Roger Letsch / 01.03.2022 / 11:00 / Foto: Ralf Schulze / 109 / Seite ausdrucken

Deutschland: Konservative und Liberale haben versagt

Der Ukrainekrieg scheint linke Hirngespinste in Luft aufzulösen. Doch unsere Traumtänzerei der vergangenen Jahre ist vor allem das Ergebnis des Versagens von Konservatismus und Liberalismus.

Nichts ist ein stärkerer Realitätscheck als eine echte Bedrohung. So in etwa könnte man all die Absichtsbekundungen und Sofortmaßnahmen zusammenfassen, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine in Deutschland ausgesprochen wurden oder anlaufen. In den letzten drei Tagen wurden mehr heilige Kühe geschlachtet, als alle vernunftgeleiteten Debatten es in den vergangenen 15 Jahren vermocht haben. Es ist, als sei Deutschland nicht nur aus einem Traum erwacht, sondern gewissermaßen aus dem Bett gefallen und unsanft gelandet.

Die Erkenntnis beim Aufwachen fasste Heeresinspekteur Alfons Mais so zusammen: „Wir stehen blank da.“ Was für die zusammengeschnurrte Bundeswehr gilt, ist für viele Bereiche ebenfalls die treffende Diagnose. Denn auch in der Energieversorgung, im Bildungswesen und mit unserer Währung sieht es nicht besser aus. Wir leisten uns politische Spiegelfechtereien, und in unseren höchsten Parlamenten finden Genderdebatten statt. Wir retten das Klima in 100 Jahren vor einem Temperaturanstieg von 2 Grad und frieren in unseren Wohnungen wegen Gasmangels. Wir bauen einen Wohlfahrtsstaat für die halbe Welt mitsamt Rechtsanspruch auf, während unsere Arbeitnehmer kaum noch wissen, wie sie das Benzin bezahlen sollen, das sie für die Fahrt zur Arbeit brauchen. Der zu bestallende Parlamentspoet sollte weniger dichten als Tragödien verfassen können.

Unser Land hat erheblich Schlagseite, doch so streng ich das Brückenpersonal der MS Deutschland auch bewertet habe (hier und hier), so klar ist auch, dass es nicht die Özdemirs, Roths, Faesers oder Baerbocks waren, die uns in diese Lage gebracht haben. Sie sind nur die Konkursverwalter einer Entwicklung, die sie politisch beklatscht und befeuert, aber nicht verantwortet haben. Nun an der Macht, gedachte man sich am Werk des Kuchenbäckers in der Sandkiste zu laben. Man hat an diesen Kuchen geglaubt und stellt plötzlich fest, dass Gebäck aus Sand nicht schmeckt – ganz gleich wie bunt und divers die Backförmchen sind.

All das ist das Ergebnis des Versagens von Konservatismus und Liberalismus, die es nicht vermocht haben, das Land davon abzuhalten, einen Weg einzuschlagen, der nach Wolkenkuckucksheim führt.

Es war einmal ein Haus

Sieht man mal von konkreten politischen Parteien ab, gibt es in jeder gesunden Gesellschaft wie in einem Haus zwei sich ergänzende, aber grundsätzlich verschiedene Aufgaben. Die einen halten den Laden am Laufen, streichen die Wände, reparieren die Klospülung, behalten die Kosten im Blick und sorgen dafür, dass das Schloss der Haustür intakt ist und die Wildschweine nicht auf den antiken Chintzsesseln Platz nehmen. Nennen wir diese Partei das konservative, bewahrende Element. Die anderen möchten umgestalten, dort eine Wand einreißen, die Möbel umstellen, den Chintz gegen biologisch abbaubare Jutesäcke tauschen und die Wände mit Mandalas bemalen. Das ist das chaotische, aber auch kreative Element. In einer intakten Gesellschaft braucht es beides, und sollte sich herausstellen, dass der Chintz nicht zu retten, die Wand morsch und die Wände hässlich sind, täte es sicher gut, sie zu erneuern, zu verändern und auszutauschen. Doch bedarf es dazu stets des Beweises, dass der Zustand des Hauses nach der Änderung besser ist als vorher.

Diesen Nachweis zu verlangen, hat die konservative Repräsentanz in unserem Land schon vor langer Zeit vollständig aufgegeben. Man hat es zugelassen, dass Veränderungen angestoßen wurden, deren positive Schlussbilanzen mehr als fragwürdig sind. Das Ergebnis sind Sprünge ins Nichts bei der Landesverteidigung, der Energiewende, der Klimapolitik, der Bildung, der Migrationspolitik und vielen anderen Feldern. Nirgends wurde der Nachweis erbracht oder auch nur verlangt, dass die angestrebten Veränderungen tatsächlich eine Verbesserung der Lage oder zumindest keine Verschlechterung als Ergebnis haben werden.

