Manfred Haferburg / 07.01.2019 / 16:00 / 39 / Seite ausdrucken

Virtuelles Basiswissen beim Handelsblatt

Das Handelsblatt war eine seriöse Zeitung, als das Klima noch nicht von Deutschland gerettet werden musste. Auf der nach oben offenen Skala des Energiewende-Blödsinns spielt das Handelsblatt nun ganz vorne mit. „Virtuelle Kraftwerke – Was die Energieerzeuger der Zukunft leisten“ betitelt das Handelsblatt einen der unzähligen Energiewende-Rettungsartikel aus deutschen Redaktionsstuben. Schon die Überschrift hätte zum Rauswurf aus jeder Hauptschul-Physikstunde wegen exemplarischer Unbedarftheit gereicht. Da fragt sich der Leser: Wer darf eigentlich beim Handelsblatt über Energiefragen schreiben? Die Autorin des Artikels studierte Kultur- und Medienwissenschaften und machte unter anderem Station beim Spiegel (ich sag jetzt nichts). 

Diese Journalistin will nun den Lesern weismachen, dass künftig „virtuelle Kraftwerke“ das Problem der Unstetigkeiten von Wind und Solaranlagen bei der Stromerzeugung lösen können. Gleich zu Beginn relotiniert die Autorin: 

Wer hinter Köln durch das rheinische Braunkohlerevier fährt, kann die weit über 100 Meter hohen Betontürme des Kraftwerks Niederaußem nicht übersehen. Von hier aus liefert der Energieversorger RWE rund um die Uhr verlässlich StromZwanzig Kilometer entfernt, im Herzen Kölns, befindet sich ebenfalls ein Kraftwerk, das genauso zuverlässig Energie liefert. Nur sitzt es recht unscheinbar in dem Hinterhof einer kleinen Seitenstraße im Stadtteil Ehrenfeld.“

Die Dame hat fleißig verlinkt. Aber hätte sie doch wenigsten einen ihrer Links gelesen, oder besser noch verstanden. 

Weiter geht’s im physikfreien Raum:

Die Stromproduktion des virtuellen Kraftwerksriesen (6.400 verschiedene Ökoanlagen) entspricht mittlerweile in etwa dem, was zwei große Atomkraftwerke produzieren würden“.

Uups, hier wird installierte Leistung mal eben flott mit geleisteter Arbeit verwechselt.

Wo früher wenige Dutzend konventionelle Kraftwerke standen, stehen heute mehr als hunderttausend Windräder, weit über anderthalb Millionen Solaranlagen und tausende Biogasanlagen quer über Deutschland verteilt.

 … Das Besondere an einem virtuellen Kraftwerk: Es ist „planbare“ Energie, sogenannte Regelenergie – ein wichtiges Kriterium für ein stabiles Stromnetz“.

Planbare Energie? Soll wohl heißen: Befehl vom virtuellen Kraftwerksbetreiber und vom Handelsblatt an Sonne: „Scheinen!“ und an Wind: „Wehen!“ Und zwar jetzt, wir haben‘s so geplant. 

Ein virtueller Block mit der Leistung von einem Drittel Windrad

Das Handelsblatt sieht aber noch viel mehr virtuelles Potenzial:

Noch kurz vor Ende des vergangenen Jahres verkündete der Solarspeicherpionier zusammen mit dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet, das erste virtuelle Kraftwerk aus vernetzten Heimspeichern zu gründen." 

Und weiter:

„Unsere Batterien können jetzt als virtuell zusammengeschlossenes Kraftwerk neben ihrem normalen Betrieb auch für die Regelenergie zur Stabilisierung des Netzes genutzt werden“, erklärt Sonnen-Chef Christoph Ostermann dem Handelsblatt. Das heißt, wenn gerade viel Strom aus Erneuerbaren ins Netz kommt, der in dem Moment nicht gebraucht wird, kann die überschüssige Energie in den Batterien zwischengespeichert und bei Bedarf wieder abgerufen werden“.

Insgesamt verfüge die Firma Sonnen in Europa über 30.000 Heimspeicher für Photovoltaikanlagen. Damit die Batterien als Zwischenspeicher für Netzüberschüsse oder Engpässe genutzt werden könne, habe das Unternehmen aus diesen Anlagen mehrere Batterieleistungen aus ganz Deutschland zu einem Block von einem Megawatt gebündelt.

Es konnte ein virtueller Block von einem Megawatt geschaffen werden! Wow, das ist die Leistung von einem Drittel Windrad. Mal abgesehen davon, dass auch hier wieder Leistung und Arbeit verwechselt wurden, so dass wir nicht wissen, wie viele Minuten diese Leistung dem Netz zur Verfügung gestellt werden kann. 

