Ahmet Refii Dener, Gastautor / 30.05.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Türkei: Bankrott, aber glücklich?

Die Türken können sich nun darauf freuen, dass die Armut rasant zunehmen wird. Die türkische Lira wird immer wertloser und die Inflation, die Arbeitslosigkeit sowie die schnell steigenden Mieten werden die Masse der Türken in den Abgrund reißen. Dafür wird der Islam weiter erstarken.

Ich habe mir die Mühe gemacht und in stundenlanger Arbeit aufgelistet, was die Deutschlandtürken, die durch die Straßen der deutschen Großstädte im Autokorso oder zu Fuß ziehen und feiern, vom Sieg Erdogans haben: Gar nichts. Genauso ist es, nichts haben die Deutschlandtürken davon, außer der Genugtuung, dass die Mannschaft, deren Fans sie sind, sorry, es sollte Kandidat heißen, gewonnen hat.

Was haben die Türken in der Türkei davon? Sie können sich augenblicklich darauf freuen, dass die Armut weiter rasant zunehmen wird. Die türkische Lira wird immer wertloser werden, und die Inflation, die Arbeitslosigkeit sowie die rasant steigenden Mieten werden die Masse der Türken in den Abgrund reißen und ihnen die Luft zum Atmen nehmen. Eines dürfen wir auch nicht vergessen – der Islam wird sich in der Türkei stärker verankern.

Ob am Ende Verhältnisse wie im Iran herrschen werden, wage ich zu bezweifeln, aber für Erdogan, der kaum mehr gehen und ohne Prompter sprechen kann, ist es die letzte Amtszeit, und da wird er der Türkei so viele Unfreiheiten draufpacken, wie es nur geht, und das ziemlich schnell. Übrigens, laut der Verfassung dürfte er ein drittes Mal nicht gewählt werden, aber wen interessiert schon die Verfassung, in der angeblich demokratisch regierten Türkei.

Der kranke Mann am Bosporus

„Der kranke Mann am Bosporus“, ein Begriff aus der Zeit der Osmanen, als das Osmanische Reich bankrott war, hat wieder Bestand. Nicht nur das Land, auch der Alleinherrscher ist kränkelnd. Die Zentralbank hat einen Negativbestand von über 70 Milliarden Euro, heißt es. Woher nehmen?

Die Saudis und Katarer helfen schon mal mit einigen Milliarden, aber die nehmen dann auch ein Stück Türkei mit, sei es in Form von Grundstücken oder anderen Werten. Die Türkei ist auch mit einigen Milliarden Euro nicht mehr zu retten. Sprach ich die letzte Zeit von 300 bis 400 Milliarden Euro, so reden einige vor Ort befindliche Finanzanalysten mittlerweile von 600 Milliarden Euro, die nötig wären. Selenski sagte, für den Wiederaufbau der Ukraine würde man 750 Milliarden Euro brauchen, also ist die Rettung der Türkei immer noch günstiger zu bekommen.

Der oppositionelle Kandidat Kemal Kilicdaroglu hat am Sonntag zwar verloren, aber eigentlich hat die Türkei verloren. Ich für meinen Teil kann meine Hoffnung begraben, meine 92-jährige Mutter, die in der Türkei lebt, nochmals zu sehen, zumindest in den kommenden fünf Jahren. Ob es danach noch starke oppositionelle Kräfte geben wird, die dann dem politischen Islam die Stirn bieten werden können, muss man abwarten. Eher kann man davon ausgehen, dass der Zug abgefahren ist.

Die Verbindung zu El Cid

Gewählt wurde die Person Erdogan. Ob er in fünf Jahren auf den Beinen gehen oder im Rollstuhl sitzen wird, werden wir sehen. Irgendwie erinnert mich das alles an den Film „El Cid“ aus 1961. El Cid, wie er genannt wurde, lebte um 1050, hieß eigentlich Rodrigo Díaz de Vivar und war ein kastilischer Ritter und Söldnerführer aus der Zeit der Reconquista. Auch über den Tod des Cid besteht eine Legende: In einem Hinterhalt tödlich verwundet, nahm er seinen Gefolgsleuten auf dem Sterbebett das Versprechen ab, den Feind erneut anzugreifen.