Man hat Plänen zugestimmt, weil sie utopisch und Pfaden, weil sie schwer zu gehen sind. Je dicker die tragenden Wände, desto kräftiger schlugen die Köpfe dagegen, je größer die gesellschaftlichen Widerstände, desto größer und ehrenvoller die Aufgabe, sie zu überwinden, je jünger die Propheten der Klimarevolution, umso mehr Weisheit maß man ihren Worten bei. In einer Gesellschaft von schwer Erziehbaren kommen irgendwann Kinder an die Macht, selbst wenn sie dann längst erwachsen sind.

Niemand dachte vom Ende her

Die infantile Gesellschaft, die Alexander Kissler einst in seinem Buch beschrieb, ist das Ergebnis des gescheiterten Konservativismus, und das „hochbegabte“ Kind von einst, das man gewähren ließ, als es mit Wachsmalstiften die Tapete verzierte, „gestaltet“ heute die Realität, ohne zu wissen, wie sie eigentlich funktioniert. Das chaotische und utopische Element so einzuhegen, dass nur seine schöpferische Komponente zur Geltung kommt, hat der Konservatismus in den 16 Merkeljahren nicht vermocht. Vielmehr erhielten alle Projekte des gesellschaftlichen Totalumbaus das Plazet der vormals konservativen Kräfte, ganz gleich wie es bei Lichte betrachtet um die Realisierbarkeit der Vorhaben bestellt war.

Pseudowissenschaftlich umklingelt wurden die Projekte zum Abriss und anschließendem Neubau der Gesellschaft von allerlei Lobby-Organisationen, denen man zuletzt mehr oder weniger die praktische Politik überlassen hatte. Die „Deutsche Umwelthilfe“ erledigte den Dieselmotor und verhinderte LNG-Terminals, beim NABU bekam man die nötigen Gutachten zur Windkraft in Wald und Flur, die Kinder von F4F beschleunigten den Kohleausstieg, beim Ausstieg aus der Kernenergie hat die „konservative“ Regierungschefin sogar selbst Hand angelegt. Niemand machte sich Gedanken über das wahrscheinliche Ergebnis, das oft zitierte Merkel’sche „vom Ende her denken“ ist folglich ein schlechter Witz. Niemand dachte vom Ende her, aber alle haben sich darauf verlassen, dass das schon irgendwer durchgerechnet hätte.

Höchstens als leichte Bremse fungierten die Konservativen, wenn sie nicht wie im Fall der Abschaffung der Wehrpflicht und dem Atomausstieg selbst die Wachsmalstifte in die Hand nahmen. Unterdessen verrottete die Basis des „Hauses“, weil niemand mehr da war, der sich fragte, wer und wozu die Straßen gebaut und instandgehalten wurden, auf die die Kinder von „Essen retten“ sich klebten. Mindestens zehn Jahre Sodawirtschaft auf Kosten der Substanz, denn alles war ja einfach so da. Die Brücken, die Straßen, die Schienen, die Kanalisation… Die Müllabfuhr funktionierte noch, die Smartphones ließen sich laden und Wasser kam aus der Wand, aber die Menschen hatten irgendwie vergessen, woher das alles kam und dass es keinesfalls selbstverständlich funktioniert.

Der leichte Weg führt bergab

Der Krieg gegen die Ukraine war ein Realitätsschock für unser in Utopien gefangenes Land. Die beste Lagebeschreibung dafür kommt vom viel zitierten Gottfried Benn: „Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten. Gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“ Keines unserer idealistischen Großthemen der letzten Dekaden hält diesem Licht der Realität stand, egal ob es sich um unsere Strom- und Gasversorgung, die Migrationspolitik, unsere Landesverteidigung oder den Umgang mit religiösen und politischen Realitäten handelt.

Und es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass nun ein SPD-Kanzler massive Investitionen in die Landesverteidigung ankündigt und ein grüner Wirtschaftsminister die Laufzeitverlängerung der kümmerlichen Reste der deutschen Atomkraftwerke in Betracht ziehen muss. Doch wie üblich, wenn in Deutschland das Pendel umschwingt, schießt es über das Ziel hinaus, und es ist ausgerechnet die „Grüne Jugend“, der das auffällt. Denn so löblich die 100 Milliarden Euro auch sind, die Scholz nun ad hoc in die Landesverteidigung pumpen möchte, so richtig wäre es doch gewesen, sich die Zustimmung dafür vom Parlament zu holen, statt auf ominöse „Sondermittel“ zurückzugreifen.

