl geladen zu sein glauben, aber am Ende des Mahles mit der Rechnung überrascht werden.“
Prof. Gerd Habermann, geb. 1945, ist Wirtschaftsphilosoph, Hochschullehrer und freier Publizist. Er ist seit 2003 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam und geschäftsführender Vorstand der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft. Von Habermann ist das Standardwerk „Der Wohlfahrtsstaat. Das Ende einer Illusion“ erschienen, hier bestellbar.