Thilo Sarrazin / 25.08.2020 / 06:03 / Foto: Achgut.com / 126 / Seite ausdrucken

Zum Ersten, zum Zweiten und – zum Dritten!

Seit Kurzem bin ich nicht mehr Mitglied der SPD. Die Bundesschiedskommission der Partei gab dem Antrag des Parteivorstandes, mich auszuschließen, endgültig statt. Meine Mitgliedschaft währte 47 Jahre. Davon verliefen die ersten 36 Jahre unauffällig. Ich war immer ein einfaches Mitglied ohne Parteifunktionen und parlamentarische Mandate. Meine Berufslaufbahn vollzog sich als Ministerialbeamter, als Geschäftsführer und Vorstand staatlicher Unternehmen, und gegen das Ende hin als Finanzsenator in Berlin und Vorstand bei der Deutschen Bundesbank.

Im September 2009 gab ich einer wenig bekannten Intellektuellen-Zeitschrift „Lettre Internationial“ ein längeres Interview über meine Erfahrungen in Berlin, in dem ich mich u.a. sehr kritisch zum Integrationsverhalten und den Integrationserfolgen bestimmter Gruppen von Einwanderern äußerte. Das führte zum ersten Parteiausschlussverfahren gegen mich, es scheiterte im April 2010.

Im September 2010 erschien mein Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die darin enthaltenen kritischen Passagen über Zuwanderung und Integration führten zum zweiten Parteiausschlussverfahren. Es scheiterte im April 2011.

Wie alles anfing

Im September 2018 erschien mein Buch „Feindliche Übernahme“. Es setzt sich kritisch mit der Religion des Islam und ihren kulturellen Wirkungen auseinander. Dies führte zum dritten Ausschlussantrag und vor wenigen Tagen zu dessen Vollzug.

Im Verfahren gelang es nicht, dem Buch nennenswerte Faktenfehler oder unzulässige Schlussfolgerungen nachzuweisen. Auch der Vorwurf, einige Passagen enthielten rassistische Tendenzen, brach im Lauf des Verfahrens vollständig in sich zusammen. Schließlich konnte auch nicht belegt werden, dass das Buch in irgendeiner Weise dem geltenden Pateiprogramm aus dem Jahr 2007 widerspricht.

Am Ende ging es bei meinem Parteiausschluss nicht um Fakten, kausale Zusammenhänge und um Wahrheit, sondern um Gesinnung. Es ging um politischen Moralismus, in den Worten des Philosophen Hermann Lübbe um die „rhetorische Praxis des Umschaltens vom Argument gegen Ansichten und Absichten des Gegners auf das Argument der Bezweiflung seiner moralischen Integrität; statt der Meinung des Gegners zu widersprechen, drückt man Empörung darüber aus, dass er es sich gestattet, eine solche Meinung zu haben und zu äußern“. (1)

Der Kampf geht weiter

Unter SPD-Mitgliedern habe ich seit Jahrzehnten viele Freunde. Diese werde ich auch durch den Parteiausschluss nicht verlieren. Umgekehrt sind mir die gegenwärtigen Funktionsträger herzlich gleichgültig, die opportunistisch und erkenntnisblind für meinen Ausschluss eintraten, obwohl sie in der Sache keine Argumente haben, nur weil ihnen die von mir genannten Tatsachen und Schlussfolgerungen missfallen. Den Umgang mit ihnen werde ich nicht vermissen. Gegen ihre Engstirnigkeit und Realitätsverweigerung werde ich weiter streiten. Das kann ich auch tun, ohne Mitglied der SPD zu sein.

Die Folgen des Parteiausschlusses betreffen mich am allerwenigsten. Sie betreffen die Zukunft der SPD: 

– Sie wird künftig als Partei wahrgenommen werden, die über Themen wie Islam, Zuwanderung und Integration nicht wirklich offen diskutieren möchte, 

– als eine Partei, die es vorzieht, unliebsame Tatsachen und Entwicklungen lieber zu verdrängen, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen, 

– und als eine Partei, die den kritischen Blick lähmt und stattdessen Opportunismus und Duckmäusertum fördert.

Das Ganze ist aber keineswegs nur ein Problem zwischen der SPD und einem widerspenstigen Parteimitglied. Es greift weit darüber hinaus. Kann die innerparteiliche Demokratie überhaupt noch wirksam geschützt werden, wenn ein wissenschaftliches Sachbuch, das keine Faktenfehler enthält und niemanden kränkt oder beleidigt, allein deshalb zum Ausschluss führt, weil den herrschenden Funktionären die Fragestellungen und Ergebnisse nicht passen? 