Teil 1 des Benn’schen Zitats scheint momentan dank der Putin’schen Ohrfeige erfüllt. Die Lage ist erkannt und sie ist nicht gut. Unseren Defekten begegnen wir jedoch am besten, indem wie die verordnungsgesteuerte Durchregiererei beenden und unsere auf den Hund gekommene Gewaltenteilung wieder instandsetzen. Wenn wir es dann noch schaffen, Politik wie Erwachsene zu betreiben und auch die Bürger wie Erwachsene zu behandeln, haben wir eine gute Chance, einen allzu harten Aufschlag in der Realität zu vermeiden. Noch! Im Moment sind unsere Bestände zwar noch dürftig, aber Parolen wie die, das Brandenburger Tor oder das Schweriner Schloss in den Farben der Ukraine anzustrahlen, werden bereits als peinlich und überflüssig erkannt. Der Anfang ist also gemacht. Jetzt gilt es, die Wachsmalstifte wegzulegen, die Deutsche Umwelthilfe, „Essen Retten“ und Luisa Neubauer ins Kinderzimmer beziehungsweise zum Shopping zu schicken und das Haus aufzuräumen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Ralf Schulze CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Arno Josef / 01.03.2022

“Konservative und Liberale” haben versagt, so der Tenor! Gab es in den letzten 30 Jahren nicht zwei Strömungen. Die eine hat den politischen Kompass nach links verschoben, da die Merkel CDU dort Wählerschichten akquirieren wollte, Merkel eigentlich eine Sozialistin ist und vergessen hat, ihr Stammklientel mit zu nehmen. Die andere ist ein gepflegter Wirtschaftsliberalismus, der die oberste Priorität des Kassierens der Friedensrendite und des kurzfristigen Profits hat(te). Wir verbrauchen unsere Ressourcen und ermöglichen jedem ein Studium. Wir sind schlicht “überqualifiziert” für die Dinge das täglichen Gebrauchs. Wir sind in den Augen der Politiker so reich, dass wir es uns erlauben können, Heerscharen unproduktiver Menschen in Deutschland zu halten, sei es über Gender und Sozialklimbim oder über Migration. Wir haben unser wirtschaftliches Tafelsilber verscherbelt, weil wir ja Arbeit haben/ hatten. Es war egal, woher der Käufer kam. Wir haben die Wirtschaft reguliert und stranguliert, da es bei der Umwelt mittlerweile keine Kompromisse mehr gibt, sondern nur noch Gefangene. Unter welchen Bedingungen die Waren in andern Ländern produziert werden, ist ohne Belang. Wenn eine Bekleidungsfabrik in Bangladesch abbrennt, schreit der Gutmensch und weiter geht’s. Corona und die Ukraine haben uns gezeigt, wo der Hammer kreist. Corona führt den autokratischen Staat ein, wie Kanada und Türkei (man denke nur an 16 Jahre Mutti Merkel und die Parteien Einheitsfront) und die Ukraine unsere sozialistische Handlungsunfähigkeit. Aber wir sind noch nicht am Boden angelangt. Hoffnung? Vielleicht?!

T. Weidner / 01.03.2022

Vor allem aber haben Konservative und Liberale darin versagt, Doppelstandards als das zu ächten, was sie in Wirklichkeit sind: Systematische, strategische Lügen - die jedes Vertrauen und Miteinander zerstören. Indem die Konservativen und Liberalen sich selbst ebenso der Doppelstandards bedient haben…

Ludwig Luhmann / 01.03.2022

“Die Erkenntnis beim Aufwachen fasste Heeresinspekteur Alfons Mais so zusammen: „Wir stehen blank da.“ Was für die zusammengeschnurrte Bundeswehr gilt, ist für viele Bereiche ebenfalls die treffende Diagnose. Denn auch in der Energieversorgung, im Bildungswesen und mit unserer Währung sieht es nicht besser aus.”—- Die Deutschen werden seit vielen Jahren DEHOSTILISIERT, ENTWAFFNET, BESTOHLEN UND AUSGERAUBT! Wir werden sozusagen “sturmreif geschossen”!

Klauspeter Pein / 01.03.2022

Sie haben vollkommen Recht mit Ihrem Artikel. Ich finde nur, dass dieser hochdekorierte und sehr gut bezahlte Heeresinspekteur ja selbst nichts gegen diesen Zustand der Bundeswehr unternommen hat - oder doch? Was hat er denn dagegen getan? Im Nachhinein zu „meckern“ ist immer einfach. Hat er auch Forderungen an seine ganzen „Hausherr*innen

Klaus Keller / 01.03.2022

Konservative und Liberale regieren in Deutschland seit Jahrzehnten nicht. Es gibt so gut wie keine. Eine kleine Splittergruppe im Parlament, mit der man nicht zusammenarbeiten will.

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