Henryk M. Broder und Reinhard Mohr liefern in ihrem neuen Buch „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ eine Momentaufnahme des Öffentlichen Raums zur Halbzeit der Ampelregierung. Sie spielen eine Art Lümmel von der letzten Bank, die mit bissigem Humor und kleinen Gemeinheiten die Einlassungen von den Volkserziehern am Pult vorne kommentieren.
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Die meisten von uns lesen Zeitung, schauen Fernsehen, hören Radio. Je nach Charaktertypus oder auch Gemütsverfassung nehmen wir den alltäglichen Wahnsinn aus Politik und Gesellschaft, der uns da oft genug entgegenspringt, entweder mit Zorn, Sarkasmus, Achselzucken auf – oder eben auch mit Humor. Wohl dem, der den Unterhaltungswert zu genießen vermag von Meldungen wie dieser, die gerade erst, Mitte August, zirkulierte: „WDR stellt Warntafeln vor ‚Otto-Show‘-Wiederholungen. Manche Passagen könnten heute als diskriminierend betrachtet werden.“ Oder: „Baerbock bezeichnet Stromnetz als Energiespeicher: Das sei alles ausgerechnet.“ Oder: „Klimakleber im Ferienflieger nach Thailand.“
Manch Beneidenswerter kann ja sogar bei der Nachricht genüsslich lachen, dass der Ex-Vizekanzler Steinmeier der Ex-Kanzlerin Merkel den höchsten Orden des Landes verleiht – wegen guter gemeinsamer Regierung. Oder, dass selbsternannte Seenotretter ihren wahren Betriebszweck den Medien offenherzig mitteilen: Deutschland endlich ein Ende zu bereiten, indem sie immer mehr Flüchtlinge ins Land holen, um Schluss zu machen mit Rassismus und Abschottung („Schluss mit Weißbrot“). Obwohl all das ja eigentlich Anlass zum Heulen oder zur Zornesröte böte, da braucht es fast schon Galgenhumor.
Wir können uns heutzutage kaum noch retten vor solchen und ähnlichen Nachrichten. Sie bestimmen unsere geselligen Runden, die Unterhaltungen beim Frühstückstisch, die Telefongespräche, die Sozialen Medien. Sie mögen Randglossen sein zwischen den Themen Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise, Klimahysterie und zunehmendem Staatsversagen, aber sie spiegeln die Stimmung im Land wider, so lächerlich sie im einzelnen daherkommen. Doch sie sind auch Ausdruck jener grünen Deutungshoheit im Land, die seit Beginn der Merkel-Ära das Land erobert hat. Paradox zunächst, weil die Grünen zu der Zeit gar nicht mehr an der Regierung beteiligt waren. Weniger paradox, wenn man berücksichtigt, dass die Kanzlerparteien CDU/CSU bereitwillig das grüne Erbe angetreten haben, weil sie sich tragen und schieben ließen von gleichgesinnten Redaktionen in Presse, Funk und Fernsehen.
Momentaufnahme zur Halbzeit der Ampel-Koalition
Wir möchten sie uns, nicht zuletzt wegen dieses Unterhaltungswertes, alle merken, jene grotesken Meldungen. Doch es sind zu viele, und man verlöre da schon den Überblick – wenn er jetzt nicht erschienen wäre, der Reiseführer durch diesen täglichen Wahnsinn: „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ (ab morgen im Achgut-Shop bestellbar). Geschrieben von zwei erfahrenen Experten für dieses ganz spezielle Land: Henryk Broder und Reinhard Mohr, nicht nur kundig in diesem Topos, sondern Garanten vor allem auch für nachhaltige Kurzweil. 60 Essay-Miniaturen auf 224 Seiten, die dem Leser entlang allfälliger Peinlichkeiten am Wegesrand jenes Germanistan anschaulich näherbringen, in Farbe. Eine Art Nachschlagewerk zum Thema „Politische Korrektheit“ und all ihren Blüten.
Insoweit ist es auch eine Momentaufnahme des Öffentlichen Raums zur Halbzeit der Ampelregierung. Knapp zwei Jahre nach dem Ende der Ära Merkel „zeigt sich das wahre Erbe der Ex-Kanzlerin, die derzeit jede Menge Staatspreise, Bundesverdienstkreuze und sonstige Ehrungen einstreicht. Die Probleme treten geradezu clusterartig auf. Die Realität schlägt mit Macht zurück, ob bei der verteidigungsunfähigen Bundeswehr oder der verfehlten Energiepolitik, ob in Sachen Flüchtlingskrise, Migration und Integration, Digitalisierung, Bildung und Wohnungsbau“.