Was bedeutet eigentlich das Wort „virtuell“? Das Wörterbuch sagt: „nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend; virtueller (EDV scheinbarer, nur logisch vorhandener) Speicher".

Das hätte die Handelsblatt-Autorin aber wenigstens in ihrem Kultur- und Medienwissenschafts-Studium lernen können, doch kommt es wohl nicht so drauf an, wenn es denn dem Guten Zwecke dient. Und so produzieren im Energiewende-Rausch virtuelle Kraftwerke virtuellen Strom, mit dem dann virtuelle Verbraucher versorgt werden können – darauf muss man erst mal kommen. Ein Kühlschrank, der virtuell kühlt, ein Wasserkocher, der das Wasser virtuell erhitzt, eine Industrie, die virtuell produziert. 

Und Handelsblatt-Autor*Innen, die über virtuelles Basiswissen (nochmal: nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend) verfügen. Aber wir haben ja in Deutschland auch schon einen virtuellen Flughafen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. 

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Leserpost

netiquette:

Heinrich Rabe / 07.01.2019

Herr Haferburg, VPP bzw. Virtual Power Plant ist seit langem ein Begriff in der Energiewirtschaft, allerdings typischerweise nicht im Mikrobereich von ein paar PV-kW bzw. Batterie-kWh wie bei Sonnen, sondern für über die Netzleitstellen gemeinsam regelbare Gruppen verschiedener Anlagen im zwei- bis dreistelligen MW-Bereich, zB Chemiepark-KWs, grössere lokale Biomasseanlagen oder Ähnliches, die vergleichbare Netzdienstleistungen erbringen können wie ein Groß-KW. Daß das Handelsblatt hier wieder munter Realität und Fiktion verquirlt, ist leider Tradition. Einerseits haben sie mit Klaus Stratmann jemanden in der Redaktion, der Ahnung hat und auch so schreibt, andererseits sind sie berüchtigt als Hauspostille von Prof. Kemfert und ihrem Umfeld, vermutlich immer wenn Herr Stratmann gerade nicht da ist.

Franz Altmann / 07.01.2019

Dass in einer immer technischer werdenden Welt die Grundlagen der Technik, nämlich Mathematik und Physik, als immer “uncooler” gelten und gerade die sogenannten “technikaffinen” jungen Leute ausschließlich zu Konsumenten ohne die geringste Ahnung, was sie da konsumieren, herangezogen werden, ist auf Dauer keine stabile Situation. Zum Glück gibt es noch den Fernen Osten, wo man das anders sieht und keine Jodeldiplome vergibt; vielleicht werden wir noch erleichtert sein, wenn China die Konkursmasse Deutschlands billig aufkauft. Unglücklich werden darüber sicherlich die zarten Sneeflöckchen sein, die zum ersten Mal arbeiten müssen, anstelle sich für ihre gefühlten Benachteiligungen alimentieren lassen zu können.

Herbert Dietl / 07.01.2019

Sorry, Herr Haferburg, da war ich virtuell auf der anderen Schiene.

Rudolf Moser / 07.01.2019

Den Gleichen Bären hat uns Analena aufgebunden:Unser Speicher ist das Netz.

Hartmut Schilling / 07.01.2019

Das Handelsblatt auf dem Weg zum Käseblatt. Es ist nicht mal mehr zum Einpacken von Stullen geeignet, am besten direkt in den Müll, wenn man auf ein Exemplar stößt.

Werner Geiselhart / 07.01.2019

So ist das halt heute: Redakteure mit virtueller Intelligenz arbeiten sich an virtueller Wissenschaft ab mit virtuellen Ergebnissen. Ein leider nicht virtuelles Desaster.

Dirk Jungnickel / 07.01.2019

Es scheint aber einen triftigen Unterschied zu dem gescholtenen Spiegel - Phantasten zu geben:  Relotius hatte gute Gründe sich dem Leser und dem SPIEGEL anzudienen. Er ließ die Tränen seiner Protagonisten kullern und kassierte Preise ein. Insofern war er real. DIe Handelsblatt - Journalistin hingegen begab sich energiegewendet auf glattes virtuelles Eis und steht mit der Physik auf Kriegsfuß. Da stellt sich doch die Frage :  Ist die Dame an sich nur ein virtueller Ausrutscher des Handelsblattes ?

Sabine Schönfelder / 07.01.2019

Nach diesem schwachsinnigen Vortrag kann man nur sagen:“Witsch setzen, sechs!” Mit diesem Beitrag erhalten Blondinenwitze wieder neuen Auftrieb und der ‘Relotiusschreibstil’  erfährt neue Würdigung.

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