Volker Seitz / 18.05.2021 / 11:00 / Foto: Lakmi00 / 19 / Seite ausdrucken

Somaliland: Eine afrikanische Musterdemokratie am Golf von Aden

Die Republik Somaliland mit der Hauptstadt Hargeysa ist ein international nicht anerkannter Staat. (Nur Taiwan hat eine Vertretung in der Hauptstadt.) Das ehemalige Protektorat Britisch-Somaliland umfasst den Nordteil Somalias. Die Briten regierten Somaliland indirekt, über die Clanältesten, und rührten die traditionelle Ordnung nicht an. Somaliland erklärte sich 1991 einseitig unabhängig, als der Bürgerkrieg in Somalia ausbrach. In Somaliland leben heute etwa fünf Millionen Einwohner. Das Land, etwa dreimal so groß wie die Schweiz, wird von keinem anderen Staat der Welt anerkannt, obwohl es im Gegensatz zum „Mutterland“ seine Probleme friedlich löst. Anders als im chaotischen Somalia existiert dort ein funktionierendes System des Interessenausgleichs.  

In wenigen Ländern gibt es zwar diplomatische Vertretungen, etwa in Großbritannien, den USA, Kenia und in Äthiopien, und einige Länder erkennen den somaliländischen Pass an. Doch völkerrechtlich gehört Somaliland immer noch zu Somalia. 

Mangels Anerkennung erhält das Land kaum Entwicklungshilfe und ist trotzdem oder gerade deswegen schuldenfrei. Die deutsche GIZ hat ein Gewächshaus gebaut, und die kleine Mauer vor dem Krankenhaus ist schon wieder in sich zusammengefallen. 

Somaliland ist ein gutes Beispiel dafür, dass wenig oder gar keine Entwicklungshilfe besser für die Entwicklung eines Landes ist. Funktionierende Strukturen haben sich in Somaliland nachhaltig gebildet und können nicht korrumpiert werden. So wird auch kein freies Unternehmertum verhindert. 

Eine gemeinsame Identität 

Die Afrikanische Union (AU) sorgt dafür, dass Somaliland von keinem anderen Land anerkannt wurde – trotz der Stabilität. Die AU fürchtet, dass sich in anderen Staaten Völker ermutigt fühlen könnten, einen eigenen Staat zu fordern. Obwohl es Eritrea und Südsudan inzwischen durch Kriege gelungen ist, sich von Äthiopien bzw. Sudan abzuspalten, wird dem friedlichen Somaliland eine Anerkennung verweigert.

Somaliland hat eine eigene Währung, eine Hymne, eine funktionierende Polizei und Armee, freie Presse, eine parlamentarische Demokratie; Steuern sind eine der wichtigsten Einnahmequellen des Staates. Somaliland hat Briefmarken und ein internationales Literaturfestival mit zehntausenden Besuchern. Die Abspaltung von Somalia (mit ca. 15 Millionen Einwohnern) hat offenbar dazu beigetragen, dass eine gemeinsame Identität entstanden ist. 

Am 18. Mai 2021 feiert das Land 30 Jahre Unabhängigkeit von Somalia. Der Afrika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Bernd Dörries, Autor des unterhaltsamen Buches „Der lachende Kontinent“ (Besprechung: hier) hat als einer der wenigen Journalisten Somaliland besucht und in der SZ vom 24./25. April 2021 eine große Reportage über seine Reise veröffentlicht. Dörries hat in Somaliland keine Slums und keine Bettler gesehen. Er berichtet, dass „dort Frauen studieren, Shoppingmalls, Hotels und Straßen gebaut werden – und gerade jetzt ein gigantischer topmoderner Hafen.“ Das Terminal wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten mit fast einer halben Milliarde Dollar finanziert. Gebaut wird für das Nachbarland Äthiopien, das nach der Abspaltung von Eritrea keinen eigenen Meereszugang mehr hat. 