Es wird eng für die SPD

Welcher nachdenkliche, neugierige und kritische Zeitgenosse wird einer solchen Partei (oder überhaupt politischen Parteien) noch beitreten wollen? So wird der Weg dazu bereitet, dass in politischen Parteien Opportunisten, Wichtigtuer, Egomanen und Ideologen mehr und mehr die Oberhand gewinnen. Das heute schon niedrige Prestige der politischen Klasse wird dann noch weiter sinken, und die Personalauswahl für politische Ämter wird immer enger werden. 

Nach dem deutschen Parteiengesetz muss die innere Verfassung der Parteien demokratischen Maßstäben entsprechen. Dazu gehört es auch, dass die Sanktionsmöglichkeiten gegen Parteimitglieder, die unwillkommene Fragen stellen, unliebsame Fakten benennen und kontroverse Schlussfolgerungen ziehen, sehr beschränkt sind. Die dadurch gesteckten engen Grenzen hat die SPD mit meinem Parteiausschluss eindeutig überschritten.

Die darin zum Ausdruck kommende antiliberale Haltung gehört leider zu den geistigen Traditionen der Partei: Seit 1945 wurden bei der SPD 47, der CDU 4, der FDP ebenfalls 4 und der CSU 3 prominente Parteimitglieder ausgeschlossen. Ideologie, Borniertheit und Intoleranz gehören eben eng zusammen.(2)

 

(1) Hermann Lübbe: Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Münster 2019, S.120

(2) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Parteiausschluss

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leo Hohensee / 25.08.2020

@Frances Johnson -Sie schreiben: “Herr Sarrazin: Partei der Vernunft. Gründen mit Palmer. Es gibt Leute im Land, die darauf warten. Oder moderner CSP: Common Sense Party” - Kann sein, nur jetzt ist die Zeit zu knapp. Diese Regierung auch die Regierungsparteien rechnen geradezu damit, dass eine “Zerstreuung” der Zahl der anders denkenden Wähler auf viele neue Parteien - ihnen nur nützlich sein kann. Ich wähle AfD und baue darauf, dass die im Innern noch aufräumen. Für mich ist KEINE andere nennenswerte Partei wählbar und ich werde nicht die vorhandenen Kader stärken indem ich irgendeiner Neugründung meine Stimme gebe.

Leo Hohensee / 25.08.2020

Sehr geehrter Herr Sarrazin, angesichts des politischen “Personals” ist mir Angst und Bange. Der Politzirkus erscheint mir insgesamt wie eine geschlossene Veranstaltung. Drinnen sind die, die den verordneten Lug und Betrug leben und nicht infrage stellen - besser noch, solche, die darüber hinaus noch an der Gestaltung von Täuschungsstrategien mitwirken. Ich meine damit insbesondere solche Parteisoldaten, die Gefallen finden am Beschiss von Volk und Vaterland überhaupt am Wähler. Was sind schon Wahlaussagen / Wahlversprechungen, was sind schon Verträge, was gilt schon das Urteil des BVerfGG, was gilt schon das Grundgesetz? Ich wünsche Ihnen, Herr Sarrazin, alles Gute bei allem was Sie noch vor haben! Die Stimmen von Leuten wie Ihnen werden dringend gebraucht.

Sebastian Gumbach / 25.08.2020

@R.Krug “Bin ich froh, dass ich noch nie in 50 Jahren SPD gewählt habe.” Ganz ehrlich? Die CDU ist keinen Deut besser, im Grgenteil: Da diese Partei ihren Wählern suggeriert, die sei christlich und demokratisch, belügt sie ihre Wähler gleich doppelt: An der Politik der CDU ist gar nichts ‘chtistlich’, schon gar nicht das Boot von Heinrich Bedford-Strohm. Mit ‘Demokratie’ hat diese Partei spätestens seit 2015 gar nichts mehr im Sinn, und wichtige Impulse der Basis werden nicht mehr zur Kenntnis genommen oder die Personen, die diese eingebracht gaben, werden diskreditiert.

sybille eden / 25.08.2020

Herr Sarrazin, die von den westlichen Alliierten ,den totalitären Deutschen implizierte Demokratie hat doch seit Merkels Machtantritt gänzlich versagt ! Ein System, daß eine grosse Oppositionspartei ausgrenzt und kriminalisiert, ist eine politische Diktatur und keine Demokratie. Ebenso undemokratisch sind gleichgeschaltete Medien sowie Justiz. Also reden sie doch bitte nicht von Demokratie in diesem Land, es ist doch einfach nicht wahr !