Seinem Wunsch entsprechend, band man seinen sorgfältig geschminkten Leichnam vor der Schlacht in voller Rüstung aufs Pferd. Sein treuer Hengst Babieca (der Legende nach ein Prototyp des weißen Andalusiers) trug den Toten mit dem Schwert in der Hand ins Getümmel voran. Auf diese Weise motiviert, errangen seine Leute einen glänzenden Sieg über die von der Erscheinung des Totgeglaubten erschreckten Berber. Charlton Heston und Sophia Loren spielten im Film die Hauptrollen. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt, aber da einige Türken sich von vielem blenden lassen, wäre das kein so ferner Gedanke.

Die Türkei ist bankrott und galoppiert in ihr Unglück hinein. Warten wir ab, wie die EU und Deutschland davon betroffen sein werden. Eine Variante habe ich unerwähnt gelassen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass der Bankrott die Türkei unregierbar macht und wieder neu gewählt werden muss. Fakt ist, dass es vom Internationalen Währungsfonds, der einzigen möglichen Quelle, kein Geld für die Türkei geben wird. Deren Grundbedingung ist die Rückkehr zur Palamentarischen Demokratie und ein Fünfjahresplan für die Wirtschaft. So weit schaut ein Erdogan nicht, und die Absicht, irgendwas zu retten, hat er auch nicht.

 

Ahmet Refii Dener, geb. 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Burkhard Mundt / 30.05.2023

Den Türknationalen, die in Deutschand leben wie die Made im Speck, sind die Verhältnisse in der Türkei egal. Die haben hier gut Fahnen schwenken.

Michael Hinz / 30.05.2023

#....von 600 Milliarden Euro, die nötig wären….# echt jetzt? Vielleicht mal bei Herrn Linder anrufen, Geld spielt doch hier wirklich keine Rolle mehr. Der Fehlbetrag beträgt übrigens ziemlich genau die Hälfte unseres Target2.  Von anderen Defiziten zu schweigen. Am Bosporus klagt man auf hohem Niveau.

Christoph Horrix / 30.05.2023

Demokratie ist ein technisches Verfahren, um Entscheidungen herbeizuführen. Demokratie garantiert nirgendwo, das richtige Entscheidungen getroffen werden. Eine quasi religiöse Verherrlichung der Demokratie ist dumm. Demokratisch haben sich die Athener im Peloponesischen Krieg für eine Spezialoperation gegen Syrakus entschieden, was ein Desaster war und zu ihrer Niederlage geführt hat. Demokratie kann auch in Ochlokratie umschlagen. Da sind wir zur Zeit in der EU. Auch die pluralistische Demokratie des Herrn Özdemir, wo jeder demokratisch ist, der in seinem Sinne wählt, ist kaum besser. Wir sollten uns nicht erheben mit unserer korrupten EU-Demokratie, von der Herr Seehofer, bestimmt kein Nazi oder Linksextremist sagt: Die, die gewählt wurden, haben nichts zusagen, die, die entscheiden, wurden nicht gewählt. (Vor vielen Jahren aus der Erinnerung). Die Türken haben sich für die richtige Demokratie entschieden und nicht für die pluralistische. Das ist ihr Recht. Ob es gut ist oder nicht, hängt an den jeweiligen Präferenzen. Manche Menschen denken, dass auch der aufgeklärte Absolutismus nicht ganz verkehrt war, solange er das Wohl des Volkes im Fokus hatte. Aber letztendlich geht es immer um Macht und Ressourcen, egal was Euch Prediger andienen wollen.

