Um es gleich vorweg zu schicken: Ich bin keine Deutsche jüdischen Glaubens. Dies hält mich aber nicht davon ab, dass ich versuche, mir ein Bild der vergangenen Zeit zu machen. Ich hatte das Glück, nicht in dieser unglücksseelige Zeit aufwachsen zu müssen, allerdings stelle ich mir schon die Frage: “Was hätte ich getan?” Ob ich nun überzeugt von der Ideologie gewesen wäre, Mitläufer, Widerstandskämpfer oder einfach nur ins Ausland gegangen - ich kann diese Frage schlicht nicht beantworten. Die andere Zeit hätte mich anders geprägt. Warum jedoch darf ich mir kein Bild von der Shoa machen? Dies weiß ich schlicht nicht. “Die Juden” sind wie jeder andere auch Bürger des Reiches gewesen. Sie sind keine eigene Ethnie. Dies soll keine Verharmlosung des Leides sein, welches diesen Deutschen geschah. Genau so wie “die Behinderten” keine eigene Ethnie darstellen. Auch diese wurden grausamst verfolgt und getötet. Nun, ggf. darf ich mir von dieser Gruppe von Deutschen ja eine Meinung bilden, da ich selbst unter das Euthanasiegesetz gefallen wäre? Ist es dann legitim? Wie gehe ich mit Pater Kolbe um, obwohl ich nicht katholischen Glaubens bin? Darf ich stolz auf ihn sein? Darf ich Bonhoeffer als evangelische Christin zwar ehren, aber wegen des Gebotes “Du sollst nicht töten” durchaus differenziert sehen? Was ist mit von Stauffenberg? Was ist mit den Menschen, die nicht viel mehr sagen als: “Wo Kinder sind, da sind auch Frauen?” Ich denke, dass es jedem erlaubt sein MUSS, seine eigenen Gedanken und Gefühle über die Zeit des Dritten Reiches zu haben, unabhängig davon, ob es um Menschen jüdischen Glaubens geht oder nicht. Der Knackpunkt für mich ist jedoch, dass oftmals in eben solchen Diskussionen a) von “Gesamtschuld” gesprochen wird, ohne dass sich jeder Deutsche schuldig gemacht hat (als Nachfahre sehe ich mich übrigens in der “Verantwortung”, nicht in der “Schuld”) und b) die damalige Schuld auf die Menschen jüdischen Glaubens reduziert wird. Die Schuld war größer.
Der Deutsche braucht die ständige Erinnerung an dieses dunkle Kapitel seiner Geschichte. Er kann es nicht loslassen und will es auch nicht, denn es ist der dunkle Hintergrund, vor dem sein Grau hell und sauber erscheint. Sozusagen das tiefschwarze Passpartout, vor dem der “neue, geläuterte Mensch” sich abhebt, wie Phönix aus der Asche. Darin liegt auch ein großes Maß an Überheblichkeit, denn man meint, daraus gelernt zu haben. Was für ein Irrtum! Was für eine Unfähigkeit, sich selbst in voller Hässlichkeit zu sehen und richtig mit der Schuld umzugehen. Eine echte Betroffenheit würde dazu führen, die Nachkommen der Holocaustopfer zu lieben.
Es geht nur unter der Demokratie gut ! Andere politische Herrschaftsformen bringen ihre Bürger immer wieder an den Rand des Ertragbaren. Das 20.Jahrhundert ist voll von Gewalttaten, die immer mit Denunziationen zusammengehen. Weshalb sollte es verwundern, wenn auch Juden andere Juden verrieten ? Wo auch Deutsche in langer Schlange anstanden, bei Auktionen unter Aufsicht deutscher Beamten mit exakten Listen, um Möbel und andere Gegenstände aus Wohn-ungen billig zu kaufen, deren jüdische Mieter vor Tagen “abgeholt” wurden. Oder, noch schlimmer, auf eigene Kosten zur “Sammelstelle” gelangen mussten. Die Besuche Jugendlicher in KZs sind nicht wirkungsvoll: Das Leben unter “normalen Verhältnissen” von Ausgegrenzten mit dem Gelben Stern, belegt durch zahl-reiche Verbote und Bedrohungen, ist das eigentliche Martyrium. Wenn kaum noch ein gutes Wort von Nachbarn fällt, die man Jahrzehnte zu kennen glaubte. Wie gesagt, von solchen Zustanden befreit uns nur die Demokratie !
