Chaim Noll / 18.08.2022 / 06:15 / Foto: Freud / 181 / Seite ausdrucken

Spart euch die Entschuldigungen

Warum reagierte Olaf Scholz auf die Hetzrede von Mahmud Abbas nur mit Schweigen? Vielleicht ein Reflex des Stamokap-Jungsozialisten von einst. Für die galt der palästinensische Terror als „Befreiungskampf”.

Judenhass ist seit antiken Zeiten überliefert. Schon im biblischen Buch Ester, dessen Entstehung auf das dritte Jahrhundert vor Christus angesetzt wird, steht der berühmte Satz eines persischen Ministers, dass Juden potenzielle Verräter seien. Gleichfalls im dritten vorchristlichen Jahrhundert soll, wie der Historiograph Josephus Flavius überliefert, der ägyptische Autor Manetho in seiner – im Original verschollenen – Aegyptiaca geschrieben haben, die Hebräer seien „Aussätzige” und „Befleckte”. In einem Dialog des Plutarch im ersten christlichen Jahrhundert wird die Frage erörtert, ob Juden deshalb kein Schweinefleisch essen, weil sie das Schwein anbeten.

Im Mittelalter verbreiteten europäische Judenfeinde die Legende, Juden entführten und ermordeten christliche Knaben, um aus ihrem Blut am Pesach-Fest Mazze zu backen. Man war sicher, dass sie Brunnen vergiftet und die Pest nur deshalb vergleichsweise glimpflich überstanden hätten, weil der Pest-Erreger von ihnen zum Schaden der Christenheit in die Welt gesetzt und für ihren internen Gebrauch insgeheim ein Gegenmittel entwickelt worden war.

In der Moderne fokussierte Judenhass vor allem auf den verdächtigen Reichtum vieler Juden und ihren verderblichen Einfluss auf die Regierenden christlicher und muslimischer Länder. Ehe das heute populäre Schlagwort „jüdische Lobby” in Gebrauch kam, glaubte man den Darstellungen eines im neunzehnten Jahrhundert – wahrscheinlich von der russischen Geheimpolizei – in Umlauf gesetzten Elaborats namens Die Protokolle der Weisen von Zion, wonach sich ein jüdischer geheimer Rat bei Nacht und Nebel auf dem Judenfriedhof in Prag am Grabe des Shimeon bar Jehuda versammle, um dort Pläne zur Welteroberung und Unterjochung der Menschheit zu schmieden.

Eines der meistgelesenen Bücher in der islamischen Welt

Die Protokolle der Weisen von Zion sind eins der meist gelesenen Bücher in der islamischen Welt, in muslimischen Ländern wurden und werden Millionen Exemplare davon gedruckt. Wir alle wissen, dass solche Hirngespinste auch unter aufgeklärten Europäern nicht aus der Welt sind, dass sie immer wieder, in leicht abgewandelter Gestalt, in Gerüchten und Gerede auftauchen, heute vor allem im Internet, dass sich diese Art Judenhass überhaupt als unsterblich erweist. Wir Juden haben uns damit abgefunden, dass Judenhass ein ewiges hässliches Nebengeräusch unseres ansonsten immer wieder gesegneten Daseins ist.

Mein Freund Ralph Giordano sagte im Gespräch mit mir wenige Jahre vor seinem Tod: „Ich bin heute der Meinung, dass Judenhass, Antisemitismus nicht zu überwinden sind. Es ist ein geistesgeschichtlicher Irrweg, eine Fehlhaltung in der Geistesgeschichte.” Für die sich, wie für manche andere massive Dummheit, immer wieder Propagandisten und begeisterte Anhänger finden.

Beunruhigt werden Juden jedoch, wenn die irgendwo umhergeisternden judenfeindlichen Ressentiments plötzlich populär und modisch werden und sich ausbreiten in großen Kreisen der Bevölkerung. Wenn antisemitische Beleidigungen und Bedrohungen zur Bagatelle werden, weil sie sich einbürgern als Normalität, als Alltäglichkeit. Und gerade dieser Vorgang ist derzeit in Deutschland zu beobachten. Muslimische Kinder und Jugendliche, in Koranschulen ungehindert dazu aufgehetzt, haben das Wort „Jude” schon seit Jahren erneut zum stärksten Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen gemacht.

