Fünfzig Jahre sind vergangen. Nicht zu fassen … Kinder, wie die Zeit vergeht. Was hat sich nicht alles getan im Verhältnis der Väter zu den Söhnen und der Mütter zu den Töchtern? Das will ich am Beispiel von zwei Liedern und von zwei Büchern zeigen. Warum auch nicht? Andere lesen das Schicksal der Menschen aus den Handlinien oder aus einem tiefen Blick in die schönen, blauen Augen. Ich halte mich an Worte, die geschrieben und gesungen werden. Bei der Gelegenheit zeigt sich auch, wie sich das Verständnis von dem, was wir unter Emanzipation verstehen, verändert hat.
Los geht’s: Ton ab, Musik läuft! Ich beginne – unhöflicherweise – mit dem Verhältnis der Väter zu den Söhnen und rufe als erstes den Song ‚Father And Son‘ von Cat Stevens (richtiger Name Steven Demetri-Georgiou) in den Zeugenstand. Er wurde vor 50 Jahren veröffentlicht und wurde schnell zum Dauerbrenner. Eine Freundin von mir kriegte die Platte gleich dreimal zu Weihnachten geschenkt, was nicht nur auf die damals aufflammende Begeisterung für Folkmusik, sondern auch auf mangelnde Absprache unter ihren Verehrern zurückzuführen ist (einer davon war ich).
Was waren das für Zeiten?! Den Sound würde man heute als „unplugged“ bezeichnen. Man schien einen Moment lang vergessen zu haben, dass man Gitarren auch elektrisch verstärken kann. Cat Stevens hatte sich nach schwerer Krankheit von seinem rauen Image als bewaffneter Rächer („I’m Gonna Get Me A Gun“) abgewandt und versuchte es nun auf die sanfte Tour mit zarten, mit leisen Tönen. Die akustische Gitarre konnte man mit ins Offene nehmen, auf die grüne Wiese, ans Lagerfeuer, wo es keine Steckdose gab. Das ging auch.
Das Lied des Vaters
Damit wurde nicht etwa ein roter, sondern ein grüner Teppich ausgerollt für ein Lebensgefühl, für das es damals noch keine Partei und noch nicht einmal einen Bioladen gab – es gab nur Reformhäuser. Die undeutlichen Signale aus der Kunst gingen denen aus der Politik voraus. Lieder wie „Morning Has Broken“, „Peace Train“ und ,Where Do The Children Play?’ (hier eine verwackelte Version, vermutlich von 1971, hier eine animierte, bei der Greta bestimmt in Tränen ausbricht) ließen ahnungsvoll eine neue Stimmung anklingen, die bei aller Freundlichkeit im Ton deutlich machte, dass große Veränderungen bevorstanden. Dazu gehörte natürlich auch die Thematisierung des Generationen-Konflikts, wie er in „Father and Son“ besungen wird.
Nach 50 Jahren hat Cat Stevens, der sich inzwischen Yusuf (Yusuf Islam) nennt, das Lied noch einmal neu aufgenommen. Wir können uns das hier in einem putzigen Video-Clip ansehen. Es ist immer noch der alte Text: der Vater sagt, er können die innere Unruhe der Jugend zwar verstehen („I was once like are now and I now that it ain’t easy to be calm when you find something’s going on“), doch der Sohn solle sich lieber entspannen („just relax and take it easy“) und sich an dem Vater ein Beispiel nehmen („I am old, but I’m happy“). Er solle sich Zeit nehmen („take your time“), gründlich nachdenken („think a lot“) und sich von den Gefühlen und utopischen Vorstellungen, die sich in ihm melden und die ihn aufwühlen, nicht hinreißen lassen („you may still be here tomorrow but your dreams may not“).
Das Lied des Sohnes
Der Junge wiederum sieht keine Verständigungsmöglichkeit mehr. Er hat das Gefühl, dass er immer nur zum Zuhören verdammt war („I was ordered to listen“) und entschließt sich schließlich, seinen eigenen Weg zu gehen („I know I have to go“). Weg vom Vater. Der Junge wird zum Rebellen. Ursprünglich war das Lied für das Musical „Revolussia“ (das jedoch nicht aufgeführt wurde) gedacht, das zur Zeit der russischen Revolution spielt.
Das merkt man dem Lied nicht an. Da wird der Junge nur zu einem kleinen Rebellen. Die verständnisvollen Töne dominieren. Wie radikal der Junge sich tatsächlich gegen die Mächte der herrschenden Gesellschaft (damals sprach man vom „Establishment“) aufbegehren würde, blieb offen. Was waren das auch für „Dinge“, die da vor sich gingen („something’s going on“)? Der Vietnamkrieg war noch nicht vorbei, die Studentenbewegung noch nicht ganz, die dritte Welle des Feminismus stand uns noch bevor.
Wird hier wirklich ein Bruch mit dem Vater gewagt? Es hörte sich eher nach einer Versöhnung an, die auf später verschoben wird. Die beiden Stimmen des Dialogs – also die Stimme des Vaters und die des Sohnes – werden von ein und derselben Person gesungen, zu denselben Akkorden, allerdings in verschiedenen Tonlagen, der Sohn singt eine Oktave höher. Doch der Sänger ist Vater und Sohn gleichzeitig. Mich erinnert das an einen Spruch, den ich im Frauenmuseum in Hanoi gesehen habe, der sinngemäß lautet, dass man erst in dem Moment, wenn man eigene Kinder hat, das Opfer der eigenen Eltern versteht und damit nicht nur ein neues Verhältnis zu den eigenen Kindern, sondern auch zu den Eltern gewinnt.
Das Lied des alten Vaters
In einer Aufnahme aus dem Jahr 2020 singt Yusuf weiterhin beide Stimmen – er versucht es jedenfalls, schafft es aber kaum noch, auch wenn er die Gitarre extra einen halben Ton tiefer gestimmt hat. An der Stelle, an der er früher in der Rolle des Sohnes seine Stimme dramatisch erhoben hat, meidet er die Oktave und singt ersatzweise eine etwas höher angesetzte zweite Stimme als Variante. Bei der nächsten Wiederholung schafft er die Oktave dann doch noch mit ein wenig Ach und ein wenig Krach, wie es zur unruhigen Jugend passt.
Der junge Cat Stevens hatte als Sohn gesungen (hier sieht man ihn in einer bebilderten Version aus dem Jahre 2018 als singenden Sohn mit einem Großvater, der mit einem Mädchen Schach spielt). Der ältere Yusuf singt als Vater. Es kommen aber jeweils beide Seiten zu Wort. In der allerneuesten, oben erwähnten Version, hören wir eine Montage aus dem Jungen und dem Alten und wir sehen, wie sich der Vater seinen Sohn im Fernsehen anschaut, wie er da gerade die alte Version von „Father and Son“ singt.
Letztlich stehen Vater und Sohn recht gut da. Sie haben, wie es aussieht, ihre Konflikte überstanden und einen modus vivendi gefunden. Sie sitzen beide nebeneinander auf einer Treppe, die Fortschritt und Entwicklung symbolisiert, beide mit einem Becher in der Hand. Auf dem Becher des Vaters steht: „World’s Best Dad.“ In einer Ansage aus dem Jahr 2015 beim Festival in Viña stellt Yusuf/Cat Stevens (er führt manchmal beide Namen) den bekannten Spruch, dass ein Sohn ohne seinen Vater nicht da wäre, auf den Kopf und sagt, dass er selber ohne seinen „very good son“ nicht da wäre, wo er jetzt ist. Das wirkt alles recht versöhnlich.
Mütter und Töchter
Ich hatte angekündigt, auch über Mütter und Töchter zu sprechen. Einen prominenten Kronzeugen wie „Father And Son“ kann ich nicht aufbieten, doch es ist keineswegs so, dass das Mutter-Tochter-Thema im Repertoire der alten und neuen Volkslieder und Balladen fehlen würde. Vermutlich kennen die meisten „Leave Me Be“ von Kate & Anna McGarrigle nicht, das genau wie „Father And Son“ beide Seiten – alt und jung – gegenüberstellt. Man muss ein wenig suchen, zu dem Titel gibt es einige irreführende Treffer. Hier jedenfalls ist das ergreifende Lied, das ich meine: „Leave Me Be“, vom Album „Heartbeats Accelerating“ aus dem Jahre 1990, hier dazu der Text. Die beiden Schwestern haben wie Cat Stevens schon in den siebziger Jahren ihre Karriere im Genre „Folk“ begonnen. Auch sie schrieben ihre Lieder selbst. Anna McGarrigle ist im Jahr 2010 gestorben.
In dem rührenden Lamento geht es um eine Tochter, die ihren eigenen Weg geht, der sie allerdings ins Unglück führt. Hier sind es Frauenstimmen – man beachte den Plural –, die versuchen, sie davon abzuhalten. Hier sprechen die besorgten Mütter, die Schwestern, die Verwandten, auch wenn sie sich dabei auf den Vater berufen, der mit der Liebschaft der Tochter sowieso nicht einverstanden war (She knew her daddy'd disapprove).
Warum war er das nicht? „Because he was so bold.“ Das soll es geben. Frauen fallen gelegentlich auf Schurken rein, auf Gauner, Hochstapler, sogar auf Verbrecher. Nicht nur in Küchenliedern und Folksongs, auch im richtigen Leben. Manche mögen es heiß; sie mögen es, wenn ein Mann „bold“ ist, wenn er etwas Heroisches und Gefährliches an sich hat. Auch das noch: „His eyes were like the shining sea, his hair was like black gold.“ Einfach märchenhaft. Es scheint ihn also doch noch zu geben: den Märchenprinzen. Nur ist sie am Ende des Liedes tot – nicht der Märchenprinz.
Die Väter können sich nicht durchsetzen
Die Väter meinen es gut. Sie raten vom wilden Leben ab. Der junge Mann in „Father And Son“ soll mehr von der stoischen Haltung des Vaters übernehmen und sich zur Ruhe setzen („find a girl, settle down“). Hat sich der Sohn danach gerichtet? Wir wissen es nicht. Die Tochter hat sich jedenfalls nicht an die Warnungen gehalten, sie folgt einem wilden Mann. In beiden Fällen konnten sich die Väter nicht durchsetzen. Der junge Mann hat dennoch seinen Weg gefunden. Die junge Frau scheiterte tragisch.
Der Vater hatte dem Sohn geraten, seinen Verstand zu nutzen („think a lot“), die Frauenstimmen hatten die junge Frau davor gewarnt, ihren Gefühlen zu vertrauen. Der Vater sprach als Einzelstimme. Die Schwestern McGarrigle singen zweistimmig. Sie fungieren als … beide Ausdrücke klingen falsch, ich verwende sie daher mit den gebührenden Anführungsstrichen … als „Klageweiber“, als „griechischer Chor“, als „Stimme der Gemeinschaft“. Sie ermahnen die frisch Verliebte, dass sie danach beurteilt werden wird, in welcher Gesellschaft sie sich befindet und dass das Urteil, das eine Gemeinschaft fällt, den Einzelnen nicht erkennen kann: „They'll judge you by your company they cannot see beyond. Be careful who you choose in life. And stay where you belong.“
Emanzipation für Männer
Was zeigt uns die Gegenüberstellung? Wo sind die Unterschiede? Ich halte sie für bedeutend und aufschlussreich: Für den Jungen gilt der einzelne – der Vater – als Vorbild. Für das Mädchen ist die Zugehörigkeit zur Gruppe entscheidend. Das verrät uns gleichzeitig etwas über den Wandel unserer Vorstellung von Emanzipation und von einem Paradigmenwechsel, der uns wegführt von dem Blick auf das Individuum hin zu der Frage, welche Gruppenzugehörigkeit jemand hat. Wir haben es – wenn man mir diese ruppige Formulierung durchgehen lässt – einerseits mit einer „Emanzipation auf Männerart“ und andererseits mit einer „auf Frauenart“ zu tun. Einmal geht es um einen individuellen Vorgang, einmal um Gruppenzugehörigkeiten, die mehr Gewicht haben als die Wünsche eines Einzelnen.
Ursprünglich bedeutete Emanzipation, dass der Sohn von der schützenden Hand (hier steckt das Wort „manus“) des Vaters befreit wurde, weshalb unter Emanzipation auch Befreiung verstanden wird. Der Sohn wird in die Selbstständigkeit entlassen. Er ist nun frei und kann seine eigenen Entscheidungen treffen, die nicht mehr von denen des Vaters abhängig sind. Diese Art der Emanzipation ist eine Fortsetzungsgeschichte: Der emanzipierte Sohn kann nun seinerseits eine Familie gründen und irgendwann später seinen Sohn, der sich dann wiederum von ihm emanzipiert, in die Selbstständigkeit entlassen.
Frei wovon? Frei wozu?
Wenn man Emanzipation als Befreiung auffasst, stellt sich die Frage: Freiheit wovon? Und: Freiheit wozu? In unserem Fall haben wir es mit der Freiheit von der Bevormundung durch den Vater einerseits zu tun und mit Freiheit zur Eigenständigkeit – zur Freiheit, selbst Entscheidungen zu treffen und zu verantworten.
Diese Unterscheidung ist keineswegs eine Nebensache. Auch wenn das M. A. Numminen meint, der in seinem Lied: „Ich will frei sein“ sogar eine Kurve zu Aristoteles kratzt. Der schräge Tango-König aus Finnland (beachten Sie dazu auch die diversen Musik-Tipps in: „Die spinnen, die Finnen“) hat, wie manche sagen, rein äußerlich große Ähnlichkeit mit mir, ansonsten haben wir aber schon unterschiedliche Geschmäcker, und ich bin durchaus der Meinung, dass die Unterscheidung von „Freiheit wozu“ und „Freiheit wovon“ keine Nebensache ist. Wenn man sich zwischendurch ein wenig amüsieren möchte und sowieso findet, dass meine Texte zu lang sind, dann empfehle ich eine kleine Pause. Ein Zwischenspiel. Wer mag, kann sich, ehe wir zur Emanzipation für Frauen kommen, sein Lied in voller Länge anhören: „Ich will frei sein“. Es ist sehr viel tiefsinniger als das Lied mit dem gleichen Titel von Helge Schneider – und ist auch irgendwie witzig.
Emanzipation für Frauen
Ich will gar nicht erst darauf eingehen, dass in „Emanzipation“ das Wort „man“ steckt (was ja auch nicht stimmt) … ich gucke gleich bei Wikipedia nach und lese: „Heutzutage steht der Begriff häufig synonym für die Frauenemanzipation.“ Aha. Wir erfahren auch, wohin uns die Frage nach dem Wozu führen soll: „Ziel emanzipatorischen Bestrebens ist ein Zugewinn an Freiheit oder Gleichheit (im Sinne von Gleichberechtigung oder Gleichstellung)“.
Das „oder“ irritiert mich. Ein Zugewinn an Freiheit oder Gleichheit – wie soll ich mir das vorstellen? Was denn nun? Soll das etwa eine Freiheit werden, in der Gleichheit, Gleichberechtigung und sogar Gleichstellung (???) vorherrschen – kurz: eine Welt, die durch Gruppenzugehörigkeiten bestimmt wird und in der die Freiheit des Einzelnen auf der Strecke bleibt? Nicht nur das: Gruppenbildungen leben von Feindbildern (umso mehr, je weniger ein echter, eigener Zusammenhalt vorhanden ist). Tribalismus bringt keinen Frieden. In so einer Welt wird die Ablehnung derer, die nicht dazugehören, verstetigt.
Fortsetzungsgeschichte oder Endstation?
Wie schaffen wir denn nun den erstrebenswerten Zugewinn? Auch das weiß Wikipedia:
„ … meist durch Kritik an Diskriminierung oder hegemonialen, zum Beispiel paternalistischen Strukturen, oder auch die Verringerung von z.B. seelischer, ökonomischer Abhängigkeit, etwa von den Eltern.“ Eben da zeigt sich der Unterschied: Wir haben es hier nicht mehr mit einer dynamischen Fortsetzungsgeschichte zu tun, bei der eine neue Autorität entsteht, von der sich wiederum die nächste Generation befreien kann, hier soll überhaupt keine neue Vaterrolle mehr entstehen. Vielmehr soll die schützende Hand des Vaters, die als „diskriminierend“, „hegemonial“ und „paternalistisch“ beschrieben und zugleich abgewertet wird, grundlegend kritisiert und abgelöst werden durch das Ideal der Gleichheit. Von so einer Gleichheit wird man sich allerdings nicht mehr befreien können. Endstation.
Die Emanzipation des Sohnes orientiert sich am Vater, und eine kritische Auseinandersetzung mit ihm ermöglicht es dem Sohn, für sich selbst eine verbesserte, eine zeitgemäße Vaterrolle einzunehmen. Die Emanzipation nach Frauenart bricht grundsätzlich mit dem Vater. Sie orientiert sich nicht etwa an der Vergangenheit, um es in Zukunft besser zu machen, sie orientiert sich vielmehr an einer utopischen Vorstellung von einer Zukunft, auf die sich jedoch nicht alle gleichermaßen freuen. Es sieht auch nicht danach aus, als würden wir jemals in dieser schönen, neuen Welt der Gleichheit ankommen. Der Weg dahin ist gepflastert mit pauschalen Verurteilungen und Kriegsgeschrei, und die Mittel verraten bekanntlich die Wahrheit über den Zweck.
Söhne und Töchter des Feminismus
Ich hatte angekündigt, dass ich zwei Bücher vorstelle. Beide sehen schon von der Aufmachung her wie Brüderchen und Schwesterchen aus. Sie heißen „Sons of Feminism“ und „Daughters of Feminism“ und bieten einen Rückblick auf 50 Jahre Emanzipation in zwei Bestandsaufnahmen, bei denen einmal die Söhne und einmal die Töchter zu Wort kommen – also beide Seiten berücksichtigt werden. Die Bilanz ist, wie wir schon ahnten, nicht besonders erfreulich.
Die Söhne und Töchter sind in einer Zeit aufgewachsen, in der es selbstverständlich war, feministisches Gedankengut, das längst in alle Lebensbereiche hineingesickert war, als Goldstandard anzusehen. Viele waren damals feministische Aktivisten, wie auch Janice Fiamengo, die „Sons of Feminism“ herausgegeben hat (ich übrigens auch, ich habe mich zwar nicht als Feministin gesehen, aber schon hier und da mitgemacht …). Die Ideale waren ja auch verlockend: Wer sollte nicht gegen Ungerechtigkeit und gegen Gewalt sein?! Wer sollte nicht für Frauen sein?!
Der faule Apfel
Doch die großen Versprechen, die nebenbei bemerkt gar nicht die Alleinstellungsmerkmale des Feminismus sind, haben nicht die erhofften Früchte gebracht. Die Früchte sind es aber, woran man den Feminismus erkennen kann. Nach 50 Jahren ist der Apfel, in den wir weiterhin beißen sollen, auch nicht mehr ganz frisch. Die beiden Bücher sind, soviel ich weiß, die ersten Arbeiten dieser Art und offenbaren, dass wir in der rückblickenden Bewertung noch am Anfang stehen.