Liebe Frau Roggenkamp, vielen Dank für diesen Beitrag. Was mit den Deutschen los ist? Das in Deutschland politisch bestimmende Milieu trändrüst bei Holocaustgedenkveranstaltungen vor sich hin und protegiert gleichzeitig die schlimmsten Feinde der Juden, Israels und der westlichen Zivilisation. Diese Art Deutsche fühlen sich moralisch voll auf der Höhe und sind im Dauerbelehrmodus gegenüber dem Rest der Welt. Und sie wissen, wie sich ein Jude und/oder Israeli gefälligst zu verhalten und positionieren hat. Sie denken, dass niemand so empathisch ist wie sie und zwingen wieder andere zu ihrem ‘Glück’.
Danke!
Der Deutschen Trauer um die toten Juden ist der sichtbare Ausdruck ihrer unbewussten Trauer um das Verfehlen Ihres selbstgesteckten Ziels: Die Ausrottung der Juden. Es war ein ambitioniertes Ziel, ein anständiges. Und anständige Ziele lassen sich am besten anständig verfolgen - in der doppelten Bedeutung des Wortes.Um ihr Ziel anständig verfolgen zu können, mussten die Deutschen anständig arbeiten. Keine Exzesse! Anständig bleiben! Die Züge pünktlich fahren lassen! Anständige deutsche Ingenieurskunst für den effizienten Massenmord benutzen! Gaswagen und Krematorien sind schönster Ausdruck dieser Kunst. Deutsche Kunst der redlichen Arbeit gegen den slawischen Schlendrian und die jüdischen Schmarotzer. Die Welt von diesen zu erlösen war schon des genialen Wagners fixe Idee. Die jüdische Idee der Möglichkeit der Versöhnung wurde von den Antisemiten als Trick entlarvt, die Welt zu beherrschen. Die Idee von der Erlösung ist dem antisemitischen Wahn geschuldet, der Projektion des eigenen Unbewussten auf die Gegenrasse. Heute ist der jüdische Staat das politisch korrekte Objekt der Projektion. Dass Israel sein Ziel, eine Heimstatt für alle Juden zu sein, solange sie der Vernichtungsdrohung der antisemitischen Internationale ausgesetzt sind, immer noch verfolgen kann, lässt die Deutschen immer weiter um ihre Opfer, die toten Juden, trauern, Ausdruck ihres Antisemitismus. Unbewusst verfolgen die Deutschen ihr selbstgestecktes Ziel weiter, der Versöhnung der Menschheit mit redlicher Arbeit zu widerstehen und dabei anständig zu bleiben.
Mir gefällt, wie Wolfgang Tischer von literaturcafé.de das Buch beschreibt und kritisiert. Ich werde es bestimmt irgendwann einmal lesen. Sehr geehrte Frau Roggenkamp, ich gestehe, dass ich Ihre Bücher noch nicht kenne. Ich möchte sie ebenfalls lesen. Vielleicht stelle ich ja dann fest, dass Sie selbst die Autorin sein könnten, die Sie in Deutschland so vermissen.
A propos ” Neuland “: für ein gelungenes Beispiel hielt ich damals das Debüt von Alex Garland ” The Beach “. Ein Text muß schon ein bisschen weh tun, besonders der Generation, der er entstammt. ( Die Verfilmung ist übrigens auch gelungen, - aber ” Film “ ist ja ein anderes Thema )
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