Thilo Schneider / 09.10.2020 / 11:00 / Foto: Elke Wetzig / 22 / Seite ausdrucken

Zum Tode Herbert Feuersteins

Ich glaube, es war in einer Lateinstunde 1980, als unser guter alter Lateinlehrer auf meinen Platz stürmte und mir mit dem Kampfruf „Was liest Du da?“ ein MAD-Heft unter der Bank entriss. Alsdann proklamierte er vor der gesamten grinsenden Klasse, das „MAD Schund ist, gedruckter Dreck“ und aus mir „niemals etwas werden würde!“ Nun, wenn er auch mit Letzterem recht hatte – in Ersterem irrte er.

MAD war für mich die Eintrittskarte in die Ächz-Stöhn-Würg-Welt von MAD-Maskottchen Alfred E. Neumann, von Dave Berg, Don Martin und Sergio Aragones. Begnadete Zeichner mit grenzgenialen Ideen, verpackt in sorgfältig dahingerotzte Zeichnungen und redigiert von dem großartigen Herbert Feuerstein. Ich ärgere mich bis heute, dass ich den Mann, der später sein Leben als Sidekick von Harald Schmidt fristen musste, nicht auf der Höhe seines Schaffens kennenlernen durfte. 

Es gab später kein „Magazin“ mehr, das auch nur ansatzweise an die vorder- und hintergründige Art von Humor von MAD herankam. Feuerstein machte es möglich. Unter seiner Ägide wuchs die Auflage von MAD von 10.000 auf 400.000 Exemplare, was nicht zuletzt daran lag, dass MAD durch Feuerstein zu einem Element der Jugendkultur der 70er und 80er Jahre wurde. Feuerstein war ein Anarchist: Er teilte in MAD respektlos nach allen Seiten aus, immer frech, manchmal derb, doch nie niveaulos. Und er quatschte seinen Zeichnern nicht dazwischen. MAD spiegelte damit unsere Welt. Raus aus dem elterlichen Mief, genau hinschauen, Schlagfertigkeit trainieren, um die Ecke denken. Nein, da konnten Cato und Plinius nicht mithalten. Die schon immer links schlagseitige Titanic auch und erst recht nicht. Heute würde die Woke-Culture MAD wegen Respektlosigkeit, „rechter Gesinnung“, Trans- und Muslimfeindlichkeit und anderen -feindlichkeiten verbieten und Feuerstein müsste wahrscheinlich bei einem falschen Witz über die Richtigen um sein Leben fürchten. RAF hin oder her – die 70er und 80er Jahre waren für Kabarettisten noch eine heile, weil ungefährliche Welt. Wir waren frei!

Herbert Feuerstein versuchte sich nach seiner Zeit bei MAD beim Fernsehen, floppte jedoch mit seiner eigenen Show „Wild am Sonntag“ beim WDR und wurde schließlich hauptberuflicher Sidekick von Harald Schmidt bei „Schmidteinander“. Ein Schicksal, das er meines Erachtens nicht verdient hatte, aber er traf in Schmidt auf sein jüngeres, böseres und zynischeres Ego. Und eine Show, die über vier Jahre im Fernsehen läuft, kann ja auch nicht so schlecht gewesen sein. Aber das war eben „Schmidteinander“ und nicht „Feuersteinsalamander“. 

In der Rolle als Teufel

Herbert Feuerstein war sein Leben lang „mad“. Er studierte Musik am Salzburger Mozarteum mit den Fächern Klavier, Cembalo und Komposition und wurde hinausgeworfen, als er eine Komposition des Präsidenten der Salzburger Festspiele verriss und außerdem seine Kommilitonen provozierte. Womit, ist leider nicht bekannt, aber einem Feuerstein fiel da bestimmt einiges ein. Danach heiratete er eine hawaiianische Gastkommilitonin in New York, von der er sich auch wieder scheiden ließ. Zwei Frauen und einige Auftritte später durfte er sich 2009 und 2010 endlich selbst bei den Berliner Jedermann-Festspielen spielen: in der Rolle als Teufel. 

Feuerstein war nie die allererste Garde der deutschen Kabarettisten, nie der Schenkelklopfertyp vom Schlage eines Urban Priol oder ein Linksausleger wie der geniale Volker Pispers, aber in der zweiten  Reihe machte er sich mit seinem hintergründigen Humor und seiner Ironie als Autor durchaus einen Namen. 

Herbert Feuerstein starb im Alter von 83 Jahren am 6.10.2020, und ich glaube, er hätte Freude daran, wenn die Trauergäste bei seiner Beerdigung feiern und das Partygläserset, dass sie ihm zum Achtzigsten schenkten, wieder zurücknähmen. Das hat sich nämlich mittlerweile von 12 auf 24 Teile vergrößert, da Feuerstein die gleiche Senfmarke wie seine Gratulanten benutzte. Ich durfte viel von MAD und ihm lernen und im Gegensatz zu meinem Lateinlehrer ist er mir im Gedächtnis geblieben. Auch wenn er das wahrscheinlich gar nicht wollte. Standesgemäß verabschiede ich mich von einem meiner Vorbilder mit einem liebevollen Ächzkotzwürg.     

