Cora Stephan / 14.05.2018 / 06:17 / Foto: AP / 34 / Seite ausdrucken

Wenn das Volk nicht mehr anschaut, was es soll

Wenn man dem bestehenden Misstrauen gegenüber Politik und Medien noch ein wenig Schubkraft verleihen will, mache man es so wie jüngst Monika Grütters (CDU), Staatsministerin für Kultur und Medien. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel" konstatiert sie, das Internet ermögliche offenbar „derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann".

Ein verblüffender Satz. Was genau meint sie mit „derzeit"? Also nicht mehr lange? Überhaupt: Wer entscheidet darüber, wie viel Freiraum die Demokratie verträgt? Und was legitimiert denjenigen? Kann man bei eingeschränktem Freiraum überhaupt noch von Demokratie sprechen? Und auf welch geheimnisvolle Weise dient eine Freiheitsbeschränkung dem „Recht auf freie Meinungsbildung", wie sie an anderer Stelle sagt?

In den Onlinekommentaren zu ihrem Gastbeitrag erntet Frau Grütters reichlich Widerspruch. Selbst schuld, möchte man ihr zurufen. Denn in ihrer Begründung geht einiges durcheinander – zum Beispiel Demokratie und Rechtsstaat.

"Lügen, Hass und Hetze" zu verbreiten, ist bereits jetzt strafbewehrt. Allerdings hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des früheren Justiz- und jetzigen Außenministers Heiko Maas (SPD) die Entscheidung darüber, welche Meinungsäußerung dazu zählt, nicht den Gerichten, sondern anonym agierenden „Entscheidern" überlassen. Eine Maßnahme fern jeglicher Legitimität. Bereits das könnte man als Schwächung des Rechtsstaates ansehen.

Die Blauäugigkeit der Medien

Auch sich künstlerischer und geistiger Leistungen zu bedienen, ohne dafür zu bezahlen, ist nicht allein Schuld des Internets. Wir verdanken das der Blauäugigkeit der Medien, die ihre Inhalte bereits vor Jahren kostenlos ins Netz gestellt haben und nun mühsam zurückzurudern versuchen.

Und was heißt, das Internet erlaube, „Deutungsmonopole" aufzubauen? Was heißt die Behauptung, dass „soziale Netzwerke in der demokratischen Öffentlichkeit zunehmend eine moderierende und damit auch für die Meinungsbildung relevante Rolle übernehmen"?

Und, wenn ja: Was ist schlimm daran? Weil ein „Algorithmus" darüber bestimme, was etwa ein Facebook-Nutzer zu sehen bekommt? Bei anderen Medien entscheidet die Redaktion, was Leser, Hörer oder Fernsehzuschauer zuzumuten ist – und da sitzen auch nicht gerade wenige in ihrer Filterblase oder schielen nach Klickraten.

Bei aller Kritik an dubiosen Praktiken gerade bei Facebook: Grütters' Beitrag durchzieht das allzu bekannte Lamento über das Volk, den dummen Lümmel. Der lässt sich mit Algorithmen abspeisen, ist nicht in der Lage, selbst zu entscheiden, was er wahrnehmen will, hält sich am liebsten in Filterblasen bei Hetze, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien auf und ist zu dämlich, um selbsttätig jene Angebote zu finden, die Grütters für „meinungsbildungsrelevant" hält – also die gewohnten Medien, nehme ich an.

In diesem Sinne will Grütters die „Medienkompetenz" der Bürger stärken, schon, damit sie wissen, welch finstere Mächte da am Werk sind – etwa bei Facebook (Stichwort: Datenmissbrauch). Wieder einmal soll der Bürger an die Hand genommen werden, politisch behütet eben. Davon hat er die Nase schon lange voll.

Informationsflut, die den Untertan verwirren könnte

Die Warnung vor einer Informationsflut, die den Untertan verwirren könnte, ist nun schon einige Jahrhunderte alt, sie erscholl mit dem Buchdruck, mit dem Radio, mit dem Fernseher – mit jeder Erfindung, die es leichter machte, öffentlich zu kommunizieren. Priester mochten es noch nie, wenn das Volk sich ohne ihre Hilfe kundig machte und ihr Monopol auf Wahrheit bestritt.

Das sollte eine Kulturministerin wissen. Auch, dass Gegenöffentlichkeit beim Kampf gegen Diktatur und autoritäre Regime eine entscheidende Rolle spielt und dass sie in einer Demokratie ebenfalls unverzichtbar ist, die von allen Regierungsformen die beste sein mag.

Aber gerade dort, wo das Volk nicht gezwungen werden kann, sondern überredet werden muss, geht es selten ohne Lüge, Manipulation und Propaganda auf der Seite der legitim Regierenden zu. Dass Freiheit auch viel Unsinn in die Welt entlässt – geschenkt. Das ist der Preis, den man für Demokratie und Meinungsfreiheit zahlt.

Es ist mit dem Internet etwas in der Welt, das man nicht zurückdrehen kann, wenn man sich nicht dem Verdacht aussetzen will, dass man in Wirklichkeit nur das Meinungsmonopol, die eigene Deutungshoheit erhalten will, die man lange Jahre in bewährten Kanälen sicher wusste. Das ist vorbei.

Die Lehre aus den zurückliegenden Monaten ist doch im Grunde nicht schwer zu verstehen: Der Demokratie schadet am meisten, wer die Bürger durch Beschweigen und Beschwichtigen für dumm verkaufen will.

Dieser Beitrag erschien auch im NDR.

