Peter Grimm / 27.03.2023 / 07:00 / Foto: Pixabay / 71 / Seite ausdrucken

Stillstands-Montag in Deutschland

Heute ist der Tag des vielleicht größten Warnstreiks der Bundesrepublik. Um einen Tarifabschluss, der die Geldentwertung ausgleichen soll, geht es den Gewerkschaften, die ihr Kerngeschäft wieder entdecken. Andere diskutieren über das Streikrecht. Kaum einer spricht von hausgemachten Inflationsursachen.

Der öffentliche Nah- und Fernverkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird heute fast überall im Land bestreikt. Deutschland steht still. Eine solch große Streikaktion hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Die beteiligten Gewerkschaften polieren im Arbeitskampf endlich einmal wieder an ihrem Image als Interessenvertreter der arbeitenden Bevölkerung und bekommen – so heißt es in Medienberichten – nach Jahren des stetigen Mitgliederschwundes wieder etwas Zulauf. Ein Arbeitskampf von dieser Größe lässt bei manchen Beteiligten wie Betroffenen schon ein wenig das Gefühl aufkommen, hier laufe ein kleiner Generalstreik. Es ist natürlich keiner, und politische Streiks sind in der Bundesrepublik zudem auch nicht statthaft, aber da es sich bei den Bestreikten zumeist um öffentliche und De-facto-Staatsunternehmen handelt, kann ein solcher Streik nicht unpolitisch sein.

Von der Bundesregierung ist zu Deutschlands Stillstands-Tag bislang allerdings recht wenig zu hören. Die politischen Verantwortungsträger würden diesen Streik-Montag gern wie einen normalen Arbeitskampf behandeln, aber das ist er nicht. Es ist ein Streik der verschiedenen Signale. Dabei soll es hier nicht um die zweifelsohne wichtige Signalwirkung gehen, die es auf andere Branchen hat, wenn auf diese Weise inflationsbedingt hohe Tarifabschlüsse durchgesetzt werden können. Dieser Streik zeigt auch, dass die Gewerkschaften jetzt erkennen, dass sie nicht länger Claqueure hochmoralisch begründeter Regierungspolitik sein können. Jahrelang hatten sie den Kurs der letzten Bundesregierungen im gefühlten und tatsächlichen Ausnahmezustand unterstützt. Egal ob es um möglichst grenzenlose Zuwanderung, um „Klimarettung“ und „Energiewende“ oder die Corona-Restriktionen einschließlich der Impf-Nötigung und Ausgrenzung der Ungeimpften ging – die Gewerkschaftsfunktionäre unterstützten den jeweiligen Regierungskurs. Allenfalls mangelnde Unterstützungszahlungen aus dem Haushalt wurden bemängelt.

Insbesondere die in diesem Tarifstreit maßgebliche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sah sich nun angesichts der massiven Reallohnverluste im letzten Jahr gezwungen, sich des Gewerkschafts-Kerngeschäfts anzunehmen und sich sichtbar für die Interessen der Beschäftigten einzusetzen.

Der Energiepreis steigt durch Verknappung

Selbstverständlich ist es mehr als legitim, dass diese aufgrund der sich verstetigenden Inflation um höhere Löhne und Gehälter streiken. Und wenn Regierende es nicht schaffen, die Inflation zu bekämpfen, aber über die Lohn-Preis-Spirale wehklagen, so ist es trotzdem nicht die Verantwortung der Regierten, das Problem durch freiwilligen Verzicht zu lösen. Im Gegenteil: Dieser Streik und seine Folgen machen vielleicht manchem still unter der Geldentwertung leidenden Deutschen klar, wie wichtig ein lauter Aufschrei ist, damit sich diese Bundesregierung vielleicht endlich zu vernünftigem Handeln getrieben sieht. Und der erste Schritt wäre, dass sie endlich von ihrer krisenfördernden und inflationsbefeuernden Energie- und Wirtschaftspolitik lässt.

Inflationstreiber sind bekanntlich die Energiepreise. In Deutschland ist Energie knapp, so knapp, dass der zuständige Minister per Verordnung die Verdunkelung an zuvor noch selbstverständlich beleuchteten Denkmälern und Fassaden anordnete. Je knapper etwas ist, desto teurer ist es auch. Und die hohen Energiepreise treiben nicht nur die Preise in ungeahnte Höhen, sondern auch die Industrie aus dem Land. Dennoch sollen nur aufgrund ideologischer Sturheit drei funktionierende Kernkraftwerke in nicht einmal drei Wochen stillgelegt werden. Wenn heute der Verkehr in Deutschland stillsteht, sollten die Beteiligten und die Betroffenen des Streiks auch darüber nachdenken. Denn nur hohe Tarifabschlüsse helfen auch den Begünstigten nur für kurze Zeit, wenn es beim gegenwärtigen Krisenkurs bleibt.

Diese Diskussion will die Bundesregierung natürlich vermeiden und bleibt bei ihrer sogenannten Energiewende um jeden Preis. Sie hofft vielleicht, dass die meisten Bürger immer noch glauben, die Energiekrise läge vor allem am Ukraine-Krieg und nicht an der deutschen Energiepolitik. Aber keine fremde Macht, auch nicht das Putin-Regime, hat Deutschland gezwungen, Kraftwerke abzuschalten – das waren die deutschen Regierungen, deren Mitglieder sich verständlicherweise darum drücken wollen, dafür Verantwortung zu übernehmen. Aber man muss es ihnen ja nicht durchgehen lassen.

Hohe Bereitschaft zur Einschränkung von Grundrechten

Bedenklich ist in diesem Zusammenhang die offenbar hohe Bereitschaft zur Einschränkung von Grundrechten. Die Forderung nach einer Einschränkung des Streikrechts wurde zwar lediglich von einigen Verbänden erhoben, findet aber in der Öffentlichkeit offenbar einen breiten Widerhall. Bereits am 8. März konnte man in Medienberichten lesen: „Eine Mehrheit der Bundesbürger spricht sich für eine Einschränkung des Streikrechts im Bereich kritischer Infrastrukturen aus, also beispielsweise bei Bahnen, im Flugverkehr oder bei der Energie- und Wasserversorgung. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Insa hervor, die das Marktforschungsinstitut im Auftrag des Wirtschaftsflügels der CDU erhoben hat und die WELT vorab vorliegt.“

Es gibt selbstverständlich gute Gründe dafür, dass im Bereich der kritischen Infrastruktur nur eingeschränkt gestreikt werden sollte. Doch dafür sollten nicht die Beschäftigten mit eingeschränkten Grundrechten bezahlen, sondern der Staat mit Privilegien, so wie es beispielsweise bei Post und Bahn lange üblich war. Dort wurden früher die Mitarbeiter, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes unabdingbar waren, verbeamtet. Als Beamte hatten sie kein Streikrecht, genossen dafür aber die Vorzüge der Beamtenversorgung. Auf diese Weise schafft der Staat zwar streikfreie Bereiche, aber die können – im Gegensatz zu einer Einschränkung des Streikrechts – nicht einfach nach und nach ausgeweitet werden und das Streikrecht in Gänze aushöhlen.

Die Gewerkschaften haben selbstverständlich gegen jede Streikrechtseinschränkung Stellung bezogen. Aber nicht nur für die Gewerkschaften könnte es überraschend sein, in welchem politischen Spektrum sie in dieser Frage die meisten Unterstützer hat. In der erwähnten Umfrage wurde schließlich auch die Parteienpräferenz der Befragten erhoben.

Dass nur 18 Prozent der CDU-Anhänger das Streikrecht nicht einschränken wollen, überrascht nicht. Auch nicht, dass es bei den Grünen nur 19 Prozent sind. Aber dass sich nur 24 Prozent der SPD-Anhänger gegen eine Streikrechtseinschränkung aussprechen und damit weniger als die 26 Prozent der Befragten, die der FDP nahestehen, ist schon überraschend. Von der Anhängerschaft der Linken wollten immerhin 30 Prozent am bisherigen Streikrecht ohne Einschränkung festhalten, und bei der der AfD waren es 33 Prozent. Hoffentlich gilt das Festhalten am Streikrecht jetzt nicht als „rechts“.

Foto: Pixabay

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Klaus Keller / 27.03.2023

Bei der Bahn demonstriert man heute für den Individualverkehr. Ich finde das gut.

