Weltmeister der Diplomatie?

Wenn jemandem Respekt entgegengebracht wird und er zeigt, dass er diesen Respekt nicht verdient hat, so bezeichnen wir sein Verhalten als peinlich. In dieser Disziplin hat Deutschland die Weltmeisterschaft schon für sich entschieden.

Würden Sie die Einladung eines Gastgebers akzeptieren, der Eigenheiten hat, die Sie zutiefst ablehnen? Etwa, dass er seine Frau schlecht behandelt? Vermutlich würden Sie sich das gut überlegen, aber vielleicht doch mit gemischten Gefühlen zusagen, weil Sie erwarten, dort Personen zu treffen, die Ihnen wichtig sind.

Sie nehmen die Einladung also an, aber unter Protest. Während des Stehempfangs verteilen Sie an die Gäste mehr oder weniger unauffällig gedruckte Kärtchen, auf denen eine NGO für Spenden zugunsten misshandelter Ehefrauen aufruft. Die Anwesenden verstehen die sublime Botschaft recht schnell. Jegliche Heiterkeit verstummt, und das Dinner wird zur Pflichtübung. Sie haben die Party versaut und niemand nimmt Ihnen das mehr übel als die Frau des Hauses. 

Die Bilanz Ihrer Initiative: Eine mit viel Aufwand bereitete Party entartete zur Peinlichkeit, Sie werden weiträumig zur persona non grata erklärt und besagter Gastgeber hat sich durch Ihren Wink mit dem Zaunpfahl keineswegs in einen zartfühlenden Ehemann verwandelt.

Die Kunst der Diplomatie

Aber Sie haben all das für sich nur im Geiste durchgespielt und schließlich die Einladung mit einem freundlichen Brief abgesagt; Sie sind ja ein Gentleman.

Der engere Freundeskreis pendelt sich im Laufe der Jahre so ein, dass man hinsichtlich der wichtigsten Wertvorstellungen und Verhaltensnormen wenig Kompromisse eingehen muss. Da herrscht ungezwungener Konsens. Im weiteren Freundeskreis ist das schon etwas anders, und darüber hinaus treffen wir täglich auf Personen, deren Einstellungen wir kaum teilen können, und trotzdem müssen wir mit ihnen zurechtkommen.

Extrem wird das, wenn unterschiedliche Nationen miteinander zu tun haben. Da kann die Schnittmenge der gemeinsamen Wertvorstellungen gegen null gehen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden nun Spielregeln entwickelt, um dennoch einen zivilisierten Umgang zwischen den Fremden zu ermöglichen. Sie werden unter dem Begriff „Diplomatie“ zusammengefasst. 

So wie der Teufel das Weihwasser, so vermeidet der Diplomat Themen, die nur im Geringsten kontrovers sein könnten. Stattdessen bringt er harmlose Gemeinsamkeiten zur Sprache, etwa das Wetter, dem wir alle ausgesetzt sind. Auf dieser Ebene kann man sich in kleinen Schritten an sein Gegenüber herantasten und den Boden für zivilisierte Gespräche bereiten. Ein beliebtes und unverfängliches Medium ist hier auch der Sport.

Vor 50 Jahren: Nixon in China

Paradebeispiel ist die „Pingpong-Diplomatie“ zwischen USA und China. Es gab (und gibt?) kaum Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Nationen, deren Regierungen 25 Jahre lang keinerlei Kontakt hatten. China fand dann einen an Harmlosigkeit nicht zu übertreffenden Anknüpfungspunkt: Tischtennis. Man lud das US-Team ein und machte erfolgreich den ersten Schritt einer Annäherung, die dann 1972 zu Nixons historischem Besuch in Peking führte.

Deutschland ist traditionell nicht für Eleganz und Diplomatie bekannt, und so sind die Beziehungen zu Katar nach dem gescheiterten Ersuchen um Öllieferungen nicht besonders harmonisch. Da bietet sich die Fußball-WM als Bühne an, um seinen Unmut auszudrücken. Durch geschmackvolle Armbinden und elegante Gesten auf dem Gruppenfoto kann man vor aller Welt demonstrieren, was man vom Gastgeber hält. So geht deutsche Diplomatie.

Nun sind Sportereignisse dieser Art ja gerade ein Vehikel, um Völker der Welt zueinander zu bringen, die außer Fußball vielleicht wenig gemeinsam haben. Es ist gelebte Diversität. Da ist Politik tabu, und die inneren Angelegenheiten anderer Nationen schon gar. 

Ignoranz kennt keine Gnade

Wie absurd die Aktion der deutschen Mannschaft ist, erkennt man, wenn man den Spieß umdreht. Stellen Sie sich vor, Deutschland ist Gastgeber der WM und eine der südlichen Nationen will ihre Kritik zum Ausdruck bringen, dass in Deutschland die alten Menschen nicht bei ihren Familien leben dürfen, sondern in Altenheime zum Sterben abgeschoben werden. Als Zeichen des Protests malen sich alle Spieler für das Gruppenfoto ein schwarzes Kreuz auf die Stirn.