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Gudrun Meyer / 14.05.2018

Grütters weiß eben, auf welcher Seite ihr Brötchen gebuttert ist, und da ist sie nicht die einzige. Sie und Co. leben direkt oder indirekt von Wahlergebnissen, die sehr stark davon abhängen, welches Leitmedium Reklame für welche Leitpartei macht und wieweit es gelingt, der Bevölkerung die AfD als größte Gefahr anzudrehen - während die langfristigen Profiteure auf der einen Seite bei der Amadeu-Antonio-Stiftung denken lassen und auf der anderen weit rechts der AfD stehen. Das Recht auf freie Meinungsbildung endet genau da, wo die Medieninkompetenz der Bürger dazu führt, dass sie nicht mehr jedes Wort der MSM glauben, denn Zweifel an den verkündeten höheren Wahrheiten (pro Jahr tröpfeln nur noch 200 000 "Schutzsuchende" nach D, der Anstieg der Messerverbrechen und Vergewaltigungen führt bei völliger Sicherheit zu einer gefühlten Bedrohung etc. etc.) sind rechtspopulistisch und hochgefährlich (Nahles). Skepsis ist der Freiraum, den die die Journokratie nicht mehr verträgt. Die Bürger müssen lernen, einfach alles zu glauben, was Grütters und Kollegen ihnen erzählen. Nur so lässt sich die Multimilliarden-Politindustrie halten, die beliebig viele Migranten ins Land lässt und ein Heer von Sozialarbeitern, Frauen-, Schwulen-, Integrations- und Antidiskriminierungsbeauftragten, Gender"forscher*innen", linksextremen "Fachstellen für Demokratie", halbseidenen "NGOS" und Antifa-Aktivisten von Steuergeldern aushält. Das alles läuft ungesteuert und ohne wirklich bewusste Entscheidungen. Auch die Politiker und Journos waren ja mal in der Schule und haben dort gelernt, dass die Gesellschaft Müll ist und verändert werden muss. Damit hat in fast jedem Fall die linke Ideologisierung angefangen und sich dann eigengesetzlich weiterentwickelt. Die Erfolgreichsten in diesem System bestehen auf ihren Pfründen - und auf noch mehr gutdotierten Posten für ihre Verwandten und Freunde.

Karla Kuhn / 14.05.2018

" Das kann man auch ganz anders sehen: Der Demokratie schadet am meisten, wer die Bürger durch Beschweigen und Beschwichtigen für dumm verkaufen will." BRAVO !!! Laufen dieser Frau die "Lämmer" davon, die man für dumm verkaufen will (kann) ?? Menschen wir diese Frau sollten mal lesen, WAS Demokratie bedeutet. "DEMOKRATIE bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen MACHT und REGIERUNG vom VOLK ausgehen. VOM VOLK, ergo, vom SOUVERÄN !! Und der Souverän ist es, der auch die Diäten dieser Frau bezahlen muß !! Aber wahrscheinlich vergessen das die meisten Politiker. Ob Lindner, Spahn, jetzt Grütters und noch viele andere scheinen zu vergessen WER der Souverän ist. Die blödsinnige Äußerung Lindners vom Bäcker zeigt doch- jedenfalls für mich- daß der Mann keine Ahnung hat von der Wirklichkeit. Erstens braucht heute beim Bäcker keiner mehr anstehen, weil es fast an jeder Ecke so einen Billigbäcker gibt und außerdem interessiert es bestimmt diejenigen, die hier schon länger leben nicht, was andere kaufen. Und die unsägliche Äußerung Spahns zeigen mir, daß dieser Mann- für mich !!- (wahrscheinlich auch für andere) überhaupt nicht politiktauglich ist. Die Äußerung von M. G. ist derart absurd, daß ich mich ernsthaft frage, WAS für eine Regierung uns eigentlich regiert.

Stefan Riedel / 14.05.2018

„...derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann". Herzlichen Glückwunsch! Die Achse wirkt!!!

Wieland Schmied / 14.05.2018

Der Frau 'Ministerin' Grütters ein weises, fast prophetisches Wort George Orwells ins Poesiealbum - mit der Bitte, es genau zu bedenken - geschrieben: „Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.“

Roland Stolla-Besta / 14.05.2018

Zwar verzapfen auch männliche Politiker jede Menge Stuss, aber in diesem Punkt ist die Frauenquote nach meinem Eindruck endlich einmal übererfüllt! Als aktuelles Beispiel für nicht einmal in Ansatz durchdachte Äußerungen ist diese von Frau Grütters! Da kann sich mancher Mann eine Scheibe abschneiden!

Wiebke Lenz / 14.05.2018

In Bezug auf Medienkonsum kann ich es vielleicht Glück nennen, bis in meine Jugendzeit in der DDR aufgewachsen zu sein. Man lernt ganz schnell: Zunächst Sachebene von der emotionalen (manipulativen) Ebene trennen. Dann die Fakten an anderer Stelle auf Wahrheitsgehalt überprüfen. Damals gerne auch beim "Klassenfeind". Nebel machte das Antennendrehen auf "Westfernsehen" möglich. Hat zum Beispiel auch ganz andere Bilder zum "Platz des Himmlischen Friedens" gezeigt. Radiosender waren auch zu empfangen. Und der "Sputnik" als Medium der UdSSR hat über Glasnost und Perestroika berichtet. (Ich hatte das Glück, diesen lesen zu dürfen.)

Wolfgang Lang / 14.05.2018

Die Kampagne läuft auf vollen Touren. Das dusselige Internet vermasselt den Mächtigen und deren Hofmedien gründlich die Tour. Jetzt wird gegengesteuert. Zurück zum System der Kontrolle und Zensur über den dummen Lümmel Volk.

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