Henryk M. Broder / 07.02.2016 / 19:04 / 11 / Seite ausdrucken

Wie sich die Kanzlerin ihre “Abschiedskultur” vorstellt und andere Grausamkeiten

Die moralische Fallhöhe, welche die Politik der deutschen Regierung erklommen hat, verspricht einen tiefen Absturz in absehbarer Zeit. Drei Beispiele:

Beim Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern in der Stadt Neubrandenburg sagte die Kanzlerin am letzten Samstag, gerichtet an die Adresse der Asylbewerber, Flüchtlinge und aller übrigen Schutzsuchenden: „Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch wieder, mit dem Wissen, was Ihr jetzt bei uns bekommen habt, in Eure Heimat zurückgeht.“

So sprechen Majestäten und andere „von Gottes Gnaden“ ernannte Autoritäten. Sie duzen das Volk und das Gesinde. Sie versprechen Wohltaten, wenn das Volk sich gut benimmt, und sie drohen mit Sanktionen, wenn das Gesinde aufmuckt.

Eben noch hat die Kanzlerin darauf bestanden, dass „wir“ es schaffen, jetzt sollen diejenigen, die ihre Worte für bare Münze genommen haben, sich langsam darauf einstellen, dass sie bald ihre Koffer packen müssen. Gut, es kann eine Weile dauern, bis „wieder Frieden in Syrien ist und... der IS im Irak besiegt ist“, aber die Kanzlerin hat schon immer betont, man müsse „einen langen Atem“ haben, sowohl was die Lage auf der Krim und in der Ukraine angeht, wie auch in Bezug auf die „Dekarbonisierung“ der Energieproduktion, die bis 2100 abgeschlossen sein soll.

Nun, da „wir“ wissen, was die Kanzlerin erwartet, müssen wir uns fragen, wie es mit der „Integration“ der „Refugees“ weiter gehen soll. Warum soll man Menschen integrieren, die demnächst das Land verlassen werden? Warum sollen sie Sprachkurse besuchen, das Grundgesetz auswendig lernen und sich damit abfinden, dass Frauen, Homosexuelle und Juden nicht gejagt werden dürfen? Was sollen sie mit diesem Wissen daheim anfangen? Und wozu sollen neue Häuser aus dem Boden gestampft werden, denen sehr bald der Leerstand droht? Auch wenn das Ganze ein Konjunkturbelebungsprogramm ist, ein wenig nachhaltig sollte es doch sein. 

Etwa zur gleichen Zeit, als die Kanzlerin in Neubrandenburg erklärte, wie sie sich ihre „Abschiedskultur“ vorstellt, konnte man in der FAZ einen „Gastbeitrag“ ihres Justizministers Heiko Maas lesen: „Wer das Recht wirklich schwächt“. Es sei „besorgniserregend“, schrieb Maas, dass in der aktuellen Debatte um die Flüchtlings-politik „immer häufiger Legitimität und Legalität bundespolitischer Entscheidungen in Frage gestellt“ und behauptet werde, „die Regierung besitze kein demokratisches Mandat für die Entscheidung, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen“. Solche Vorwürfe, so der Justizminister weiter, seien „nicht nur falsch, sie fügen auch der politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zu“, indem sie „die Geltungskraft der Gesetze (schwächen) und die Rechtstreue der Menschen (erschüttern)“.  

Im Klartext: Nicht das Verhalten der Bundesregierung fügt der politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zu, sondern die Kritik am Verhalten der Bunderegierung. So weit wie Maas hat sich bis jetzt kein Minister aus der Deckung gewagt, nicht einmal Innenminister Herrmann Höcherl, CSU, als er im Zusammenhang mit einer Telefonabhöraffäre im Jahre 1963 sagte: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“

Maas freilich geht es nicht darum, seine Beamten in Schutz zu nehmen, sondern die Kritiker der Bundesregierung als eine Gefahr für den inneren Frieden im Lande darzustellen: „Wenn selbst honorige Juristen suggerieren, dass eine Regierung permanenten Rechts-bruch begehe, ja gar kriminell handele, müssen sich dann rechte Wirrköpfe nicht ermutigt fühlen, zur Tat zu schreiten und dagegen ‚Widerstand’ zu leisten?“ Mit den „honorigen Juristen“ meint Maas unter anderen den früherer Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der in einem Interview mit dem Handelsblatt von einem „eklatanten Politikversagen“ in der Flüchtlingskrise gesprochen hatte. 