Wenn muslimische Demonstranten durch deutsche Straßen ziehen, sich vor Synagogen zusammenrotten und skandieren: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas”, geschieht nichts. Keiner dieser Aufrufe zum Mord an Juden ist bisher von der deutschen Justiz verfolgt worden, obwohl zahlreiche Polizisten und andere Zeugen anwesend waren, Videoaufzeichnungen existieren, Bilder von Überwachungskameras, man also die Brüller und Mord-Aufrufer ohne allzu große Mühe identifizieren könnte.

Antisemitismus war mal weitgehend „out“

Das geht schon seit etlichen Jahren so und musste allmählich die Empfindlichkeit gegenüber offenem Judenhass paralysieren, die sich nach dem Desaster von Shoah und verlorenem Krieg in Deutschland gebildet hatte wie eine schützende Schicht. Ich habe in der Bundesrepublik der Achtziger und Neunziger Jahre niemals offene Judenfeindlichkeit erlebt. Was nicht heißt, dass derlei nicht irgendwo im Verborgenen, in manchen Köpfen, an manchen Stammtischen, in manchen Antifa-Gruppen und Neonazi-Kneipen existierte. Aber es war weitgehend „out”. Es war unmöglich, mit derlei öffentlich hervorzutreten. Wo es doch geschah oder auch nur der Verdacht bestand, wurden die Betreffenden dramatisch abgestraft. Der Präsident des deutschen Bundestages, Philipp Jenninger, musste im November 1988 wegen einer rhetorisch missglückten Rede aus Anlass des 50. Jahrestages der Reichsprogromnacht zurücktreten, obwohl dort kein einziges antisemitisches Wort gefallen war.

Heute kann eine grüne Staatsministerin in der vom deutschen Staat mit Millionen Steuergeldern finanzierten documenta offen nazistische Symbole des Judenhasses zeigen lassen, ohne deshalb zurücktreten zu müssen. Ihr dreistes Verbleiben im Amt ist eine gewollte Beleidigung der Juden in Deutschland und anderswo. Begeistert verbreiten die Mainstream-Medien die Behauptung der documenta-Direktion, die Schau verzeichne trotz – oder gerade wegen – des judenfeindlichen Skandals „Besucherrekorde”. Der Fall musste Israel-Hasser und Antisemiten aller Couleur ermutigen. Und andere Politiker dazu verführen, ebenso lax mit aggressivem Judenhass umzugehen wie sie.    

Das ist nun gestern dem Bundeskanzler passiert. Er ließ den senilen, seit 2005 ohne Wahlen im Amt sitzenden Präsidenten der Palästinenser-Behörde Mahmud Abbas auf einer Pressekonferenz im deutschen Bundeskanzleramt die Behauptung verbreiten, Israel ermorde unschuldige Palästinenser und begehe „Holocausts” im Plural. Auf die Frage eines Journalisten, wie Abbas heute zu dem feigen, hinterhältigen Terror-Anschlag palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft während der Olympiade 1972 in München stünde, der sich in diesen Tagen zum fünfzigsten Mal jährt, antwortete Abbas: „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.”

Darauf reagierte der deutsche Bundeskanzler mit einer schwachen Grimasse, wie er sie auch bei der ihm unerfreulichen Rede eines Parteigenossen zeigen würde. „An oberster Stelle im Staat”, empörte sich die Bild-Zeitung, „hört der Kanzler dem Palästinenser-Chef Abbas zu, wie er von ‚50 Holocausts' schwafelt, wie er die israelische Armee gleichsetzt mit den Nazis. Im deutschen Bundeskanzleramt!” So kann es geschehen in einem Land, in dem es offenbar keine richtige Regierung mehr gibt, nur Attrappen. Um dem alten Schwätzer zu widersprechen, hat Scholz zu viel Respekt: Der Reflex, diesen Mann zu achten, sitzt tief bei den Stamokap-Jungsozialisten von einst, für die Israel von Jugend an der „imperialistische Aggressor” war und der palästinensische Terror ein „Befreiungskampf”.