In Deutschland leben etwa 20.000 Somaliländer

Bernd Dörries schreibt treffend über die fehlende Entwicklungshilfe: „Das klassische Symbol schlechthin hierfür, das man immer wieder sieht in Afrika: ein verrosteter Traktor, der im Graben liegt. Oft wurde er mit Geld aus Europa gekauft, dann aber nie gewartet und von der Dorfgemeinschaft zu Schrott gefahren. Weil er ja niemanden wirklich gehört. In Somaliland mietet man sich einen Traktor für zehn Dollar am Tag, von Geschäftsleuten, die selbst in das Geschäft investiert haben.“

Bisher stamme ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts aus Überweisungen von der Diaspora, 800 Millionen Dollar sollen es 2020 gewesen sein. In Deutschland leben etwa 20.000 Somaliländer. Viele Hunderttausende sollen sich in Großbritannien und den USA niedergelassen haben. Von dort kommen die Gelder. 

Neben den Hafengebühren exportiert Somaliland fast fünf Millionen Ziegen und Schafe in die arabischen Staaten. 

Somaliland gilt in der instabilen Region am Horn von Afrika politisch als Erfolgsmodell. Regierungen werden ohne Zwischenfälle ausgetauscht. Auch die Sicherheitslage ist weitgehend stabil. Bildungs- und Gesundheitssystem sind befriedigend. Das Mobilfunknetz ist oft sogar schneller und günstiger als in Europa. Es gibt keine Anschläge, immer mehr Menschen kehren aus der Diaspora zurück. 

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte  ( 11.) Neuauflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Lakmi00via Wikimedia Commons

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Anna Kirsch / 18.05.2021

@A.Ostrovsky. Sie fragen, warum Somaliland international nicht anerkannt ist? Auch Taiwan ist international nicht (mehr) anerkannt (außer noch von einer Handvoll mittel- und südamerikanischer Staaten) und das sogar, obwohl Taiwan Gründungsmitglied der UNO war. Nur, Taiwan ist relativ klein und hochentwickelt und stellt damit, im Gegensatz zu China, keinen Absatzmarkt dar und da will die sogenannte freie Welt doch lieber Geschäfts- und diplomatische Beziehungen zu China. Und beides geht nunmal nicht.

Wolfgang Kolb / 18.05.2021

Lieber Herr Seitz, Bleibt diesem Land zu wünschen, dass es noch lange ein Schattendasein führt, abseits der Weltbank und der Europäischen Union. Eines der wenigen Beispiele, wie Afrika sich selbst helfen kann. Danke für diesen Beitrag!

P. Wedder / 18.05.2021

Leider ist der Islam Staatsreligion…

Esther Burke / 18.05.2021

Wie schön, endlich auch einen solchen Bericht über ein afrikanisches Land zu hören ! Wie wäre es damit, wenn für die 20 000 in D lebenden Somaliländer im Gegenzug 20 000 Deutsche, mit den gleichen Rechten /Ansprüchen ausgestattet, in Somaliland leben könnten ?  (Oder auch für jeden Afrikaner, der hier in D Aufnahme,Versorgung, Rechte etc. erhält, im Gegenzug ein deutscher Staatsbürger die analoge Situation im jew. betreffenden afrikanischen Land ? - auch wenn dies von D gesponsert werden müsste, könnte doch sinnvolle “Entwicklungshilfe” sein ,  hier wie dort z.B. befristet auf z.B. 5 Jahre ?? )  als Hilfe zur Selbsthilfe für beide Seiten ; nur mal so gedacht…

Marc Greiner / 18.05.2021

@Anke Müller—-“Die Staatsreligion ist der Islam.” Das relativiert so einiges. Hätte im Artikel stehen müssen. Nehme meine Gratulation zurück. Dort herrscht keine Freiheit. Übrigens: Rumänien hatte unter Ceaușescu auch fast keine Schulden. Jetzt muss man schon auf der Achse kritisch lesen. Mühsam.

Uta Glaubitz / 18.05.2021

sehr interessant!

Burkhard Mundt / 18.05.2021

Wenn das dort so toll ist, warum leben dann 20.000 in Deutschland? Zum abkassieren von Hartz 4 ?

Leo Anderson / 18.05.2021

Wieder mal ein Beweis dafür, dass auch Afrikaner sich selbst zu helfen wissen, wenn man sie nur in Ruhe machen lässt. Möglicherweise ist ja gerade die (politische)Isolation das kleinen Landes das Geheimnis seines Erfolgs. Und diplomatische Beziehungen zu Taiwan - clever! Das hält die land- und ressourcenhungrigen PR-Chinesen erst einmal auf Abstand.

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