Wie berechtigt diese Kritik auch sein mag – dies ist nicht der Moment, um sie zum Ausdruck zu bringen. Wer als Fußballstar das Privileg hat, vor der Kamera einem Milliardenpublikum präsentiert zu werden, der darf diese Situation nicht für ein völlig sachfremdes Anliegen missbrauchen.

Wenn jemandem eine Ehre zuteilwird, wenn ihm Privilegien gewährt werden und er zeigt, dass er dieser nicht würdig ist, so bezeichnen wir sein Verhalten als peinlich. In dieser Disziplin hat Deutschland die Weltmeisterschaft schon für sich entschieden. Natürlich können und sollten Nationen immer voneinander lernen, aber nicht auf diese Weise. Vielleicht kann sogar Deutschland etwas von Katar lernen: etwa wie man einen Flughafen baut und eine Airline betreibt, die Jahr für Jahr als beste der Welt eingestuft wird.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors, Think-AgainSein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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Leserpost

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A.Schröder / 01.12.2022

Deutschland ist auf einem Tiefpunkt der internationalen Diplomatie. Da war wesentlich mehr los, während des Zweiten Weltkrieges oder auch fünfzig Jahre im Kalten Krieg danach. Jeder deutsche Botschaftangehörige kann sich nur noch schämen für seine Heimat. Und als Tourist, wollen sie sich jedesmal erst im Gastland entschuldigen für das Deutsche Elend? Womöglich sind die kurzhosigen bestrumpften Badelatschentouristen auch die Wähler dieser Regierung, die beide nichts mehr merken.

Ludwig Luhmann / 01.12.2022

Von mir aus darf jeder jederzeit den Halalen in die Suppe spucken.

Thomas Szabó / 01.12.2022

Als ich noch ein braver & wohlerzogener Jugendlicher aus gutem Hause war, habe ich immer versucht diplomatisch zu sein und so zu formulieren, dass sich niemand verletzt fühlte. Ich bemühte mich um die Quadratur des Kreises, einerseits ehrlich zu bleiben, andererseits dem Anderen gegenüber so rücksichtsvoll & einfühlsam zu sein wie nur möglich. Ich wob feine diplomatische Formulierungen um den heißen Brei herum und erwartete durchaus etwas Anerkennung für meine wohlmeinende Mühe & Umsicht. Nun, es war Perlen vor die Säue. Kaum einer verstand meine subtilen, kultivierten Umschreibungen & Anspielungen. Rücksicht, Höflichkeit, Freundlichkeit wurden als Schwäche gewertet und ernteten nur Spott, Hass & groben Undank. So änderte ich meine Strategie und das höchst erfolgreich. Einen verbalen Tritt ins “mentale Arschloch” versteht jeder.

Manni Meier / 01.12.2022

Schöner Beitrag. Leider liest der Autor keine Zeitungen, denn er hat vergessen zu erwähnen, dass D. seit 2015 alles richtig macht und deshalb jedes Recht hat, andere Länder zu kritisieren.

Peter Wachter / 01.12.2022

Info:“Vorwürfe: Energieminister von Katar wettert gegen Habeck und Faeser. Saad Sherida Al-Kaabi behauptet, den deutschen Wirtschaftsminister hätte das Thema Menschenrechte bei Gesprächen über Gaslieferungen nicht interessiert. Dass die Bundesinnenministerin die “One Love”-Binde trug, findet der Katarer respektlos. Seit Dienstag steht fest: Deutschland bekommt von 2026 an Flüssigerdgas aus Katar. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren jedoch zuletzt angespannt. In Katar kommt es nicht gut an, dass das Emirat in Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird im Golfstaat wegen seiner Kritik an der Fußball-WM mit großen Vorbehalten gesehen. In einem Bild-Interview sagt jetzt Katars Energieminister Saad Sherida al-Kaabi: ” Als er hier in Katar war, war das einzige, worüber er gesprochen hat, ob wir mehr Gas liefern können.” Bild schreibt jedoch, dass eine Sprecherin von Habeck der Darstellung widersprochen habe. Der Minister habe in Katar “auch die Frage von Menschenrechten und gesellschaftlichen Werten thematisiert”. (Quelle SZ.de Gestern um 15:30) Da steht wohl Aussage gegen Aussage, nicht zur Aussage steht wohl das Dummland sich dumm und dämlich zahlt !?

Dirk Jäckel / 01.12.2022

“Vielleicht kann sogar Deutschland etwas von Katar lernen: etwa wie man einen Flughafen baut und eine Airline betreibt, die Jahr für Jahr als beste der Welt eingestuft wird.” Naja, es werden wohl nur wenige katarische Staatsbürger bei Planung und Bau dabei gewesen sein.

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