Wie jedes Jahr erwartet uns die Weihnachtsbotschaft des Bundespräsidenten Steinmeier sowie die entsprechende TV-Ansprache des Bundeskanzlers Scholz zu Silvester. Ich wage eine Vorhersage der angeschnittenen Themen.
Mit distanziertem Interesse sehen wir den anstehenden Veranstaltungen zur Pflege der deutschen Leitkultur entgegen. Auf dem Programm stehen die – wie üblich bereits auf Konserve aufgenommene – Weihnachtsbotschaft des Bundespräsidenten Steinmeier sowie die entsprechende TV-Ansprache des Bundeskanzlers Scholz zu Silvester. Die von den Festtagsredenschreibern verfassten Texte fürs Volk umfassen vorhersehbar folgende Themen:
1) Unser aller Erschütterung über den Horror des 7. Oktober und den Krieg in Gaza,
2) die Erinnerung an die von Putin ausgelöste Zeitenwende und die demokratische Pflicht zur unzweideutigen Unterstützung für die Ukraine, dazu die Hoffnung auf baldigen Frieden,
3) der Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten, die fast siegreich aus Mali zurückgekehrt sind. Denn: Frieden und Freiheit sind ein Geschenk, das demokratische Opferbereitschaft voraussetzt,
4) die Verpflichtung zu Toleranz und allseitigem Respekt in unserer vielfältigen Gesellschaft auf der Basis unserer grundgesetzlichen Werteordnung,
5) die Warnung vor den Versuchungen des Populismus und den Gefahren des Extremismus als Lehre aus der deutschen Geschichte.
Womöglich steht noch die Klimakrise im Themenkatalog. Denkbar ist – im Hinblick auf die permanente, allerlei AfD-Unmut befördernde Asylkrise beziehungsweise Migration – auch ein Hinweis auf die für unsere wirtschaftliche Zukunft unerlässliche Einwanderung – nicht Zuwanderung – von Fachkäften. Ermahnende Worte zum Bildungsstand des Volkes im Zeichen von PISA 2023 gilt es dabei zu vermeiden. Auch der – von CDU-Chef Friedrich Merz mit „Leitkultur“ assoziierte – Begriff „Integration“ sollte als Textbaustein keine Verwendung finden. Er könnte Fragen aufwerfen und die Feiertagsstimmung der postchristlichen Deutschen trüben.
Bezüglich der fast schon zeitlosen Themen „Fachkräftemangel“ und „Integration“ darf ich zwei jüngst erfahrene Episoden referieren. In Parenthese: Gewiß, Anekdoten („Einzelfälle“) ergeben noch keinen aussagestarken Datensatz. Gleichwohl, zur Erhellung des sozial-kulturellen Zustands unseres Landes ...
Kleine Details zur „Integration“
Erste Episode: Im Büro meiner stets – Stichwort „Wintercheck“ – zuverlässigen Autowerkstatt (Familienbetrieb) wurde ich Zeuge einer eindringlichen Rede, die der Chef an einen etwa zwanzigjährigen Mann – mit zwanzig Jahren standen ehedem die meisten Jungen längst im Beruf – adressierte. Es ging um die Voraussetzungen einer Ausbildung zum Mechatroniker, um Lern-, Leistungs- und Gewissenhaftigkeit. Meine Vermutung, der junge Mann habe sich soeben um eine Lehrstelle beworben, erwies sich als irrig. Er war soeben gefeuert worden. Trotz mehrfacher Ermahnung/Abmahnung, zuletzt am Vortag, hatte der Azubi, gebürtiger Deutscher, nach progressiver Terminologie eine „person of colour“, erneut „verschlafen“.
Wegen ähnlicher Versäumnisse war ihm bereits an zwei früheren Lehrstellen gekündigt worden. Er begründete dies mit „Ausländerfeindlichkeit“, was ihm wohl auch für diese verpasste Chance in einer Werkstatt, in der hauptsächlich Mechaniker mit Migrationshintergrund arbeiten, als Ausrede dienen dürfte. Der junge Mann, soeben noch mit betretener Miene, verließ den Raum, setzte sich in einen angejahrten, voluminösen BMW und raste wutentbrannt mit quietschenden Reifen über eine Linkskurve davon. Eine Fachkkraft weniger ...
Zweite Episode: An der Theke zum Zuschneiden von Holzplatten in einem Baumarkt war ich einem kräftigen, bärtigen Mann mit Migrationshintergrund beim Lösen einer Ziffermarke aus einem Automaten behilflich. Er bedankte sich mit verlegenem Lächeln. Während sich das Warten auf das elektronische Signal über der Theke hinzog, fiel mir am Halsband auf der Brust des Mannes dessen kulturelles Markenzeichen auf: das Schwert des Islam.
Ist der Gedanke erlaubt, dass derlei Insignien zwar kulturelle „Vielfalt“ demonstrieren, der „Integration“ in unsere Wertegemeinschaft leider entgegenstehen? Ob es sich bei dem bärtigen Mann um eine Fachkraft handelte, war am Erscheinungsbild nicht zu erkennen. Falls der Bundespräsident wider Erwarten am Weihnachtstag das Thema „Integration“ doch ansprechen sollte, dürfte er – nicht nur aus Zeitgründen – darauf verzichten, ins Detail zu gehen.
Herbert Ammon, geb. 1943 in Brieg (Schlesien), ist ein deutscher Publizist, Historiker, Studienrat a.D. Er engagierte sich in den 1980er in der damaligen Friedensbewegung, u.a. als Repräsentant des „Offenen Briefes“ des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. 1981 zusammen mit Peter Brandt Herausgeber des Buches „Die Linke und die nationale Frage“. Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa.