Gerd Buurmann / 13.03.2024 / 16:00 / Foto: achgut.com / 23 / Seite ausdrucken

„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“

Der Satz „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Euch“ wird oft Bertolt Brecht zugeschrieben. Das ist jedoch nicht korrekt.

Unter meinem Artikel „Oma Courage“ schrieb Kurt Engel folgenden Kommentar:

„Nochmal Brecht, auch hier wurde nur der den Linken passende Satz protegiert. “Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.” Bertolt Brecht (1898–1956)“

Die ersten Sätze dieses Textes stammen nicht von Bertolt Brecht. Der Satz „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ stammt ursprünglich von Carl August Sandburg. 

Sandburg war ein US-amerikanischer Dichter, Journalist und Historiker und lebte von 1878 bis 1967. Bekannt ist er besonders durch seine Biographie von Abraham Lincoln, für die er den Pulitzer-Preis gewann. Sein bekanntester Satz stammt allerdings aus dem Buch „The people, Yes“. Dort heißt es:

„The first world war came and its cost was laid on the people.
The second world war – the third – what will be the cost.
And will it repay the people for what they pay?…
The little girl saw her first troop parade and asked,
‘What are those?’
‘Soldiers.’
‘What are soldiers?’
‘They are for war. They fight and each tries to kill as many of the other side as he can.’
The girl held still and studied.
‘Do you know … I know something?’
‘Yes, what is it you know?’
‘Sometime they’ll give a war and nobody will come.’“

Auf deutsch kann es inhaltlich so übersetzt werden:

„Der Erste Weltkrieg kam, und seine Kosten wurden dem Volk auferlegt.
Der Zweite Weltkrieg – der Dritte – was werden die Kosten sein?
Und wird er dem Volk zurückzahlen, was es bezahlt? …
Das kleine Mädchen sah seinen ersten Truppenaufmarsch und fragte,
‚Was ist das?'
‚Soldaten.'
‚Was sind Soldaten?'
‚Sie sind für den Krieg. Sie kämpfen, und jeder versucht, so viele wie möglich auf der anderen Seite zu töten.'
Das Mädchen hielt inne und dachte nach.
‚Weißt du ... ich weiß etwas?'
‚Ja, was weißt du?'
‚Irgendwann werden sie einen Krieg ausrufen, und niemand wird kommen.‘“

Ein lyrischer Cocktail

Laut Harpo Marx soll jedoch schon vor Carl Sandburg jemand diese Geschichte erzählt haben, nämlich der Schriftsteller Thornton Wilder. In seiner Autobiographie „Harpo speaks“ schreibt Marx:

„My favorite Thornton Wilder story was the one about the time a little girl asked him what war was. Wilder replied, „A million men with guns go out and meet another million men with guns, and they all shoot and try to kill each other.“ She thought that over, then said, „But supposed nobody shows up?“

Auf deutsch:

„Meine Lieblingsgeschichte von Thornton Wilder ist die, als ihn ein kleines Mädchen fragte, was Krieg sei. Wilder antwortete: 'Eine Million Männer mit Gewehren treffen auf eine andere Million Männer mit Gewehren, und sie schießen alle und versuchen, sich gegenseitig zu töten.' Sie überlegte kurz und sagte dann: 'Aber was ist, wenn niemand auftaucht?“

Die amerikanische Frauenzeitschrift „McCall’s“ formulierte dann 1966 im Schatten des Vietnamkrieges die Schlagzeile: „Suppose They Give a War, and No One Came?“. („Angenommen, sie führen einen Krieg, und niemand kommt?“) Ein Anti-Kriegs-Poster aus dem Jahr 1969, auf dem weiße Tauben zu sehen waren, die in einer Blumenwiese auf Waffen sitzen, nahm dann diese Schlagzeile auf. Auf dem Poster stand: „What if they gave a war and nobody came …“ ("Was ist, wenn sie einen Krieg ausrufen und niemand kommt...")

So kam der Satz dann nach Deutschland, wo er schnell in folgender Übersetzung benutzt wurde: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“.