D.Schmidt / 27.03.2023

Wenn mal 100.000 ende vor den Regierungsgebäuden gegen hohe Steuern und Abgaben demonstrieren würden. Was glaubt ihr wie schnell sich die Steuerkrake in die Hosen machen würde und Steuersenkungen einleitet. Spart euch den Arbeitgeber. Da habt ihr ja einen Arbeitsvertrag unterschrieben und dem Gehalt zugestimmt.

Steffen Huebner / 27.03.2023

Viele von denen in verantwortlicher Position, die jetzt jammern, haben doch die Ursachen gesetzt, sind mitschuldig durch Verknappung und Besteuerung von Energie, Finanzierung staatsfremder Ausgaben, Beteiligung an fremdem Konflikten, Geldausgeben und - drucken als ob es keine Morgen gibt, Leben auf Pump zur Erfüllung ideologischer Luftschlösser. Nun kommt sie, die Preis - Lohn - Spirale, die Gewerkschaften haben lange stillgehalten, das Maul nicht aufgemacht, sind der Regierung zu Gefallen gewesen. Die Gewerkschaften dämmert`s langsam: Wenn sie sich jetzt nicht für einen Inflationsausgleich wenigstens für die bereits vergangenen (!) Jahre einsetzen, werden sie überflüssig. Eigentlich müsste sogar die Inflationserwartung mit eingepreist werden - 18 Prozent wären durchaus angemessen. Die Firmen und der Handel geben auch ihre inflationäre Belastung weiter. Alternativ könnten sonst Arbeitnehmer nur langsamer oder/ und kürzer arbeiten, aber das gefällt nun auch nicht Jeden. Die Zustimmung zu diesem Streik war laut Umfrage bei AfD- Mitgliedern am größten - wird die AfD die neue Arbeiterpartei?

Rainer Irrwitz / 27.03.2023

Haben derlei Gewerkschaften nicht verkündet man lege keinen Wert auf “Coronaleugner” auf Ihren Demos? Ich würde mir wünschen die Angestellten der Rüstungskonzerne gehen in den unbefristeten Streik, nicht für mehr Geld sondern aus SOLIDARITÄT mit den verheizten jungen Männern, die ihr Leben noch vor sich hatten, die gezwungen werden zu sterben für alte Männer die ihr Leben hinter sich haben !!!

Norbert Lautenschläger / 27.03.2023

Gilt für diesen Streik und die Kundgebungen eigentlich auch der Grundsatz “mit Rechten demonstriert man nicht”?  Denn sicher sind doch unter den Streikenden auch AfD Anhänger, Verschwörungserzähler und weitere dubiose “rechte Kräfte” zu finden… Mit denen machen sich die Gewelschften also gemein? Oder noch besser: Hätte die AfD diesen Streik medienwirksam vollumfänglich begrüßt und den Gewekschaftern ihre Solidarität zugesichert - hätte der Streik dann überhaupt stattgefunden…?

Dietrich Herrmann / 27.03.2023

Eine echt kämpferische Gewerkschaft (siehe Frankreich) würde endlich mal den Generalstreik gegen diese unfähige Regierung ausrufen.

Dr. Robert Müller / 27.03.2023

Der Streik ist ohnehin nur eine Showveranstaltung, um dem Volk zu zeigen, was für tolle Gewerkschaften wir doch haben. Man wird in den frühen Morgenstunden “erschöpft ” vor die Kameras treten, um ein Ergebnis zu verkünden, was lange vorher ausgekungelt war. Am meisten werden die profitieren, die seit nun 3 Jahren mehr oder weniger im Homeoffice sind. Ich lach mich kaputt.

Harald Hotz / 27.03.2023

Natürlich soll das Streikrecht nicht eingeschränkt werden! Man würde sich nur wünschen, daß die Gewerkschaften mit ählicher Hingabe auch ab und zu gegen die Einschränkung der Grundrechte streiken würden. Jetzt beißen sie die staatliche Hand, weil die sie nicht mehr ausreichend füttert, nach dem sicher nahe bei 10% liegenden Tarifabschluß, werden sie aber genauso sicher wieder dieselbe Hand küssen, und alle sind zufrieden, denn die Kosten werden eins zu eins umgelegt auf die Bürger in Form höherer Gebühren und Abgaben. Und solange die Bezahlung stimmt, wird auch jedes noch so totalitäre Gebahren der Politik unterstützt. Totalitarismus ist das Geschäftsmodell jeder Funktionärskaste.

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