Das neue Bürgergeld und dazu ein wenig Schwarzarbeit schafft eine Position, in der es sich bei mittleren Ansprüchen recht angenehm leben lässt. So werden weitere große Bevölkerungsteile vom Staat abhängig gemacht.
Der Wohlfahrtsstaat – eine originäre Erfindung der Deutschen seit Bismarcks Arbeiterversicherung – scheint besonders gern dann zu expandieren, wenn man ihn bei allgemein gewachsenem Wohlstand entbehren könnte: Im Sinne von Erhards Sozialprogramm über Freiheit und Eigentumsbildung, nicht über Umverteilung. Eigenvorsorge statt Fremdvorsorge hieß das, auf eigenen Füßen stehen, statt mit staatlichen Sozialprothesen herumzuhumpeln. Indessen geschah das Gegenteil und sogar in Zeiten wie gegenwärtig, in denen zumindestens eine Straffung staatlicher Unterstützungsprogramme geboten wäre, eine Konzentration der Mittel auf die „wirklich Bedürftigen“, sucht die rot-grün-gelbe Regierung ihren Expansionskurs fortzuführen, ja, noch sein Tempo zu steigern.
Aber es gibt keine Kuh, die, im Himmel gefüttert, auf Erden nur gemolken zu werden braucht. Jede Leistung der Regierung beruht auf einem Verzicht des Bürgers, der nur mit seinen eigenen Mitteln vom Staat abhängig gemacht wird. Negative demographische Entwicklung (mitbedingt durch eine sozialisierende Familienpolitik), selbstverschuldete Energiekrise, tollkühne öffentliche Verschuldung, selbstverschuldete Geldentwertung, – all dies sollte ein Grund sein, den überbordenden Wohlfahrtssstaat, die „komfortable Stallfütterung“ wie Wilhelm Röpke ihn nannte, grundsätzlich zur Diskussion zu stellen.
Indessen geschieht derzeit das Gegenteil, und unwillkürlich fällt einem das Sprichwort vom Krug ein, der solange zum Brunnen geht, bis er zerbricht. Oder von dem Esel, der aufs Eis tanzen geht, wenn's ihm zu wohl wird. Es gibt keine Regierung, die ihre Bürger von den Folgen ihrer falschen Politik durch eine noch einmal gesteigerte, schuldenfinanzierte Umverteilung „entlasten“ kann. Diese Regierung steckt in ihren Illusionen, ihrer offenbaren Panik fest.
Notprogramm für hilflose Alte und Kranke
Ein drastisches aktuelles Beispiel ist die geplante Einführung eines sogenannten Bürgergeldes – ein schönfärberischer Ausdruck für das, was man im 19. Jahrhundert Armenhilfe, dann Sozialfürsorge, dann Sozialhilfe und schließlich mit dem unbeliebten technischen Ausdruck Hartz IV nannte. Früher war dies einmal ein Notprogramm für hilflose Alte und Kranke, für Pechvögel und sonstige Verunglückte des Lebens: Geknüpft an strenge Anspruchsvoraussetzungen und manchmal sogar unter Entzug des Wahlrechts, finanziell knapp bemessen, mit strenger Arbeitspflicht, womöglich gar in einem Arbeitshaus.
Es galt die strenge Subsidiarität: Primat der Selbsthilfe (meist auf familiärer Basis) statt Fremdhilfe. Dazu gab es aber ein Riesenprogramm privater sozialer Initiativen von Genossenschaften und Gewerkschaften, bis hin zu privaten Versicherungen, der eigentlichen „sozialen“ Sicherung. Dazu mildtätige Stiftungen aller Art. „Brauchst du eine hilfreiche Hand, so suche sie am Ende deines rechten Arms“ – dies war das liberale Ethos jener Zeit. Primat der Selbsthilfe!
Seither herrscht die Tendenz, die Inanspruchnahme der staatlichen Hilfsleistungen zu erleichtern und ihre Leistungen auszudehnen, so durch die Zurückdrängung der familiären Unterstützungsverpflichtungen bis auf fast Null. Die neueste Ausdehnung (zum 1. Januar 2023) – in einer Situation großer Anspannung der öffentlichen Haushalte – das „Bürgergeld“, sieht so aus: Weitere Schwächung der Anspruchsvoraussetzungen: „Schonvermögen“, jetzt 60.000 Euro für wenigstens zwei Jahre, starke Anhebung des Regelsatzes (plus 12 Prozent), pro Kopf eines Familienhaushaltes oder einer „Bedarfsgemeinschaft“.
Kein politisches Machtgebot gegen die Regeln der Ökonomie
Keine Kontrollen oder Sanktionen im ersten halben Jahr bei Arbeitsverweigerung („Vertrauensbeziehung“), später Kürzungsmöglichkeit allenfalls um 30 Prozent des Regelsatzes, Miete/Wohneigentumsnutzung und Heizung bleiben ungekürzt (bei großzügig bemessener Wohnfläche). Ungewöhnlich sanfter Umgangsstil der 405 Jobcenter mit ihrer Klientel („auf Augenhöhe“, Partnerschaft). Dies betrifft derzeit etwa 5 Millionen Menschen, übrigens auch über deutsche Staatsbürger hinaus.
Es wird damit – nach fast gleichzeitiger Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro (das heißt Arbeitsverbote bei geringer bezahlter Arbeit) – in bedeutenden unteren Segmenten des Arbeitsmarktes das Nichtarbeiten günstiger als das Arbeiten, sodass sich der Sockel der Langzeitarbeitslosen weiter vergrößern wird. Wir werden weiterhin viele offene Stellen im Bereich der einfacheren Arbeiten haben und dazu gleichzeitig ein Arbeitslosenpotenzial, das nicht dazu motiviert ist, die vielen freien Stellen, etwa im Gaststättenbereich, im Baugewerbe, in Geschäften, im Reinigungsgewerbe, auf Flughäfen oder beim Ernteeinsatz anzunehmen. Bürgergeld und dazu ein wenig Schwarzarbeit schafft eine Position, in der es sich bei mittleren Ansprüchen recht angenehm leben lässt.
Was fehlt nun noch zum Schlaraffia, dem „bedingungslosen Grundeinkommen“? Der vollständige Wegfall kontrollierter Anspruchsvoraussetzung: die bedingungslose, automatische Staatsrente für jeden, die Verallgemeinerung des Staatsrentnertums auf 100 Prozent unseres Volkes, ob bedürftig oder nicht und auf Lebenszeit (und sogar vielfach unabhängig von der Staatsbürgerschaft). Wie war es doch im Schlaraffenland?
„Jede Stunde Schlafen bringt ein Silberstück und jedesmal Gähnen ein Goldstück. Wer gerne arbeitet, das Gute tut und das Böse läßt, der wird aus dem Schlaraffenland vertrieben. Aber wer nichts kann, nur schlafen, essen, tanzen, trinken und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Und der Faulste wird König im Schlaraffenland.“
Wie lange wird die Illusion, dass alle über den Staat auf Kosten aller anderen leben können, noch andauern? Ist diese Illusion geplatzt, wird die Stunde echter Reformer im Sinne der Reagan, Thatcher, Roger Douglas und unseres Ludwig Erhard kommen. Gegen die Regeln der Ökonomie hat kein politisches Machtgebot Erfolg.
Ist eine echte Reform dieses Nanny-Staates überhaupt „politisch möglich“? Es ist aber doch Aufgabe guter Politik, das sachlich Notwendige politisch möglich zu machen. Das ist politische Kunst. Alles andere kann auch Lieschen Müller. Dafür brauchen wir keine gutbezahlten Berufspolitiker.