Damit hatte der Verfassungsrechtler offenbar eine Grenze überschritten, die der amtierende Justizminister festzulegen sich berechtigt fühlt. Dass er damit seine Kompetenzen weit überschreitet und den Weg für eine Aufhebung der Gewaltenteilung beschreitet, ist nur ein weiterer Beleg für das von Papier kritisierte „Politikversagen“. Die Große Koalition hat schon das Parlament zu einer Akklamationsmaschine degradiert, jetzt will die Regierung auch bestimmen, wie weit die Kritik an ihr gehen darf. Denn, so Maas im letzten Satz seines „Gastbeitrages“: „Auch ein juristischer Diskurs kann entgleiten und zur geistigen Brandstiftung beitragen.“

Wovon redet der Justizminister? Von dem Urteil eines Sondergerichts unter dem Vorsitz von Roland Freisler?

Von der Verfügung eines DDR-Ministers über die Behandlung „feindlicher und negativer Elemente“? 

Weder noch. Er spricht über ein Interview, das ein Verfassungsrechtler einer Zeitung gegeben hat. Und wenn demnächst „geistige Brandstiftung“ zum Tatbestand erhoben und in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, wird es wohl Heiko Maas sein, der die dazugehörige Durchführungsbestimmung schreiben wird. 

Zur gleichen Zeit verbreitete die Agentur AFP eine Meldung, die es weder in die Tagesschau noch in die heute-Sendung geschafft hat: „Die Bundesregierung lehnt eine Beteiligung der Bundeswehr an einer humanitären Versorgung hilfsbedürftiger Menschen im Bürgerkriegsland Syrien aus der Luft ab. ‚Ein Einsatz der Bundeswehr zur humanitären Versorgung aus der Luft ist derzeit nicht geplant’, teilte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in einer der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Grünen mit.“

Es ging dabei u.a. um die katastrophale Lage in der syrischen Stadt Madaya, die seit Monaten belagert wird. 

Die Menschen, die dort noch „leben“, sehen wie Untote aus. Auf dem Landweg kann man sie nicht erreichen, sie müssten aus der Luft versorgt werden, wie die Jesiden, die vor dem IS in die Berge geflohen sind. Keine Mission impossible für eine Armee wie die Bundeswehr, sollte man meinen, die derzeit an etwa 20 Auslandseinsätzen beteiligt ist. Aber das Auswärtige Amt, dessen Chef so gerne die Krisengebiete der Welt besucht, sagt Nein. 

Möglicherweise spielen logistische Gründe eine Rolle, es könnte sein, dass keine einzige Herkules-Maschine derzeit einsatzbereit ist. Möglicherweise will man einfach nicht, aus Rücksicht auf Assad, Putin oder wen auch immer. Also lässt man die Menschen in Madaya verrecken. Derweil deutsche Historiker immer wieder die Frage stellen, warum die Alliierten die Gleise nach Auschwitz nicht bombardiert haben. 

Nur zwei Tage, bevor die Bundesregierung bekannt gab, die Bundeswehr werde sich an einer humanitären Versorgung hilfsbedürftiger Menschen in Syrien nicht beteiligen, wurde im Bundestag an die Befreiung von Auschwitz im Januar 1945 erinnert. Reden wurden gehalten und Lieder gesungen. 

Niemand trauert so schön wie wir. Vorausgesetzt, die Toten sind schon lange tot.