Ralf Pöhling / 30.05.2023

Wer oder was ist “die Türkei”? Das türkische Volk und seine Nation oder ihr Kalif nebst ihn umgebendem Hofstaat? Der Kalif und sein Hofstaat stehen finanziell blendend da, während das Volk vertrocknet. Zitat:“Fakt ist, dass es vom Internationalen Währungsfonds, der einzigen möglichen Quelle, kein Geld für die Türkei geben wird.” Äh, nein. Es gibt offizielle Geldquellen und es gibt inoffizielle, die keiner sieht. Bei letzteren spielen radikalislamische Araber mit zu viel Geld, Teile die türkischen Mafia und das Hawala Banksystem eine entscheidende Rolle. Sedat Peker, türkische Mafiagröße im arabischen Exil, hatte da schon mal ein wenig im Internet drüber ausgepackt. Die werden nicht Pleite gehen. Zumindest nicht die Führung. Die werden von radikalislamischen und sehr wohlhabenden Playern im islamischen Ausland natürlich mit viel Geld am Ruder gehalten. Geld, was offiziell nirgendwo auftaucht, aber immer zur Verfügung steht. Die Türkei ist gekapert. Genau wie auch Teile der EU, Deutschlands und ja, sogar der USA. Der berühmte Geldkoffer öffnet die Tür zur feindlichen Übernahme. Wie bei einem Unternehmen, dass man durch die massenhafte Übernahme von Aktien gegen den Willen der Angestellten in den Besitz eines konkurrierenden Konzerns bringt. Die Worte “Parallelgesellschaft” und der Begriff vom “Staat im Staate” spielen hier eine entscheidende Rolle. Die haben ihre eigenen Geldkanäle und brauchen keine offiziellen für ihre Übernahme. Darum funktioniert das auch nicht, dort alles über staatliche Mechanismen in die Pleite zu treiben. Die entziehen sich diesen Maßnahmen in ihrer Parallelwelt. Und so lange das Volk propagandistisch dumm genug gehalten wird, diese Zusammenhänge nicht zu erkennen, kommen die damit auch durch.

E. Sommer / 30.05.2023

Wer so blöde ist und diesen korrupten Diktator wieder wählt, der soll auch die Konsequenzen tragen. Zu den Türken in Deutschland und Österreich: Wenn euch Erdogan so glücklich macht, na dann steht es euch doch frei, euer Heimatland neu zu wählen.

Kurt Schrader / 30.05.2023

Die (Wieder-) Wahl Erdogans und die ausgelassenen Feiern (u.a. in deutschen Städten) zeigt, wie klein der Anteil der Vernunft am menschlichen Verhalten sein kann….

Ingo Minos / 30.05.2023

Erdogan, der nun in die Endphase seines Lebens und seiner Präsidentschaft eingetreten ist, wird aber möglicherweise noch versuchen, sein Lebenswerk durch eine Annullierung oder Änderung des Vertrages von Lausanne zugunsten der Türkei zu krönen. Die Revision oder Annullierung des Vertrages von Lausanne ist eine der letzten großen Obsessionen von Erdogan. Im nächsten Monat, anlässlich des 100. Jahrestages der Unterzeichnung des Vertrages von Lausanne werden wir mehr wissen. Erdogan wird diesen Jahrestag nicht tatenlos verstreichen lassen. Auch diejenigen, die sich nur oberflächlich mit dem Thema VERTRAG VON LAUSANNE beschäftigt haben, begreifen, daß eine Revision oder Annullierung dieses Vertrages seitens der Türkei friedlich nicht möglich sein wird. Die EU und die Nato haben durch den Krieg in der Ukraine und dem Konflikt um Kosovo ihre Kräfte gebunden und nahezu erschöpft. Ein günstiger Moment also für Erdogan und die türkische Armee klare Verhältnisse in der Ägäis zu schaffen. Mit der Annullierung oder Revision des Vertrages von Lausanne würde Erdogan Atatürk endgültig und für immer vom Sockel stoßen und sich an seine Stelle setzen. Die Gelegenheit für ihn ist günstiger,  denn je. In Deutschland aber wissen die wenigsten, was es mit dem Vertrag von Lausanne auf sich hat und können deshalb auch nicht begreifen, was eine Annullierung oder Revision dieses Vertrages durch die Türkei bedeutet. Schlaf weiter, deutscher Michel…

T. Schneegaß / 30.05.2023

Was die Deutschtürken von der Wiederwahl Erdogans haben? Der Autor sollte sich noch einmal die Rede Erdogans an seine Landsleute vor ein paar Jahren in Köln anhören, in der er den Auftrag klar formulierte (sinngemäß): zeugt viele Kinder, gründet viele Firmen, kauft die besten Immobilien, geht in Parteien und Vereine usw. Was wird er damit gemeint haben, Herr Dener? Doch nicht etwa, dass die Deutschlandtürken den Auftrag haben, dass es hier in nicht allzu ferner Zukunft neben Türken nur noch Türkeideutsche gibt?

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