Janice Fiamengo sieht sich inzwischen nicht mehr als Feministin und gibt eine frappierend einfache Erklärung, die uns aufhorchen lassen sollte, selbst wenn uns Frauen-Themen langsam nerven und wir immer noch glauben, dass uns die Gender-Perspektive nicht interessieren muss. Es betrifft uns alle, wenn wir nicht in einer Lügenwelt leben wollen, in der wir zunehmend verkümmern.
Sie hat sich vom Feminismus abgewandt, weil sie die vielen Lügen nicht mehr ertragen konnte, die peu à peu aus falschen Zahlen und falschen Begriffen ein in sich geschlossenes System gebildet haben, das einen totalitären Charakter angenommen hat. Man kann in einem Kartenhaus aus Falschbehauptungen und Falschbeschuldigungen nicht in Frieden wohnen, denn man muss fürchten, dass es jederzeit zusammenkracht. Man muss gleich mehrere Elefanten im Raum übersehen und mehr Augen zudrücken, als man hat. Man muss ständig „mit zwei Gesichtern leben“, wie es Aussteiger gesagt haben, die ein totalitäres System überstanden haben. Sie konnten schließlich, wie sie selbst sagten, nicht mehr in den Spiegel gucken, weil sie ein moralisches Minimum verraten mussten.
Das Drama der Vaterlosigkeit
Ein wiederkehrendes Motiv in den Büchern über die Söhne und Töchter sind die Auswirkungen der Vaterlosigkeit. Das sind keine unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Schließlich haben es die Feministen oft und unmissverständlich gesagt, dass sie nicht nur die so genannte toxische Männlichkeit, sondern insbesondere das Patriarchat bekämpfen und am liebsten stürzen wollen – darin steckt das Wort „pater“, deutsch: Vater.
Es gehört zu den feministischen Glaubenssätzen, dass Väter die Mütter bisher immer nur ausgebeutet hätten. Stimmt das? Eine der Stimmen aus den Büchern berichtet aus Indien. Auch da war der Kampf gegen die patriarchalischen Strukturen erfolgreich – wenn man die Verheerungen, die dabei angerichtet wurden, als Erfolg ansehen mag. Der Sohn aus Indien stellt verwundert fest, dass sich so eine Ansicht jemals verbreiten konnte und widerspricht heftig und geradezu empört im Namen seines Vaters: Der war nicht so. Ganz und gar nicht. Seine Eltern haben hart gearbeitet, alle beide, sie haben getan, was sie konnten. Das feministische Narrativ ist für ihn lediglich eine gigantische Lüge, die sich nicht mit der gelebten Wirklichkeit deckt und sein Heranwachsen überschattet hat. Er will die pauschale Verurteilung nicht länger auf seinem Vater sitzen lassen.
Only in english
Beide Bücher gibt es bisher leider nur auf Englisch. Ich selber habe zu dem Thema – „The tragedy of fatherlessness“ – einen Vortrag gehalten für die International Conference of Men’s Issues ICMI20, die in diesem Jahr nicht wie geplant in Sydney, sondern leider nur in den unendlichen Weiten des Internets stattgefunden hat. Leider nur auf Englisch. Leider nur so gut, wie ich kann.
Ich beginne mit einem Bild, das ich schon zum Vatertag auf der Achgut.com vorgestellt habe, berichte dann von den Anfängen des querelle des femmes und ihrer Methode des Kommunikationsabbruchs. Ich nenne es den Sündenfall von Venedig. Schließlich spreche ich darüber, wie sich Vaterlosigkeit speziell in Deutschland nach dem Krieg ausgewirkt hat. Es ist ziemlich lang geworden. Man kriegt vielleicht Lust, anschließend wieder ein bisschen Musik zu hören.
Bernhard Lassahn, zuletzt: „Frau ohne Welt. Der Krieg gegen die Zukunft“