Irgendwann wurde der Satz fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschrieben. Ein anonymer Scherzkeks kam dann später auf die Idee, den Satz „Und dann kommt der Krieg zu euch“ hinzuzufügen und hängte diesem Satz gleich noch ein wahres Gedicht von Bertolt Brecht an:

„Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,
und lässt andere kämpfen für seine Sache,
der muss sich vorsehen:
denn wer den Kampf nicht geteilt hat,
der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal Kampf vermeidet,
wer den Kampf vermeiden will:
denn es wird kämpfen für die Sache des Feinds,
wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

Das Gedicht stammt aus dem Werk „Koloman Wallisch Kantate“. So entstand also das folgende Gedicht:

„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin,
und dann kommt der Krieg zu euch.
Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,
und lässt andere kämpfen für seine Sache,
der muss sich vorsehen:
denn wer den Kampf nicht geteilt hat,
der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal Kampf vermeidet,
wer den Kampf vermeiden will:
denn es wird kämpfen für die Sache des Feinds,
wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

Das Gedicht ist somit nicht von Bertolt Brecht, sondern ein lyrischer Cocktail aus Carl Sandburg, Bertolt Brecht, Thornton Wilder, einem anonymen Scherzkeks und einem Schuss Marx – Harpo, nicht Karl!

 

Gerd Buurmann ist Schauspieler, Stand-up-Comedian und Kabarettist. Er spielt, schreibt und inszeniert in diversen freien Theatern von Köln bis Berlin. Seit April 2022 moderiert er den Podcast „Indubio“ der Achse des Guten. Im Jahr 2006 spielte er im Konradhaus Koblenz die Rolle des Kochs in „Mutter Courage und ihre Kinder“

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Harald Buchholz / 13.03.2024

Die letzten beiden Zeilen sind keine zwingende Folge ihrer Vorgänger! Schlüssig wäre: Denn wer zu kämpfen nicht bereit ist, lädt zum Angriff ein.

Helmut Driesel / 13.03.2024

  Passend dazu die Wehrpflicht für Frauen in Dänemark. Das sind die mit dem Anrufbeantworter. Ja und zum harmonischen Ausklang des Themas hören wir auf YouTube Peter, Paul & Mary: “Because all mens are brothers…” (Das brothers deutet schon auf massive Genderverstöße hin, also nichts für empfindsame Gemüter.) Das dreimalige Anhören am Tag vermindert die Benzodiazepin-Ration um die Hälfte. Nur, damit hier auch mal was Gutes steht.

Rainer Möller / 13.03.2024

Brecht sprach in seinem Gedicht von “Kampf” und nicht von Krieg; die Gleichsetzung hat erst der “Scherzkeks” hergestellt. Und Brecht schrieb “Mutter Courage” zu einer Zeit, wo die KPD noch auf Pazifismus machte, vor dem Angriff auf das “Vaterland aller Werktätigen”.  Stalins Krieg sah er als eine vielleicht etwas extensive Vorwärtsverteidigung, bei Roosevelt und Churchill machte er allerdings keine derartigen Konzessionen. Diente sich auch, im Unterschied zu anderen Emigranten, nicht dem OSS an.

Rudi Hoffmann / 13.03.2024

Die für Krieg sind ,  gehen nicht hin ! Die werben dafür hinzugehen , lassen hingehen oder schicken hin ! Die Kriegstreiber bleiben in der Etappe , weit weg vom jedem Schuß  und sind die ersten beim   Antrag   der Kriegstraumarenten !

Dieter Kief / 13.03.2024

Ja gut, das ist aber noch nicht alles. Sie haben Desiderius Erasmus über den Krieg ausgelassen und den unnachahmlichen Rabuklisten und Volksredner und Text-Dileranten, genialen Versschmied und Visionär christlichen Angedenkens - Wortsäufer und Sinn-Speier Quirinus Kuhlmann - - - heheh, ich dachte ich schreib’, bis mir der Name wieder beikommt - und der Sinn-Speier hat den Block tatsächlich aufgelöst - - - -

Daniel Kirchner / 13.03.2024

“Stell Dir vor, sie geben Krieg und keiner geht hin”. So kenne ich es , ohne Ergänzung von Rächtz. Kann man zu den Sponti-Sprüchen rechnen.

Marcel Seiler / 13.03.2024

Der Zusatz, “Dann kommt der Krieg zu euch.”, ist eine leider zu oft zutreffende Wahrheit. Weshalb Autor Buurmann dies als Zusatz eines “Scherzkekses” bezeichnet, erschließt sich mir nicht. – Mein Dank an ihn dafür, die Herkunft dieser Sentenz geklärt zu haben.

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