Die Ehrlichkeit der „Sekundenentscheidungen“

Und nun, wie zum Hohn, die Entschuldigungen. Nachträglich tut es ihnen leid, vor allem, weil es dem ohnehin schwer angeschlagenen Ansehen Deutschlands schadet. Der flaue, bis vorgestern von niemandem bemerkte Pressesprecher, der die Pressekonferenz mit Abbas' grandiosem Finale kommentarlos ausklingen ließ, findet reuige Worte. „Sie können sich vorstellen, dass ich das als einen Fehler sehe, den ich sehr bedauere”, zitieren ihn deutsche Medien. „Es sei eine ‚Sekundenentscheidung' gewesen, erklärte er nach mehreren Nachfragen der Journalisten, bei denen er sich mehrmals entschuldigte. Es sei ‚eine schlechte Performance des Regierungssprechers' gewesen, sagte er sogar.” Sogar! Das ist das Problem mit „Sekundenentscheidungen”: dass sie schlagartig offenlegen, wie es wirklich um den Mindset des Betreffenden bestellt ist.

Spart euch die Entschuldigungen. Und ihr, deutsche Juden, holt eure Koffer vom Dachboden. Bereitet euch vor auf schlimme Zeiten. Wenn ihr noch jung seid und im Besitz eurer von Gott verliehenen Entscheidungsfreiheit, seht euch um, wohin ihr beizeiten gehen könnt. Ehe es richtig gefährlich wird. Vielleicht Kanada, wohin jetzt schon zehntausende französische Juden auswandern. Oder Südamerika. Oder, wenn ihr mutig seid, Israel. Fangt an zu packen. In Deutschland habt ihr nichts mehr zu hoffen.

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Leserpost

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Thomin Weller / 18.08.2022

@Matthias Kegelmann Kein Mensch kann alles Wissen und ist somit fehlbar. Ihre Äußerung “menschenverachtende gottlose Linke, Kommunisten, Atheisten” zeigt nur auf Sie. Bassam Tibi hat mit der arabischen Lärmkultur nicht unrecht. Damit sie ihre Bildung göttlich erweitern können—> „In Italien gab es, relativ gesehen, sogar noch mehr jüdische Faschisten als nichtjüdische“, erklärte der israelische Historiker Zeev Sternhell 2000 in einem Interview.”<—Das zu Gott und ähnlichem. Der Kahanismus wurde in Israel verboten. Es scheint das dieser wieder da ist.

Johann Joachim Lindner / 18.08.2022

Der Hass der “Palestinenser” auf die Israelis hat mE mit der Gründung des Staates Israel, also der Landnahme durch die aus Europa kommenden Juden zu tun. ( Ohne Hitler kein Exodus) Diese Landnahme war durch die UNO gebilligt die der Gründung des Staates zustimmte. Einen Staat der arabischen Bevölkerung hätte es damals geben können. Die Perspektive rückt in immer weitere Ferne. Jordanien als neue Heimat der Palestinenser?

Karl Georg Lempenheimer / 18.08.2022

Wozu wird Abbas überhaupt nach dem Holocaust gefragt? Der Holocaust fand in Europa statt und war ein deutsches Problem. Was hat er und die Palästinenser damit zu tun? Die Palästinenser haben andere Sorgen. Was deutsche Politiker angeht, bin ich generell der Meinung, dass sie keine Sprechpuppen sein müssen, die sich, auf Applaus und die nächste Sonntagsfrage schielend, erwartungsgemäß und dazu noch prompt zu allem zu äußern haben. Meinungsfreiheit beinhaltet auch, nichts sagen zu müssen. Nichts sagen, ist weder Zustimmung noch Ablehnung in diesem Moment. Eine Perssekonferenz muss keine Kampfarena sein, nur weil ein Reporter Blut fließen sehen will, während er es sich selber im Orchestersessel bequem macht, um den Circus Maximus zu genießen.