Anneliese Kumbroch / 25.08.2020

Dass Herr Sarrazin so lange ausgehalten hat, finde ich ziemlich ehrenwert. Die Destabilisierung unseres Landes durch Ersatzgüte ist leider gewollt.  Wer die eigenen Bürger ausbeutet, braucht ja nun auch sein pharisäische Legende. Außerdem sprudeln Millionen in die Töpfe der Sozialindustrie, häufig durchsetzt mit den ewig gleichen Funktionären. Es ist aber leider völlig egal, wer und wieviele die SPD noch wählen. Fakt ist, dass nach dem filmreifen Koalitionsverhandlungstheater mit einer Massanzug-gekaperten FDP 2017 die SPD im Bund wieder in Ämtern und an Trögen sitzt. Wichtige Minsiterposten werden von linksaußen-Ideologen kontrolliert, Finanzen, das Familienmisterium, das Justizministerium, das Außenministerium, das Arbeitsministerium und das Umweltministerium. Millionen Steuergelder werden für NGOs, Projekte und Berater verschwendet, die unter “Nachhaltigkeit” offenbar das nachhaltige Zerstören von Gesellschaft, Privatwirtschwaft, Eigentum, Famile und Person verstehen. Gesetze werden in die Welt gesetzt zur Kontrolle des Bürgers und seine Enteignung, die Außenpolitik ist gegen den Willen der Bürger unfriedlich, überheblich und pflegelhaft, Arbeitsplätze werden systematisch zerstört, unwissenschaftlichem Klimawahn gefolgt. Es besteht eine nie dagewesene Durchwanderung von SPD Genossen in Verwaltung, Medien, Kultur, Wirtschaft und Sozialwesen sowie Polizei und Justiz, wobei überall die gleiche Gesinnung durchgesetzt wird. Diese Partei wird selbstverständlich auch im nächsten Bundestag sitzen, als unverzichtbare Blockpartei “gegen Rechts” zur Stützung des Merkelregimes, so wie in den Bundesländern ja nun auch und in vielen Stadträten und Bürgermeisterämtern. Und sie machen alle wieder mit - nun bei der “großen Transformation”. Ich tippe übrigens darauf, dass Scholz Merkel beerben wird. Dieses unter dem Slogan “gemeinsame Kräfte gegen Rechts” u. ä.Wir sind ja nun längst bei sowas wie einer Einheitspartei, einer Volkskammer samt Politbüro angekommen.      

P. F. Hilker / 25.08.2020

Das fehlende Niveau der Politiker wird nur noch durch die Ignoranz der Journalismus-Darsteller getoppt.

Klaus U. Mayerhanns / 25.08.2020

Lieber Herr Sarrazin - genauso nehme ich - allerdings nicht etwa nur den modernen SPD-Genossen -, sondern die breite dumpfe Masse unserer Zeitgeist-Bürger wahr: “... Opportunisten, Wichtigtuer, Egomanen und Ideologen, die mehr und mehr die Oberhand gewinnen ...”. Die den anderen ihre vermeintlichen Wahrheiten aufzwingen wollen, die mit Verboten, Restriktionen und Strafen nur so um sich werfen möchten, betreffe es das besonders multikausal geprägte irdische Klima, einen angeblich allgegenwärtig auszumachenden Rassismus, die Schutzbedürftigkeit einer Heerschar angeblich politisch Verfolgter, das “neuartige” Corona-Virus - oder welche Sau auch immer, die sich für die täglich neue Jagd durchs Michel-Volk eignen könnte. Freiheit, Meinungsvielfalt und lebendiger Diskurs adé -  aber zumindest als Senior hat man daran noch lebendige Erinnerungen!

Roland Stolla-Besta / 25.08.2020

Viele der Achgut-Leser werfen Ihnen, verehrter Herr Sarrazin vor, viel zu lange Mitglied der SPD geblieben zu sein. Ich selbst, aus einer Sozen-Familie stammend, habe dieser Partei schon lange den Rücken gekehrt. Und dennoch kann ich Ihre Hartnäckigkeit verstehen, sie sogar bewundern. Ja, geben Sie nicht auf, fechten Sie es bis zum Ende durch, seien Sie der Stachel in dem siechen Fleisch dieser heruntergekommenen Partei. Meine Schwester, pensionierte Schulrekteuse, erwiderte mir vor kurzem auf meinen Vorwurf, die SPD sei schon lange nicht mehr die Partei der arbeitenden Bevölkerung sondern die der Beamten, des öffentlichen Dienstes und der Journaille-isten, ja, das sei auch gut so! Und so ist mit Recht der Sauhaufen dort, wo er hingehört: am Arsch. Aber, verehrter Herr Sarrazin, treten Sie denen bitte weiterhin in die Eier – pardon, die hat die SPD schon lange nicht mehr.

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