Peter Grimm / 28.10.2019 / 14:00 / Foto: Pixabay.de / 94 / Seite ausdrucken

Schöne neue Mehrheiten

Während in diesen Tagen vielerorts des Sturzes der SED-Herrschaft in der DDR vor 30 Jahren gedacht wird, erringt ihre Nachfolgepartei mit Hilfe der AfD ungeahnte Erfolge. Das Landtagswahlergebnis in Thüringen feiern die Genossen zu Recht als großen Sieg. Nicht wegen des leichten Stimmenzuwachses, sondern weil es gelungen ist, die jahrzehntelange stabile übergroße Mehrheit der demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik zu zerstören. Eigentlich müsste dieser Moment, auch wenn er nicht unerwartet kam, politische Akteure erschüttern. Aber offenbar scheinen sie nicht wahrnehmen zu wollen, welch eine Zäsur dieses Ergebnis ist. Geschäftsmäßig wird einfach nach neuen Mehrheiten zur Regierungsbildung gesucht, egal welche Prinzipien es dafür wieder über Bord zu werfen gilt. Hauptsache die AfD ist nicht beteiligt.

Trotz gegenteiliger Versprechen im Wahlkampf und deren Bekräftigung am Wahlabend zeigt sich der Thüringer CDU-Landesvorsitzende, Mike Mohring, jetzt offen für Gespräche mit den Genossen über eine Regierungsbildung. 30 Jahre nachdem die SED abdanken musste, denkt nun also sogar die CDU daran, einen Mann im Ministerpräsidentenamt zu halten, der sich der SED-Nachfolge immerhin so sehr verpflichtet fühlt, dass er dagegen kämpft, dass die SED-Diktatur als Unrechtsstaat bezeichnet wird. Manch ein Kommentator feierte die Möglichkeit einer solchen Annäherung schon als eine Vollendung der Wiedervereinigung.

Ob die plötzlich angekündigte Annäherung tatsächlich dazu führt, dass sich eine Linke-CDU-Koalition bildet oder ob es letztlich nur darum geht, dass CDU und FDP eine rotrotgrüne Minderheitsregierung dulden, ist beinahe unerheblich. In Thüringen wird eine politische Landschaft Realität, die bislang fast nur in der Wahrnehmung von AfD-Anhängern existierte: Alle Parteien von CDU bis Linke vertreten eine Einheitsregierung, während die AfD als einzige Opposition im Parlament sitzt. Das auf alten SED-Tage anspielende böse Wort von der „Nationalen Front“ bekommt durch den Umstand, dass die SED-Nachfolgepartei in Erfurt sogar an der Spitze eines denkbaren Allparteien-Bündnisses steht, auch noch inhaltliches Gewicht. Diese Thüringer Wirklichkeit des Jahres 2019 wäre noch vor zehn Jahren nicht einmal als Satire ernst genommen worden.

Nicht ohne Abstimmung mit den großen Damen

Man darf davon ausgehen, dass Mike Mohring seinen Vorstoß in Richtung Linkspartei nicht ohne Abstimmung mit den großen Damen in der Führung von Partei und Regierung gestartet hat. Man hat es als solches vielleicht nicht ganz ernst genommen, aber dieser Kurs ließ sich im Grunde schon 2016 in den Worten von Angela Merkel erkennen. Sie hatte nach den damaligen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auf die seinerzeit überraschend hohen AfD-Wahlergebnisse gelassen mit dem Hinweis reagiert, dass ja immerhin beinahe 80 Prozent der Wähler nicht AfD gewählt hätten. Damit war klar, man muss auf die Probleme, mit denen die AfD beim Wähler punktet, allein dadurch, dass sie sie anspricht, weiterhin nicht eingehen.

Damals feierte die Kenia-Koalition ihre Premiere und sorgte als ungewöhnliches Modell für Aufmerksamkeit. Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen galt diese Koalitionsart schon als beinahe selbstverständliche Art der Regierungsbildung in Zeiten starker AfD-Ergebnisse. Jetzt werden in Thüringen vielleicht alle Parteien, allen voran die Linke, gebraucht, um ohne beziehungsweise gegen die AfD regieren zu können.

Die SED-Nachfolger verdanken diesem Umstand nun wirklich einen großen Sieg, denn das letzte Tabu für eine Zusammenarbeit mit ihnen scheint zu fallen. Um sich inhaltlich nicht mit den Themenfeldern auseinander zu setzen, auf denen die AfD erntet, und sich vielleicht auch Gedanken um Politik-Änderungen zu machen, wie die dänischen Sozialdemokraten, die damit die dortigen Rechtspopulisten zurück drängten, versucht nach SPD und Grünen nun auch die CDU, sich die Linke schön zu reden. Dummerweise wird das der AfD nicht schaden, im Gegenteil. Es ist ein Irrweg, statt auf eigenes Profil zu setzen, mit Linksaußen im Bunde gegen Rechtsaußen ins Feld ziehen zu wollen.

Foto: Pixabay.de

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Leserpost

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Heinrich Hein / 28.10.2019

Und was mich sehr beeindruckt: Hier gibt es anspruchsvolle Analysen der Situation, wie es sie früher in den Leitmedien gab. Mit dem Abdanken der früheren Volksparteien, die vollkommen entbehrlich geworden sind, vollzieht sich Entsprechendes mit den früheren Leitmedien. Von ihnen ist nichts sinnvolles oder kritisches mehr zu erwarten. Als Propagandainstrumente einer saublöden und vom Wähler entfernten Politik haben sie jede Glaubwürdigkeit verloren. Ich bin gespannt, wie lange sich die Nomenklatur um Merkel sich die kritischen Medien noch gefallen lässt. Der nächste erwartbare Schritt dieser Volksfreunde ist das Verbot kritischer Medien. Wer würde es Merkel verübeln, schließlich ist es das, was sie in der DDR gelernt hat.

