Die moralische Fallhöhe, welche die Politik der deutschen Regierung erklommen hat, verspricht einen tiefen Absturz in absehbarer Zeit. Drei Beispiele:
Beim Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern in der Stadt Neubrandenburg sagte die Kanzlerin am letzten Samstag, gerichtet an die Adresse der Asylbewerber, Flüchtlinge und aller übrigen Schutzsuchenden: „Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch wieder, mit dem Wissen, was Ihr jetzt bei uns bekommen habt, in Eure Heimat zurückgeht.“
So sprechen Majestäten und andere „von Gottes Gnaden“ ernannte Autoritäten. Sie duzen das Volk und das Gesinde. Sie versprechen Wohltaten, wenn das Volk sich gut benimmt, und sie drohen mit Sanktionen, wenn das Gesinde aufmuckt.
Eben noch hat die Kanzlerin darauf bestanden, dass „wir“ es schaffen, jetzt sollen diejenigen, die ihre Worte für bare Münze genommen haben, sich langsam darauf einstellen, dass sie bald ihre Koffer packen müssen. Gut, es kann eine Weile dauern, bis „wieder Frieden in Syrien ist und... der IS im Irak besiegt ist“, aber die Kanzlerin hat schon immer betont, man müsse „einen langen Atem“ haben, sowohl was die Lage auf der Krim und in der Ukraine angeht, wie auch in Bezug auf die „Dekarbonisierung“ der Energieproduktion, die bis 2100 abgeschlossen sein soll.
Nun, da „wir“ wissen, was die Kanzlerin erwartet, müssen wir uns fragen, wie es mit der „Integration“ der „Refugees“ weiter gehen soll. Warum soll man Menschen integrieren, die demnächst das Land verlassen werden? Warum sollen sie Sprachkurse besuchen, das Grundgesetz auswendig lernen und sich damit abfinden, dass Frauen, Homosexuelle und Juden nicht gejagt werden dürfen? Was sollen sie mit diesem Wissen daheim anfangen? Und wozu sollen neue Häuser aus dem Boden gestampft werden, denen sehr bald der Leerstand droht? Auch wenn das Ganze ein Konjunkturbelebungsprogramm ist, ein wenig nachhaltig sollte es doch sein.
Etwa zur gleichen Zeit, als die Kanzlerin in Neubrandenburg erklärte, wie sie sich ihre „Abschiedskultur“ vorstellt, konnte man in der FAZ einen „Gastbeitrag“ ihres Justizministers Heiko Maas lesen: „Wer das Recht wirklich schwächt“. Es sei „besorgniserregend“, schrieb Maas, dass in der aktuellen Debatte um die Flüchtlings-politik „immer häufiger Legitimität und Legalität bundespolitischer Entscheidungen in Frage gestellt“ und behauptet werde, „die Regierung besitze kein demokratisches Mandat für die Entscheidung, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen“. Solche Vorwürfe, so der Justizminister weiter, seien „nicht nur falsch, sie fügen auch der politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zu“, indem sie „die Geltungskraft der Gesetze (schwächen) und die Rechtstreue der Menschen (erschüttern)“.
Im Klartext: Nicht das Verhalten der Bundesregierung fügt der politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zu, sondern die Kritik am Verhalten der Bunderegierung. So weit wie Maas hat sich bis jetzt kein Minister aus der Deckung gewagt, nicht einmal Innenminister Herrmann Höcherl, CSU, als er im Zusammenhang mit einer Telefonabhöraffäre im Jahre 1963 sagte: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“
Maas freilich geht es nicht darum, seine Beamten in Schutz zu nehmen, sondern die Kritiker der Bundesregierung als eine Gefahr für den inneren Frieden im Lande darzustellen: „Wenn selbst honorige Juristen suggerieren, dass eine Regierung permanenten Rechts-bruch begehe, ja gar kriminell handele, müssen sich dann rechte Wirrköpfe nicht ermutigt fühlen, zur Tat zu schreiten und dagegen ‚Widerstand’ zu leisten?“ Mit den „honorigen Juristen“ meint Maas unter anderen den früherer Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der in einem Interview mit dem Handelsblatt von einem „eklatanten Politikversagen“ in der Flüchtlingskrise gesprochen hatte.
