Eigene U-Bahn-Waggons fürs unbehelligte Schwarzfahren? An den Hauptbahnhöfen bald Grapscherzonen neben den Raucherkabinen? Werden Taschendieben bald gesonderte Bahnsteige zugewiesen? In Berlin ist nichts mehr undenkbar.
Noch gibt es im Bezirksamt Kreuzberg Vorbehalte. Aber da der originelle Vorstoß der Linie des Bezirks – ja recht eigentlich auch der ganzen Stadt Berlin – entspricht, stehen die Chancen so schlecht nicht, dass der öffentlich bestallte Manager des Görlitzer Parks mit seinem Plan durchkommt: Cengiz Demirci will den afrikanischen Rauschgift-Dealern, die die Grünfläche des Szenebezirks und die Umgebung zu vielen Dutzend bevölkern, ja beherrschen, im Park jetzt eigene Zonen für ihre Geschäftsabwicklungen zuweisen.
Wohl ähnlich den Coaching-Zonen, die die Trainer am Rand von Fußballfeldern bei Spielen nicht verlassen dürfen und wo der vierte Schiedsrichter für die Einhaltung der Regel sorgt, dürfte dann ein Parkranger – oder doch ein Polizist? – durch gutes Zureden die Dealer auf ihren Platz verweisen. Zumindest am Anfang der neuen Regelung, für die Pressefotos, alles Weitere regelt der Personalmangel.
Hintergrund ist nicht die Zurückdrängung der Rauschgiftkriminalität im Park, bewahre. Hier lautet die klare – und in der Sache erklärte – Linie von Berlins Verwaltung, Polizei und Justiz: „Legal, illegal, scheißegal!“. Es geht lediglich darum, die Folgekriminalität, bei der jenes Prinzip weitgehend auch gilt, wenigstens etwas einzudämmen: Belästigung, Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Nötigung. Besonders für Familien mit Kindern ist und bleibt der Park weitgehend eine No-go-Area. Nachdem sich die Lage in den Vorjahren statistisch ein wenig gebessert hatte, verzeichnete die Kriminalität im vergangenen Jahr wie gehabt wieder Wachstum.
Fest eingeführte Zonen mit farbigen Linien
Nach all dem, was man aus Berlin kennt, verwundert es schon, dass man auf diese gegenüber den Dealern vergleichsweise rigide Regelung mit den Zonen nicht schon längst gekommen war. Soweit bekannt, haben die Vertreter derselben, die in den letzten Jahren in die Entscheidungsfindung des Bezirks öfters eingebunden waren, sich dazu noch nicht geäußert, man hält sich noch zurück.
Es liegt allerdings auf der Hand, dass die sich erst mal an den Datenschutzbeauftragten und die einschlägigen Antidiskriminierungsstellen wenden. In so einer Zone stehen zu müssen, bringt schließlich die Gefahr einer deutlichen Stigmatisierung mit sich. Allzu schnell könnten sich die Beteiligten den Ruf einhandeln, mit Rauschgift zu dealen. Und dies betrifft auch die Käufer. Fest eingeführte Zonen, zumal noch kenntlich gemacht mit farbigen Linien, dürften beim Antidiskriminierungs-Beauftragten mithin kaum durchkommen. Parkmanager, Polizei und Dealer müssten sich also auf wechselnde Standorte einigen und ihre Kalender aufeinander abstimmen.
Die Regelung würde wie die Faust aufs Auge unbeteiligter Passanten passen zu dem in Berlin herrschenden Prinzip der flexiblen Legalität, der sich die Verwaltung schließlich seit Jahrzehnten rühmt. So, wie man jetzt womöglich bald mit den Dealern zusammenarbeitet, gibt es auch auf anderen Ebenen immer wieder kreative Kooperationen.
Etwa wenn jetzt Muslimbrüder den Senat bei der Wiedereingliederung zurückgekehrter IS-Kämpfer unterstützen sollen. Islamisten als Bewährungshelfer für Islamisten, das muss Berlin erstmal eine andere Stadt nachmachen. Aber man sagt ja nicht ohne Stolz: „Berliner Linie“. Oder wenn das Delikt des Schwarzfahrens aus dem Katalog der Straftaten verschwinden soll. Aber auch hier gilt: Sollten die (oben) erwähnten Extrawaggons für unbehelligtes Fahren ohne Ticket tatsächlich eingeführt werden, müssen auf den entsprechenden Bahnsteig-Abschnitten die Überwachungskameras verschwinden, Klagen von Schwarzfahrern wären ansonsten absehbar.
Legale Grapscherzonen
Dies gilt natürlich erst recht für etwaige legale Grapscherzonen, wie man sich aufgrund der besonderen Pikanterie des Genres denken kann: Kameras weg und auch hier schnell wechselnde Areale, damit niemand in Verruf gerät. Nach Köln wissen wir ja, wie ganze Teilmengen der Gesellschaft bei dem Thema allzu schnell stigmatisiert werden.
Bei anderen Fällen, in denen der Berliner Senat oder seine Unternehmen sich ähnlich gekonnt flexibel zeigten, sollten entsprechende Lösungen gefunden werden: Wenn Schülerlotsen regelmäßig beiseite springen müssen, weil dicke Boliden morgens vor der Schule mit Papi am Steuer und den Kleinen auf dem Rücksitz einfach durchrauschen, hätte man andernorts vielleicht Polizeibeamte danebengestellt. In Berlin kann man das besser: Man schafft die Schülerlotsen an den brisanten Stellen einfach ab, sollen die Kleinen doch selber sehen, wie sie über die Straße kommen. Was die Schüler und ihre Lotsen dann wohl daraus für Lehren in ihr Klassenzimmer mitnehmen?
Oder wenn beim Schienenersatzverkehr für ausgefallene U-Bahnen (was in der Stadt leider nicht selten vorkommt) die Busspuren zugeparkt sind, dann wird nicht abgeschleppt, nein: Die Buslinie wird stillgelegt, ist doch einfacher. Elegant, elegant. Besetzte Häuser lässt der Senat nicht im Auftrag des Besitzers räumen, er kauft sie diesem lieber zugunsten der Besetzer ab. Dem Geschäftsführer eines Hotels am Oranienplatz, dem regelmäßig die Scheiben eingeschmissen werden, weil die Szene ihn fortjagen will, macht die Polizei klar, dass sie ihm nicht helfen kann.
Die Berliner Linie eben. Warten wir es ab, wie es im „Görli“ weiterläuft. Apropos: Der Senat könnte es sich ja auch mal umgekehrt vornehmen und dealerfreie Zonen einführen. Aber das würde zu sehr nach Nulltoleranz riechen, und damit wollen wir hier nichts zu tun haben in der Hauptstadt.