Christian Feider / 28.10.2019

ich weiss gar nicht,was es da zu jammern gibt???? seit 5 Jahren mindestens ist doch gar nicht mehr erkennbar,wo der Unterschied zwischen linker CDU, der rosaroten SPD,den grün gefärbten Stalinisten des EX-KBW,einer notorisch prinzipienloen FDP sein sollte? es ist doch wunderbar,das man jetzt endlich KLARE Wahlmöglichkeiten hat. Entweder die EUDSSR-Befürworter,die das GG als ältliches Relikt am Liebsten heute mit dem deutschen Volk abschaffen würden…oder eben die einzig wahre konservative Partei Deutschlands, die AFD so GEHT Demokratie, sagen die Volxfrontler doch immer :)

Wolfgang Janßen / 28.10.2019

In welchem Zustand befindet sich die SPD? Die SPD befindet sich am Rande des Abgrunds. In welchem Zustand befindet sich die CDU? Der CDU wird es mit ihrer Politik gelingen, die SPD zu überholen. Der konservative Gedanke wurde verraten, weil man Angst vor der Auseinandersetzung hat. Der politische Gegner ist nicht zum Lob der eigenen Position bestimmt sondern zum Ringen um die vermeintlich beste Lösung.

J. Braun / 28.10.2019

Ich weiß nicht, warum solche Aufregung herrscht, wenn die Opportunisten von der „C“DU jetzt mit den Stalinisten anbandeln wollen. In Baden-Württemberg liegen sie doch schon längst als Juniorpartner mit den Maoisten im Bett. Dort klappt zwar auch nichts mehr, aber die Pfründe hat sich die Bagage damit für eine ganze Legislaturperiode gesichert. Und nur darum geht‘s doch. Oder? Und inhaltlich ist die CDU doch schon mindestens seit Kiesinger verbraucht, auch wenn es ihre Wähler anscheinend nie gemerkt haben.

Christian Noha / 28.10.2019

Angela Merkels Vater Horst Kasner, genannt der „rote Kasner“, wäre stolz auf das Werk seiner Tochter. Er, der rote Pfarrersausbilder in der DDR, verstand sich als kommunistischer Christ. Und da der Apfel bekanntlich nicht weit vom Stamme fällt, kommt für die Merkels/Kasners jetzt endlich zusammen, was zusammen gehört. CDU und Linke! Der Rest der Kohl-CDU sollte sich dagegen endlich mal eingestehen, wer da eigentlich an der Spitze noch immer die Strippen zieht und die Partei in den Abgrund reißt.

Jochen Brühl / 28.10.2019

Es ist schon erstaunlich, welche ahistorische Geschitsklitterung uns von Mohring verkauft wurde, wonach es noch nie vorkam, dass keine Regierung aus der Mitte heraus gebildet werden konnte. Keine Regierung, an der die Grünen beteiligt sind, ist eine aus der Mitte. Eine linksextreme Partei der Alt-68 wird ja nicht dadurch zu einer Partei der Mitte, dass sich die anderen Altparteien und der Medienmainstraem auf sie zu bewegen. Es sind alles Linksregierungen und so war ein Narr, wer es geglaubt hatte, dass die CDU nicht mit der Linkspartei koaliert.

dr. michael kubina / 28.10.2019

Lieber Peter Grimm, es ist ein ziemlich dürftiges Argument, die Linke als SED-Nachfolgepartei zu kritisieren. Mir (und vielen Wählern) ist das ehrlich gesagt vollkommen egal, wessen Nachfolger sie ist oder mit welcher historischen Partei sie rechtlich gar identisch. Es geht doch ausschließlich darum, was für eine Politik sie heute macht, mit welchen Folgen für das Land etc. Und da gibt es eine Menge zu kritisieren. Ich würde sie gar als gemeingefährlich beschreiben, aber nicht weil sie Nachfolger von irgendwem ist. Der Verweis auf die SED, die vor 30 Jahrren abgetreten ist, zieht nicht mehr, so wie bei der AfD zu Recht der Verweis auf die Nazis nicht mehr zieht, zumal die AfD rein gar nichts mit denen zu tun hat, nicht einmal Höcke. Trotzdem gibt es auch an der AfD eine Menge zu kritisieren, aus meiner Sicht aber nicht annähernd soviel wie an den anden anderen Parteien. Es wäre für mich auch kein Skandal, wenn die CDU mit der Linken koalierte, machte es doch nur offenbar, wie weit diese Gesellschaft bereits wieder sozialistisch ist. Das ist der Skandal, nicht eine mögliche Koaliton mit der stärksten organisierten politischen Kraft in Thüringen.

Steffen Lindner / 28.10.2019

Herr Grimm,die von Ihnen als “Rechtsaussen” bezeichneten Mitglieder der AfD vertreten politische Standpunkte,die vor 20 Jahren in der CDU zu Hause waren,was als politische Mitte galt.Der Zeitgeist der durch die Institutionen marschierten 68er hat dieses Land in eine linksgrün dominierte Schieflage gekippt. Erfreulich immerhin,dass ein Grossteil der Wähler unter 30 Jahren der in Thüringen der AfD ihre Stimme gegeben hat.Es wird nur insgesamt nicht reichen; der Westen Deutschlands ist verloren .Zeit,bald zu gehen.

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