Die Cluster werden nicht kleiner, sie breiten sich aus, bis sie sich überschneiden. Hinzu kommen mittlerweile eine sich anbahnende Wirtschaftskrise, die Spaltung der Gesellschaft – und das Anwachsen einer rechten Partei in manchen Bundesländern zur Nummer eins, mit der man nicht sprechen, schon gar nicht zusammenarbeiten, die man nur in die Tonne treten darf.
„Irrsinn von Staats wegen“
All das liegt am Grundsätzlichen, oder, einfacher formuliert: „In einem Land, in dem Minderleister wie Claudia Roth, Frank-Walter Steinmeier und Manuela Schwesig politische Karrieren machen konnten, Richard David Precht als Philosoph gilt und Robert Habeck den Ludwig-Börne-Preis bekommt, in einem solchen Land ist etwas schiefgelaufen, irreversibel.“ Broder und Mohr haben ja Recht: der „Irrsinn von Staats wegen“ sei nur noch „mit Humor zu nehmen“. Doch „Humor gehört auch zur Mangelware in der Ampel-Republik, denn Ironie und Sarkasmus passen nicht zur woken, politisch korrekten, achtsamen, diversen und nachhaltigen Gesellschaft, die niemanden zurücklassen will und eben deshalb nicht vorwärtskommt. Man kennt das vom Schulwandertag. Zum Ausgleich soll Cannabis legalisiert werden, denn selbst im Land der ‚feministischen Reflexe‘ und verordneten Regenbogenfahnen geht es nicht ganz ohne gute Laune, auch wenn sie aus der Tüte kommt.“
Das mit der Schule passt bestens ins Bild. Letztlich hat sich Germanistan seit der Ära Merkel zumindest streckenweise in eine Besserungsanstalt verwandelt. Täglich werden neue Begriffe auf den Index gesetzt. Bezeichnungen bestimmter Ethnien zum Beispiel, die vor gar nicht so langer Zeit andere Bezeichnungen, die schon länger tabu waren, ersetzten. Jetzt sind auch sie tabu. Nicht mal zur Dokumentation dürfen sie mehr ausgesprochen werden, so dass spätere Generationen dereinst rätseln werden, was sich hinter jenem „N-Wort“ überhaupt für ein Wort verbarg.
Damit nicht genug: Die deutsche Sprache insgesamt sogar wird qua Amt und gegen jeden zuständigen fachlich-kompetenten Rat umgekrempelt. Wer sich an Schule und Universität nicht daran hält, wird in die Ecke gestellt, Nachsitzen, Punktabzug. Die biologischen Geschlechter werden als nicht mehr zeitgemäß aufgehoben, „Selbstbestimmungsgesetz“ der Ampel sticht Wissenschaft. Geht es so weiter, ist Familie, Vater, Mutter nur noch eine auslaufende Begrifflichkeit.
Kapitel in der Besserungsanstalt
Broder und Mohr spielen in dieser Besserungsanstalt jetzt eine Art Lümmel von der letzten Bank, die mit bissigem Humor und kleinen Gemeinheiten die Einlassungen von den Volkserziehern am Pult vorne kommentieren. Beide sind einschlägig vorbelastet. Broder durch seine provozierenden Blogs auf Achgut und Büchern wie „Wer, wenn nicht ich“ über „Deutsche, Deppen, Dichter und Denker auf dem Egotrip“. Mohr unter anderem mit seinem sarkastischen Essay in Buchform: „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“, sowie seine Kommentare in der NZZ und Welt.
Die einzelnen Klein-Kapitel kommen daher, als würden sie die beiden Autoren von hinten mit der Zwille nach vorne zum Lehrerpult schießen, zack, zack, eines nach dem anderen, um sie in der Klasse zu verteilen, unter die Leute zu bringen. Auch wenn sie sich natürlich in Unschuld wiegen in ihrer Einleitung: „Wir wollen keine schlechte Stimmung verbreiten. Im Gegenteil. Wir beobachten, protokollieren und resümieren mit viel Liebe zum Detail das, was in diesem merkwürdigen Land vorgeht und viele Zeitgenossen ratlos bis wütend zurück lässt.“ Ratlos etwa, wenn zum Beispiel einer der Lehrer, Robert Habeck, vorne einmal alle seine eisernen Lebensgrundsätze über Bord wirft und en passant bemerkt: „Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – und das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Sie sind ja gebaut.“ Was sich ja so anhöre, meinen die Autoren, als würden die „Brennstäbe dort aus Buchweizen und Kuhdung hergestellt“.
