Markus Vahlefeld / 23.01.2018 / 06:15 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 40 / Seite ausdrucken

Wer bürgt, bestimmt die Obergrenze

Wie sehr die politische Debatte auf den Hund gekommen ist, konnte man sehen, als vor der Bundestagswahl die Fälle von Flüchtlingsbürgen durchs mediale Dorf getrieben wurden, deren Bürgschaften nun – oh Wunder! – fällig wurden. Da protestierten die einen über die Kaltherzigkeit des Staates, während die anderen sich in Häme über die Unkenntnis der Bürgen ergingen, dass virtuelle Bürgschaften durchaus echte Zahlungen zur Folge haben können. Dabei ist das Prinzip des Bürgen und der Bürgschaft die Zukunft eines modernen Staatswesens, das sich zur Offenheit bekennt.

Die Zahl der Menschen in Deutschland, die sich von den politischen Eliten, die wir gewohnt sind, den „Staat“ zu nennen, in die Zange genommen fühlen, wächst unaufhörlich. Immer mehr Gesetze, mehr Kontrolle, mehr staatlicher Durchgriff auf der einen Seite, gleichzeitig immer mehr Folgenlosigkeit verfehlten politischen Handelns auf der anderen Seite. Der Widerspruch, zum einen das eigene Leben in weitgehender Eigenverantwortung meistern zu wollen und zum anderen von einer politischen Klasse regiert zu werden, für die dieses Grundgesetz des mündigen Bürgers nicht mehr gelten soll, ist spätestens durch die Ungeheuerlichkeiten, die wir seit der Großen Öffnung 2015 erleben, zu einem unüberbrückbaren Demokratiehindernis geworden.

Die eklatante Zunahme der terroristischen Gefahr? Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten. Unbegleitete Minderjährige, die in Wahrheit schon 30 Jahre alt sind? Die Ämter waschen ihre Hände in Unschuld. Milliarden Mehrkosten bei Elbphilharmonie, Stuttgart21 oder Hauptstadtflughafen? Der Steuerzahler wird’s richten. „Flüchtlinge“ mit 14 und mehr Identitäten? Unser Asylsystem funktioniert. Die horrende Zunahme an vergewaltigten Frauen? Ein Land, in dem wir gut und gerne leben! Die Parteien der GroKo abgewählt? Egal, weitermachen!

Seit dem Rücktritt des Bundespräsidenten, der am Ende über eine unklare Hotelrechnung in Höhe von 500 Euro stolperte, hat sich kein einziger amtstragender Bundespolitiker Deutschlands bemüßigt gefühlt, aus dem Potpourri an Faulheit, Feigheit und Fehlern die Konsequenzen zu ziehen. Diese systemische Verantwortungslosigkeit im wahrsten Sinn des Wortes – denn von den Politikern wird niemand wegen offenkundigster Fehlleistungen zur Verantwortung, sprich: Durchgriff bis aufs Privatvermögen, gezogen – hat sich zum Dämon unserer Demokratie entwickelt.

200.000 – eine aus der Luft gegriffene Zahl

Durch die Vernetzungsdichte und die Spontanaktivität, die das Internet jedem Bürger ermöglicht, sind aus diesem Missverhältnis kreisende Erregungszustände entstanden, die von keiner Politik und auch von keinem Netzwerkdurchsetzungsgesetz mehr eingefangen werden können. Sie sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die digitalisierten Gesellschaften schon seit geraumer Zeit einen Transformationsprozess durchlaufen, der zu einer deutlichen Machtverschiebung von der Anbieterseite hin zum Nachfrager geführt hat.

Wenn die Angebote – vor allem der Volksparteien, die sich in Deutschland immer als die Lordsiegelbewahrer der Demokratie verstanden haben – den nachfragenden Bürgern nicht mehr genügen, zählt keine Parteiendisziplin und keine Parteienbindung mehr, die Wähler wandern weiter. Dass CDU/CSU und SPD das noch nicht verstanden haben, ändert an der Tatsache nichts, gibt aber einen Hinweis darauf, warum die Auseinandersetzung zwischen politischer Bewahrungsklasse und den immer stärker kreisenden Bürgern so verbissen geführt wird.

