Georg Etscheit / 04.03.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 34 / Seite ausdrucken

Stunde Null: Wandern durchs Grau

Ist es anmaßend und wahre Schrecknisse billig verharmlosend, Jewgeni Jewtuschenkos Anfang der sechziger Jahre entstandene Gedichtzeilen über den Terror der Stalinzeit, die Dimitri Schostakowitsch in seiner 13. Symphonie b-Moll „Babi Yar“ vertonte, nicht als mahnende Erinnerung an eine überwunden geglaubte, völlig aus den Fugen geratenen Zeit, sondern – in Teilen zumindest – Beschreibung lebendiger Gegenwart zu begreifen? Auf die Realität des beginnenden zweiten Corona-Jahres im März 2021? Und ist das, was wir heute erleben, nur bitterer Vorgeschmack auf Kommendes oder wird es wie ein Spuk vorbeiziehen, sodass auch wir irgendwann sagen können: Die Ängste in Deutschland sind tot ...

Chor: Die Ängste in Russland sind tot, Wie Phantome aus alter Zeit, Alten Frauen gleich im grauen Kleid, Die vor Kirchen erbetteln ihr Brot.

Bass: Einst erlebten wir alle mit Schrecken Die Triumphe der Lügenbagage. Ängste lauerten rings in den Ecken Und verschonten nicht eine Etage, Zähmten die Menschen mit hämischer Fratze, Drückten allem ihr Siegel auf, Lehrten schreien, wo schweigen am Platze, Für den Schrei nahm man Schweigen in Kauf. Fern die Ängste, die wir einmal kannten, Seltsam scheint die Erinnerung mir: Jene Angst vor dem Denunzianten. Oder Angst, wenn es klopft an der Tür. Auch die Ängste, mit Fremden zu sprechen. Oder gar mit der eigenen Frau. Ängste, die das Vertrauen zerbrechen. Nach dem Wandern zu zweit durch das Grau.

Chor: Mutig sah man im Schneesturm uns bauen. Trotz Beschuss ging es furchtlos zur Schlacht. Doch wir fürchteten sehr zu vertrauen, Kein Gespräch ohne Angst und Verdacht. Doch dies alles warf uns nicht nieder, Und weil du deine Ängste bezwangst, Überkam, o mein Russland, Nun wider deine Feinde die große Angst.

Bass: Neue Ängste sich drohend erheben: Angst, nicht ehrlich zu dienen dem Land, Angst, bewusst die Idee aufzugeben, Die schon morgen als Wahrheit erkannt. Angst, sich maßlos zu überschätzen, Angst, auf Worte des andern zu bau’n, Angst, durch Argwohn den Freund zu verletzen, Nur sich selbst völlig blind zu vertrau’n.

Chor: Die Ängste in Russland sind tot …

Bass: Und wie ich diese Zeilen hier schreibe, Noch im Banne von Worten und Klang, Fühle ich, eine Angst wird mir bleiben: Ob mir hier auch das Beste gelang.

Längst wieder erwacht ist die Angst vor dem Denunzianten

Nein, es klopft nicht nachts an die Tür, so weit sind wir noch (lange?) nicht, wenn die Polizei nicht gerade ein illegales Grünkohlessen auszuheben sich bemüßigt sieht, das sich ein wenig in die Länge gezogen hat. Aber die „Triumphe der Lügenbagage“, die Menschen zähmen und jeder Regung des Lebens ihr Siegel aufdrücken, das alles schreit einen tagtäglich aus den Nachrichtensendungen an, den Zeitungen und den vermaledeiten Talkshows und den Verlautbarungen von Politikern, die jedes Maß verloren haben.

Längst wieder erwacht ist die Angst vor dem Denunzianten, auch wenn es nur der mehr oder weniger freundlich gemeinte Hinweis des Nachbarn an der Supermarktkasse ist, man möge doch die ein wenig gelupfte Gesichtsmaske ordnungsgemäß über Mund und Nase ziehen. Und immer aufs Neue spürbar und lähmend ist der Verlust von Vitalität, Lebensfreude und Ungezwungenheit bei Wanderungen in Corona-kompatibler Zweisamkeit durchs Grau der Fußgängerzonen, von denen niemand weiß, wann und ob je wieder Leben in sie einziehen wird.

Ängste, die das Vertrauen zerbrechen: Wenn die Scherben irgendwann zusammengekehrt sein werden – der Vertrauensverlust wird lange nachwirken. Zerbrochen das nach Hitler- und Honecker-Diktatur mühsam aufgebaute Vertrauen in einen Staat, den man bis vor gut einem Jahr noch als im Großen und Ganzen rational agierend, zurückhaltend, die im Grundgesetz verbrieften Freiheiten der Bürger und ihre Rechte achtende Instanz wahrgenommen hat. Zerbrochen das Vertrauen in eine Wissenschaft, die ihre eigenen Grundsätze verrät, die dient und predigt, statt zu forschen.

