Konservative und Liberale sind zum Feindbild der neuen Gesellschaft geworden. Ihre ewige Toleranz hat sie zu Ausgestoßenen gemacht. Zeit für eine neue Selbstbehauptung.
Viele Konservative und Liberale haben noch nicht verstanden, dass sie zu Rechten und damit zu Parias geworden sind. Sie gehören nicht mehr der Mitte an, sondern sind das Feindbild der neuen Mitte. Die Konservativen und Liberalen sind, ohne dass sie es wahrhaben wollen, Gegenstand einer abschätzigen Duldung geworden, die aus ihrer eigenen Toleranz heraus erst möglich wurde. Sie beklagen diese Entwicklung, aber sie zieren sich vor der Aufgabe, ihr entgegenzustehen. Sie sehen sich im Recht, setzen es aber gegen Unrecht nicht durch. Sie leben von einer Behauptung von sich selbst und nicht mehr von Selbstbehauptung. Damit schauen sie dem Bock beim Gärtnern zu.
Sie dulden es, geduldet zu werden. Diese Art von Toleranz stärkt die Tyrannei der Minderheit gegen die Mehrheit. Ein solches Verhalten ist auch eine Identitätskrise. Und diese Identitätskrise lässt sich beschreiben als Selbst-Behauptung gegen Selbstbehauptung. Eine Behauptung von sich, die sich nicht behaupten kann, taugt nichts.
In diesem Konflikt zeigt sich eine gleichzeitige Überhöhung und Verkürzung von Identität, die sich nur durch Ideen von sich, aber nicht durch tatsächliches Handeln definiert. Das Ergebnis ist ein Identitäts-Substitut. Mit der postulierten Identität geht kein kritisches Geworden-Sein einher. Es reicht, eine Behauptung von sich selbst gut zu finden, ohne etwas Wesensstiftendes dafür zu leisten.
Identität wird Lifestyle-Produkt
Der Begriff wird auf eine leistungslose Zugehörigkeit zu etwas Gemeinschaftsstiftendem wie der Gemeinschaft der Rechtwollenden verkürzt. In dem Fall ist man woke oder bunt, spirituell oder vielleicht sogar ein Klima-Foodie. Das ist auch der Wunsch, einer Gruppe anzugehören, ohne deren Ziele in ihrer Enkeltauglichkeit zu prüfen. Die Rechtwollenden zeichnen sich durch die zeitgeistig angebrachte Gesinnung aus, nicht durch den Überblick über die Folgen ihres Handelns.
Damit wird Identität verballhornt zu einer Kollektivzugehörigkeit, die Anerkennung verspricht. Eine Art Lifestyle-Produkt. Wenn Identität zu einem Lifestyle-Produkt geworden ist, dann ist sie nicht mehr das würdevolle, anhörenswerte Ergebnis eines Lebens in Selbstbehauptung. Dann ist sie eine schicke Bühne ohne Stück.
Identität als Einzigartigkeit oder Eigenartigkeit ist nicht zu haben und auch nicht zu halten ohne unteilbare persönliche Geheimnisse, Entscheidungen und daraus folgendes Handeln, das ein „ich stehe hier und kann nicht anders“ meint. Die Selbstbehauptung. Wer von der Selbstbehauptung abkehrt, weil sie ihm zu aufreibend ist, will etwas sein, ohne das beweisen zu müssen. Das ist infantil und eine Variante der Kapitulation des durch Bildung, Zeit und Widerstand entwickelten Sachargumentes vor dem Gefühl.
Härte des Lebens wegdefiniert
Ohne Selbstbehauptung wird die Härte des Lebens wegdefiniert. Das Ergebnis wird eine wohlmeinende Absichtsgesellschaft sein. Wir erleben das etwa bei der deutschen „Energiewende“, für welche die Deutschen von weiten Teilen der Welt ausgelacht werden. Die gute Absicht ersetzt den Überblick über die Folgen.
Das ist der alte Konflikt zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik: Der Gesinnungsethiker folgt der Idee, die er für seinen Leitstern hält und verantwortet sich auch nur vor ihr. Der Verantwortungsethiker bemisst sein Handeln an den absehbaren Folgen und überlegt, ob er sie vertreten kann.
Beim Gesinnungsethiker haben wir es mit einer Person zu tun, die das Handeln dem eigenen Wohlgefallen unterordnet. Dagegen ist der Verantwortungsethiker jemand, der dem Handeln erst die Folgen und nicht den frommen Wunsch gegenüberstellt. Leider sind wir auch soweit, dass zwischen diesen beiden kein Dialog mehr stattfindet. Dabei wären sie ein gutes Korrektiv füreinander.