So könnte man sich als Unbeteiligter beispielsweise fragen, woher die Politik diese ominöse Zahl von 200.000 Asylbewerben pro Jahr als Obergrenze eigentlich hat. Hat sie diese Zahl, weil irgendwann ein CSU-Politiker sie in den Ring geworfen hat? Oder weil irgendjemand in die Glaskugel des „Was-lassen-sich-die-Deutschen-noch-bieten“ geblickt hat? Die 200.000 könnten auch 20.000 oder zwei Millionen sein. Sie sind so aus der Luft gegriffen, dass man sich nur wundern kann, mit welcher Inbrunst diese Zahl bekämpft oder verteidigt wird.

In einer stabilen Demokratie, in der alle Macht vom Volke ausgeht, kann die Politik weder besser noch schlechter sein als das Volk. Es ist die vornehmliche Aufgabe der Politik, die Wünsche und Sorgen der Bürger derart zu moderieren, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger den Eindruck gewinnt, sich in ihrem Staatswesen wiederzufinden. Volkserziehung und Weltverbesserung kann sich Politik ja nur auf die Fahnen schreiben, weil sie meint, eine höhere Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, um die Belange der Bürger übergehen zu dürfen.

Kein Staat kann besser sein, als seine Bürger

Daher mein Vorschlag zur Güte: Wir verzichten auf eine Obergrenze und gewähren so vielen Menschen in Deutschland Asyl, wie es Deutsche gibt, die für sie bürgen. Wenn 200.000 Deutsche für Flüchtlinge eine Patenschaft übernehmen wollen, liegt die Obergrenze bei 200.000. Sind es 500.000 oder gar eine Million, verschiebt sich die Obergrenze entsprechend. Nochmals: Kein Staat kann besser sein, als seine Bürger. Den Untertanen irgendwelche aus der Luft gegriffenen Zahlen aufzuzwingen, ist zwar für die Politik das einfachste Mittel, den Staat immer weiter aufzublähen und existentielle Abhängigkeiten zu schaffen – für ein demokratisches Gemeinwesen in Zeiten dezentraler Erregungsnetze ist es aber wie ein Selbstmord mit Ansage.

Eine Patenschaft für Flüchtlinge bedeutet: Jeder Pate kümmert sich um die Anzahl Menschen, für die er sich verantwortlich erklärt. Er sorgt für den Besuch von Deutschkursen, den reibungslosen Behördenpapierkram, hilft bei der Suche nach Wohnraum und Arbeitsplätzen. Im Großen und Ganzen: Er erklärt sich verantwortlich für das Wohlergehen sowohl der Flüchtlinge wie auch der Gesellschaft, in der sie leben. Natürlich muss ein Pate nachweisen, dass er Vermögen besitzt, auf das durchgegriffen würde, wenn er seinen Pflichten nicht nachkäme. Und natürlich würde ein Pate für sein Engagement steuerliche Vorteile erhalten. Aber eines muss klar sein: There is no such thing as a free lunch.

Die Aufgabe der Politik wäre es, die Bürgen der Flüchtlinge in Deutschland zusammenzubringen, ihre Interessen zu moderieren und ihre Tätigkeit großzügig zu unterstützen. Was jedoch nicht Aufgabe der Politik ist: vorzuschreiben, wieviele Menschen dem Gemeinwesen aufgedrückt werden sollen, ohne dabei auch nur einen Funken an Verantwortung zu übernehmen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Uwe Manowsky / 23.01.2018

Man sollte sich die Formulierung “keine Obergrenze“ mal auf der Zunge zergehen lassen. “Zuwanderung ohne bzw. mit variabler Obergrenze“ hört sich wesentlich harmloser an als “unbegrenzte Zuwanderung“, ist aber dasselbe. Jegliche genannte Zahl dient nur der Ruhigstellung des dummen Wahlvolkes. Es wird ja eindeutig auf die UN-Flüchtlingskonvention Bezug genommen, die ja auch keine Obergrenze kennt. Aus disem Grund hat sich Dänemark ja unlängst davon verabschiedet. Ich finde es richtig, wenn alle Befürworter dieser Zuwanderung dafür bezahlen müssen. Auch die Kirchen mit ihrem unangetasten Milliardenvermögen.