Zerbrochen das Vertrauen in eine Polizei, die, wie zu allen Zeiten, den hanebüchensten Unsinn willig vollstreckt. Zerbrochen das Vertrauen in eine Justiz, der es nicht gelingt, den erwachten Moloch in die Schranken zu weisen. Zerbrochen auch das Vertrauen in die Zurechnungsfähigkeit von Mitmenschen, die dem Irrsinn bereitwillig Folge leisten und ihre Entrechtung und Entmündigung nicht mit Widerstand, sondern mit weiterer Selbstentmündigung und Unterwerfung beantworten. 

Bis in die privateste Sphäre sind die Ängste, der Argwohn und die Zwietracht vorgedrungen und werden dort lange verweilen. … nur sich selbst völlig blind zu vertrau’n – sind wir schon wieder soweit?

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Uta Buhr / 04.03.2021

Guten Tag, Herr Etscheit, im “Großen und Ganzen” kein schlechter Text. Nur DER Passage in ihrem Text muss ich vehement widersprechen, in der Sie darauf hinweisen, dass noch “gut vor einem Jahr der Staat rational und zurückhaltend ” agiert und die verbrieften Freiheiten der Bürger wahrgenommen hat. Die Bevormundungen und Gängeleien des Bürgers begannen schleichend bereits kurz nach der Amtsübernahme durch Merkel. Ihre perfiden Absichten äußerten sich überdeutlich in ihrer Antrittsrede in Jahre des Unheils 2005, als sie “ihrem” Volk eröffnete, es habe wahrlich kein immer währendes Recht auf Demokratie und Marktwirtschaft. Da hätte man schon sehr hellhörig werden müssen. Nach und nach hat die Raute des Grauens die Zügel immer mehr gestrafft und letztlich die Daumenschrauben so angezogen, dass es kein Zurück selbst zu einer “relativen” Normalität mehr zu geben scheint. Der Ruf: “Wehret den Anfängen”, ist lange verhallt. Die Anfänge liegen seit gefühlten Äonen hinter uns. Wer fegt die Scherben zusammen, wenn der ganze Spuk - so Gott will - einmal vorbei ist? Leider gibt es kaum noch tatkräftige Menschen in diesem Lande, die, wie nach 1945 geschehen,  die Ärmel hochkrempeln und den Laden wieder zum Laufen bringen. Ich sehe nur noch schwarz für dieses Land. Und schuld daran ist das denkfaule Volk, das auch heute noch auf die Durchhalteparolen einer total unfähigen, zumal äußerst bösartigen Politclique hereinfällt. Immerhin haben auch 1945 wenige Wochen vor der totalen Kapitulation nicht wenige Deutsche noch an den Endsieg geglaubt. Geschichte wiederholt sich eben doch, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Horst Jungsbluth / 04.03.2021

Mein Vertrauen in diesem Staat ist schon seit mehr als 30 Jahren dahin und wenn man noch länger zurückdenkt, dann fällt einem ein, dass bereits 1972!!!  ein Gangster, außerdem noch Agent der Staatssicherheit und Vertrauter von Herbert Wehner mit weniger Geld die “richtige” Bundesregierung “kaufte”, als damals ein Bundesligaspieler kostete. Man hat nichts daraus gelernt, nichts aus den beiden Diktaturen, nichts daraus, dass praktisch wichtige Institutionen von der DDR-Stasi unterwandert waren und auch nicht daraus, dass kurz vor dem Mauerfall SED mit Stasi und NVA in Westberlin einmarschieren wollte, weil man sich das dortige Vermögen unter den Nagel zu reißen und zusätzlich mit den Bürgern als Geiseln in   Bonn Kasse machen wollte, wobei die SED in Westberlin mit Drogengeldern eine Infrastruktur aufgebaut hatte, die auch zum Teil heute noch funktioniert. Der jetzige Senat agiert praktisch in der gleichen Zusammensetzung wie 1989, nur zog damals die SED die Fäden aus der Normannenstraße. In der Zwischenzeit wabert der Genderwahn, der Quotenunsinn, das Beauftragtenunwesen, der Begriffsfetischismus   und das Umbenennungschaos. Da kann man doch ernsthaft nicht erwarten, dass man mit einer Seuche fertig wird, zumal ja auch kaum ein Politiker von der Sache, für die er/sie zuständig ist, etwas versteht.  In der Politik geht es um Posten und um Geldausgeben, koste es, was wolle.

s.andersson / 04.03.2021

Sehr schön aber mit Denunzianten mache ich persönlich etwas anderes, was die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in deren Leben nicht vergessen werden. Ich rate jedem das gleiche mit denen zu machen. A…löcher muss man gleich wie A…löcher behandeln. Aber herrlich wie der Untertanengedanke im Artikel aufblüht. Mal gucke ob es so kommt oer die ganze Sache böse nach hinten losgeht…

Clemens Jäkel / 04.03.2021

Die größte Angst, scheint mir doch die zu sein, daß nach dem Virus alles so weitergeht, wie vorher. Daß sich nichts verändert hat, daß wir nichts daraus lernen konnten, daß die Pandemie völlig willkürlich über uns hereingebrochen ist und nur eins hinterläßt: Das Gefühl, der Natur ausgeliefert zu sein.

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