Gus Schiller / 18.08.2022

Dieser traurige Tropf lässt sich in seinem “eigenen” Kanzlerinnenamt von einem Antisemiten 1. Grades einen Eimer Jauche über den Kopf gießen und bedankt sich noch dafür. So weit ist es mit dem besten Deutschland aller Zeiten, in dem man früher gut und gerne lebte gekommen. Wollte dieser Heini nicht mal Führung zeigen?—- Aber was ist mit der Opposition??? Ist die schon ausgewandert??? Noch mehr Steilvorlagen kann man doch gar nicht bekommen! Aber still ruht der See. Vielleicht muss man ja demnächst wieder irgendwo koalieren.—- In NDS ist bald Wahl. Alle politischen Backpfeifen drängen in den Lokalblättern mit auf die Fotos beim Taubenzuchtverein oder Blutspendetermin. Was haben sie die letzten fünf Jahre gemacht???  Mich kotzt dieses Land und seine ““Politiker”” nur noch an.

lutzgerke / 18.08.2022

Was die Israeliten mit den Palästinensern machen, das ist nicht sehr nett. Darüber gibt es Dokumentationen - von Israeliten. “Das Recht der Macht”, “Israels Geschäft mit Krieg”, “Der Todesschuss”, “Spezialeinheiten - der israelische Grenzschutz”. Sie verkaufen Israel, als gäbe es keine Opposition, aber es gibt sie. Sie sind nicht die Stimme Israels.  Mir scheint, das Komplott besteht in einem geschulten Reflex. Alles, was das “Image” Israels ankratzen könnten, alles, was Israel von seinem Sockel herunter stoßen könnte und zu einem land unter Ländern macht, wird mit dem Holocaust erstickt. Sie wollen was besonderes sein, und das macht Israels Politik verdächtig. Dabei geht es gar nicht um den Holocaust, Sie streuen den Lesern Sand in die Augen. Sozusagen gibt es in Israel keine Verbrechen. Das glaube ich nicht. Weil die Überhand nehmen, müssen die vertuscht werden, ebenso wie hier die Schwurbler- und Verschwörungstheoretiker-Karte gezogen wird, wenn’s eng wird. Das sollen Rechtfertigungsgründe sein für Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen, für Strafprozesse, Hausdurchsuchungen, Festnahmen. Man lenkt mit dem Schwurbler wie mit dem Holocaust vom Inhalt ab auf die Form. Das ist keine hohen Intention. Das heißt, die Luft oben brennt. Es ist nicht mal strafbar, Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker zu sein. In der Kriminalistik nennt man diese Form der Antwort: präventive Schuldabwehr. Weder sind hier alle blind, noch ist das Bedürfnis groß, ein US-Vasallenstaat zu werden. George W. Bush sagte bei eine Gelegenheit, wir geben den Israelis freie Hand mit den Palästinensern. Ein Berater wandte ein: dann bringen die die alle um! Darauf Bush, das sei ihm egal. / Sie vergraulen auf diese Art auch ihre Freunde.

Thomas Szabó / 18.08.2022

50 Holocaust? Die Juden haben also 300 Millionen Palästinenser ermordet?! Das ist ja entsetzlich!

Fred Burig / 18.08.2022

@Brigitte Miller:”...  Oder habe ich was falsch verstanden?” Ja! Denn auch für Herrn Schuster sollte es schon sehr unangenehm werden (Gefahr ?), wenn die von ihm u.a. als “Querdenker” und “Corona-Leugner” bezeichneten Demonstranten massiv auf den Straßen erscheinen, um gegen die Regierungspolitik zu demonstrieren! Und diesmal sind nicht nur Corona und Impfpflicht ein Thema - nein, diesmal geht es um mehr, um viel mehr - um persönliche Existenzen! Die geplanten Einschränkungen durch “angebliche Krisen” sind nicht nur Demütigungen für die Bürger - weil sie beabsichtigt und “regierungsgemacht” sind - nein, sie sind auch ein Angriff auf unsere Gesundheit und unser Leben! Und da hört der “Spaß” endgültig auf !!! MfG

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