Im Nachhinein war das jetzt keine gute Idee, dem Schatz das Schachspielen beizubringen. Ich muss dazu sagen, dass ich ein ganz passabler Schachspieler bin, keine Turnierklasse, aber im Hausgebrauch durchaus ein ernst zu nehmender Gegner. Und weil der Schatz immer daran interessiert ist, was ich so treibe, hat sie mich darum gebeten, Ihr einmal die Grundzüge beizubringen.
Und so sitzen wir an einem regnerischen Sonntagmittag vor dem frisch aus der Umzugskiste gestemmten Schachbrett mit den Lego-Figuren und sind in der vierten Partie. Für eine Anfängerin schlägt sie sich ganz manierlich und ich weise sie auf meine charmante Art („Herrgott, schau auf das verdammte Brett …“) auf gelegentliche Fehler hin. Nichtsdestotrotz haben wir zwanzig Züge gespielt und die Lage meiner Herzdame ist – vorsichtig ausgedrückt – hoffnungslos desaströs. Ich kann sie in zwei Zügen auf drei verschiedene Arten matt setzen.
„Deine Lage ist, vorsichtig ausgedrückt, hoffnungslos desaströs“, weise ich den Schatz auf seine hoffnungslos desaströse Lage hin. „Ich habe gewonnen“, stelle ich fest. Der Schatz starrt mit zusammengekniffenen Augen auf das Brett und sagt: „Nein“. Und ich sage: „Doch!“ Ich gestikuliere und zeige der Herzdame die Positionen: „Schau, wenn ich hier den Läufer und da den Springer, also, selbst wenn Du noch mit der Dame, dann würde ich sie hier mit dem Bauer, das Spiel ist aus. Ich habe außerdem noch hier die beiden Türme, das Thema ist durch. Ich habe gewonnen und Du verloren. Sorry, schade, ist so“, spreche ich und lehne mich mit verschränkten Armen zurück. Gewonnen.
Kein Prozess vor dem obersten Supreme-Court, keine GSG9...
Der Schatz starrt das Brett wie eine Schlange ein Kaninchen an: „Nein. Vorbei ist es erst, wenn es vorbei ist!“, betont sie stur. Ich kann ja so etwas nicht leiden. Wenn ein Spiel gelaufen ist, ist es gelaufen. Jeder weitere Spielzug ist sinnlose Zeitverschwendung. Gewonnen ist gewonnen ist gewonnen. Es gibt keinen Winkelzug für den Gegner mehr. Kein Rechtsanwalt kann den Schatz da heraushauen, kein Prozess vor dem obersten Supreme-Court, keine GSG9 und keine Verfassungsklage. Rién ne vas plus. Game over. „Du kannst Dich nicht einfach während des laufenden Spiels zum Sieger erklären“, erklärt mir der Schatz, „es dauert, so lange es dauert!“ „Es nützt Dir auch nichts, Letizia Bonaparte, die Mutter Napoleons zu zitieren! Ich hab’s Dir doch gezeigt und ich hab’s Dir erklärt. Ich habe Dich sozusagen in der Zwickmühle, in der Zange, am Gesäß, Du hast verloren, ich habe gewonnen. So einfach!“, nehme ich sie ins Gebet.
Sie ist stur. „Ich habe aber viel mehr Figuren als Du!“, stellt sie sachlich korrekt fest. „Es geht aber nicht nach der Anzahl der Figuren, sondern darum, den gegnerischen König matt zu setzen. Und exakt das passiert in zwei Zügen, egal, was Du machst!“, kämpfe ich gegen meinen aufkommenden Zorn an. „Außerdem habe ich aber noch die Dame, aber Du nicht!“, stellt sie ebenfalls sachlich korrekt fest. „Auch das, geliebtes Weib und Opfer meiner Spielkünste, ist für den Ausgang oder den Sieg in diesem hübschen kleinen nahöstlichen Spiel – das, wie ich betonen möchte, eine der besseren Ideen aus dem vorderen Orient war – völlig unerheblich. Es geht nicht darum, wer die schönere Aufstellung hat, besser aussieht oder die besten Figuren hat. Einzig und allein geht es darum, den König matt zu setzen. Und exakt das wird in zwei Zügen geschehen. Wir können aufhören. Wir müssen den Kelch nicht bis zur Neige trinken!“, rede ich mich in Gesprächsdiarrhoe.
Der Schatz starrt auf einen Punkt hinter mir. „Du, ich sage das ungern. Bleib bitte ganz ruhig. Aber hinter Dir an der Wand krabbelt gerade eine wirklich sehr große Spinne in Richtung Decke …“, sagt sie in ruhigem und besänftigenden Therapeutentonfall. Ich springe wie von der Tarantel, die da an der Wand laufen könnte, gestochen auf und fliehe aus dem Zimmer, aus dem Haus, aus der Stadt, aus dem Land. Ich hasse die Viecher! Nach etwa zwei Minuten höre ich die couragierte Dame meines Herzens rufen, ich könne gefahrlos und ohne einen Flammenwerfer den Raum wieder betreten, sie hätte den Arachnoiden entfernt. Erleichtert setze ich mich wieder vor das Schachbrett.
„Guck mal“, sagt der Schatz und zieht einen Bauern, mitten in meinen hübschen Spielzug, in den Weg des Läufers, „es geht doch noch weiter. Du weißt bei Weitem nicht alles und hast mich unterschätzt“, grinst er, der Schatz, überlegen.
Ja, es geht weiter. Ich schwöre, der Bauer war vorher nicht da, und ich hege den Verdacht, dass auch kein achtbeiniges Monster von der Sirius da an meiner Wohnzimmerwand herumkrabbelte. Aber ich kann es nicht beweisen, und schließlich trotzt mir der Schatz tatsächlich noch ein Remis ab. Weil sie ein ebenso miserabler Verlierer ist, so, wie ich ein schlechter Gewinner bin. Ich weiß nicht, ob sie gemogelt oder geschummelt hat, ich kann es nicht beweisen, zumal sie mich ja gleich zweimal belogen hätte. Oder wenigstens einmal.
Aber ich schwöre – beim nächsten Mal spielen wir es aus!
(Weitere Spielereien des Autors auch auf www.politticker.de)