Siehe auch: Minister Mittelmaas

Wie die Jungfrau zum Kind ist Heiko Maas an seinen Job gekommen. Nun hat wohl der Größenwahn vom Justizminister Besitz ergriffen. Der merkwürdige Jurist legt sich mit den Koryphäen der Zunft an und offenbart einmal mehr, dass er wohl eine gefährliche Fehlbesetzung ist. Mehr

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karl Gottlieb / 07.02.2016

Ja was denn nun? Merkel hat uns doch immer wieder erzählt: “Wir brauchen diese Menschen!”, weil unsere Gesellschaft sonst hoffnungslos vergreist. Und nun will sie die Leute wieder heimschicken?

Sabine Endruschat / 07.02.2016

Mein Sohn hat mir vom Echoraum erzählt, wo Gleichgesinnte sich in ihrer Meinung gegenseitig bestärken. Mir kommt es da weit oben in der Politik ähnlich vor, Kritik ist Ketzerei an der gerechten Politik. Aber es gibt keine eine gerechte Politik in einer Demokratie, es gibt verschiedene Meinungen. Man darf unterschiedlicher Meinung sein! Das ist weder rechts noch links! Puh, das wäre geschafft :) Und man sollte miteinander reden, ohne die Aussagen zu Denkverboten zu erklären und die Diskussion zu ersticken. So wie dieser Staat bislang mit seinen Einwanderern umgeht, die soziale Unterstützung beantragen (Antragsdauer, Möglichkeit der Integration, Arbeit) und wie die anderen europäischen Mitgliedsländer mithelfen, ist es bestimmt nicht vorteilhaft und angenehm, hier Asyl zu suchen. Das sollte auch nach außen deutlich gemacht werden. Auch - im Interesse von Menschen, die erstmal nicht wissen, wohin. Die Ihr Vermögen opfern und Ihre, wenn auch nur bescheidene Existenz für etwas vermeintlich Besseres aufgeben. In einer materiellen Welt sind naturgemäß alle Resourcen begrenzt - wir können nicht endlos für alle optimal sorgen, und es ist womöglich nicht einmal sinnvoll, selbst, wenn wir es könnten. Gehen Flüchtlinge eigentlich nicht erstmal zu dem nächstgelegenen sicheren Ort? Ähnliche Umwelt, ähnliche Mentalität, ähnliche Sprache? Was ist das für eine eigentümliche Flucht? Erst Deutschland bietet Sicherheit? Wie vermessen sind wir eigentlich? Und sind wir Superdeutschland? Wir schaffen alle Flüchtlinge? Langsam dämmert es da oben…. Ohne Familie läßt man sie jetzt hier allein sitzen - schon klar, man kann nicht alles zahlen - aber was für Probleme und Verbitterungen werden aus den vielen persönlichen Nöten entstehen? Integration? Oder ist das Rausekeln mit Niveau? Wäre man nicht humaner, wenn man vor allem schneller Klarheit schafft? Das empfände ich für alle hier gestrandeten als beste Lösung. Und wirklich nicht aus so weiter Ferne hierher einladen. Für die Reisenden ist es Geldvernichtung mit ungewissem Ausgang, am Ende Mittellosigkeit und Förderung einer Schlepperindustrie. Und den Ländern gehen ihre jungen Männer, viele auch Hoffnungsträger verloren.

Michael J. Weider / 07.02.2016

Dass Heiko Maas als Justizminister Facebook dazu anhält, im quasi öffentlichen Raum anzufangen, qua Benutzerordnung Zensur zu üben, gibt Anlass, die sittliche und/oder intellektuelle Reife dieses Herren anzuzweifeln. Kommt nicht jede Legislaturperiode vor, dass ein Bundesminister so schamlos auf Zensur hinarbeitet. P.S.: Der im Text erwähnte Knilch heißt Freisler. Da hat sich wohl der Fehlerteufel eingeschlichen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com