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Michael Klein / 09.10.2020

Leider fehlt ein Hinweis auf das, was das “verrückteste” und ab ca 1976 das “vernünftigste Magazin der Welt” - so die Eigenbezeichnung von MAD - vor allen anderen Zeitschriften auf das Angenehmste abhob: es war die einzige überregionale Zeitschrift, die ausschließlich von ihren Lesern finanziert wurde. Trotz Höchstgeboten diverser Reklameagenturen hat sich MAD nie dazu hergegeben, auch nur einen einzigen Quadratzentimeter im Heft als Werbefläche zu verkaufen. Chapeau!

Robert Bauer / 09.10.2020

Herbert Feuerstein mag tot sein, Alfred E. Neumann aber lebt und hat nicht nur Karriere, sondern auch nach der Wende in den Osten gemacht, wo er es bis zum MdB für die Mecklenburgische Seenplatte gebracht hat, nebst ökonomischer Erfolgsgeschichte - mit einem Wort: MAD!

Ralf Pöhling / 09.10.2020

Neben dem Yps Heft gehörte MAD zur Standardlektüre meiner Kindheit. Da wusste ich aber noch nicht, wer Herbert Feuerstein war und dass es seine Wortkreationen waren, die bis heute in meinem Sprachschatz rotieren. Die Erkenntnis kam das erst mit Schmidteinander und der Frage, wer denn dieser kauzige Kerl ist. Die alte Welt in der ich aufgewachsen bin, wird gerade zu Grabe getragen. Erst Eddie Van Halen und dann direkt darauf Herbert Feuerstein. Früher war sicherlich nicht alles besser. Aber es war angenehmer, entspannter und unterhaltsamer. Und Herbert Feuerstein hatte daran einen nicht unerheblichen Anteil.

Christine Schneider / 09.10.2020

Thilo, du sprichst mir aus der Seele. Ich gehe sogar soweit, dass ich Herbert Feuerstein auf ein Level mit Loriot stelle, denn auch er hatte einen feinsinnigen Humor, verlor nie denselben, wurde nie ordinär, konnte die Leute trotzdem unterhalten ohne auf die Politikschiene ausweichen zu müssen. Leider bleiben uns dann nur noch Böhmermann und Barth. Heute gehts nur laut, unter der Gürtellinie und möglichst den politischen Feind diskreditieren. Dann ist man gelitten und bekommt auch GEZ-Auftritte. R.I.P.

Sirius Bellt / 09.10.2020

Echte Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten werden zunehmend rarer. Ich fand das Duo Feuerstein und Schmidt immer sehr erfrischend. Ihr Nachruf hätte ihm sicher gefallen.

Peter Groepper / 09.10.2020

Ich habe erst relativ spät (also NACH der Schulzeit) zu MAD gefunden - und bereut, nicht früher darauf gekommen zu sein. Immer ohne Respekt, ohne politische Korrektheit, ohne Zuckerguss und immer auf die Zwölf. Und nicht zuletzt: Immer ohne Reklame und damit ohne Abhängigkeit. Danke für diesen Nachruf.

C. Wendler / 09.10.2020

Möge er in Frieden ruhen. Ja, MAD war genial und hat mich Vieles gelehrt, vor allem Humor und Schlagfertigkeit, aber auch, dass man Autoritäten wie Lehrer und Politiker nicht ganz ernst nehmen soll. MAD wusste noch, dass Witz und Humor keine Rücksicht auf etwaige Empfindlichkeiten nehmen können. Ich erinnere mich noch and die “Bauernregeln” in jedem Heft. Nach Tschernobyl hatten sie folgende Bauernregel: “Kippt der Russenknecht vom Traktor, war kaputt wohl ein Reaktor”. Ganz zu schweigen von der Zeichnung “Alfred E. Barschel” in der Badewanne, autsch, das war heftig.

Klaus Bärbel / 09.10.2020

Ich habe MAD früher, so mit 14-15, sehr gerne gelesen, das war mein Ritual: Yogorette, Fürst-Pückler-Eis, panierte TK-Putenschnitzel und Men at Work im Hintergrund….das wollte ich ein bischen wieder aufleben lassen und habe mir so vor 2 Jahren wieder mal ein MAD-Heft besorgt: oh mein Gott was für eine linksverschwurbelte Kac.scheis.. war dieses Heft geworden. Vielleicht war es das früher auch schon und mir ist es auf Grund meiner, damaligen, politischen Unbedarftheit, nicht aufgefallen, aber da hätte ich mir lieber eine Blöd kaufen sollen, die wäre unterhaltsamer gewesen.

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