Lydia Burgstaller-Englitz / 23.01.2018

Die Idee, eine Patenschaft für Flüchtlinge zu übernehmen, ist sicher gut gemeint. Jeder der eine solche Bürgschaft übernehmen will, sollte sich aber im Klaren sein und die Auswirkungen bedenken, sowie dafür auch die finanzielle Verantwortung komplett übernehmen müssen. Schon meine Eltern lehrten mich als Kind (da wusste ich noch wenig über das Thema Bürgschaft, aber sie nannten mir ein konkretes Beispiel, so dass ich es auch kapiert habe), niemals im Leben, eine Bürgschaft zu unterschreiben, weil daraus der eigene finanzielle Ruin entstehen kann. Meinen längst verstorbenen Eltern danke ich noch heute, für diese verantwortungsvolle “Belehrung”, die immer noch ihre Gültigkeit besitzt! Von Frau Merkel, Herrn Schulz, Frau Roth und Frau Kathrin Göring-Eckhardt und vielen anderen aus dem Realitätsverweigerer-Lager,  erwarte ich aber schon, mit gutem Beispiel voran zugehen und ihren “Edelmut” zu beweisen und entsprechend viele Bürgschaften , für die sie alleinverantwortlich “gerade stehen müssen”, zu unterschreiben! Diese “Herrschaften” machen es sich sehr einfach, für Familiennachzug zu werben und die “Zeche” darf der Bürger wieder mal bezahlen.

Elmar Schürscheid / 23.01.2018

Das wäre mal gerecht. Leider werde ich es nicht mehr erleben. In zwei Generationen gibt es die Deutschen nicht mehr.

Andreas Arndt / 23.01.2018

Das ist der vernünftigste Vorschlag, der bisher gemacht wurde. Da es ja jede Menge No Border Befürworter gibt, werden sich auf einer schnell einzurichtenden Internetseite sicher Millionen Unterstützer mit ausreichendem Vermögen oder Einkommen finden. Denn freien Zuzug der ganzen Welt fordern und alle bezahlen lassen geht nicht gut.

Thomas Weidner / 23.01.2018

Ja——das Geld, das einem selbst nicht gehört sondern anderen - auszugeben, das fällt sehr, sehr, sehr vielen Menschen ganz leicht. Triebfeder dazu ist der Neid…. Aber die körperliche Unversehrtheit der Mitmenschen bzw. deren Recht darauf, abzuschaffen, indem man Gewaltmenschen ins Land holt - das ist ein Verbrechen.

Tom Hess / 23.01.2018

Wenn ich schon sehe, wie sich Linke verhalten haben, als sie irgendwelche besetzten Gebäude räumen sollten, um diese Migranten bereitzustellen, dann wird das wohl nix werden.

Bärbel Schneider / 23.01.2018

Geht der Bürge auch ins Gefängnis, wenn einer seiner Schützlingen kriminell wird? Was geschieht mit den Migranten, wenn das Vermögen des Bürgen aufgebraucht ist oder sich seine finanzielle Situation ändert? Was, wenn islamistische Organisationen gezielt Terroristen ins Land holen? Warum nicht die einfachste Lösung, die jeder vernünftige Staat hat: Einwanderungsgesetz, so dass nur diejenigen kommen können (und evt. auch nur auf Zeit), die das Land braucht; ansonsten Hilfe vor Ort bzw. Unterbringung von wirklich Schutzbedürftigen in sicheren Drittländern. - Noch ein Vorschlag: Bürgerbefragungen in jeder Stadt, ob und wenn ja, wie viele Migranten sie aufnehmen wollen. Integration kann nicht gelingen, wenn man die Migranten den Bürgern gegen deren Willen aufdrängt.

Simone Robertson / 23.01.2018

Die Idee hatte ich auch schon. Wenn man den Regierenden glauben darf, dann findet die Hälfte der Bevölkerung die Flüchtlingspolitik doch gut. Das wären 40 Mio Menschen! Wenn davon nur 25% genug Geld haben, um zu bürgen, sind das immer noch 10 Millionen. Die könnten sich unter Umständen auch einen Flüchtling teilen, zwei oder drei oder auch 5 könnten gemeinsam für ihn aufkommen, dann wäre doch zu zahlende Betrag ein Klacks! Wir brauchen unbedingt eine Flüchtlingshelfreregistrierungsbehörde!

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