Welche Kapitel in der Besserungsanstalt vorn zuerst an die Tafel krachen und welche zuletzt, ist dabei nicht entscheidend. Man kann das Buch von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn lesen, gerade das macht es so bekömmlich. Nach dem Abschnitt mit der Kritik am störenden Lärm mindermusikalischer Straßenmusikanten in den Restaurants der Bunten Republik folgt unmittelbar die Schönrechnerei der Inflation durch EZB-Präsidentin Lagarde. Systematiker könnten das bekritteln. Wer sich dagegen unterhalten lassen will, genießt es.
Risse in der politischen Korrektheit
Die Kritik der beiden Autoren richtet sich gegen Äußerungen, Maßnahmen oder eben auch Ignoranz von Politikern, Institutionen wie auch von den immer präsenteren Organisationen der öffentlich bezahlten, ja fast schon beamteten Zivilgesellschaft gleichermaßen und im Wechsel. Ich höre schon die Stimmen, die jetzt einwenden werden, dass es sich bei dem Beschriebenen vielfach nur um Einzelstimmen, versehentliche Äußerungen, unbedeutende Einlassungen handele. Selbst wenn es so wäre, so repräsentieren sie doch besser als alles andere den politisch korrekten, aber schrägen Basso Continuo, der durch die Flure unserer Anstalt öffentlich dröhnt und immer noch den Ton angibt.
Es hätte sich deshalb an der einen oder der anderen Stelle vielleicht gelohnt, den Reaktionen auf jene Erklärungen oder Vorgänge Einzelner in den klassischen Medien, vor allem auch den Öffentlich-rechtlichen nachzugehen. Erst das Hätscheln der „Letzten Generation“ durch die Medien und Politiker macht die Nötigungen und Erpressungen von Gesellschaft und Staat zum richtigen Skandal. Und erst das unterschwellige oder ganz offene Verständnis zum Beispiel, das die Heerscharen diverser Regierungsbeauftragter dem größten Schwachsinn erbieten, macht ihn so salonfähig, etwa bei dem Anspruch, Bücher von Schwarzen dürften nur noch von Schwarzen übersetzt oder lektoriert werden.
Das Buch kommt in einer Zeit auf den Markt, in dem die quasi selbstverständliche Akzeptanz politischer Korrektheit und der nahezu fehlende öffentliche Widerspruch deutliche Kratzer bekommen hat. All die Bewandtnisse, die Broder und Mohr benennen, sind zur Zeit mittelbar oder unmittelbar Antreiber, die die AfD in den Umfragen dieser Tage stark machen, weil vielfach nur ihr der ernsthafte Wille zugebilligt wird, gegen diese größten Auswüchse der politischen Korrektheit zu Felde zu ziehen. Die Erfahrung mit der Union während der 16 Merkeljahre, in denen sich dieser Unsinn weitgehend unbehelligt ausbreiten konnte, sowie das nach wie vor auf der mittleren bis höheren Funktionärsebene dominante Merkellager und dessen Querschüsse gegen eine Neuausrichtung der Partei unter Friedrich Merz – all das lässt sie für einen Großteil ihrer früheren Wähler noch nicht wieder zu einer Alternative werden.
Umfragen zu einzelnen Themen wie Migration, Innere Sicherheit, Energie, Gendersprache, Identitätspolitik und anderes mehr zeigen, welche Chancen, ja, welche Mehrheiten CDU/CSU hier ohne Not nach wie vor verschmähen. Das Buch von Broder und Mohr wiederum zeigt nicht zuletzt ihnen, in der Nähe welcher Lächerlichkeiten sie zu Recht verortet bleiben, wenn sie sich von solchen Erblasten aus jenen 16 Jahren nicht aufrichtig trennen und sich zu einer Trennung nicht auch öffentlich bekennen. Daniel Günther und Hendrik Wüst sollten eines geschickt bekommen. Mit der Zwille.
„Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ von Henryk M. Broder und Reinhard Mohr erscheint im Europa Verlag. Sie können das Buch ab sofort im Achgut Shop bestellen.
Ulli Kulke, geb. 1952, war Gründungsmitglied der taz, zwei Jahre lang entwicklungspolitischer Referent, später Wirtschaftsredakteur bei der Zeitschrift „natur“ in München und baute später die Meereskulturzeitschrift „mare“ als Stellvertretender Chefredakteur und Textchef mit auf. Von 2001 bis 2016 war Kulke als Reporter und Autor bei der Zeitung „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“ angestellt. Seither ist er freier Journalist und Buchautor teils preisgekrönter Werke.