Damit hatte der Verfassungsrechtler offenbar eine Grenze überschritten, die der amtierende Justizminister festzulegen sich berechtigt fühlt. Dass er damit seine Kompetenzen weit überschreitet und den Weg für eine Aufhebung der Gewaltenteilung beschreitet, ist nur ein weiterer Beleg für das von Papier kritisierte „Politikversagen“. Die Große Koalition hat schon das Parlament zu einer Akklamationsmaschine degradiert, jetzt will die Regierung auch bestimmen, wie weit die Kritik an ihr gehen darf. Denn, so Maas im letzten Satz seines „Gastbeitrages“: „Auch ein juristischer Diskurs kann entgleiten und zur geistigen Brandstiftung beitragen.“
Wovon redet der Justizminister? Von dem Urteil eines Sondergerichts unter dem Vorsitz von Roland Freisler?
Von der Verfügung eines DDR-Ministers über die Behandlung „feindlicher und negativer Elemente“?
Weder noch. Er spricht über ein Interview, das ein Verfassungsrechtler einer Zeitung gegeben hat. Und wenn demnächst „geistige Brandstiftung“ zum Tatbestand erhoben und in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, wird es wohl Heiko Maas sein, der die dazugehörige Durchführungsbestimmung schreiben wird.
Zur gleichen Zeit verbreitete die Agentur AFP eine Meldung, die es weder in die Tagesschau noch in die heute-Sendung geschafft hat: „Die Bundesregierung lehnt eine Beteiligung der Bundeswehr an einer humanitären Versorgung hilfsbedürftiger Menschen im Bürgerkriegsland Syrien aus der Luft ab. ‚Ein Einsatz der Bundeswehr zur humanitären Versorgung aus der Luft ist derzeit nicht geplant’, teilte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in einer der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Grünen mit.“
Es ging dabei u.a. um die katastrophale Lage in der syrischen Stadt Madaya, die seit Monaten belagert wird.
Die Menschen, die dort noch „leben“, sehen wie Untote aus. Auf dem Landweg kann man sie nicht erreichen, sie müssten aus der Luft versorgt werden, wie die Jesiden, die vor dem IS in die Berge geflohen sind. Keine Mission impossible für eine Armee wie die Bundeswehr, sollte man meinen, die derzeit an etwa 20 Auslandseinsätzen beteiligt ist. Aber das Auswärtige Amt, dessen Chef so gerne die Krisengebiete der Welt besucht, sagt Nein.
Möglicherweise spielen logistische Gründe eine Rolle, es könnte sein, dass keine einzige Herkules-Maschine derzeit einsatzbereit ist. Möglicherweise will man einfach nicht, aus Rücksicht auf Assad, Putin oder wen auch immer. Also lässt man die Menschen in Madaya verrecken. Derweil deutsche Historiker immer wieder die Frage stellen, warum die Alliierten die Gleise nach Auschwitz nicht bombardiert haben.
Nur zwei Tage, bevor die Bundesregierung bekannt gab, die Bundeswehr werde sich an einer humanitären Versorgung hilfsbedürftiger Menschen in Syrien nicht beteiligen, wurde im Bundestag an die Befreiung von Auschwitz im Januar 1945 erinnert. Reden wurden gehalten und Lieder gesungen.
Niemand trauert so schön wie wir. Vorausgesetzt, die Toten sind schon lange tot.
Siehe auch: Minister Mittelmaas
Wie die Jungfrau zum Kind ist Heiko Maas an seinen Job gekommen. Nun hat wohl der Größenwahn vom Justizminister Besitz ergriffen. Der merkwürdige Jurist legt sich mit den Koryphäen der Zunft an und offenbart einmal mehr, dass er wohl eine gefährliche Fehlbesetzung ist. Mehr